Luhmann Plauderei/Offtopic/etc.

Niklas Luhmann war ein deutscher Soziologe. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Vertreter der soziologischen Systemtheorie. Er zählt zu den Klassikern der Soziologie des 20.
sybok
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Do 30. Nov 2023, 11:25

Quk hat geschrieben :
Do 30. Nov 2023, 11:00
Wenn dieser Satz widersprüchlich sein sollte, müsste im Satzanfang das Bewusstsein als etwas grenzenloses oder inoperatives aufgefasst werden.
Ich meinte nicht, dass der Satz widersprüchlich wäre, sondern dass "...folgt alles..." mit Widersprüchen aber nicht mit Tautologien assoziiert ist.




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Quk
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Do 30. Nov 2023, 11:29

Leider verstehe ich Deinen Kommentar grammatisch und inhaltlich nicht.

Die Phrase "... folgt alles ..." sei mit Widersprüchen assoziiert, nicht mit Tautologien?




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Jörn Budesheim
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Do 30. Nov 2023, 12:12

Der Satz ist nicht widersprüchlich, sondern leer. Etwa so leer, wie "nichts ist größer als es groß ist".




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Jörn Budesheim
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Do 30. Nov 2023, 20:41

Grooty hat geschrieben :
Do 30. Nov 2023, 00:55
Die Frage wäre dann aber, ob die Konturen des Bewusstseins zwingend mit einem Einzelnen Menschen kongruent sein müssen.
Aus meinem Beitrag ergibt sich diese Frage jedenfalls nicht. Aber unabhängig davon ist sie natürlich interessant. Das Ganze ist sehr umstritten. Ich hatte in den verschiedenen Luhmann-Threads einige Zitate zum Externalismus im Zusammenhang mit der Bewusstseinsfrage gepostet. Aber das ist sicher nicht die Mehrheitsposition.




Timberlake
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Sa 2. Dez 2023, 20:45

Da nun leider der Thread geschlossen wurde , versuche ich mal an dieser Stelle zu klären , was im Thread " In rebus amoris" nicht verstanden wurde ..

  • "Sozialen Systemen liegt nicht ‘das Subjekt’, sondern die Umwelt ‘zu Grunde’, und mit ‘Zu Grunde liegen’ ist dann nur gemeint, daß es Voraussetzungen der Ausdifferenzierung sozialer Systeme (unter anderen: Personen als Bewußtseinsträger) gibt, die nicht mitausdifferenziert werden." (LUHMANN 1993, S. 244)
Wenn .. so Luhmann … sozialen Systemen die Umwelt zu Grunde liegt und zwei Menschen die sich lieben als ein soziales System bezeichnet, so sollte auch die Liebe der Umwelt zu Grunde liegen. Einer Umwelt , in der zwei Menschen miteinander kommunizieren.

Liebe ließe sich demzufolge über die Kommunikation auf die Umwelt reduzieren und vom Subjekt abstrahieren.

Für Luhmann spielt sich alles vor dem Hintergrund der Kommunikation ab und nicht mehr vor dem Hintergrund von Subjekten. Wie hier am Beispiel der Liebe erklärt, würde ich das als die Quintessenz von Luhmanns Systemtheorie bezeichnen. Auch die Subjekte selbst werden übrigens auf die Kommunikation reduziert . Beispielsweise in dem Gedanken , innerhalb eines geschlossenen psychischen Systems, untereinander kommunizieren. Angeregt von außen durch das , was Luhmann Interpenetration nennt ..
systemische-beratung.de hat geschrieben :
Interpenetration von Systemen


Interpenetration ist nur möglich, wenn sie verschiedene Arten von Autopoiesis miteinander verbinden kann. Voraussetzung für diese Verbindung ist Sinn:

  • "Sinn ermöglicht das Sichverstehen und Sichfortzeugen von Bewußtsein in der Kommunikation und zugleich das Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewußtsein der Beteiligten." (LUHMANN 1993,., S. 297)

.. und was läge da nicht näher , als das zwei verliebte Menschen , so wie hier beschrieben , sich auf diese weise verstehen und sich fortzeugen




sybok
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Sa 2. Dez 2023, 23:02

Timberlake hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 00:03
.. wie wäre es denn wenn du dergleichen, zum besseren Verständnis an einem anderem Beispiel aus der Praxis fest machst . Beispielsweise , weil sich selbiger dazu m.E. dazu geradezu anbietet , an dem von Nauplios hier vor kurzem vorgestelltem Dialog .
Aber solche Spiegelkabinett-Geschichten "willst du, dass ich will, dass du willst, dass..." oder "ich denke, dass du denkst, dass ich denke, dass..." könnten glaube ich überhaupt die komplexesten Kommunikationsgebilde für solche Darstellungen mit Evolution und Sinn sein. Was war an der Badezimmer-Situation nicht gut, resp. hast du einen anderen Vorschlag?




