Hannah Arendt im Gespräch mit Joachim C. Fest

Hannah Arendt war eine jüdische deutsch-amerikanische politische Philosophin, Theoretikerin und Publizistin.
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Stefanie
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Fr 22. Jun 2018, 21:42

Im Jahr 1964 fand ein Interview zwischen Hannah Arendt und Joachim Fest statt. Anlass war die Veröffentlichung von "Eichmann in Jerusalem".

Es war ein Radiointerview, welches auch in Textform vorliegt.
Hier nachzulesen:

http://www.hannaharendt.net/index.php/h ... ew/114/194



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Stefanie
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So 24. Jun 2018, 22:51

In diesem Interview sagt Arendt folgenden Satz:
"Kein Mensch hat bei Kant das Recht zu gehorchen."
Sie bezieht sich dabei auf Eichmann, der in ihren Augen die Unverschämtheit hatte, sich auf Kant zu berufen. Was auch in der Tat eine Unverschämtheit war.

Später wurde dieser Satz verkürzt wiedergeben und wird oft verwendet:
"Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen".



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Joachim
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Di 26. Jun 2018, 21:24

Ich habe letztes Jahr eine Hausarbeit geschrieben mit dem Thema "Hannah Arendts Verlassenheit der Masse und der Aufstieg der Identitären Bewegung in Deutschland". Wenn jemand Interesse hat, kann ich sie ihm/ihr gern per Mail schicken. Nachricht genügt.

Joachim



"Under the most diverse conditions and disparate circumstances, we watch the development of the same phenomena - homelessness on an unprecedented scale, rootlessness to an unprecedented depth." Hannah Arendt

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Friederike
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Mi 27. Jun 2018, 09:18

Ich zitiere eine Antwort aus dem Interview, die mich verblüfft hat ... Arendt stellt darin die Dinge auf den Kopf, also meine Sichtweise der Dinge, den gängigen Topos - daß wir gelernt haben, das Gute mit dem Ungerntun zu verknüpfen. Eigentlich noch schärfer, die Unlust wird geradezu zur Garantie oder zum Ausweis des Guten, wie Arendt meint. Deswegen kehrt sie die Versuchung zum Bösen um in die Versuchung zum Guten.
Interview hat geschrieben : Joachim Fest: Eichmann ist ja tatsächlich so klein gewesen, dass ein Beobachter sich fragte, ob man denn nicht vielleicht den falschen Mann erwischt und vor Gericht gestellt habe. Tatsächlich ist er ja auch – das geht ganz eindeutig aus allen Unterlagen hervor – nicht grausam gewesen. Im Gegenteil, es fiel ihm immer wieder schwer, das zu tun, was ihm zu tun aufgetragen war, und er hat ja gerade daraus, dass es ihm besonders schwer fiel, das Gefühl einer Bewährung gezogen.

Hannah Arendt: Ja. Das ist richtig, und das ist ja leider sehr weit verbreitet. Man glaubt, dass man, ob etwas gut oder böse sei, daran ablesen könne, ob man es gern tut oder nicht gern tut. Man glaubt, das Böse ist dasjenige, was immer als Versuchung auftritt, während das Gute dasjenige ist, was man eigentlich von sich aus nie will. Ich halte das alles für vollkommenen Blödsinn, wenn ich mal so sagen darf. Es gibt bei Brecht immer wieder die Darstellung der Versuchung zum Guten, der man widerstehen muss. Wenn man zurückgeht in die politische Theorie, können Sie das bei Machiavelli lesen, sogar in gewissem Sinne bei Kant. Eichmann und sehr viele von den Leuten waren sehr oft versucht, also das zu tun, was wir das Gute nennen. Sie haben dem widerstanden, gerade weil es eine Versuchung war.




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Joachim
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Mi 27. Jun 2018, 12:04

Friederike hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 09:18
Ich zitiere eine Antwort aus dem Interview, die mich verblüfft hat ... Arendt stellt darin die Dinge auf den Kopf, also meine Sichtweise der Dinge, den gängigen Topos - daß wir gelernt haben, das Gute mit dem Ungerntun zu verknüpfen. Eigentlich noch schärfer, die Unlust wird geradezu zur Garantie oder zum Ausweis des Guten, wie Arendt meint. Deswegen kehrt sie die Versuchung zum Bösen um in die Versuchung zum Guten.
Interview hat geschrieben : Joachim Fest: Eichmann ist ja tatsächlich so klein gewesen, dass ein Beobachter sich fragte, ob man denn nicht vielleicht den falschen Mann erwischt und vor Gericht gestellt habe. Tatsächlich ist er ja auch – das geht ganz eindeutig aus allen Unterlagen hervor – nicht grausam gewesen. Im Gegenteil, es fiel ihm immer wieder schwer, das zu tun, was ihm zu tun aufgetragen war, und er hat ja gerade daraus, dass es ihm besonders schwer fiel, das Gefühl einer Bewährung gezogen.

