Weil

Argumente gehören zum Kernbestand der Philosophie. Die Argumentationstheorie ist derjenige Bereich Philosophie, der sich mit der Form und dem Gebrauch von Argumenten befasst.
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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2024, 08:49

Wie viele verschiedene Formen von "weil" gibt es?
  • Sie hat den Apfel nicht gegessen, weil er vergiftet war. (Grund)
  • Du sollst ihr helfen, weil sie in Not ist. (Grund/Ethik)
  • Das Porträt muss noch etwas bearbeitet werden, weil das Bild sonst nicht harmonisch ist. (Grund/Ästhetik)
  • Er aß nicht im Gehen, weil es nicht der japanischen Etikette entsprach. (Etikette)
  • Sie starb, weil der Apfel vergiftet war. (Ursache)
  • Er überfiel die Bank, weil er gierig war. (Motiv)
  • Er schlug den Nagel in die Wand, weil er ein Bild aufhängen wollte. (Zweck)
  • Er wird Junggeselle genannt, weil er nicht verheiratet ist. (Begriff)
  • Der Springer durfte nicht ziehen, weil er gefesselt war. (Regel)
  • ...
Wer hat weitere Ideen, die hier noch nicht aufgeführt sind?
Mit der Schachregel sind alle Regeln abgedeckt, jetzt bitte keine weiteren Beispiele mit Regeln, wie z.B. Verkehrsregeln oder ähnliches.

Ich vermute, dass ich einige Doppler drin habe, z.B. bin ich mir nicht sicher, ob eine Etikette nichts anderes als eine Regel ist, aber ich denke, es könnte Unterschiede geben, weil Regeln im Schach konstitutiv sind und beim Essen nicht.

Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass noch einiges fehlt.

Bei der Reihenfolge habe ich ursprünglich versucht, nach Wichtigkeit zu ordnen, aber das scheint aussichtslos zu sein ...




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Quk
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Do 8. Feb 2024, 11:44

Bei Deinen Beispielen stimme ich nicht ganz zu, unter anderem weil sie teilweise zu undifferenziert sind. Unter meinem Mikroskop sehe ich das so:

1. Sie hat den Apfel nicht gegessen, weil er vergiftet war. (Jörn sagt: Grund)
Auf Grund des Giftes im Apfel ist die Aussage korrekt, dass der Apfel vergiftet war. Das ist ein tautologisches Urteil; es ergibt sich daraus keine weitere Information.
Gründe sind Bedingungen, keine Ereignisse entlang der Zeitausdehnung, daher verursachen Bedingungen an sich auch keine weiteren Ereignisse. Die Wahrheit, dass ein Apfel vergiftet ist, braucht eine Bedingung, nämlich, dass Gift im Apfel ist. Die Wahrheit, dass 3 höher ist als 2, bedingt sich durch die Zählweise 1, 2, 3. Das ist der Grund. Das ist kein Ereignis. Soweit stimme ich Dir zu. Aber da ist ja noch viel mehr zu sagen.
Die menschliche Entscheidung, den Apfel abzuweisen, verstehe ich als Ereignis. Das ist kein Grund; das ist ein Ereignis. Dieses Entscheidungs-Ereignis geschah um eine bestimmte Uhrzeit, also an einem gewissen Punkt auf der Zeitausdehnung. Die Ursache dieses Ereignisses war ein vorausgehendes Ereignis: Beispielsweise hat die Dame schriftlich oder akustisch oder durch eigene Analyse die Information erhalten, der Apfel sei vergiftet. Die Zuführung dieser Information löste zahlreiche gedankliche und erinnerungsabgleichende Kettenreaktionen aus entlang der Zeitausdehnung. Schließlich bewirkte dies die finale vernünftige menschliche Entscheidung, den Apfel abzuweisen. Ob dieser kausale Vorgang nun rein physikalischer oder geistiger oder sonstwelcher Art ist, oder gemischt, mag jeder beurteilen wie er will. Die Beurteilung ändert nichts an der Offensichtlichkeit, dass hier Ereignisse sich gegenseitig angestoßen haben entlang der Zeitausdehnung.

2. Du sollst ihr helfen, weil sie in Not ist. (Jörn sagt: Grund/Ethik)
Siehe Apfel. A priori gibt es einen Grund (hier eine ethische Regel). Und dann gibt es Informations-Ereignisse, die, unter anderem, Denk- und Erinnerungs-Ereignisse anstoßen, welche schließlich Entscheidungs-Ereignisse verursachen (geh helfen). Der Vorgang besteht nicht nur aus "Grund".
Die ethische Regel "geh helfen" ist, so vermute ich, menschengemacht (nicht von Gott oder dergleichen). Die Regel basiert selbst wiederum auf zuvor aufgestellten Regeln. Die eine Bedingung bedingt die andere. Der eine Grund begründet den anderen. Die finale Aufstellung einer Regel ist aber ein Entscheidungs-Ereignis, verursacht von einem vorausgehenden Erkenntnis- oder Fühl- oder Abwäg-Ereignis oder was auch immer für Informations-Ereignisse dies bewirkten.

