Luhmann Plauderei/Offtopic/etc.
- Jörn Budesheim
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Was haltet ihr davon, wenn ich (oder wer auch immer) 13 Beiträge einrichte, die wir durchnummerieren, wobei jeder Beitrag mit einem der Vorträge beginnt? Dann wäre das "Problem" der Linearität etwas entschärft.
...Schön!
Ich werde mich wohl unregelmäßig zum Thema Luhmann insgesamt melden. Obwohl mich das Thema - Systemtheorie generell - sehr interessiert, bekomme ich es nicht anders hin. Luhmann selbst ist für mich zu speziell, als dass ich da irgendetwas Originelles beisteuern könnte. Und ob von angrenzenden Bereichen her ... Mal schauen (falls es nicht eh stören würde, geht es doch primär, wenn nicht einzig um Luhmann).
Ich werde mich wohl unregelmäßig zum Thema Luhmann insgesamt melden. Obwohl mich das Thema - Systemtheorie generell - sehr interessiert, bekomme ich es nicht anders hin. Luhmann selbst ist für mich zu speziell, als dass ich da irgendetwas Originelles beisteuern könnte. Und ob von angrenzenden Bereichen her ... Mal schauen (falls es nicht eh stören würde, geht es doch primär, wenn nicht einzig um Luhmann).
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Nun ja .. dann werde ich mich vermutlich wohl oder übel hier zu den Begriffen von Luhmanns Systemtheorie äußern . Nur wirkt das , zumindest auf mich , unter Rubrik "Luhmann Plauderei/Offtopic/etc." bzw. "Smalltalk" allerdings doch reichlich deplaziert. Das wäre in etwa so , als würde man sich in einer Diskussion zu den Begriffen von Einstens Relativitätstheorie, unter einer solchen Überschrifft zusammenfinden . Nur das mal an dieser Stelle klar wird, wie hoch bei mir Luhmanns Systemtheorie angebunden ist.
- Jörn Budesheim
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Ich schätze, es ist etwa 25 Jahre her, dass ich Texte wie diesen von - und oft auch Texte über - Luhmann verschlungen habe. Das heißt, ich war noch keine 40 Jahre alt. Ich sehe mich immer noch im Park sitzen, begierig und ungeduldig, diese Texte lesend :) Damals war das Internet noch lange nicht so präsent wie heute, so dass man Dinge, die man nicht sofort verstand, googeln konnte.Niklas Luhmann in "Erkenntnis als Konstruktion" hat geschrieben : Die Frage, wie Systeme in einer Umwelt Erkenntnis zustande bringen, kann dann reformuliert werden in die Frage, wie Systeme sich von ihrer Umwelt abkoppeln können, oder mit Heinz von Foerster: wie Schließung durch Einschließung möglich ist. Diese Frage auch nur zu stellen, heißt: sehr scharfe Beschränkungen, also hochselektive Bedingungen eines solchen Vorgangs zu vermuten. Die Selbstisolierung eines erkennenden Systems – einer Zelle, eines Immunsystems, eines Gehirns, eines Bewußtseins, eines Kommunikationssystems – führt gerade nicht in die Beliebigkeit der dadurch ermöglichten Operationen. Das Gegenteil trifft zu. Jeder Beobachter eines sich zur Erkenntnis abschließenden Systems kann scharfe Beschränkungen des daraufhin Möglichen erkennen. Überhaupt gibt es in der Realwelt keine Beliebigkeit. Die Unterstellung von Willkür heißt vielmehr immer: beobachte das System, dem Du Willkür ansinnst; und dann wirst Du sehen, daß Deine Vermutung nicht zutrifft. Belieben ist, so gesehen, also nichts anderes als ein Begriff für die Weisung: beobachte den Beobachter. Denn: wie ist Schließung möglich? Doch nur dadurch, daß ein System eigene Operationen produziert und im Netzwerk ihrer rekursiven Vor- und Rückgriffe reproduziert. Der Vorgang selbst erzeugt die Differenz von System und Umwelt. Maturana hat das »Autopoiesis« genannt; aber auch Lyotard kommt von der Linguistik her mit Begriffen wie »phrase«, »enchaînement«, »différend« zum gleichen Ergebnis. Die Systemtheorie ermöglicht es allerdings, das Ergebnis besonders einleuchtend zu formulieren: Kein System kann außerhalb seiner eigenen Grenzen operieren, auch ein erkennendes System nicht.