Hannah Arendt: Ja. Das ist richtig, und das ist ja leider sehr weit verbreitet. Man glaubt, dass man, ob etwas gut oder böse sei, daran ablesen könne, ob man es gern tut oder nicht gern tut. Man glaubt, das Böse ist dasjenige, was immer als Versuchung auftritt, während das Gute dasjenige ist, was man eigentlich von sich aus nie will. Ich halte das alles für vollkommenen Blödsinn, wenn ich mal so sagen darf. Es gibt bei Brecht immer wieder die Darstellung der Versuchung zum Guten, der man widerstehen muss. Wenn man zurückgeht in die politische Theorie, können Sie das bei Machiavelli lesen, sogar in gewissem Sinne bei Kant. Eichmann und sehr viele von den Leuten waren sehr oft versucht, also das zu tun, was wir das Gute nennen. Sie haben dem widerstanden, gerade weil es eine Versuchung war.
Ja, Arendt war in ihrem Denken manchmal sehr provokativ.

Ich weiß auch nicht, ob ich Arendt da richtig verstehe. Aber ich stelle es mir so vor: Für einen Menschen wie Eichmann, der (nach Arendts Ansicht) nicht selbst denkt sondern einfach die Befehle von oben ausführt und bekennender Nazi ist mag es natürlich durchaus eine Versuchung sein, Menschen eben nicht in die Gaskammern zu schicken. Aber ob das für solch einen Menschen eine "Versuchung durch das Gute" ist? Und ob man von einer "Versuchung" in diesem Zusammenhang überhaupt reden kann? Das bezweifle ich.

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Jörn Budesheim
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Mi 27. Jun 2018, 13:59

Joachim hat geschrieben :
Di 26. Jun 2018, 21:24
Ich habe letztes Jahr eine Hausarbeit geschrieben mit dem Thema "Hannah Arendts Verlassenheit der Masse und der Aufstieg der Identitären Bewegung in Deutschland". Wenn jemand Interesse hat, kann ich sie ihm/ihr gern per Mail schicken. Nachricht genügt.

Joachim
Was hältst du davon, einfach einen Thread dazu zu machen?




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Friederike
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Mi 27. Jun 2018, 14:43

Joachim hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 12:04
Ja, Arendt war in ihrem Denken manchmal sehr provokativ.
Arendts Interviewantworten sind der erste zusammenhängende Text, den ich überhaupt von ihr gelesen habe. Und es ist nicht nur ihr Denken ... w i e sie ihre Gedanken erbarmungslos, unprätentiös, schlicht und sezierend äußert, das ist mir durch Mark und Bein gegangen. Sie kommt mir äußerst mutig vor, weil sie sich in ihrer Rede doch sehr exponiert. Keine Hintertürchen, keine entwaffnende Rhetorik, es ist so, als würde sie sich mit offenem Visier jeder Kritik stellen.




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Stefanie
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Mi 27. Jun 2018, 15:59

In diesem Zusammenhang passt vielleicht auch folgender Satz von Arendt, der mir auch noch nicht ganz klar ist:

Eine gute Tat für einen bösen Zweck fügt der Welt Güte zu; eine böse Tat für einen guten Zweck fügt der Welt Bosheit zu.

Aus ihrem Denktagebuch, zitiert aus/ nach Salzberger ",Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen", Seite 115.


https://amp.welt.de/print-welt/article1 ... ochen.html



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Friederike
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Mi 27. Jun 2018, 18:16

Joachim hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 12:04
[...] Und ob man von einer "Versuchung" in diesem Zusammenhang überhaupt reden kann? Das bezweifle ich.
Wenn man anstelle von "Versuchung" Impuls, Wunsch, Antrieb o.ä. sagen würde, würde es Dir dann weniger quer gehen? Das heißt, findest Du den religiösen Kontext, in dem das Wort "Versuchung" steht, nicht angemessen? Oder was ist es?




