Der verlorene Schlüssel

Argumente gehören zum Kernbestand der Philosophie. Die Argumentationstheorie ist derjenige Bereich Philosophie, der sich mit der Form und dem Gebrauch von Argumenten befasst.
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Jörn Budesheim
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Di 2. Jul 2024, 10:48

Max glaubt, der Schlüssel müsse irgendwo im Wohnzimmer sein.
Moritz glaubt, der Schlüssel ist sicher irgendwo auf der Straße.

Also gibt es keinen Ort, an dem sich der Schlüssel befindet.

Oder allgemein ausgedrückt, gibt es Uneinigkeit über einen Sachverhalt (den Ort des Schlüssels), folgt daraus, dass es über den fraglichen Sachverhalt keine Wahrheit gibt.




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Stefanie
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Di 2. Jul 2024, 10:58

Du weißt mit sowas habe ich immer Schwierigkeiten, aber ich versuche es mal.

Der Schlüssel ist weg. Fakt. Wahrheit.
Derr Schlüssel ist natürlich irgendwo, es gibt einen Ort, an dem der Schlüssel ist. (Und sei es mittlerweile in der Nordsee, weil er in den Rhein gefallen ist.)



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Jörn Budesheim
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Di 2. Jul 2024, 11:10

Stefanie hat geschrieben :
Di 2. Jul 2024, 10:58
Derr Schlüssel ist natürlich irgendwo...
Das Argument bestreitet das!
Immerhin denkt Max, der Schlüssel sei im Wohnzimmer, während Moritz denkt, er sei auf der Straße. Diese Uneinigkeit zeigt (gemäß diesem Argument), dass es hier keine Wahrheit über den Ort des Schlüssel gibt.

Vielleicht kann man das formal so darstellen:

Prämisse: Es gibt eine Behauptung X

Uneinigkeit: Es gibt unterschiedliche Meinungen über die Wahrheit von X

Konklusion: Daher ist X nicht wahr




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Stefanie
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Di 2. Jul 2024, 13:20

Diese Formel liest sich jetzt aber irgendwie anders als der Text.

Was ist denn die Behauptung X, der Satz "so gibt es keinen Ort, an dem sich der Schlüssel befindet." oder der Satz von Moritz oder der Satz von Max, oder der Umstand, dass keiner weiß, wo der Schlüssel ist.


Das ist mir mal wieder zu hoch.



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Jörn Budesheim
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Di 2. Jul 2024, 13:44

Prämisse: Es gibt eine Behauptung X (z.B. "Der Schlüssel ist im Wohnzimmer").

Uneinigkeit: Es gibt unterschiedliche Meinungen über die Wahrheit von X (z.B. Max glaubt, X ist wahr, während Moritz glaubt, X ist falsch).

Konklusion: Daher ist X nicht wahr (d.h. es gibt keine objektive Wahrheit bezüglich X).




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Consul
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Do 4. Jul 2024, 06:23

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Jul 2024, 13:44
Prämisse: Es gibt eine Behauptung X (z.B. "Der Schlüssel ist im Wohnzimmer").

Uneinigkeit: Es gibt unterschiedliche Meinungen über die Wahrheit von X (z.B. Max glaubt, X ist wahr, während Moritz glaubt, X ist falsch).

Konklusion: Daher ist X nicht wahr (d.h. es gibt keine objektive Wahrheit bezüglich X).
Das ist ein offensichtlicher Fehlschluss.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Jörn Budesheim
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Do 4. Jul 2024, 07:08

Dennoch wird er oft vorgebracht:

Prämisse: Es gibt eine Behauptung X (z.B. "Mädchen Bildung vorzuenthalten ist falsch").

Uneinigkeit: Es gibt unterschiedliche Meinungen über die Wahrheit von X (Die Taliban halten es für richtig, der "Westen" für falsch).

Konklusion: Daher ist X nicht wahr (d.h. es gibt keine objektive Wahrheit bezüglich X).




Timberlake
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So 14. Jul 2024, 22:22

Consul hat geschrieben :
Do 4. Jul 2024, 06:23
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Jul 2024, 13:44
Prämisse: Es gibt eine Behauptung X (z.B. "Der Schlüssel ist im Wohnzimmer").

Uneinigkeit: Es gibt unterschiedliche Meinungen über die Wahrheit von X (z.B. Max glaubt, X ist wahr, während Moritz glaubt, X ist falsch).

Konklusion: Daher ist X nicht wahr (d.h. es gibt keine objektive Wahrheit bezüglich X).
Das ist ein offensichtlicher Fehlschluss.
Und wenn ich daraus schließe ...

Daher ist X nicht wahr (d.h. es gibt keine subjektive Wahrheit bezüglich X)

... ist das dann auch ein offensichtlicher Fehlschluss?




Lucian Wing

Mo 15. Jul 2024, 09:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 2. Jul 2024, 10:48
Max glaubt, der Schlüssel müsse irgendwo im Wohnzimmer sein.
Moritz glaubt, der Schlüssel ist sicher irgendwo auf der Straße.

Also gibt es keinen Ort, an dem sich der Schlüssel befindet.

Oder allgemein ausgedrückt, gibt es Uneinigkeit über einen Sachverhalt (den Ort des Schlüssels), folgt daraus, dass es über den fraglichen Sachverhalt keine Wahrheit gibt.
Entweder der Schlüssel befindet sich an Ort A oder Ort B. Eine Aussage kann richtig sein, beide können falsch sein. Ist letzteres der Fall, ergibt sich daraus nicht, dass er nirgends wäre.

Die Existenz eines Schlüssels setzt voraus, dass er sich an einem Ort befindet.




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