"Kein System kann außerhalb seiner eigenen Grenzen operieren, auch ein erkennendes System nicht." Was heißt das eigentlich? Denn der Satz ist ja offensichtlich völlig kontraintuitiv, wie vieles, was Luhmann schreibt. Das macht ja auch einen großen Teil der Faszination aus. Luhmann spricht in diesem Absatz offensichtlich von Systemen aller Art, nicht nur von Kommunikationssystemen. Ein biologisches System, sagen wir eine Katze, operiert offensichtlich ständig außerhalb der eigenen Grenzen, sie läuft z.B. herum, sie inkorporiert Dinge aus der Umwelt, d.h. sie atmet z.B. und frisst z.B.. Lebende Systeme sind immer außerhalb ihrer selbst, das unterscheidet z.B. eine Katze von einem Stein.
Luhmann verwendet oben den Begriff der "Selbstisolierung" einer Zelle, eines Immunsystems, eines Gehirns, eines Bewusstseins, eines Kommunikationssystems. Lebende Systeme sind allerdings nicht von ihrer Umwelt isoliert, sondern stehen in ständigem Austausch mit ihr. Das weiß auch Luhmann. Was ist dann mit Selbstisolierung gemeint? Es kann auf keinen Fall das sein, was der Ausdruck wörtlich meint, denn wenn lebende Systeme von ihrer Umwelt isoliert wären, würden sie sofort sterben. Sie würden aber auch sterben, wenn die Umwelt in beliebiger Form ungehindert in sie eindringen würde.
Noch krasser ist der Widerspruch zu dem, was man gemeinhin Bewusstsein nennt, denn Bewusstsein ist in der Regel Bewusstsein von etwas, Bewusstsein ist intentional, also auf etwas gerichtet, was bedeutet, dass Bewusstsein in gewissem Sinne ständig "außerhalb seiner Grenzen" operiert.
Und was überhaupt soll eigentlich eine Grenze sein?
Weil ich mich wiederhole, bin ich in den Smalltalk ausgewichen, vielleicht gibt es diesmal etwas Resonanz. Ich schlage vor hier, die abstrakten Begriffe nicht nur in luftigen Höhen zu betrachten, sondern sie auf konkrete Fälle anzuwenden und sich dabei bewusst zu werden, was sie eigentlich bedeuten könnten.
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Luhmann hat in diese Aufzählung eine Steigerung von der Zelle zum Kommunikationssystem eingebaut. Milliarden von Zellen bilden das Gehirn. Das heißt, eines ihrer typischen Merkmale ist die Fähigkeit zur "Teamarbeit" , und das steht letztlich im krassen Gegensatz zur Idee der Selbstisolation. Wie kann man beides zusammen denken?Niklas Luhmann in "Erkenntnis als Konstruktion" hat geschrieben : Selbstisolierung eines erkennenden Systems – einer Zelle, eines Immunsystems, eines Gehirns, eines Bewußtseins, eines Kommunikationssystems
Find ich gut. Ich habe in der Zwischenzeit parallel zur Vorlesung noch "Einführung in die Systemtheorie" von Luhmann begonnen zu lesen .Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 12. Nov 2023, 07:42Weil ich mich wiederhole, bin ich in den Smalltalk ausgewichen, vielleicht gibt es diesmal etwas Resonanz. Ich schlage vor hier, die abstrakten Begriffe nicht nur in luftigen Höhen zu betrachten, sondern sie auf konkrete Fälle anzuwenden und sich dabei bewusst zu werden, was sie eigentlich bedeuten könnten.
