Re: Naturalistischer-/Sein-Sollen-Fehlschluss
Verfasst: So 15. Apr 2018, 12:50
“Eines der Hauptprobleme des Naturalismus besteht dann darin, dass moralische Tatsachen für rationale Personen Handlungsgründe zu sein scheinen, ...” (Titus Stahl, Metaethik)
Ich bringe dieses Zitat aus verschiedenen Gründen. Unter anderem, um zu zeigen, dass die Rede von “moralischen Tatsachen” in der philosophischen Diskussion über Moral - also in der Ethik - durchaus gängig ist. Es handelt sich dabei um eine gut eingeführte Terminologie und keinesfalls um einen privaten Spleen von mir :-)
Natürlich ist die Frage, ob es moralische Tatsachen überhaupt gibt und was damit gemeint sein könnte - wie fast alles in der Philosophie höchst umstritten. Für viele - aber natürlich bei weitem nicht alle - Philosophen bietet das, was die Naturwissenschaften liefern, die paradigmatischen Fälle von Tatsachen. “Als Naturalist brauche ich keine übernatürlichen Hypothesen. Die Natur ist aus einem Guss und alles, was ist ist, ist in ihr, wird von der Natur und der Natur allein verursacht und ist von ihr abhängig. Das ist alles, was es gibt.” Das schreibt Martin Freedman (frei übersetzt von mir) der Autor, der an andere Stelle des Forum für die Widerlegung von Moore sorgen soll.
Dieser gerade zitierte kurze Absatz enthält gleich zwei zentrale (metaphysischen/naturalistische) Annahmen, die meines Erachtens mehr als fragwürdig sind. Zum ersten, dass die Natur aus einem Guss ist und zum zweiten, dass es “übernatürlicher” Hypothesen bedarf, um über die vielen Dinge zu sprechen, die nicht einfach zur Natur gehören. Der zweite Punkt gehört zur “natürlichen” Selbstimmunisierung des Naturalisten: “Dem Naturalisten erscheint jeder, der die Welt nicht so beschreibt, wie er es tut, als Scharlatan.” (Daniel-Pascal Zorn)
Allerdings ergeben eine Reihe von einfachen Überlegungen, dass es mit der (avisierten) Weltbeschreibung der Naturalisten einige Probleme gibt. Holm Tetens fasst dazu ein Argument von Thomas Nagel zusammen: “Das erste Argument findet sich im wesentlichen bei Thomas Nagel. Es ist ein wunderbar einfaches Argument. Sollte sich die Wirklichkeit vollständig durch die Erfahrungswissenschaften beschreiben und erklären lassen, müsste sie aus der objektiven Beobachterperspektive vollständig beschreibbar sein. Der Leser möge sich vorstellen, er wäre mit einer solchen Beschreibung konfrontiert. Dem Anspruch nach würde darin auch alles über ihn gesagt, was über ihn zu sagen wäre. Oder würde doch noch etwas fehlen? Für jeden von uns würde sogar das Entscheidende in dieser angeblich vollständigen Beschreibung fehlen. Jeder von uns müsste noch erkennen: »Übrigens, die Person, von der da unter der Bezeichnung N.N. so ausführlich die Rede ist, das bin ich selber.« Und diese Feststellung, obwohl für jeden das A und O, um überhaupt ein Teil der objektiv beschriebenen Welt sein zu können, käme schon deshalb in der erfahrungswissenschaftlichen Beschreibung nicht vor, weil dort über Personen intersubjektiv mit Eigennamen oder Kennzeichnungen geredet werden muss, während wir unsere Selbstidentifizierung mit einer objektiv beschriebenen Person nur mit dem indexikalischen Ausdruck »Ich« vollziehen können. Bereits diese einfache Beobachtung belegt die Schwierigkeit, erlebnisfähige selbstreflexive Ich-Subjekte und ihre besondere Erste-Person-Perspektive verständlich in einer objektiven, rein materiellen Welt zu plazieren.”