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Friederike
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Mi 27. Jun 2018, 18:25

Stefanie hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 15:59
In diesem Zusammenhang passt vielleicht auch folgender Satz von Arendt, der mir auch noch nicht ganz klar ist: Eine gute Tat für einen bösen Zweck fügt der Welt Güte zu; eine böse Tat für einen guten Zweck fügt der Welt Bosheit zu.
Vielleicht, daß Handlungen entscheidener sind als Ziele oder die Mittel den Zweck dominieren, in ihrer Wirkung?

Das ist mir während des Lesens von Arendts Antworten auch aufgefallen, daß sie in ihren einfachen Sätzen ziemlich widerspenstigen Stoff präsentiert.




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Joachim
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Mi 27. Jun 2018, 21:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 13:59
Joachim hat geschrieben :
Di 26. Jun 2018, 21:24
Ich habe letztes Jahr eine Hausarbeit geschrieben mit dem Thema "Hannah Arendts Verlassenheit der Masse und der Aufstieg der Identitären Bewegung in Deutschland". Wenn jemand Interesse hat, kann ich sie ihm/ihr gern per Mail schicken. Nachricht genügt.

Joachim
Was hältst du davon, einfach einen Thread dazu zu machen?
Jörn, du meinst die Hausarbeit dann als Dateianhang dranhängen? Die PDF-Datei ist knapp 500 kb groß. Ich müsste dann nur meine Adresse entfernen, muss man ja auf das Deckblatt schreiben.

Joachim



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Joachim
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Mi 27. Jun 2018, 21:55

Friederike hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 18:16
Joachim hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 12:04
[...] Und ob man von einer "Versuchung" in diesem Zusammenhang überhaupt reden kann? Das bezweifle ich.
Wenn man anstelle von "Versuchung" Impuls, Wunsch, Antrieb o.ä. sagen würde, würde es Dir dann weniger quer gehen? Das heißt, findest Du den religiösen Kontext, in dem das Wort "Versuchung" steht, nicht angemessen? Oder was ist es?
Hallo Friederike,

nein, mit "Versuchung" habe ich kein Problem. Ich bezweifle eher, dass er solch eine Art der Versuchung überhaupt hatte. Der Mann war Nazi, machte bei der SS Karriere und machte, was man ihm sagte. Warum sollte er sich versucht fühlen, jemanden zu retten, den er in die Gaskammer schickte? Das macht ja gerade u.a. die "Banalität des Bösen" aus, dass er sich eben keine Gedanken über sein tun machte. Er war ja kein "fanatisches Monster", als das man ihn sich gern vorstellte, sondern eben "ein Mann ohne Eigenschaften", der machte was man ihm sagte.

Joachim



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Tosa Inu
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Do 28. Jun 2018, 10:56

Ich weiß nicht, ob man sich zu schnell auf die Arendt Deutungen einlassen sollte. Sie ist mir auch plötzlich ein wenig zu sehr und schnell repopularisiert worden, mitunter aus durchaus dubiosen Kreisen, die gerne mal Verschwörungstheorien raushauen. Das kann man Arendt nicht anlasten, ich finde es nur auffällig.
Ich erinnere mich, dass Jan Ph. Reemtsma, der selbst Gewalt erforscht der Auffassung war, Arendt sei dem keineswegs kleinen und naiven Bürokraten Eichmann auf den Leim gegangen.

Dennoch stimmt nach meiner Kenntnis, dass das Böse eine banale Seite hat und der (narzisstische) Opportunismus ausreicht, um in einem KZ arbeiten und das vor sich rechtfertigen zu können, durchaus auch mit dem Argument, dass man ja nur seine Pflicht tut und von allem weiteren keine Kenntnis besitzt.
Verstörend sind die schroffen Brüche, in der Psyche einiger für Großtötungen verantwortlicher, die eine bürgerliche Fasssade aufrecht erhalten und geheuchelt oder real an den Problemen der lieben Kinderchen Anteil nehmen, gleichzeitig aber jene, die sie zuvor, vor sich und anderen, dehumainisert haben, eiskalt entsorgen.