Vorweg, als eine Art "Disclaimer": Wie gesagt, ein entsprechender Einblick in die Theorie fehlt mir natürlich noch um Längen, um darauf zu antworten. Ich tue es frecherweise trotzdem mal, insbesondere hier in "Plauderei", mir ist klar, dass das für "euch" möglicherweise etwas anstrengend sein könnte, aber aus meiner Sicht wird halt mein Lernprozess durch Austausch und Korrektur beschleunigt. Ich hoffe also auf etwas "Kulanz" :
Zwei Dinge gehen mir dabei durch den Kopf:
1. Er thematisiert Im Buch die offenen Systeme, spricht von der Sichtweise von Input/Output-Systemen, Blackbox-Sichtweisen und der Kybernetik. Er schreibt dann daran anschliessend (Hervorhebung von mir):
In der 2. Vorlesung sagt er das zwischen ungefähr [45:50] und [50:45] ebenfalls, das System ist die Unterscheidung System <--> Umwelt.Luhmann in "Einführung in die Systemtheorie" (S. 66) hat geschrieben : Was kann jetzt noch hinzukommen? Was ändert sich gegenüber diesem Stand der Situation, die man Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre erreicht hatte? Was hinzukommt, ist meines Erachtens die Möglichkeit einer radikaleren Formulierung. Man kann jetzt sagen: Ein System „ist" die Differenz zwischen System und Umwelt.Sie werden sehen, dass diese Formulierung, die paradox klingt und vielleicht sogar paradox ist, einige Erläuterungen benötigt.
2. Daran anknüpfend, das ist jetzt zwar vielleicht etwas aus dem Kontext gerissen, schreibt er:
Und ebenfalls erwähnt er etwas in der Richtung in der 2. Vorlesung im gleichen Abschnitt wie oben, er sagt explizit, dass "Systemtheorie" eigentlich ein falscher Name sei.Luhmann in "Einführung in die Systemtheorie" (S. 41) hat geschrieben : Das Wort, der Begriff „allgemeine Systemtheorie" überzieht die Sachverhalte beträchtlich. Eigentlich gibt es eine solche allgemeine Systemtheorie nicht.
Ich glaube also, soweit ich das bisher verstehe, dass der Systembegriff, den wir normalerweise intuitiv fassen, den wir gewohnt sind, etwa aus der Physik und Biologie, nicht wirklich das ist, wovon er spricht. Die Differenz ist das System. Das meinte ich im anderen Thread mit tautologisch, es kann per Definition nicht mit ausserhalb seiner Grenzen operieren, sobald man darauf stossen würde, würde das wohl ins System integriert (?).
Demnach in meinem Verständnis: Die Katze läuft herum und atmet, dann wird das scheinbar nicht als Interface der Katze gesehen, sondern wird in das System integriert und damit ist es schon nicht mehr Umwelt.
Zuletzt geändert von sybok am So 12. Nov 2023, 10:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Das Buch liegt links neben mir, wenn du die Seitenzahlen hinzufügst, kann ich mitlesen :)
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Ok, ich habe die Seitenzahlen bei den Zitaten im Post hinzugeschrieben.
Die Input/Output-Schnittstellen: Die Katze atmet, dann betrachten wir zwar die Lunge und die Erzeugung des entsprechenden Unterdruckes etc. als zur Katze gehörend, die Luft aber nicht wirklich, die Luft dabei als Umwelt. Ich habe das Gefühl, dass das nicht die Sichtweise von Luhmann wäre. Das System Katze braucht ja diese Luft, aus dessen Sicht kann das dann wohl nicht die Differenz zur Umwelt sein, oder? Das Atmen wäre eine Operation des Systems "Katze" und wird wohl über den operativen Abschluss sofort in das System integriert. Nur dann, wenn man die Katze als Input/Output-System begreift, dann wäre diese Schnittstelle "atmen" ein Interface zur Umwelt (?).
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Wenn die Luft ein Teil der Katze wäre, dann wäre die Katze letztlich über den gesamten Planeten ausgedehnt, richtig? Und wie sähe es dann aus mit der Nahrung? Dann würden die Mäuse allesamt ein Teil der Katze sein :)
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Auf Seite 41 der Einführung in die Systemtheorie sagt Luhmann im Kapitel über offene Systeme folgendes: "ich betone das [das Konzept der offenen Systeme] an dieser Stelle besonders, weil wir später auf eine Gegen-Theorie der operational geschlossenen Systeme zu sprechen kommen werden, in dem aber dieses Konzept der Offenheit nicht widerrufen, sondern überarbeitet wird." Darauf sollte man ein Augenmerk haben und festhalten, dass Systeme - zumindest nach meinem Verständnis - bei Luhmann gewissermaßen sowohl offen als auch geschlossen sind und man muss sich klar machen, was das im Detail bedeutet.
