Naturalistischer-/Sein-Sollen-Fehlschluss

Argumente gehören zum Kernbestand der Philosophie. Die Argumentationstheorie ist derjenige Bereich Philosophie, der sich mit der Form und dem Gebrauch von Argumenten befasst.
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Alethos
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Mo 9. Apr 2018, 22:46

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 22:14
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 12:50
Ein Fehlschluss liegt meines Erachtens nur dann und ausschließlich dann vor, wenn man aus einem Bereich, der kein Werte und kein Sollen enthält, ohne Umstände also ohne weitere Prämissen oder sonstige Zusatzannahmen auf ein Sollen schließt.

Da die Vernunft das Vermögen ist, Gründe insbesondere auch Rechtfertigungsgründe zu erkennen und damit umzugehen, befinden wir uns hier eben nicht mehr im wertfreien Bereich der reinen Naturgesetze.
Wäre das ein gültiges Argument, dürfte es überhaupt keinen naturalistischen Fehlschluss geben, denn jedes Argument ist ja Ausdruck der Vernunft.
Auch jedes, das beispielhaft für den nat. Fehlschluss steht.
Das würde nach deiner Auffassung bedeuten, dass die Vernunft nicht fehlschliessen kann. Das kann sie aber in Form z.B. des naturalistischen Fehlschlusses.

Wenn ein Grund angegeben wird, der Zitat: "ohne weitere Prämissen oder sonstige Zusatzannahmen " von einem Sein auf ein Sollen schliesst, dann bewegt sich die Vernunft sozusagen nicht in ganz vernünftigen Bahnen. Sie ist dann eine Vernunft, die irrt. Dass also ein Fehlschluss vorliegt hat zur Bedingung eine Vernunft, aber diese garantiert noch keinen vernünftigen Schluss. :)



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Mo 9. Apr 2018, 22:47

Tommy hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 22:45
Ich bin gerade dabei mir mal die Entwicklung des "naturalistischen Fehlschluß"-Arguments durch Moore anzuschauen und habe da auch Texte gefunden die dieses Argument anhand der Entwicklung selbst als Fehlschluß ausweisen (naturalistic fallacy fallacy).
Vielleicht kann man das ja mal besprechen. Ich muss den text aber erst aus dem Englischen übersetzen.
Gerne. Wie wär's, wenn du die Quelle zum Nachlesen sowie den mit Deepl übersetzten Text als neues Thema startest? Ich bin sicher, das gäbe einen schönen Thread und viel zu reden.



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Mo 9. Apr 2018, 22:58

Great, danke!



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Jörn Budesheim
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Di 10. Apr 2018, 05:16

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 22:14
Wäre das ein gültiges Argument, dürfte es überhaupt keinen naturalistischen Fehlschluss geben, denn jedes Argument ist ja Ausdruck der Vernunft.
Auch jedes, das beispielhaft für den nat. Fehlschluss steht.
Man sollte nicht Mittel und Gegenstand ist Schlusses verwechseln. Jeder Schluss wird mittels der Vernunft durchgeführt, aber es geht darum, was der Gegenstand des Schlusses ist.




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Alethos hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 22:46
Das würde nach deiner Auffassung bedeuten, dass die Vernunft nicht fehlschliessen kann. Das kann sie aber in Form z.B. des naturalistischen Fehlschlusses.
Nein, das meinte ich nicht.

Jörn beschrieb den NF: „Der naturalistische Fehlschluss liegt also immer dann (und nur dann) vor, wo die Behauptung von Natürlichkeit ausreichen soll, um die Wahrheit einer Sollen-Aussage zu sichern. Z.b.: Tiere töten sich gegenseitig, also ist Töten richtig. Oder: Homosexualität ist wieder in Natur, also ist sie verwerflich.“

Tommy: „Ah. Also wie: Der Mensch ist von Natur aus vernunftbegabt, also soll er seine Vernunft nutzen.
Deiner Erklärung nach wäre doch auch das ein naturalistischer Fehlschluß, oder nicht?“

Es ging hin und her, worauf Jörn schrieb: „Ein Fehlschluss liegt meines Erachtens nur dann und ausschließlich dann vor, wenn man aus einem Bereich, der kein Werte und kein Sollen enthält, ohne Umstände also ohne weitere Prämissen oder sonstige Zusatzannahmen auf ein Sollen schließt.