Wir trauen uns da insofern nicht ran, weil es gut tut, im HItler und Himmler das Monster zu sehen, den so ganz anderen, unbegreifbaren Menschen. Eichmann ist in der Schublade der fiesen kleinen Krämerseele auch gut untergebracht und auf Distanz. Natürlich unterstützt durch Hollywoodfilme, in denen der Nazi stets die etwas tumbe, aber athlethische blonde Bestie war, die nur töten und gehorchen im Sinn hatte, ein durchaus merkwürdiges Narrativ, was sich bis in intellektuelle Kreise hinein beobachten lässt, dass die Deutschen es mit der Freiheit nicht so hätten und vor Revolutionen immer zurückzuckten, etwa, wenn man den klugen und durchaus lesenswerten Götz Aly nimmt.

Die verschiedenen Muster der Menschen, die Nazis waren, in ihrer schmerzhaften Ambivalenz hat Jonathan Littell in Die Wohlgesinnten nachgezeichnet.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Do 28. Jun 2018, 11:18

Joachim hat geschrieben :
Mi 27. Jun 2018, 21:55
nein, mit "Versuchung" habe ich kein Problem. Ich bezweifle eher, dass er solch eine Art der Versuchung überhaupt hatte. Der Mann war Nazi, machte bei der SS Karriere und machte, was man ihm sagte. Warum sollte er sich versucht fühlen, jemanden zu retten, den er in die Gaskammer schickte? Das macht ja gerade u.a. die "Banalität des Bösen" aus, dass er sich eben keine Gedanken über sein tun machte. Er war ja kein "fanatisches Monster", als das man ihn sich gern vorstellte, sondern eben "ein Mann ohne Eigenschaften", der machte was man ihm sagte.
Ich verstehe, was Du meinst, weil ich diese wenigen Sätze von Arendt mehrfach gelesen, sozusagen hin- und hergedreht habe, um herauszufinden, ob es vielleicht Sarkasmus oder Hohn von ihr ist. Ist es aber nicht, glaube ich.




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Friederike
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Do 28. Jun 2018, 13:15

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 10:56
Ich erinnere mich, dass Jan Ph. Reemtsma, der selbst Gewalt erforscht der Auffassung war, Arendt sei dem keineswegs kleinen und naiven Bürokraten Eichmann auf den Leim gegangen.
Warum Reemtsa, den ich sehr schätze, dieser Auffassung ist, das würde mich interessieren ... das interessiert mich.
T.I. hat geschrieben : Dennoch stimmt nach meiner Kenntnis, dass das Böse eine banale Seite hat und der (narzisstische) Opportunismus ausreicht, um in einem KZ arbeiten und das vor sich rechtfertigen zu können, durchaus auch mit dem Argument, dass man ja nur seine Pflicht tut und von allem weiteren keine Kenntnis besitzt.
Hm, ich finde die Erkenntnis bzw. die Sichtweise (denn was nun wahr ist, das weiß ich nicht und das weiß kein Mensch), daß das Böse nicht nur eine banale Seite hat, sondern selbst "banal" ist, außerordentlich wichtig. Und zwar deswegen, weil sie uns direkt in uns selbst und in unsere Gesellschaft hineinstößt. Das heißt:
T.I. hat geschrieben : Eichmann ist in der Schublade der fiesen kleinen Krämerseele auch gut untergebracht und auf Distanz.
Es geht nicht um die Person "Eichmann", sondern um den Typus "Eichmann", und es geht um die Bürokratisierung einer Tötungsmaschinerie, in der dieser Typus funktioniert. Aus diesem Grunde meine ich, @T.I., daß wir ihn gerade nicht auf "Distanz" haben, wenn wir ihn für eine miese Krämerseele ansehen. Die miese Krämerseele kann ich in mir selber viel besser wiederfinden als die böse brutale Dämonin.




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Friederike
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Do 28. Jun 2018, 13:26

Ich glaube, ich habe es mehrfach schon geschrieben, aber ich schreibe es noch einmal, weil es mir so aufschlußreich vorkommt. In einem Interview, das im Fernsehen gezeigt wurde, hat ein amerikanischer Soldat gesagt, daß der Vorteil der Dronen sei, daß er an seinem Arbeitsplatz sitzen und "arbeiten" und am Abend nachhause gehen kann. Er hat das vollen Ernstes gesagt, es war nicht der Hauch einer Ironie zu erkennen. Das ist zwar ein anderer Aspekt als ein staatlich durchverwaltetes Töten, aber es zeigt das Böse so "banal" wie es ist.