Timberlake
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So 3. Dez 2023, 13:50

Nauplios hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2023, 19:15
Hier kommt etwas Wichtiges dazu: Kommunikation kommt nicht dadurch zustande, daß sie etwas sagt oder über dieses Etwas schweigt. Kommunikation kommt erst mit dem Verstehen zustande. Hat er zum Beispiel ihr Handeln im Bad überhaupt nicht bemerkt, liegt keine Kommunikation vor.

Ganz einfach , ich fand an diese Badezimmer-Situation überhaupt nicht gut , dass sie so ganz und gar das "widerspiegelt" , was dich an Luhmanns Systemtheorie nach meiner Ansicht besonders zu interessieren scheint und zwar ...
sybok hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2023, 23:25

Die Selektion dann als Auswahl aus den potentiellen Abfolgen der jeweiligen Reaktionen, es wird - fast tautologisch - jene Variante selektiert, welche die weitere Kommunikation, die Autopoiesis, sicherstellt. Und schliesslich die Stabilisierung dann, wenn das System überlebt, die Szene nicht zu einem Streit eskaliert auf den hin sie sich trennen und folglich das System dekonstruieren würde .

.. die , von dir in der Selbstreferenzialität der Autopoiesis vermuteten Tautologie.
Luhmann, Niklas (2001) hat geschrieben : ...
(2) Die zweite Unwahrscheinlichkeit bezieht sich auf das Erreichen von Empfängern. Es ist unwahrscheinlich , dass eine Kommunikation mehr Personen erreicht , als in einer konkreten Situation anwesend sind. ..
..
Diese Badezimmer-Situation Badesituation beschreibt vielmehr das, was eine Kommunikation unwahrscheinlich macht.

Desahalb habe ich dir mit ...

.. anstatt dessen als Beispiel den nun folgenden Dialog vorgeschlagen ...
  • "Ich kann mit meiner Frau über alles reden."

    Über alles? -

    "Also ich möchte es schon, aber willst du es auch?"
    "Ich will es auch, aber ich weiß ja nicht, ob du es nur willst, weil ich es will."
    "Ich kann es aber nur wollen, wenn ich weiß, daß du es nicht nur willst, weil ich es will."
sybok hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2023, 23:02

Aber solche Spiegelkabinett-Geschichten "willst du, dass ich will, dass du willst, dass..." oder "ich denke, dass du denkst, dass ich denke, dass..." könnten glaube ich überhaupt die komplexesten Kommunikationsgebilde für solche Darstellungen mit Evolution und Sinn sein.
.. diese Spiegelkabinett-Geschichte "willst du, dass ich will, dass du willst, dass..." oder "ich denke, dass du denkst, dass ich denke, dass..." würde sich allerdings nun mehr auch als Beispiel für dein "Tautologie" Anliegen anbieten ;)




sybok
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So 3. Dez 2023, 17:32

Timberlake hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 13:50
was dich an Luhmanns Systemtheorie nach meiner Ansicht besonders zu interessieren scheint und zwar ...
sybok hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2023, 23:25
Die Selektion dann als Auswahl aus den potentiellen Abfolgen der jeweiligen Reaktionen, es wird - fast tautologisch - jene Variante selektiert, welche die weitere Kommunikation, die Autopoiesis, sicherstellt. Und schliesslich die Stabilisierung dann, wenn das System überlebt, die Szene nicht zu einem Streit eskaliert auf den hin sie sich trennen und folglich das System dekonstruieren würde .
.. die , von dir in der Selbstreferenzialität der Autopoiesis vermuteten Tautologie.
Momentan gerade interessiert mich, wie das mit dem Anschluss im Zusammenspiel mit Sinn und Evolution genau funktioniert.
Timberlake hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 13:50
"Also ich möchte es schon, aber willst du es auch?"
"Ich will es auch, aber ich weiß ja nicht, ob du es nur willst, weil ich es will."
"Ich kann es aber nur wollen, wenn ich weiß, daß du es nicht nur willst, weil ich es will."
Ich betrachte diese Situationen als Teilsysteme des Intimsystems und da wäre glaube ich die Badezimmersituation einfacher, weil sie nicht so stark ins Gesamtsystem eingebettet scheint, dieser Dialog muss ja eine gewisse Vorgeschichte haben, scheint aus irgendwelchen Spannungen heraus entstanden zu sein, während die Badezimmersituation nach meinem Empfinden "natürlicher" auftritt.
Aber ok, ich würde das wie folgt analysieren, wie natürlich immer: korrigiert mich:

"Also ich möchte es schon, aber willst du es auch?"