Da die Vernunft das Vermögen ist, Gründe insbesondere auch Rechtfertigungsgründe zu erkennen und damit umzugehen, befinden wir uns hier eben nicht mehr im wertfreien Bereich der reinen Naturgesetze.“

Darauf ich, Tosa: „Wäre das ein gültiges Argument, dürfte es überhaupt keinen naturalistischen Fehlschluss geben, denn jedes Argument ist ja Ausdruck der Vernunft.
Auch jedes, das beispielhaft für den nat. Fehlschluss steht.“

Du liest das nun so, als wollte ich sagen, dass man sich nicht irren kann.
Mein Argument ist jedoch, dass es nicht ausreicht zu sagen, sobald Vernunft im Spiel ist handelt es sich nicht mehr um einen nat. Fehlschluss, da die Sein-Sollen Grenze qua Vernunft schon überschritten ist. Ist sie nicht.

Darum ist Tommys fragende Erklärung: „Ah. Also wie: Der Mensch ist von Natur aus vernunftbegabt, also soll er seine Vernunft nutzen.
Deiner Erklärung nach wäre doch auch das ein naturalistischer Fehlschluß, oder nicht?“ auch berechtigt und ein Beispiel für einen nat. Fehlschluss.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 05:16
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 22:14
Wäre das ein gültiges Argument, dürfte es überhaupt keinen naturalistischen Fehlschluss geben, denn jedes Argument ist ja Ausdruck der Vernunft.
Auch jedes, das beispielhaft für den nat. Fehlschluss steht.
Man sollte nicht Mittel und Gegenstand ist Schlusses verwechseln. Jeder Schluss wird mittels der Vernunft durchgeführt, aber es geht darum, was der Gegenstand des Schlusses ist.
Aus einer Prämisse, kann man keinen Schluss ziehen.
Bei Tommys Beispiel handelt es sich genau darum:
Tommy hat geschrieben : „Ah. Also wie: Der Mensch ist von Natur aus vernunftbegabt, also soll er seine Vernunft nutzen.
Deiner Erklärung nach wäre doch auch das ein naturalistischer Fehlschluß, oder nicht?“


Warum ich dennoch sage, man kann es so und so sehen, ist, weil Aussagen wie "Du hast schon wieder die Tür offen gelassen" im Alltag deutlich mehr steckt, als die bloße Feststellung, dass die Tür offen ist.



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Di 10. Apr 2018, 08:32

Tommy hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 07:51
Was ich zeigen wollte war, dass es "nat. Fehlschlüsse" gibt, die trotzdem zu richtigen moralischen Gesetzen führen, bzw dass wir moralische Gesetze akzeptieren die auf solchen "Fehlschlüssen" basieren.
Das sind allerdings zwei verschiedene Sachen. Die Konklusion eines beliebigen Fehlschlusses kann zwar wahr sein. Daraus folgt jedoch nicht, dass seine Wahrheit auf dem Fehlschluss basiert. Mit anderen Worten> die Konklusion eines naturalistischen Fehlschlusses mag zwar sein, daraus folgt allerdings nicht dass die fraglichen Dinge geboten sind, weil sie der Natur entsprechen, das heißt es folgt nicht, dass sie aufgrund des Schlusses wahr sind. Das heißt die Begründung, warum dies oder das geboten ist, ist falsch.

Die Regel lautet schließlich nicht, dass alles, was als Konklusion eines naturalistischen Fehlschlusses erscheint, falsch ist, die Regel lautet, dass der Schluss falsch ist.Nehmen wir dazu an, G sei tatsächlich geboten. Nehmen wir weiter an, G sei zudem die Konklusion eines naturalistischen Fehlschlusses. Dann folgt weder, dass G nicht geboten ist. Noch folgt, dass G geboten ist, weil es die Konklusion dieses Schlusses ist. Der Fehlschluss hat einfach mit dem Gebot nichts zu tun, und zwar auch dann nicht, wenn der zufälligerweise zu demselben Ergebnis kommt.