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Do 28. Jun 2018, 13:45

Friederike hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 13:15
Warum Reemtsa, den ich sehr schätze, dieser Auffassung ist, das würde mich interessieren ... das interessiert mich.
Ich weiß noch genau, wo ich es hörte, es war in der Sendung "Das philosophische Radio" auf WDR5, aber leider ist die Sendung nicht mehr verfügbar.
(Ich habe auch schon mal gewühlt, da gibt es angeblich WDR externe Archive, wo die Sendung gelistet ist, aber bei mir klappte das nie. Ich glaube das Sendejahr war 2013.)
Reemtsma erläuterte das auch nicht groß, er stellte es nur so da, als wenn das eine halbwegs gesicherte Annahme sei.
Friederike hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 13:15
Es geht nicht um die Person "Eichmann", sondern um den Typus "Eichmann", und es geht um die Bürokratisierung einer Tötungsmaschinerie, in der dieser Typus funktioniert. Aus diesem Grunde meine ich, @T.I., daß wir ihn gerade nicht auf "Distanz" haben, wenn wir ihn für eine miese Krämerseele ansehen. Die miese Krämerseele kann ich in mir selber viel besser wiederfinden als die böse brutale Dämonin.
Klar, findet man bei jedem DDR Grenzsoldaten, im Kleinen aber auch beim Sachbarbeiter im Amt oder der Grundschullehrerin, sogar beim Ordner eines Volkslaufs, der für ein paar Stunden eine Binde um den Arm tragen und im Kleinstrahmen Schicksal spielen darf.
Das verbindende Element ist der latente Sadismus.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Do 28. Jun 2018, 13:56

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 13:45
Das verbindende Element ist der latente Sadismus.
Ja. Jetzt erlaube i c h mir eine kleine Abschweifung zum Psychologischen, weil ich der Auffassung bin, daß das Bejahen (das "Bejahen"!) der eigenen sadistischen, ich mag das Wort kaum tippen, Regungen wichtig dafür ist, daß man sie nicht aus-agiert.




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Friederike hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 13:56
Jetzt erlaube i c h mir eine kleine Abschweifung zum Psychologischen, weil ich der Auffassung bin, daß das Bejahen (das "Bejahen"!) der eigenen sadistischen, ich mag das Wort kaum tippen, Regungen wichtig dafür ist, daß man sie nicht aus-agiert.
Völlig korrekt.

Tiefenpsychologie ist im Grunde sehr einfach:
1. Alles was dich draußen (in 'der Gesellschaft', am anderen) stört, ist dein eigener Schatten (dein eigenes Unbewusstes).
2. Erkennt man seinen Schatten (sein Unbewusstes), muss man ihn nicht agieren, zumindest hat man die Wahl.

Dazwischen (zwischen Theorie und Praxis) liegen dann 500 Stunden Analyse, 20 Jahre Meditation und eine 5 Meter philosophsiche Bücherreihe (im Längsformat und hochkant, versteht sich), sowie literweise Blut, Schweiß und Tränen.



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Joachim
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Do 28. Jun 2018, 14:57

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 14:09
Friederike hat geschrieben :
Do 28. Jun 2018, 13:56
Jetzt erlaube i c h mir eine kleine Abschweifung zum Psychologischen, weil ich der Auffassung bin, daß das Bejahen (das "Bejahen"!) der eigenen sadistischen, ich mag das Wort kaum tippen, Regungen wichtig dafür ist, daß man sie nicht aus-agiert.
Völlig korrekt.

Tiefenpsychologie ist im Grunde sehr einfach:
1. Alles was dich draußen (in 'der Gesellschaft', am anderen) stört, ist dein eigener Schatten (dein eigenes Unbewusstes).
2. Erkennt man seinen Schatten (sein Unbewusstes), muss man ihn nicht agieren, zumindest hat man die Wahl.

Dazwischen (zwischen Theorie und Praxis) liegen dann 500 Stunden Analyse, 20 Jahre Meditation und eine 5 Meter philosophsiche Bücherreihe (im Längsformat und hochkant, versteht sich), sowie literweise Blut, Schweiß und Tränen.
Und je nachdem muss man dann die Analyse unter Umständen auch noch selbst bezahlen. Aber gut, 5 Meter Philosophie werden ja auch nicht von der Krankenkasse erstattet ;-)

Joachim



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