Mit anderen Worten: Der Umstand, dass wir Ich-Subjekte sind, bereitet Naturalisten wie Martin Freedman bereits ernste Probleme. Nach meiner Einschätzung ist es jedoch völlig abwegig, dies als eine übernatürliche Hypothese auszuzeichnen, im Gegenteil, es ist uns eine sehr nächsten Tatsachen überhaupt: “Wir sind immer irgendjemand, dem irgendwie zumute ist, was man nicht an objektivierende Einstellungen ‘outsourcen’ kann. Subjekt sein bleibt unvertretbar real.” (Markus Gabriel)
Für den Naturalisten müsste streng genommen das Ich-Subjekt bereits zum Raum des “Absonderlichen” gehören. Wieso das Absonderliche? Das spielt auf Mackies Argument der Absonderlichkeit an. “Gäbe es objektive Werte, dann müßte es sich dabei um Wesenheiten, Qualitäten oder Beziehungen von sehr seltsamer Art handeln, die von allen anderen Dingen in der Welt verschieden wären. Und entsprechend müßte gelten: Wenn wir uns ihrer vergewissern könnten, müßten wir ein besonderes moralisches Erkenntnis- oder Einsichtsvermögen besitzen, das sich von allen anderen uns geläufigen Erkenntnisweisen unterschiede" (Mackie)
Ich kenne den Text Mackies nicht im Original, sondern nur aus diversen Kommentierungen. Dabei weisen einige der Kommentatoren, sofern mich keine Erinnerung nicht trügt, auf einen interessanten Umstand hin: Mackies Rede von den Absonderlichkeiten beinhaltet so etwas wie einen Selbstwiderspruch im weitesten Sinne. Denn Mackie akzeptiert ja die objektive Gültigkeit der Logik, um überhaupt argumentieren zu können. Das müsste aber natürlich ebensolche seltsamen Entitäten implizieren. Soweit ich mich an die fraglichen Mackie-Kommentare korrekt entsinne, ist Mackie sich dieses Problems sogar bewusst, ohne es wirklich in den Griff zu bekommen.
Um mich falsch verstanden zu werden: Was die Naturwissenschaften über die Welt herausfinden, ist für uns von größtem Belang und ich für meinen Teil schätze auch, dass sie im Großen und Ganzen richtig liegen. Das Problem sind nicht die Naturwissenschaften, das Problem ist der Naturalismus. Die Beschreibungen der Naturwissenschaften sind einfach noch nicht alles. Und das was dabei fehlt, gehört keineswegs in irgendeinen absonderlichen Seinsbereich. Nehmen wir dazu ein einschlägiges Beispiel. Einschlägig ist es, weil es für diesen Themenbereich - den Ethischen etc. - häufig verwendet wird als Analogie. Ursprünglich stammt diese Analogie, soweit ich informiert bin, von John McDowell. Mackie setzt Objektivität mit Subjektunabhängigkeit in jeder Hinsicht gleich. Der Ausdruck Subjektunabhängigkeit enthält eine Mehrdeutigkeit, die oft nicht durchschaut wird. Objektivität mit Subjektunabhängigkeit gleich zu setzen, das ist allerdings eine Vorentscheidung, die man kritisieren kann, wobei Farben sich dazu als gute erste Erläuterungen anbieten.
John McDowell greift die fragliche Gleichsetzung an, indem er zunächst darauf hinweist, dass es sich bei vielen Tatsachen, die von dieser Definition (als nicht-objektiv) beiseite geschoben werden, keineswegs um bloß subjektive Sachverhalte handelt: Farben sind Aspekte der Welt selbst (was sonst?) auch, wenn wir sie uns ohne unsere spezifische Wahrnehmungsfähigkeiten nicht vergegenwärtigen können. Sie sind daher auch nicht “subjektiv” im Sinne von bloß subjektiv oder “projiziert”. Ein Sachverhalt liegt dann objektiv vor, wenn er unabhängig davon der Fall ist, was ich bzw. jeder Einzelne darüber glaubt. Der Tisch, an dem ich gerade sitze, ist objektiv grau. Und das lässt sich nicht auf natürliche Eigenschaften reduzieren, ohne es zu verfehlen.
“Auch moralische Eigenschaften könnten, genau wie Farben, so analysiert werden, dass sie nicht ohne Referenz auf unsere Reaktionen bestimmbar sind. [...] Genauso wie »rot« auf die Gegenstände zutrifft, die unter bestimmten Umständen als rot erscheinen, sind nur diejenigen Handlungen gut, die einer moralisch ausreichend sensiblen Person als moralisch gut erscheinen. Im Fall der Moral lässt sich zudem nicht angeben, was eine moralisch ausreichend sensible Person ist, ohne auf moralische Tatsachen Bezug zu nehmen [...] Das Spezifikum moralischer Tatsachen ist also, dass sie Tatsachen sind, die nicht ohne Referenz auf unser Vermögen, sie zu erkennen, beschrieben werden können, für die auch keine alternative Beschreibung existiert, die aber dennoch nicht auf Projektionen reduziert werden können.”