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Di 10. Apr 2018, 09:54

@Tosa Inu,

Mit der Vernunft können wir Geltungsansprüche erheben,verteidigen und anerkennen. Sie gehört daher zum Bereich der Geltung und nicht zum Bereich der Natur. Deswegen kann der Verweis auf die Vernunft kein naturalistischer Fehlschluss sein.




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Di 10. Apr 2018, 10:07

"Man sollte eine Ausbreitung der Homosexualität bekämpfen, denn diese ist von der Natur allenfalls in einem sehr engen Rahmen vorgesehen."

Wäre dies nun ein naturalistischer Fehlschluss, oder ein Argument, das Geltungsansprüche erhebt?
M.E. ist es ein vernünftiges Argument, das Geltung beansprucht und ein naturalistischer Fehlschluss.



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Di 10. Apr 2018, 10:19

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:07
"Man sollte eine Ausbreitung der Homosexualität bekämpfen, denn diese ist von der Natur allenfalls in einem sehr engen Rahmen vorgesehen."

Wäre dies nun ein naturalistischer Fehlschluss, oder ein Argument, das Geltungsansprüche erhebt?
M.E. ist es ein vernünftiges Argument, das Geltung beansprucht und ein naturalistischer Fehlschluss.
Es handelt sich um einen vernünftigen Schluss, ja. Aber es ist ein Fehlschluss und daher kein Argument?



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Di 10. Apr 2018, 11:08

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:07
... Argument, das Geltung beansprucht und ein naturalistischer Fehlschluss.
Ja, sehe ich auch so. Mir ist allerdings nicht klar, worauf du damit hinaus willst.




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Di 10. Apr 2018, 11:18

Alethos hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:19
vernünftig
Das Wort vernünftig ist doppeldeutig. In das "vernünftige Tier" bedeutet es etwas anderes, als in "das ist ein vernünftiger Schluss". Im ersten Fall geht es darum, dass dieses Tier überhaupt zum Vernunftgebrauch fähig ist. Und im zweiten Fall kommt etwas hinzu, was im ersten Fall noch nicht enthalten ist, nämlich eine Billigung.




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Alethos hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:19
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:07
"Man sollte eine Ausbreitung der Homosexualität bekämpfen, denn diese ist von der Natur allenfalls in einem sehr engen Rahmen vorgesehen."

Wäre dies nun ein naturalistischer Fehlschluss, oder ein Argument, das Geltungsansprüche erhebt?
M.E. ist es ein vernünftiges Argument, das Geltung beansprucht und ein naturalistischer Fehlschluss.
Es handelt sich um einen vernünftigen Schluss, ja. Aber es ist ein Fehlschluss und daher kein Argument?
Das wird schnell zirkulär und/oder ideologisch. Was ist denn falsch an dem Schluss und wer sagt das?
Und wem kommt nun die Deutungshoheit zu?

Die Ansicht, die Tommy gerade motiviert dazu einen Thread zu eröffnen, der naturalistische Fehlschluss sei gar kein Fehlschluss, ist durchaus getragen von einer breiteren, aber immer gleich argumentierenden, in aller Regel biologistischen Bewegung, die sich im Kern auf den sogenannten negativen Utilitarismus beruft und am Ende das Tages niemanden überzeugen kann. Vielleicht findet Tommy ja andere Ansätze.

Nun muss man sich aber irgendwann entscheiden, ob man bei der kühlen und formalen Struktur der Philosophie bleibt oder ob man ideologisch motiviert an die Sache geht. Auch die gute Absicht ist dabei der Tod der Philosophie. Darum bin ich der Meinung, dass eine ideologische oder freundliche Motivation, zwar gesellschaftlich stabilisierend, empathisch und im besten Sinne nett sein mag, wie in Deinem Beispiel, dass man für alte Menschen aufsteht, aber ein philosophishces Argument kann ich darin nicht finden.