Als Frage erzwingt das ja schon einen Anschluss, ist also diesbezüglich wohl eher uninteressant. Als Variationen darauf würde ich die eher überraschenden Varianten der Fortsetzung der Kommunikation betrachten, die "Missverständnisse", die "Neins", analog dazu dass Mutationen eher überraschend sind. Reaktionen wie..:

"Ich will es schon, aber nicht mit dir!"
"Nein"
"Naja, wie viel würdest du denn eigentlich dafür bezahlen?"
etc.


... fielen für mich unter Variationen, also Reaktionen, die sozusagen den unterfütternden Sinn mutieren und entsprechend radikal andere Weiterentwicklungsstränge bieten. In diesem Dialog scheint es mir keine grossen Variationen zu geben, die Diskussion wird so fortgeführt, dass die Fortsetzung einigermassen vorhersagbar ist. Dazu wird scheinbar ständig möglichst viel Spielraum geboten, möglichst viel offen gelassen. Ein alternativer Verlauf, aber meiner Meinung nach aus der evolutionstheoretischen Perspektive äquivalent, wäre vielleicht sowas wie:

"Also ich möchte es schon, aber willst du es auch?"
"Ja ich will, aber nur wenn du es willst."
"Ich will auch, aber auch nur wenn du es willst."


Es sind sozusagen formal immer noch 2 Lösungen offen, es können immer noch beide "Nein" sagen und auch immer noch beide "Ja" sagen, beides wäre immer noch mit dem gesamten Gesprächsverlauf logisch gesehen konsistent. Das würde dann auch die Armut an Variation erklären, resp. passt zum erwähnten "Spielraum offen lassen", denn es wird gar kein Selektionsdruck aufgebaut (Variation/Selektion als zusammenspielenden Mechanismus benötigt in der Evolution ja immer einen Selektionsdruck). Ausserdem: Selektion geschieht ja laut Luhmann auch über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, auch sowas findet hier meinem Eindruck nach aber nicht wirklich statt, ist ja beinahe eher eine technische Diskussion denn eine über das Medium "Liebe".
Die Stabilität ist so langweiligerweise natürlich auch immer gegeben, für die Autopoiesis ideal und darum wohl auch entgegen der Intuition (das Szenario wirkt auf den ersten Blick ja etwas amüsant) vielleicht sogar ein relativ wahrscheinliches Szenario, in der Programmierung könnte man vielleicht von "leerer oder unendliche Schlaufe" sprechen, das kann rein theoretisch gesehen ja ohne Störfaktoren problemlos ins Unendliche fortgeführt werden, es wird gesprochen, ohne dass wirklich was gesagt wird:

"Ich will es, wenn du nicht willst, das ich es will."
"Ich will es auch nur, wenn du nicht willst, dass ich es will."
"Ich will es, wenn du nicht willst, dass ich es nur dann will, wenn du willst, dass ich es will."
Etc.


So sehe ich dann auch die letztendliche Dekonstruktion des Teilsystems: "Immer Freitags". Ist ja ein etwas trockenes Ende, schlussendlich ist diese Kommunikation wohl also ins Leere geloffen, hat auch im weiteren Verlauf keinen Druck in irgendeine Richtung erzeugt, so dass diese Kommunikation dann eben in eine etwas "unromantische" und langweilige Lösung auspendelte - Bildhaft gesprochen ist diese Kommunikation / System also wahrscheinlich an zu hohem Alter gestorben.