Kehren wir noch Mal zu den Ich-Subjekten zurück. Wir haben gesehen, dass sie aus der naturalistischen Sicht der Dinge heraus fallen. Ich-Subjekte gehören zu den fraglichen “Absonderlichkeiten” um die es hier geht. Diese Ich-Subjekte haben die erstaunliche Fähigkeit, dass sie nicht nur Ich-Subjekte sind, sondern auch wissen, dass es sich bei Ihresgleichen jeweils um Ich-Subjekte handelt. Sie haben zudem eine Perspektive auf diese Welt und wissen, dass es eine Perspektive ist und wissen, dass die Anderen in eben der Weise von ihrer Zentrierung absehen können. Das mag man absonderlich finden, aber es handelt sich dabei um eine Tatsache. Und zwar auch dann, wenn einzelne dieser Ich-Subjekte diese Fähigkeit nicht in angemessener Weise ausüben.
Dadurch spannt sich ein realer Raum/Bereich auf, der Tatsachen enthält, die es in der Welt gibt, weil es eben diese absonderlichen Ich-Subjekte gibt. Dieser Bereich ist aber eigengesetzlich und objektiv, weil er nicht an der je einzelnen Perspektive von dir und mir hängt. Wir alle zusammen (also auch die Ich-Subjekte der Vergangenheit auf deren Schultern wir stehen, konstituieren diesen Raum, ohne dass jeder Einzelne in völlig überblicken kann. Der Sinn moralischer Urteile kann nicht von außerhalb der Moral (also naturalistisch) bestimmt werden kann, weil er von etwas konstituiert wird, was nicht zur rein natürlichen Beschreibung der Welt gehört.
Dazu ein simples Beispiel von Titus Stahl: “Nimmt eine Person eine Situation als ungerecht wahr, werden in ihrer Wahrnehmung bestimmte moralische Reaktionen bereits involviert. Teil dieser Wahrnehmung ist jedoch auch, dass die Person die Ungerechtigkeit der Situation als etwas wahrnimmt, was nicht ihre eigene, subjektive Hinzufügung ist, sondern was die entsprechende Reaktion angemessen macht. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass wir uns über die Ungerechtigkeit von Situationen irren und andere Personen dafür kritisieren können, dass sie diese Ungerechtigkeit nicht sehen.” (Titus Stahl) Mit anderen Worten, die Situation selbst, erfordert es, sie oder so so zu sehen - gemäß den moralischen Tatsachen.
Der Kern des naturalistischen Fehlschlusses ist dementsprechend die Idee, man könne die Sachverhalte, um die es hier geht, von jenseits des Spielfeldes, wie sich John McDowell ausdrückt, betrachten.
Ich bringe dieses Zitat aus verschiedenen Gründen. Unter anderem, um zu zeigen, dass die Rede von “moralischen Tatsachen” in der philosophischen Diskussion über Moral - also in der Ethik - durchaus gängig ist. Es handelt sich dabei um eine gut eingeführte Terminologie und keinesfalls um einen privaten Spleen von mir :-)
Natürlich ist die Frage, ob es moralische Tatsachen überhaupt gibt und was damit gemeint sein könnte - wie fast alles in der Philosophie höchst umstritten. Für viele - aber natürlich bei weitem nicht alle - Philosophen bietet das, was die Naturwissenschaften liefern, die paradigmatischen Fälle von Tatsachen. “Als Naturalist brauche ich keine übernatürlichen Hypothesen. Die Natur ist aus einem Guss und alles, was ist ist, ist in ihr, wird von der Natur und der Natur allein verursacht und ist von ihr abhängig. Das ist alles, was es gibt.” Das schreibt Martin Freedman (frei übersetzt von mir) der Autor, der an andere Stelle des Forum für die Widerlegung von Moore sorgen soll.