Ja , damit habe ich auch Mühe und wahrscheinlich ist meine Darstellung auch total falsch , so gesehen, radikal auf die Spitze getrieben, gäbe es nur ein System: das "Alles". Aber andererseits ist das vielleicht dieser "Interface-Denkweise" geschuldet, von der man nur sehr, sehr schwer wegkommt? Es könnte, soweit ich das bisher sehe, am Abstraktionsgrad und der hohen Dynamik liegen: Das System des Stranges hier, wir als Personen sind zwar scheinbar irgendwie schon Teil des Stranges, aber über die operative Abgeschlossenheit nur sozusagen in der jeweils spezifischen Rolle? Ich schreibe hier, bin also Teil, sehe das Buch neben mir und inkludiere das über die Verbindung durch mich als Person in das System des Fadens, was wohl aber "Interface-Denken" wäre Strang <--> meine Person <--> Buch. Aus einer abstrakteren Sicht wäre das aber nicht Teil des Fadens, denn es gibt keine direkte Operation des Systems "Fadens" mit dem Buch. Und wenn ich es referenziere, gibt es bezüglich genau dieser Referenz keine Unterscheidung mehr, diese wäre dann automatisch in das System des "Fadens" integriert, aber nicht über Interfaces, nicht über mich als Person, sondern über die operative Abgeschlossenheit, über die spezifische Referenz, über die Differenz zu allem nicht-referenziertem (?).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 12. Nov 2023, 10:34Wenn die Luft ein Teil der Katze wäre, dann wäre die Katze letztlich über den gesamten Planeten ausgedehnt, richtig? Und wie sähe es dann aus mit der Nahrung? Dann würden die Mäuse allesamt ein Teil der Katze sein
Ja, über den Satz bin ich auch "gestolpert". Da hast du bestimmt recht. Wie Nauplios sagte, "die Abbruchkante ist eigentlich mit Kommunikation schon erreicht" und ich überschreite sie hier wohl um Längen. Ich werde heute noch etwas weiter lesen und wenn ich Zeit habe, die Vorlesung weiter schauen, ich weiss ja zum Beispiel noch so gut wie nichts über seine Konzeption von "Kommunikation" .Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 12. Nov 2023, 10:59Auf Seite 41 der Einführung in die Systemtheorie sagt Luhmann im Kapitel über offene Systeme folgendes: "ich betone das [das Konzept der offenen Systeme] an dieser Stelle besonders, weil wir später auf eine Gegen-Theorie der operational geschlossenen Systeme zu sprechen kommen werden, in dem aber dieses Konzept der Offenheit nicht widerrufen, sondern überarbeitet wird." Darauf sollte man ein Augenmerk haben und festhalten, dass Systeme - zumindest nach meinem Verständnis - bei Luhmann gewissermaßen sowohl offen als auch geschlossen sind und man muss sich klar machen, was das im Detail bedeutet.
Andererseits ist halt der Drang zum Austausch, ist glaube ich aber auch nicht schlimm: Erstens muss man wie im anderen Thread angesprochen scheinbar sowieso "rekursiv diskutieren", "Alles gleichzeitig" und zweitens hilft letztlich die nachträgliche Korrektur und Zurechtrücken von Fehlern und Missverstandnissen beim voreiligen Versuch des Verstehens dem Verstehen wiederum aus meiner Erfahrung nach enorm - "Aha!"-Effekte werden möglich .
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Ich meine, das wäre irgendwo schon zitiert worden, dass Luhmann davor warnt, zu schnell zu verstehen :)
Die Gefahr eines zu schnellen Verstehens verringert sich nicht dadurch, daß man das topic des Verstehens aus einem off heraus zu beobachten versucht. Auch nach dem Seitenwechsel zwischen on und off operiert man mit dem blinden Fleck der Beobachtung. Die Paradoxie der Beobachtung macht vor der Beobachtung der Paradoxie nicht halt. Das gilt natürlich auch für die Systemtheorie.