Timberlake
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So 3. Dez 2023, 18:13

sybok hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 17:32
Timberlake hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 13:50
was dich an Luhmanns Systemtheorie nach meiner Ansicht besonders zu interessieren scheint und zwar ...
sybok hat geschrieben :
Fr 1. Dez 2023, 23:25
Die Selektion dann als Auswahl aus den potentiellen Abfolgen der jeweiligen Reaktionen, es wird - fast tautologisch - jene Variante selektiert, welche die weitere Kommunikation, die Autopoiesis, sicherstellt. Und schliesslich die Stabilisierung dann, wenn das System überlebt, die Szene nicht zu einem Streit eskaliert auf den hin sie sich trennen und folglich das System dekonstruieren würde .
.. die , von dir in der Selbstreferenzialität der Autopoiesis vermuteten Tautologie.
Momentan gerade interessiert mich, wie das mit dem Anschluss im Zusammenspiel mit Sinn und Evolution genau funktioniert.
Wenn dich gerade das interessiert , so habe ich mich , zumindest was den Sinn betrifft , unter Bezugnahme auf ...
systemische-beratung.de hat geschrieben :
Interpenetration von Systemen


Interpenetration ist nur möglich, wenn sie verschiedene Arten von Autopoiesis miteinander verbinden kann. Voraussetzung für diese Verbindung ist Sinn:

  • "Sinn ermöglicht das Sichverstehen und Sichfortzeugen von Bewußtsein in der Kommunikation und zugleich das Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewußtsein der Beteiligten." (LUHMANN 1993,., S. 297)

.. in dem Beitrag 71404 bereits dazu geäußert. In dem Sinn das Sichverstehen und Sichfortzeugen ermöglicht, so würde ich , weil sich dergleichen bei der Evolution "abspielt " , darin genau jene Funktion beschrieben sehen , die im Zusammenspiel mit Sinn und Evolution Anschlussfähigkeit herstellt. Also einer Interpenetration , in der sich verschiedene Arten von Autopoiesis , unter der Voraussetzung von Sinn so miteinander verbinden, dass infolge dessen diese verschiedene Arten von Autopoiesis in ihrer Evolution voranschreiten. Sinn würde ich dabei allerdings nicht von einem Bewusstsein abhängig machen, dass in der Lage ist Sinn zu erkennen. Eine Amöbe muss nicht den Sinn erkennen , wenn sie mit einer anderen Amöbe "interpenetriert". Entscheidend ist , was am Ende für diese beiden "verschiedene Arten von Autopoiesis" dabei herauskommt. Wenn etwas dabei herauskommt war die Interpenetration Sinnvoll , wenn nicht Sinnlos. Eigentlich trivial. ...
sybok hat geschrieben :
Mi 15. Nov 2023, 08:22


Ich würde eigentlich gerne diese Operatorgeschichte schärfer charakterisiert haben. Schliesslich führen nicht zwingend alle selbstbezüglichen Operatoren zu interessanten Strukturen (scheint notwendig aber nicht hinreichend), resp. können auch "triviale Maschinen", "klassisch" geschlossene Systeme oder wie auch immer, ausbilden.




sybok
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So 3. Dez 2023, 19:14

Timberlake hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 18:13
.. in dem Beitrag 71404 bereits dazu geäußert. In dem Sinn das Sichverstehen und Sichfortzeugen ermöglicht, so würde ich , weil sich dergleichen bei der Evolution "abspielt " , darin genau jene Funktion beschrieben sehen , die im Zusammenspiel mit Sinn und Evolution Anschlussfähigkeit herstellt. Also einer Interpenetration , in der sich verschiedene Arten von Autopoiesis , unter der Voraussetzung von Sinn so miteinander verbinden, dass infolge dessen diese verschiedene Arten von Autopoiesis in ihrer Evolution voranschreiten.
Hm, ja das passt, in der Evolutionstheorie gibt es ja das Konzept der "Koevolution", das erinnert mich gerade stark daran. So wie ich das sehe, passt das gut zu der vorherigen "Analyse". Statt einem Koevolutionsmodell vielleicht auch Sinn dann sozusagen die Substanz, die DNA, auf der die Variation "materiell" stattfindet, Bewusstsein vielleicht gewissermassen der Genotyp und Kommunikation der Phänotyp des Systems.
Timberlake hat geschrieben :
So 3. Dez 2023, 18:13
Sinn würde ich dabei allerdings nicht von einem Bewusstsein abhängig machen, dass in der Lage ist Sinn zu erkennen. Eine Amöbe muss nicht den Sinn erkennen , wenn sie mit einer anderen Amöbe "interpenetriert". Entscheidend ist , was am Ende für diese beiden "verschiedene Arten von Autopoiesis" dabei herauskommt.
Die Amöben kommunizieren ja aber auch nicht, nicht so wie es hier betrachtet wird, da schaust du doch auf "leben" als Systemoperation und Sinn ist ja scheinbar sehr spezifisch für die Systemtypen Bewusstsein und Gesellschaft. Dann wäre ja natürlich klar, dass die Amöben keinen Sinn erkennen müssen.
(wobei letztlich scheint es mir eine Frage danach zu sein, wie hoch man den Abstraktionsgrad auf diesen Begriffen schrauben will)