Dieser gerade zitierte kurze Absatz enthält gleich zwei zentrale (metaphysischen/naturalistische) Annahmen, die meines Erachtens mehr als fragwürdig sind. Zum ersten, dass die Natur aus einem Guss ist und zum zweiten, dass es “übernatürlicher” Hypothesen bedarf, um über die vielen Dinge zu sprechen, die nicht einfach zur Natur gehören. Der zweite Punkt gehört zur “natürlichen” Selbstimmunisierung des Naturalisten: “Dem Naturalisten erscheint jeder, der die Welt nicht so beschreibt, wie er es tut, als Scharlatan.” (Daniel-Pascal Zorn)
Allerdings ergeben eine Reihe von einfachen Überlegungen, dass es mit der (avisierten) Weltbeschreibung der Naturalisten einige Probleme gibt. Holm Tetens fasst dazu ein Argument von Thomas Nagel zusammen: “Das erste Argument findet sich im wesentlichen bei Thomas Nagel. Es ist ein wunderbar einfaches Argument. Sollte sich die Wirklichkeit vollständig durch die Erfahrungswissenschaften beschreiben und erklären lassen, müsste sie aus der objektiven Beobachterperspektive vollständig beschreibbar sein. Der Leser möge sich vorstellen, er wäre mit einer solchen Beschreibung konfrontiert. Dem Anspruch nach würde darin auch alles über ihn gesagt, was über ihn zu sagen wäre. Oder würde doch noch etwas fehlen? Für jeden von uns würde sogar das Entscheidende in dieser angeblich vollständigen Beschreibung fehlen. Jeder von uns müsste noch erkennen: »Übrigens, die Person, von der da unter der Bezeichnung N.N. so ausführlich die Rede ist, das bin ich selber.« Und diese Feststellung, obwohl für jeden das A und O, um überhaupt ein Teil der objektiv beschriebenen Welt sein zu können, käme schon deshalb in der erfahrungswissenschaftlichen Beschreibung nicht vor, weil dort über Personen intersubjektiv mit Eigennamen oder Kennzeichnungen geredet werden muss, während wir unsere Selbstidentifizierung mit einer objektiv beschriebenen Person nur mit dem indexikalischen Ausdruck »Ich« vollziehen können. Bereits diese einfache Beobachtung belegt die Schwierigkeit, erlebnisfähige selbstreflexive Ich-Subjekte und ihre besondere Erste-Person-Perspektive verständlich in einer objektiven, rein materiellen Welt zu plazieren.”
Mit anderen Worten: Der Umstand, dass wir Ich-Subjekte sind, bereitet Naturalisten wie Martin Freedman bereits ernste Probleme. Nach meiner Einschätzung ist es jedoch völlig abwegig, dies als eine übernatürliche Hypothese auszuzeichnen, im Gegenteil, es ist uns eine sehr nächsten Tatsachen überhaupt: “Wir sind immer irgendjemand, dem irgendwie zumute ist, was man nicht an objektivierende Einstellungen ‘outsourcen’ kann. Subjekt sein bleibt unvertretbar real.” (Markus Gabriel)
Für den Naturalisten müsste streng genommen das Ich-Subjekt bereits zum Raum des “Absonderlichen” gehören. Wieso das Absonderliche? Das spielt auf Mackies Argument der Absonderlichkeit an. “Gäbe es objektive Werte, dann müßte es sich dabei um Wesenheiten, Qualitäten oder Beziehungen von sehr seltsamer Art handeln, die von allen anderen Dingen in der Welt verschieden wären. Und entsprechend müßte gelten: Wenn wir uns ihrer vergewissern könnten, müßten wir ein besonderes moralisches Erkenntnis- oder Einsichtsvermögen besitzen, das sich von allen anderen uns geläufigen Erkenntnisweisen unterschiede" (Mackie)
Ich kenne den Text Mackies nicht im Original, sondern nur aus diversen Kommentierungen. Dabei weisen einige der Kommentatoren, sofern mich keine Erinnerung nicht trügt, auf einen interessanten Umstand hin: Mackies Rede von den Absonderlichkeiten beinhaltet so etwas wie einen Selbstwiderspruch im weitesten Sinne. Denn Mackie akzeptiert ja die objektive Gültigkeit der Logik, um überhaupt argumentieren zu können. Das müsste aber natürlich ebensolche seltsamen Entitäten implizieren. Soweit ich mich an die fraglichen Mackie-Kommentare korrekt entsinne, ist Mackie sich dieses Problems sogar bewusst, ohne es wirklich in den Griff zu bekommen.
Um mich falsch verstanden zu werden: Was die Naturwissenschaften über die Welt herausfinden, ist für uns von größtem Belang und ich für meinen Teil schätze auch, dass sie im Großen und Ganzen richtig liegen. Das Problem sind nicht die Naturwissenschaften, das Problem ist der Naturalismus. Die Beschreibungen der Naturwissenschaften sind einfach noch nicht alles. Und das was dabei fehlt, gehört keineswegs in irgendeinen absonderlichen Seinsbereich. Nehmen wir dazu ein einschlägiges Beispiel. Einschlägig ist es, weil es für diesen Themenbereich - den Ethischen etc. - häufig verwendet wird als Analogie. Ursprünglich stammt diese Analogie, soweit ich informiert bin, von John McDowell. Mackie setzt Objektivität mit Subjektunabhängigkeit in jeder Hinsicht gleich. Der Ausdruck Subjektunabhängigkeit enthält eine Mehrdeutigkeit, die oft nicht durchschaut wird. Objektivität mit Subjektunabhängigkeit gleich zu setzen, das ist allerdings eine Vorentscheidung, die man kritisieren kann, wobei Farben sich dazu als gute erste Erläuterungen anbieten.