Ich denke, daß wir dem Problem der operativen Geschlossenheit des Systems und seiner kognitiven Offenheit im Zusammenhang mit der Autopoiesis wieder begegnen werden. "Kontraintuitiv" wird es ja eigentlich erst dann, wenn die kognitive Offenheit des Systems seine operative Geschlossenheit zur Voraussetzung hat, wenn die Paradoxie der Beobachtung gewissermaßen zu ihrem Höhepunkt kommt:
"Die Realität ist das, was man nicht erkennt, wenn man sie erkennt."
(Niklas Luhmann; Das Erkenntnisprogramm des Konstruktivismus; in: Soziologische Aufklärung; Bd. 5; S. 47)
Die operative Geschlossenheit für sich betrachtet besagt ja eigentlich nur, daß das System nicht in seine Umwelt durchgreifen kann, daß es auf der Ebene seiner Operationen geschlossen ist.
Ich denke, daß wir dem Problem der operativen Geschlossenheit des Systems und seiner kognitiven Offenheit im Zusammenhang mit der Autopoiesis wieder begegnen werden. "Kontraintuitiv" wird es ja eigentlich erst dann, wenn die kognitive Offenheit des Systems seine operative Geschlossenheit zur Voraussetzung hat, wenn die Paradoxie der Beobachtung gewissermaßen zu ihrem Höhepunkt kommt:
"Die Realität ist das, was man nicht erkennt, wenn man sie erkennt."
(Niklas Luhmann; Das Erkenntnisprogramm des Konstruktivismus; in: Soziologische Aufklärung; Bd. 5; S. 47)
Die operative Geschlossenheit für sich betrachtet besagt ja eigentlich nur, daß das System nicht in seine Umwelt durchgreifen kann, daß es auf der Ebene seiner Operationen geschlossen ist.
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Vielleicht hilft bis dahin dies ein wenig weiter:
"Eine Theorie, die sich operativ beobachtend bzw. beobachtend operierend fortbewegt, verfährt sowohl geschlossen als auch offen. Die Form der Theorie bei Niklas Luhmann kann folglich einerseits als operativ geschlossen und andererseits als beobachtend (oder: kognitiv) offen gelten. Indem sie in jedem Moment auf sich selbst referiert, referiert sie auf anderes. Man kann diesen Sachverhalt mit der Formulierung 'Fremdkontakt durch Selbstkontakt' beschreiben. Eine genauere Begrifflichkeit führt uns zur Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. (...) Bekanntermassen steht die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz für eine systeminterne Kopie der Differenz von System und Umwelt. Eine Theorie, die sich durch ihre (eigenen) Operationen von allem anderen abschließt, reproduziert die Umwelt als Fremdreferenz innerhalb des Systems. Eine solche Theorie bezieht sich auf ihre Gegenstände, indem sie sich auf sich selbst bezieht. Sie markiert damit, dass ein Bezug (des Systems) auf die Umwelt nicht möglich ist, dass sie also weder empirisch noch phänomenal noch relational (im Sinne einer Eins-zu-eins-Relation von Umweltdaten und Systemzuständen) verfahren kann, sondern dass sie ihre fremdreferentiellen Bezüge selbst hervorbringen und durch rekursive Operationen stabilisieren muss. Darin aber lässt sich eine solche Theorie durch ihre Umwelt irritieren und arbeitet deren für sie unbestimmte bzw. unbestimmbare Komplexität in systemeigene Komplexität um."
(Eberhard Blanke; Systemtheoretische Beobachtungen Bd. IV - Hervorhebungen v. mir)
Die "systeminterne Kopie der Differenz von System und Umwelt" wird später als "re-entry" (Spencer-Brown) gefaßt, als Wiedereinführung der System/Umwelt-Unterscheidung auf seiten des Systems. Auch das scheint mir für das Verständnis der operativen Geschlossenheit und kognitiven Offenheit des Systems von Belang.