Timberlake
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So 3. Dez 2023, 23:24

Nach meiner Meinung geht es bei diesen Begriffen nicht um das Hochschrauben eines Abstraktionsgrades , sondern um ein Verallgemeinern der Begriffe. Ein Verallgemeinern auf alle Lebewesen. Dazu nur mal zur Erinnerung ..

Wikipedia hat geschrieben :
Autopoiesis
Eine weitere wesentliche Voraussetzung für das Vorhandensein eines Systems ist die Fähigkeit, sich selbst (wieder-)herzustellen, also die Autopoiesis. Der Merksatz im Luhmannschen Sinne lautet: Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System. Dabei bezog sich Luhmann auf das Konzept der chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Diese wendeten das Konzept der Autopoiesis auf organische Prozesse an und meinten damit, dass Systeme sich mit Hilfe ihrer eigenen Elemente selbst herstellen. Lebewesen sind die ursprünglichen Beispiele für autopoietische Systeme. Für den Beobachter ereignet sich Leben von selbst, ohne dass ein äußerer herstellender Prozess eingreift. Luhmann überträgt dieses Konzept nicht nur auf biologische Systeme, sondern auch auf psychische Systeme und insbesondere soziale Systeme. Auch diese reproduzieren sich selbst mit Hilfe ihrer systemeigenen Operationen
Sicherlich ließe sich auch der Abstraktionsgrad dieser Begriffe hochschrauben. Den besten Beweis dafür würde ich übrigens in dem sehen , was für dich die Vorlesung Luhmanns zur "Theorie der Gesellschaft" sehr sympatisch macht ...
sybok hat geschrieben :
Ich erlaube mir mal, dass das hier mehr den Charakter eines wilden Brainstormings denn eines strukturierten und ordentlichen Kommentars zur Vorlesung hat:

Mir ist sehr sympatisch, dass mir das ganze ziemlich mathematisch erscheint. Ich frage mich, ob nicht schon versucht wurde, das ganze in eine mathematische Theorie, also in deren Sprache, umzuformulieren (abgesehen vielleicht von den Berührungspunkten mit Spencer-Brown, der wohl aber die "Community" sozusagen verlassen hat)?
Ganz besonders interessant fand ich im 3. Teil ab etwa [23:00]. Das hängt ja alles miteinander zusammen, Evolutionstheorie, Spieltheorie, Informationstheorie, etc. Wirft ein bisschen die Frage nach der gewählten Sprache auf. Er stellt da in dem Abschnitt beispielsweise die Frage nach einer Evolution eines Siemens-Konzerns. Dabei ist mir der Begriff der ESS (evolutionär stabile Strategie) eingefallen, mit dem man beispielsweise ja tatsächlich Spieltheorie in einem Bezug zur Evolutionstheorie auf die Analyse von Marktgeschehen anwendet. Die IIS, die von Jörn Budesheim schon mehrfach erwähnt wurde, ist mir dabei, auch mit Luhmanns Vergleich bezüglich der Struktur der Systemtheorie als Gehirn, auch eingefallen... wie er sagte, unheimlich interdisziplinär.
Es sei denn , dass eine solche mathematische Erscheinung dem Rechnung trägt, was man allgmeinhin auch als "Ockhams Rasiermesser" bezeichnet. Wenn ich mir dazu dieses Zitat von dir vergegenwätige , so warten dort so zusagen gleich mehre Köpfe darauf , von diesem Messer rasiert zu werden. Wobei eine mathematische Theorie , die diese Köpfe möglicherweise auf einen Kopf vereint, sicherlich hilfreich wäre. Um einmal an dieser Stelle mit einer Metapher , den Charakter eines wilden Brainstormings in geordnete Bahnen zu lenken. ;)




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Sa 9. Dez 2023, 13:58

Falls jemand hiermit etwas anfangen kann ...:

https://www.academia.edu/50300134/Einf% ... card=title




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Nauplios
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Sa 9. Dez 2023, 17:35

1+1=3 hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 13:58
Falls jemand hiermit etwas anfangen kann ...:

https://www.academia.edu/50300134/Einf% ... card=title
Danke für den Hinweis auf Gotthard Günther, 1+1=3. Dessen Theorie der Polykontexturalität ist einer der Grundbausteine für Luhmanns Systemtheorie. Wenn man diesem Theoriezusammenhang zwischen Systemtheorie und Polykontexturalität näher kommen will, ist eine Arbeit von Elena Esposito von Interesse über die logischen Voraussetzungen der Beobachtertheorie, nämlich ihre Dissertation Die Operation der Beobachtung.