John McDowell greift die fragliche Gleichsetzung an, indem er zunächst darauf hinweist, dass es sich bei vielen Tatsachen, die von dieser Definition (als nicht-objektiv) beiseite geschoben werden, keineswegs um bloß subjektive Sachverhalte handelt: Farben sind Aspekte der Welt selbst (was sonst?) auch, wenn wir sie uns ohne unsere spezifische Wahrnehmungsfähigkeiten nicht vergegenwärtigen können. Sie sind daher auch nicht “subjektiv” im Sinne von bloß subjektiv oder “projiziert”. Ein Sachverhalt liegt dann objektiv vor, wenn er unabhängig davon der Fall ist, was ich bzw. jeder Einzelne darüber glaubt. Der Tisch, an dem ich gerade sitze, ist objektiv grau. Und das lässt sich nicht auf natürliche Eigenschaften reduzieren, ohne es zu verfehlen.
“Auch moralische Eigenschaften könnten, genau wie Farben, so analysiert werden, dass sie nicht ohne Referenz auf unsere Reaktionen bestimmbar sind. [...] Genauso wie »rot« auf die Gegenstände zutrifft, die unter bestimmten Umständen als rot erscheinen, sind nur diejenigen Handlungen gut, die einer moralisch ausreichend sensiblen Person als moralisch gut erscheinen. Im Fall der Moral lässt sich zudem nicht angeben, was eine moralisch ausreichend sensible Person ist, ohne auf moralische Tatsachen Bezug zu nehmen [...] Das Spezifikum moralischer Tatsachen ist also, dass sie Tatsachen sind, die nicht ohne Referenz auf unser Vermögen, sie zu erkennen, beschrieben werden können, für die auch keine alternative Beschreibung existiert, die aber dennoch nicht auf Projektionen reduziert werden können.”
Kehren wir noch Mal zu den Ich-Subjekten zurück. Wir haben gesehen, dass sie aus der naturalistischen Sicht der Dinge heraus fallen. Ich-Subjekte gehören zu den fraglichen “Absonderlichkeiten” um die es hier geht. Diese Ich-Subjekte haben die erstaunliche Fähigkeit, dass sie nicht nur Ich-Subjekte sind, sondern auch wissen, dass es sich bei Ihresgleichen jeweils um Ich-Subjekte handelt. Sie haben zudem eine Perspektive auf diese Welt und wissen, dass es eine Perspektive ist und wissen, dass die Anderen in eben der Weise von ihrer Zentrierung absehen können. Das mag man absonderlich finden, aber es handelt sich dabei um eine Tatsache. Und zwar auch dann, wenn einzelne dieser Ich-Subjekte diese Fähigkeit nicht in angemessener Weise ausüben.
Dadurch spannt sich ein realer Raum/Bereich auf, der Tatsachen enthält, die es in der Welt gibt, weil es eben diese absonderlichen Ich-Subjekte gibt. Dieser Bereich ist aber eigengesetzlich und objektiv, weil er nicht an der je einzelnen Perspektive von dir und mir hängt. Wir alle zusammen (also auch die Ich-Subjekte der Vergangenheit auf deren Schultern wir stehen, konstituieren diesen Raum, ohne dass jeder Einzelne in völlig überblicken kann. Der Sinn moralischer Urteile kann nicht von außerhalb der Moral (also naturalistisch) bestimmt werden kann, weil er von etwas konstituiert wird, was nicht zur rein natürlichen Beschreibung der Welt gehört.
Dazu ein simples Beispiel von Titus Stahl: “Nimmt eine Person eine Situation als ungerecht wahr, werden in ihrer Wahrnehmung bestimmte moralische Reaktionen bereits involviert. Teil dieser Wahrnehmung ist jedoch auch, dass die Person die Ungerechtigkeit der Situation als etwas wahrnimmt, was nicht ihre eigene, subjektive Hinzufügung ist, sondern was die entsprechende Reaktion angemessen macht. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass wir uns über die Ungerechtigkeit von Situationen irren und andere Personen dafür kritisieren können, dass sie diese Ungerechtigkeit nicht sehen.” (Titus Stahl) Mit anderen Worten, die Situation selbst, erfordert es, sie oder so so zu sehen - gemäß den moralischen Tatsachen.
Der Kern des naturalistischen Fehlschlusses ist dementsprechend die Idee, man könne die Sachverhalte, um die es hier geht, von jenseits des Spielfeldes, wie sich John McDowell ausdrückt, betrachten.