Wie würde es Deiner Meinung nach lauten? Ich könnte ja auch denken: Prima, der Omi mach ich Platz, außerdem werde ich ihr noch die Tasche Heim tragen und ihr dabei das Geld stehlen. Optimale Kosten-Nutzen-Rechnung. Ich bin eben ein Raubtier, die andere Lämmer, aber das ist eben mein Vorteil und sind die Bedingungen, unter denen wir leben: jeder sorgt für sich. Was ist nun der Grund dafür, dass man so nicht denken sollte?

Darum geht es doch in der Welt: um Machtverhältnisse, Geschick und darum oben zu Schwimmen, egal wie. Oder nicht?
Wen interessieren denn Argumente, wo es doch um Stimmungen, Dagegenhalten, Positionieren, Zeichen setzen geht?
Oder eben Deutungshoheiten, bzw. neuerdings, irgendwas in die Welt setzen und so oft teilen und wiederholen, bis es gelaubt wird.

Wie lauten also die Argumente dafür, dass schwules Leben richtig ist und man für Ältere und Gebrechliche aufsteht?



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Di 10. Apr 2018, 11:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 11:08
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:07
... Argument, das Geltung beansprucht und ein naturalistischer Fehlschluss.
Ja, sehe ich auch so. Mir ist allerdings nicht klar, worauf du damit hinaus willst.
Dein Argument gegen Tommy war, dass dort wo Vernunft und Geltungansprüche im Spiel sind, ein Sollen implizit mitgedacht wurde und demnach kein naturalistischer Fehlschluss mehr vorliegen kann. Der Beispielsatz lautete: "Der Mensch ist von Natur aus vernunftbegabt, also soll er seine Vernunft nutzen."

In meinem Beispiel sind Vernunft und Geltungsansprüche im Spiel und es liegt ein naturalistischer Fehlschluss vor.
Deine obige Erklärung trifft demnach nicht zu.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Di 10. Apr 2018, 12:17

fiktiver Akteur hat geschrieben : Man sollte eine Ausbreitung der Homosexualität bekämpfen, denn diese ist von der Natur allenfalls in einem sehr engen Rahmen vorgesehen.
Jörn hat geschrieben : „Ein Fehlschluss liegt meines Erachtens nur dann und ausschließlich dann vor, wenn man aus einem Bereich, der kein Werte und kein Sollen enthält, ohne Umstände also ohne weitere Prämissen oder sonstige Zusatzannahmen auf ein Sollen schließt.
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 11:48
im Spiel
[N > G]

Es ist ja nicht egal, wo die Vernunft im Spiel ist. Das hatte ich weiter oben bereits erläutert. Du verwechselst hier die Ebenen. Du verwechselst das Gesamtbild mit einem Element daraus.

Das Gesamtbild, also das folgende hier > [N > G] gehört in den Bereich der Vernunft - das ist wohl richtig. Aber es geht in dieser Problematik ja um N und was man wie daraus folgern darf bzw. eben nicht.

Es geht also um die Struktur des Argumentes und nicht darum, dass überhaupt ein Argument vorliegt. Es liegt eine falsche Form vor, weil von einem natürlichen Tatbestand N in verfehlter Weise eine Geltung G abgeleitet wird. Wenn wir aber für N "Vernunft" einsetzen, dann liegt etwas anderes vor, wir schließen dann einfach nicht mehr naturalistisch, weil wir nicht aus einem geltungsfreien Bereich in verfehlter Weise in einem Geltungsbereich "hinüberschließen".




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Alethos
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Di 10. Apr 2018, 12:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 11:18
Alethos hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 10:19
vernünftig
Das Wort vernünftig ist doppeldeutig. In das "vernünftige Tier" bedeutet es etwas anderes, als in "das ist ein vernünftiger Schluss". Im ersten Fall geht es darum, dass dieses Tier überhaupt zum Vernunftgebrauch fähig ist. Und im zweiten Fall kommt etwas hinzu, was im ersten Fall noch nicht enthalten ist, nämlich eine Billigung.
Einverstanden, man kann 'vernünftig' auch so auslegen, dass man damit eine Billigung ausdrückt. Es sei vernünftig, dies zu tun, bedeutet, es sei wünschenwert, richtig, angemessen. In diesem Sinne ist der obige Schluss (Homosexualität ist aus diesen Gründen abzulehnen) unvernünftig.