"Eine Theorie, die sich operativ beobachtend bzw. beobachtend operierend fortbewegt, verfährt sowohl geschlossen als auch offen. Die Form der Theorie bei Niklas Luhmann kann folglich einerseits als operativ geschlossen und andererseits als beobachtend (oder: kognitiv) offen gelten. Indem sie in jedem Moment auf sich selbst referiert, referiert sie auf anderes. Man kann diesen Sachverhalt mit der Formulierung 'Fremdkontakt durch Selbstkontakt' beschreiben. Eine genauere Begrifflichkeit führt uns zur Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. (...) Bekanntermassen steht die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz für eine systeminterne Kopie der Differenz von System und Umwelt. Eine Theorie, die sich durch ihre (eigenen) Operationen von allem anderen abschließt, reproduziert die Umwelt als Fremdreferenz innerhalb des Systems. Eine solche Theorie bezieht sich auf ihre Gegenstände, indem sie sich auf sich selbst bezieht. Sie markiert damit, dass ein Bezug (des Systems) auf die Umwelt nicht möglich ist, dass sie also weder empirisch noch phänomenal noch relational (im Sinne einer Eins-zu-eins-Relation von Umweltdaten und Systemzuständen) verfahren kann, sondern dass sie ihre fremdreferentiellen Bezüge selbst hervorbringen und durch rekursive Operationen stabilisieren muss. Darin aber lässt sich eine solche Theorie durch ihre Umwelt irritieren und arbeitet deren für sie unbestimmte bzw. unbestimmbare Komplexität in systemeigene Komplexität um."
(Eberhard Blanke; Systemtheoretische Beobachtungen Bd. IV - Hervorhebungen v. mir)
Die "systeminterne Kopie der Differenz von System und Umwelt" wird später als "re-entry" (Spencer-Brown) gefaßt, als Wiedereinführung der System/Umwelt-Unterscheidung auf seiten des Systems. Auch das scheint mir für das Verständnis der operativen Geschlossenheit und kognitiven Offenheit des Systems von Belang.
Die Maus ist als Systemtheoretikerin nicht besser dran als ihre ontologisch verfahrende Artgenossin. Als Blumenberg-Leserin hätte sie dagegen zumindest eines: Trost.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 12. Nov 2023, 14:16Was heißt das für die Katze möchte die Maus wissen?
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Luhmann unterscheidet hier nicht zwischen Unterscheidungen und Unterschieden. Die Unterscheidungen mögen Leistungen des Systems sein und sie mögen in der Umwelt nicht vorkommen, aber daraus folgt nicht, dass es in der Umwelt keine entsprechenden Unterschiede gibt. Luhmann liefert m.E. kein Argument dafür, dass es in der Umwelt keine Unterschiede geben kann, die das System mit der Unterscheidung einfängt.Niklas Luhmann in "Erkenntnis als Konstruktion" hat geschrieben : Erkenntnis wird [...] durch Operationen des Beobachtens und des Aufzeichnens von Beobachtungen (Beschreiben) angefertigt. [...] Beobachten findet immer dann statt, wenn etwas unterschieden und, in Abhängigkeit von der Unterscheidung, bezeichnet wird. [...] Mit dieser Begriffsfassung, die das Spezifische des Erkennens im Unterscheiden und im dadurch ermöglichten/erzwungenen Bezeichnen sieht, ist zugleich festgelegt, wie die Abkopplung von der Umwelt und damit die Geschlossenheit erkennender Systeme verstanden werden muß. Erkenntnis ist anders als die Umwelt, weil die Umwelt keine Unterscheidungen enthält, sondern einfach ist, wie sie ist. Die Umwelt enthält, mit anderen Worten, kein Anderssein und keine Möglichkeiten. Sie geschieht, wie sie geschieht. [...] Mit anderen Worten: Alles Beobachtbare ist Eigenleistung des Beobachters, eingeschlossen das Beobachten von Beobachtern. Also gibt es in der Umwelt nichts, was der Erkenntnis entspricht; denn alles, was der Erkenntnis entspricht, ist abhängig von Unterscheidungen, innerhalb derer sie etwas als dies und nicht das bezeichnet. In der Umwelt gibt es daher auch weder Dinge noch Ereignisse, wenn mit diesem Begriff bezeichnet sein soll, daß das, was so bezeichnet ist, anders ist als anderes. Nicht einmal Umwelt gibt es in der Umwelt, da dieser Begriff ja nur in der Unterscheidung von einem System etwas bezeichnet, also verlangt, daß man angibt, für welches System die Umwelt eine Umwelt ist. Und ebensowenig gibt es, wenn man von Erkenntnis absieht, Systeme. (Deshalb haben wir oben gesagt, es gibt Systeme.) Die Unterscheidung von System und Umwelt ist selbst eine erkenntnisleitende Operation.