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Sa 9. Dez 2023, 22:04

Danke! Ich habe eben einmal längere Zeit nach Büchern von Elena Esposito (zu günstigeren Konditionen, da es ansonsten zu kostspielig für mich wäre) im Internet gestöbert, wurde aber leider nicht fündig. (In der ortsansässigen Bücherei ist keine Fernleihe möglich.) Ich werde bei nächster Gelegenheit weiter nach Texten dieser Autorin suchen ...




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Sa 9. Dez 2023, 23:31

Nauplios hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 17:35
Polykontexturalität
Polykontexturalität erinnert mich spontan (und entsprechend oberflächlich) an Multikausalität (was naturgemäß etwas anderes ist ...), wo es zu einem ("rückblickend" interdependent funktionierenden) Zusammenwirken eben einer Pluralität von Faktoren kommt (anstatt dass "monokausal" nur eine Ursache vorliegen würde), welches spezielle "emergente" Effekte hervorruft/bedingt (--> "Systemeigenschaften", "Synergien/Synergieeffekte"...) - die es bezeichnenderweise ansonsten nicht geben würde. (Obwohl "materiell" und "wirkkausal" nichts dazukommen würde. Also keine zusätzliche "Kraft" oder so - wie angeblich-vermeintlich eine Art "Lebenskraft" ["élan vital"] beim "Vitalismus". Und so würde m.E. auch ein jedes System ohne jede zusätzliche als die bekannten "Grund"-Kausalitäten "auskommen", sondern eben allein die jeweilige - etwa funktionale - "Systemdynamik" [oder so] wäre für die Spezifität und charakteristischen ["Makro"- oder eben System-]Eigenschaften des betreffenden Systems verantwortlich - Kausalitäten, die allerdings die FORM von [quasi auf sich selbst, d.h. die besagten "Grundkausalitäten", wie "causa efficiens" und "causa materialis", "aufbauenden"] Finalursachen [wie z.B. den "Sollwerten" in der "Kybernetik", oder "seltsamen Attraktoren" bei entsprechender "Systemverfassung/-verfasstheit", oder buchstäblicher "Selbst-Bestimmung/-Beherrschung", usw.] oder "holistischen" Formursachen ["Selbstorganisation" usf.] annehmen können - die aber eben im o.g. Sinne keine in absoluter Hinsicht eigenständige neue Kausalitäten darstellen - sehr wohl aber in "qualitativer"... --> "Eigenschaftsdualismus [u./o. -pluralismus]" bei einem "Substanzmonismus" [also letztlich "Materialismus"...!].)




Timberlake
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So 10. Dez 2023, 00:12

1+1=3 hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 23:31
Nauplios hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 17:35
Polykontexturalität
Polykontexturalität erinnert mich spontan ..
und mich erinnert Polykontexturalität spontan an eine Gesellschaft , die funktional (Funktion) differenziert ist ...

www.carl-auer.de hat geschrieben :
Polykontexturalität .. Till Jansen

engl. poly-contexturality. Polykontexturalität meint die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher logischer Räume in einer Situation wie auch situationsübergreifend.