Aber 'vernünftig' kann auch lediglich auf die Eigenschaft des Schlusses angewendet sein, der deshalb ein vernünftiger ist, weil er der Vernunft entstammt. Dann hiesse vernünftig jener Schluss, der ein Vernunftsschluss ist. Wobei das dann zugegeben ein Pleonasmus wäre in der Art: die vernünftige Vernunft.



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Di 10. Apr 2018, 13:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 12:17
fiktiver Akteur hat geschrieben : Man sollte eine Ausbreitung der Homosexualität bekämpfen, denn diese ist von der Natur allenfalls in einem sehr engen Rahmen vorgesehen.
Jörn hat geschrieben : „Ein Fehlschluss liegt meines Erachtens nur dann und ausschließlich dann vor, wenn man aus einem Bereich, der kein Werte und kein Sollen enthält, ohne Umstände also ohne weitere Prämissen oder sonstige Zusatzannahmen auf ein Sollen schließt.
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 11:48
im Spiel
[N > G]

Es ist ja nicht egal, wo die Vernunft im Spiel ist. Das hatte ich weiter oben bereits erläutert. Du verwechselst hier die Ebenen. Du verwechselst das Gesamtbild mit einem Element daraus.

Das Gesamtbild, also das folgende hier > [N > G] gehört in den Bereich der Vernunft - das ist wohl richtig. Aber es geht in dieser Problematik ja um N und was man wie daraus folgern darf bzw. eben nicht.

Es geht also um die Struktur des Argumentes und nicht darum, dass überhaupt ein Argument vorliegt. Es liegt eine falsche Form vor, weil von einem natürlichen Tatbestand N in verfehlter Weise eine Geltung G abgeleitet wird. Wenn wir aber für N "Vernunft" einsetzen, dann liegt etwas anderes vor, wir schließen dann einfach nicht mehr naturalistisch, weil wir nicht aus einem geltungsfreien Bereich in verfehlter Weise in einem Geltungsbereich "hinüberschließen".
Hm.
Du willst sagen, dass ein Argument mit der gleichen Struktur ungültig ist, wenn man "Homosexualität" einsetzt und gütlig, wenn man "Vernunft" einsetzt?
Falls ja, erklär bitte noch mal den Gedankengang dahinter, ich habe ihn nicht verstanden.

Wenn es ein NF ist, dass was natürlicherweise ist, automatisch auch als gut/richtig (so sollte es sein) zu bezeichnen, dann liegt in der Formulierung:
fiktiver Akteur hat geschrieben : Man sollte eine Ausbreitung der Homosexualität bekämpfen, denn diese ist von der Natur allenfalls in einem sehr engen Rahmen vorgesehen.
ebenso ein NF vor, wie in:
fiktiver Akteur hat geschrieben : Die Natur hat uns mit Vernunft ausgestattet, also sollten wir sie auch benutzen.
Denn man könnte umformulieren in:
fiktiver Akteur hat geschrieben : Die Natur hat die Homosexualität eng begrenzt, also sollten wir das auch tun.
Weitere m.E. strukturell identische Beispiele, für den NF:
fiktiver Akteur hat geschrieben : Die Natur hat uns mit mit Aggressionen ausgestattet, also sollte wir uns auch prügeln.
Oder:
fiktiver Akteur hat geschrieben : Die Natur hat uns mit Empathie ausgestattet, also sollten wir aufeinander Rücksicht nehmen.
Oder, oder, oder ...



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Di 10. Apr 2018, 13:50

Zwei Argumente haben eben nicht die gleiche Struktur, wenn man einmal in der/den Prämissen Tatsachen der Natur und einmal in der/den Prämisse Tatsachen der Vernunft einsetzt.




Tosa Inu
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Di 10. Apr 2018, 13:56

Die vorherigen Beispiele lassen sich allesamt auf die Struktur reduzieren :
Die Natur hat ..., also ... .
Das ist lediglich eine Umformulierung des NF oder des Sein-Sollen-Fehlschlusses, dass es gut ist, wie es ist (weil Gott das so wollte oder die Natur das so wollte).