3. Das Porträt muss noch etwas bearbeitet werden, weil das Bild sonst nicht harmonisch ist. (Jörn sagt: Grund/Ästhetik)
Siehe oben.

4. Er aß nicht im Gehen, weil es nicht der japanischen Etikette entsprach. (Jörn sagt: Etikette)
Siehe oben.

5. Sie starb, weil der Apfel vergiftet war. (Jörn sagt: Ursache)
Ja, Ursache. Man kann aber auch da nebenher logische Gründe erwähnen: Prämisse 1: Der Apfel war vergiftet. Prämisse 2: Sie aß den Apfel. Prämisse 3: Nach dem Verzehr starb sie. Prämisse 4: Es gibt Kausalität. Möglicher Schluss: Sie starb durch Gift. Das ist eine Begründung, die selbst nicht kausal ist, aber mit einer Prämisse arbeitet, die die Existenz von Ereignisketten als wahr voraussetzt.

6. Er überfiel die Bank, weil er gierig war. (Jörn sagt: Motiv)
Wenn sich das Gierigsein auf eine temporäre Emotion innerhalb eines Zeitraums bezieht, dann nenne ich das Ursache.
Wenn sich das Gierigsein auf eine zeitlose Eigenschaft bezieht, ähnlich wie "Kreise sind rund", dann nenne ich das einen Grund.
Ansonsten siehe 5.

7. Er schlug den Nagel in die Wand, weil er ein Bild aufhängen wollte. (Jörn sagt: Zweck)
Ich sage Ursache. Er spürte das Bedürfnis, ein Bild aufzuhängen. Das war ein Ereignis, das nachfolgende Entscheidungs- und Handlungs-Ereignisse auslöste.
Man kann auch Gründe nennen, etwa: Bilder hängen gut an Nägeln. Dieser Grund allein haut aber noch keine Nägel rein. Das tun Ereignisse.

8. Er wird Junggeselle genannt, weil er nicht verheiratet ist. (Jörn sagt: Begriff)
Ich sage, da steckt viel mehr drin als nur "Begriff". Siehe oben.

9. Der Springer durfte nicht ziehen, weil er gefesselt war. (Jörn sagt: Regel)
Ich sage, da steckt viel mehr drin als nur "Regel". Siehe oben.




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Jörn Budesheim
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Sorry, das sollte jetzt keine Fortführung des anderen Fadens werden. Das hätte ich vielleicht extra erwähnen sollen.




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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2024, 11:54

Nur kurz zu Punkt 1, sie wusste, dass der Apfel vergiftet war, das gab ihr einen Grund, ihn nicht zu essen. Das ist keine Tautologie.




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Quk
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Do 8. Feb 2024, 12:04

Tut mir leid, aber in meinen Augen hast Du hier sehr wohl eine Fortführung versucht. Durch Deine Liste von "Weil-Gründen" versuchst Du, so kommt es mir vor, Gründe in den Vordergrund und die Kausalität ins Abseits zu schieben. Als ob gewisse Sachverhalte allein durch "Grund" zustande kämen. Das sind meines Erachtens nur Sprachspiele, um das menschliche Leben aus seinem natürlichen Zeitverlauf herauszulösen und es stattdessen in einer zeitlosen Gründelei-Abstraktion quasi zu verewigen. Wenn Du jetzt verlangst, dies möge keine Fortführung der Kausal-Debatte werden, finde ich das unfair :-)




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Quk
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Do 8. Feb 2024, 12:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Feb 2024, 11:54
Nur kurz zu Punkt 1, sie wusste, dass der Apfel vergiftet war, das gab ihr einen Grund, ihn nicht zu essen. Das ist keine Tautologie.
Die Tautologie bezog sich auf meinen Text: "Auf Grund des Giftes im Apfel ist die Aussage korrekt, dass der Apfel vergiftet war."




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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2024, 12:09

Das Ziel dieses Threads ist genau das, was ich am Anfang geschrieben habe: Weil sammeln. Für diejenigen, die glauben, dass es nur ein Weil gibt, ist das natürlich eine langweilige oder fehlgeleitete Aufgabe. Aber das Ziel dieses Threads ist nicht zu diskutieren, ob es ein oder viele Weil gibt. Dass es viele gibt, wird ja offensichtlich vorausgesetzt. Das hätte ich vielleicht noch deutlicher sagen sollen, tut mir leid, aber ich dachte, das sei offensichtlich.




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Quk
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Do 8. Feb 2024, 12:12

Übrigens: Ich wundere mich, dass Du "Ursache" als freiheitsberaubend empfindest, "Grund" hingegen nicht. Sowohl "Ursache" als auch "Grund" können menschengemacht sein oder auch nicht.

Falls Du diesen Kommentar in einen passenderen Faden verschieben willst: Ich habe keinen Einwand.




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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2024, 12:17

Ich sage nicht, das Ursachen freiheitsraubend sind. Du wirst keine Stelle finden, wo ich so etwas behaupte.




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Quk
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Do 8. Feb 2024, 12:49

Wörtlich nicht. Aber mit anderen Worten. Soll ich die Stellen zitieren? Wenn ja, in welchem Faden soll ich zitieren?




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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2024, 12:51

Ich vertrete diese Position nicht.




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