26.4.–7.7.2013
The Whole Earth
Kalifornien und das Verschwinden des Außen
Die Ausstellung und die Konferenz The Whole Earth widmen sich der Geschichte des Bildes vom Blauen Planeten, das zu einem der einflussreichsten Bilder der Geschichte geworden ist.
https://www.e-flux.com/journal/45/60114 ... lm-franke/
The Whole Earth:
Im Gespräch mit Diedrich
Diederichsen und Anselm Franke
Ana Teixeira Pinto
e-flux journal
Ausgabe Nr. 45
Mai 2013
„The Whole Earth“, dessen erste Auflage im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zu sehen ist, ist ein Projekt von Diedrich Diederichsen und Anselm Franke, dessen Ausgangspunkt der Whole Earth Catalogue von Stewart Brand ist. Im Jahr 1966 initiierte Brand eine Kampagne zur Veröffentlichung von Satellitenbildern der Erde, von denen er glaubte, dass sie der NASA gehörten und die seiner Meinung nach ein starkes Symbol für die Vorstellung einer gemeinsamen menschlichen Erfahrung und eines gemeinsamen Schicksals sein würden. Ein solches Bild zierte das Cover des Katalogs und wurde als „Blaue Murmel“ bekannt. Es zeigte die Erde als leuchtend blau-weiße Kugel vor einem pechschwarzen Hintergrund. Brand war auch maßgeblich daran beteiligt, die Kluft zwischen traditionell gegensätzlichen gesellschaftlichen Gruppen wie dem Militär – das für das Raumfahrtprogramm verantwortlich ist – und der aufkeimenden Umweltbewegung zu überbrücken. Er schmiedete auch eine Allianz zwischen der kalifornischen Gegenkultur und den aufstrebenden Bereichen Kybernetik, Informatik und Informationstechnologie.
Der Whole-Earth-Katalog trat in die Fußstapfen der „Familie des Menschen“ und bezeugte die Verwandtschaft der Menschheit über alle Grenzen und Klassenunterschiede hinweg. Aber das Bild des blauen Planeten hatte eine dunkle Seite. Der Whole-Earth-Katalog wurde auch als Instrument der antisowjetischen Propaganda genutzt und führte zur Entstehung der Lifestyle-Industrie. Der kalifornische Traum war eine schwache Utopie, die einfach politische Unterschiede leugnete und Feedback an die Stelle der Dialektik setzte. Die Kybernetik – die unter Stalin kurzzeitig verboten worden war, weil sie im Widerspruch zum Marxismus-Leninismus stand – weitete die Voraussetzungen der Thermodynamik auf die Evolutionsbiologie, Neurowissenschaften, Anthropologie und Psychologie aus. Thermodynamische Systeme unterliegen keinen dialektischen Spannungen. Sie erleben auch keinen historischen Wandel. Sie akkumulieren lediglich einen Rest – eine Art Abfall – oder eine Entropiezunahme. In den 1960er Jahren tauchte dieser Müll als Manson Family auf. Gegenwärtig bleiben die Ablehnungen der Globalisierung Gegenstand des globalen Krieges gegen den Terror.
—Ana Texeira Pinto
Ana Teixeira Pinto: Vielleicht könnten wir damit beginnen, das Konzept der „ganzen Erde“ vorzustellen, auf dem die Ausstellung „The Whole Earth“ basiert.
Anselm Franke: „Die ganze Erde“ ist eine Ausstellung über die Ideen und Ideologien, die im Zuge der ersten Fotografien des Planeten Erde entstanden. Beim Konzept der ganzen Erde geht es historisch gesehen auch um den letzten universalistischen Anspruch und das letzte universalistische Programm: Die ganze Erde – das ist der größtmögliche Rahmen, angeblich etwas für die gesamte „Familie der Menschheit“. In unserem Projekt identifizieren wir drei Jahrzehnte, von 1968 bis 1998, die im Zeichen des „blauen Planeten“ standen.
ATP: Wenn Sie „blauer Planet“ sagen, meinen Sie das Bild der Erde aus der Sicht des Weltraums?
AF: Ja, die um 1968 entstandenen Bilder der Erde aus dem Weltall, die bekanntesten davon stammen von Apollo 8 und Apollo 17. Diese Rückwendung des Blicks zur Erde bedeutete einen Richtungswechsel: die Expansionsorientierung, nach außen -gerichtete, imaginäre Grenze, die sich in einer 180-Grad-Drehung auf sich selbst zurückfaltet. Seitdem leben wir in dieser Zeit der Verinnerlichung. Heutzutage sind die meisten Berichte über das Weltraumzeitalter – und die Apollo-Missionen im Besonderen – voller Zitate, insbesondere von Astronauten, die behaupten, dass sich die ganze Aufregung um den Wettlauf ins All gelohnt habe, weil „der Mensch“ ein neues Bild von der Erde, von der Erde, gewonnen habe Planetenzustand.
Diedrich Diederichsen: Ich denke, vor allem das Bild der Erde wurde zum Argument für einen Legitimations- und politischen Argumentationsdiskurs. Nehmen Sie zum Beispiel die Farbe. Von hier unten auf der Oberfläche betrachtet war die Farbe der Erde braun, grün, sogar schwarz – es war eine dunkle Farbe. Dann war die Erde plötzlich blau. Und Blau war bis zu diesem Zeitpunkt die Farbe der Ferne – des Ozeanischen, der Ferne, der Flucht vor der Erde. Blau war das Gegenteil von Erde. Plötzlich wurden diese beiden Gegensätze eins. Das stellte eine große Kehrtwende dar. Plötzlich bedeutete die Erde „Planet“ und nicht mehr den Boden unter unseren Füßen.
ATP: Hat sein Bild, die Blaue Murmel, die aus dem Raumfahrtprogramm und der ersten Mondlandung hervorgegangen ist, einen konzeptionellen Wandel herbeigeführt?
DD: Von diesem Moment an veränderte sich das Konzept der Erde auf verschiedene Weise. Es wird gleichzeitig zum Ausgangspunkt und zum Ziel, zum fernen Ort und zum Vertrauten. Es ist blau, aber auch noch braun. Es ist nur ein Planet unter Millionen anderen, aber gleichzeitig ist es der einzige Planet, den wir haben. Die Erde wird wertvoller, weil sie erschöpft werden kann. All diese widersprüchlichen Konzepte werden durch dieses Bild perfekt veranschaulicht, das in einem bestimmten historischen Kontext entsteht: auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – oder man könnte sagen, am Anfang vom Ende des Kalten Krieges. Es entsteht auch am Beginn des Zeitalters der immateriellen Produktion und der digitalen Kultur. All diese Dinge gab es damals.
...
hier gehts weiter > https://www.e-flux.com/journal/45/60114 ... lm-franke/