Der moderne Biologismus ist voll davon und nicht umsonst heißt das philosophische Buch Pseudowissenschaft, in dem steht:
Michael Hagner hat geschrieben : „Wenn man in Weiterführung der Überlegung Latours Argumente gegen eine fundamentalistische Bewegung wie den Kreationismus entwickeln kann, folgt daraus auch, dass man mit der Darlegung der Repräsentationen zu einer robusten Differenzierung zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Praxis gelangen könnte? So einfach ist es nicht, denn keineswegs entsprechen alle Episoden der Wissenschaft, einer solchen vollständigen Darlegung der Repräsentationen. Man denke – um im Bereich der Biologie zu bleiben – nur an den Sozialdarwinismus, Eugenik und Teile der Soziobiologie. Wenn im Namen der Evolutionslehre die Vergewaltigung von Frauen, Mord und wahlweise Egoismus oder Opferbereitschaft, Monogamie oder Polygamie als sinnvolle biologische Verhaltensweisen gedeutet werden;* wenn die Evolutionstheorie mehr sein will als eine wissenschaftliche Disziplin und sich zum Evolutionismus aufbläst, der behauptet für alle oder zumindest die meisten Facetten des menschlichen Lebens eine Erklärung parat zu haben, dann unterscheidet sich das nicht so grundlegend vom Verhalten derjenigen, die die Evolutionstheorie angreifen. Auch in den Naturwissenschaften herrscht bisweilen die Tendenz vor, die Schwach- und Leerstellen, Ungewissheiten und Unwissenheiten zu übertünchen. Das ist, wenn man so will, das Erbe ihres modernistischen Universalitätsanspruchs. In unserer Gegenwart, einer Zeit der zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Wissenschaften, wird diese Tendenz auf bemerkenswerte Weise verstärkt.“

*Um nur zwei aktuelle Beispiele zu geben: Eckart Voland, Die Natur des Menschen, Grundkurs Soziobiologie, München 2007; David M. Buss; Der Mörder in uns. Warum wir zum Töten programmiert sind, Heidelberg 2007.

(Michael Hagner, Bye-bye science, welcome pseudoscience?, in: Pseudowissenschaft, Hrsg. Rupnow, Lipphardt, Thiel, Wessely, Suhrkamp 2008, S. 46)
Zuletzt geändert von Tosa Inu am Di 10. Apr 2018, 14:13, insgesamt 1-mal geändert.



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Di 10. Apr 2018, 14:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 10. Apr 2018, 13:50
Zwei Argumente haben eben nicht die gleiche Struktur, wenn man einmal in der/den Prämissen Tatsachen der Natur und einmal in der/den Prämisse Tatsachen der Vernunft einsetzt.
Nur ist das ja nicht der Fall, denn es geht ja hierum:
Tommy hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 08:11
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Apr 2018, 05:50
Z.b.: Tiere töten sich gegenseitig, also ist Töten richtig. Oder: Homosexualität ist wieder in Natur, also ist sie verwerflich.
Ah. Also wie: Der Mensch ist von Natur aus vernunftbegabt, also soll er seine Vernunft nutzen.
Deiner Erklärung nach wäre doch auch das ein naturalistischer Fehlschluß, oder nicht?
Analoga:
Der Mensch ist von Natur aus vernunftbegabt, also soll er seine Vernunft nutzen.
Der Mensch ist von Natur aus empathiebegabt, also soll er seine Empathie nutzen.
Der Mensch ist von Natur aus klavierbegabt, also soll er Klavier spielen.
Der Mensch ist von Natur aus sadismubegabt, also soll er seinen Sadismus nutzen.
Der Mensch ist von Natur aus tötungsbegabt, also soll er töten.
Dass die Vernunft hier eine prinzipielle Ausnahme darstellt, kann ich nicht sehen.
Zwar ist das im strengen Sinne gar kein Argument, da wir nur eine Prämisse finden, die zweite, stille kann man aber mitdenken und wie folgt ausformulieren.
1. x ist uns von der Natur gegeben.
2. Was die Natur uns gegeben hat, sollten wir nutzen.
------
3. Der Mensch ist von Natur aus x, also soll(te) er x nutzen.
M.E. strukturell alles dasselbe.



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