Die polykontexturale Logik wurde von Gotthard Günther entwickelt, um der Vorstellung unterschiedlicher Beobachtungspositionen gerecht zu werden (Günther 1978, S. 10 ff.). Die klassische Logik unterscheidet nur zwischen »wahr« und »falsch«. Ein Drittes wird ausgeschlossen (tertium non datur). Verschiedene Beobachterpositionen kann die klassische Logik somit nicht angemessen abbilden, da etwas nicht »anders« und dennoch »wahr« sein kann. Günther stellt dieser Vorstellung einer zweiwertigen Welt die Idee der Polykontexturalität gegenüber. Es gibt, so Günther, verschiedene logische Räume (Raum), die ihr eigenes »wahr« und »falsch« kennen. Günther nennt diese Kontexturen. Anders als der Begriff des Kontexts, der den Rahmen einer Handlung oder eines Gedankens meint, ist der Begriff »Kontextur« rein formallogisch gedacht. Er bezeichnet die Einheit eines logischen Raumes innerhalb dessen zwischen Sein und Nicht-Sein unterschieden wird und nicht den Rahmen einer Handlung oder eines Gedankens. Im systemischen Denken wurde die Idee der Polykontexturalität vor allem von Niklas Luhmann aufgegriffen. Luhmann versteht die Gesellschaft als funktional (Funktion) differenziert. Jedes Funktionssystem operiert innerhalb eines jeweils eigenen Codes, Günther würde sagen: einer eigenen Kontextur. So unterscheidet etwa die Wirtschaft zwischen »Zahlung« und »Nicht-Zahlung« (Luhmann 1988). Sie funktioniert mono-kontextural, während die Gesellschaft als umfassendes System verschiedene Codes verarbeitet. Die Gesellschaft kann zwischen wissenschaftlicher Wahrheit, Macht und Zahlungen unterscheiden. Sie operiert polykontextural.
Wobei allerdings dazu an zumerken ist, dass die Gesellschaft , als umfassendes System , selbst keine Codes verarbeitet. Welche sollten das auch sein. Codes werden nach Luhmanns bzw. meiner Ansicht ausschließlich von den Funktionssystemen dieser Gesellschaft verarbeitet . ..
Wikipedia hat geschrieben :
Funktionssysteme nach Luhmann
Jedes einzelne Teilsystem betrachtet nach Luhmann das Gesamtsystem aus einem anderen Blickwinkel. So beobachtet etwa das Teilsystem Wissenschaft Vorgänge im System nur danach, ob etwas wahr ist oder nicht; das Teilsystem Politik stellt die Frage, ob Macht vergrößert werden kann oder nicht; und die Wirtschaft interessiert sich ausschließlich dafür, ob Zahlungen erfolgen oder nicht. Weitere in diesem Sinne autonome Teilsysteme sind Kunst, Religion, intime Beziehungen, Erziehung, Recht und Familie.
Wenn denn etwas zwischen wissenschaftlicher Wahrheit, Macht und Zahlungen unterscheiden kann , dann nicht die Gesellschaft , sondern dessen einzelne Teilsysteme. Einzene Teilsysteme , die gleichwohl aus ihrem Blickwinkel , mit ihren Codes , die Gesellschaft , als umfassendes System beobachten. Wenn mich denn insbesondere etwas an Polykontexturalität erinnert , dann diese Beobachtung , wie übrigens auch die Beobachtung der einzelne Teilsysteme , mit ihren jeweiligen Blickwinkel und Codes , unter sich.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 10. Dez 2023, 00:50, insgesamt 8-mal geändert.




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So 10. Dez 2023, 00:26

Da habe ich eben bei Wikipedia auch so einiges gelesen.




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Nauplios
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So 10. Dez 2023, 12:27

1+1=3 hat geschrieben :
Sa 9. Dez 2023, 22:04
Danke! Ich habe eben einmal längere Zeit nach Büchern von Elena Esposito (zu günstigeren Konditionen, da es ansonsten zu kostspielig für mich wäre) im Internet gestöbert, wurde aber leider nicht fündig. (In der ortsansässigen Bücherei ist keine Fernleihe möglich.) Ich werde bei nächster Gelegenheit weiter nach Texten dieser Autorin suchen ...
Es gibt einen Aufsatz von Elena Esposito mit dem Titel

„Artificial Communication? The Production of Contingency by Algorithms“ (Zeitschrift für Soziologie 2017/46[4]; S. 249-265)



Zusammenfassung:

„Die Diskurse und Debatten über ˋsmarté Algorithmen und digitale soziale Agenten beziehen sich vorwiegend auf Konstruktionen künstlicher Intelligenz, die die kognitiven Fähigkeiten von individuellen Akteuren nachbilden. Gegenwärtige Forschungen zeigen aber, dass solche Algorithmen erfolgreich sind, die nicht dieses Ziel verfolgen, sondern sich an den Kommunikationsfähigkeiten von Akteuren orientieren. Algorithmen, die nicht die Fähigkeiten von Individuen nachbilden, können die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Prozessierens von Informationen verbessern. Unter Bezugnahme auf das Konzept der Kommunikation der Systemtheorie von Niklas Luhmann rekonstruiert der vorliegende Beitrag diesen Wandel in der künstlichen Intelligenz von Big Data als artifiziellen Reproduktionen von Kommunikation und nicht von Intelligenz. Selbstlernende Algorithmen machen sich den (reflektierten oder unreflektierten) Umgang von Nutzern im Umgang mit virtueller doppelter Kontingenz zu Diensten. Dies versorgt die Gesellschaft mit Informationen, die nicht auf individuellen Intelligenzen beruhen, sondern auf kommunikativen Kreisläufen, wodurch die kommunikative Komplexität gesteigert werden kann. Aus diesem Grunde und vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen muss auch das Konzept der Kommunikation nochmals neu daraufhin untersucht werden, ob es Kommunikation mit Algorithmen zu integrieren vermag oder nicht.“

Schlüsselwörter:

Soziale Algorithmen; Big Data; Künstliche Intelligenz; Neuronale Netzwerke; Deep Learning; Doppelte Kontingenz; Systemtheorie.

Dem Aufsatz liegt die Antrittsvorlesung der Niklas-Luhmann-Gastprofessur 2015 in Bielefeld zugrunde. Der Text ist (soweit ich sehe) online leider nicht verfügbar.




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Nauplios
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So 10. Dez 2023, 13:46

Ein anderer Aufsatz von Elena Esposito beschäftigt sich mit der Rolle der Wahrnehmung in den Massenmedien. Es geht dabei um die Welt der Wörter und die Welt der Dinge, von Dargestelltem und Gegebenem. Und ein zentraler Gedanke ist dabei das Verhältnis des Beobachters, dessen Perspektive einmalig ist und der beobachtet, daß es darüberhinaus mehrere Perspektiven der Welt gegenüber geben kann, die „ihrerseits Objekte sind, die verarbeitet werden können - sogar von einer Maschine.“ Wie in dem obigen Aufsatz gilt auch für diesen die Umstellung von Intelligenz auf Kommunikation, die für eine soziologische Betrachtungsweise der virtuellen Welt von Bedeutung ist. Auch für die virtuelle Welt gilt, daß Mitteilender und Adressat (wie bei anderen Formen der Fernkommunikation auch) „getrennt und füreinander unzugänglich“ sind. Daß dennoch Interaktivität zustande kommt, „betrifft [nicht] die Interaktion zwischen den Partnern, „sondern bloß die neue Beziehung, die jeder Benutzer mit der Maschine eingeht. Man interagiert mit dem Computer, nicht mit dem Kommunikationspartner. Es entsteht eine neue Form von Präsenz (der Maschine) innerhalb einer Kommunikation, die in Abwesenheit stattfindet.“

„Bei der Betrachtung der Auswirkungen neuer Kommunikationstechnologien auf die Wahrnehmung beabsichtige ich den Bezug auf das einzelne Individuum und auf seine Fähigkeiten ganz aufzugeben. Geht es um Medien als <Erweiterungen der Sinne>,
verliert man meinem Eindruck nach den – aus soziologischer Sicht – interessantesten Aspekt der telematischen Phänomene aus den Augen. Die Evolution der Medien verändert das Verhältnis von Kommunikation und Wahrnehmung, während die Wahrnehmungswelt der einzelnen Individuen nur mittelbar von diesem Wandel betroffen ist. Arten und Formen des kommunikativen Gebrauchs von Wahrnehmung sind also mein Thema. Meine im Folgenden darzulegende Hypothese ist, dass die Entwicklung immer unwahrscheinlicherer Techniken der Verbreitung und Darstellung von Kommunikation mit immer raffinierteren Formen der ›Kolonisierung‹ von Wahrnehmung korreliert. Je ›realistischer‹ die Formen der Darstellung sind, je zugespitzter die Selbstreferenz der Kommunikation und ihre Autonomie gegenüber Umweltdaten und -Phänomenen, umso ›kolonisierter‹ ist die Wahrnehmung. Die Zunahme des Realismus der Darstellung ist paradoxerweise mit einer Steigerung der Künstlichkeit – und nicht mit ihrer Abnahme – verbunden. Die Evolution der Medien markiert gerade aufeinander folgende Schritte in diese Richtung.“

aus: Elena Esposito; „Die Wahrnehmung der Virtualität. Perzeptionsaspekte der interaktiven Kommunikation“; in: „Schnittstelle: Medien und Kulturwissenschaften“; S. 116ff.




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