Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt

Hannah Arendt war eine jüdische deutsch-amerikanische politische Philosophin, Theoretikerin und Publizistin.
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Dia_Logos
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So 1. Apr 2018, 19:28

Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt



Gaus: Frau Hannah Arendt, Sie sind die erste Frau, die in dieser Reihe vorgestellt werden soll. Die erste Frau, wenn auch freilich mit einer nach landläufiger Vorstellung höchst männlichen Beschäftigung: Sie sind Philosophin. Ich komme von dieser Vorbemerkung zu meiner ersten Frage: Empfinden Sie Ihre Rolle im Kreis der Philosophen, trotz der Anerkennung und des Respekts, die man Ihnen zollt, als eine Besonderheit – oder berühren wir damit ein Emanzipationsproblem, das für Sie nie existiert hat?

Arendt: Ja, ich fürchte, ich muß erst einmal protestieren. Ich gehöre nicht in den Kreis der Philosophen. Mein Beruf – wenn man davon überhaupt noch sprechen kann – ist politische Theorie. Ich fühle mich keineswegs als Philosophin. Ich glaube auch nicht, daß ich in den Kreis der Philosophen aufgenommen worden bin, wie Sie freundlicherweise meinen. Aber wenn wir auf die andere Frage zu sprechen kommen, die Sie in der Vorbemerkung anschnitten: Sie sagen, es ist landläufig eine männliche Beschäftigung. Das braucht ja nicht eine männliche Beschäftigung zu bleiben! Es könnte ja durchaus sein, daß eine Frau einmal eine Philosophin sein wird ...

Gaus: Ich halte Sie für eine Philosophin ...

Arendt: Ja, also dagegen kann ich nichts machen

Quelle: https://www.rbb-online.de/zurperson/int ... annah.html




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Stefanie
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Mo 2. Apr 2018, 18:03

Die Dame gefällt mir, wie sie u.a. höflich widerspricht.

Zitat:
"Ich muss verstehen"

Eine kurze Aussage von Hannah Arendt, was für sie "Verstehen" ist:
Verstehen ist eine nie endende Tätigkeit, die uns dazu dient, die Wirklichkeit zu begreifen, unsmit ihr zu versöhnen, d.h. mit deren Hilfe wir versuchen, in der Welt zu Hause zu sein.

Das Urteilen, Hannah Arendt, Piper Verlag 1998, Herausgegeben von Ronald Beier. Seite 121



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Stefanie
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Di 3. Apr 2018, 19:14

In dem Interview werden viele Punkte und Denkansätze aus dem bis dahin vorliegenden Werk von Hannah Arendt angesprochen. Für mich etliches, was ich überhaupt noch nicht durchgedacht habe, bzw. noch nicht zu Gänze gelesen habe. Also beschränke ich mich auf das, worüber ich mal gelesen habe. So scheibchenweise, so als Startpunkt.

In dem Interview wird auf ihr Buch über den Eichmann Prozess kurz eingegangen.
Arendt hat in diesem eine Aussage getroffen, über die immer noch viel diskutiert wird, und die sehr sehr bekannt geworden ist: Banalität des Bösen.
Ein Satz aus dem Buch, zur Hinrichtung von Eichmann:
"In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten - das Fazit von der furchtbaren Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert."
Hannah Arendt
Eichmann in Jerusalem
Ein Bericht von der Banalität des Bösen
Piper Taschenbuch 13. Auflage 2004, Seite 371



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Stefanie
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Di 3. Apr 2018, 19:27

Die Kritik an ihrem Buch über den Eichmann Prozess bezieht sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:
Ihre Darstellung der Judenräte,
Ihr - nicht nur ihre- Ansicht, dass Eichmann nicht wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk, sondern wegen Verbrechen an der Menschheit vor Gericht hätte gestellt werden müssen,
Banalität des Bösen,
Und wegen ihres ironischen, sarkastischen Schreibstil.

Arendt wird u.a. deswegen nicht in Israel verlegt, wie auch Raul Hillenberg.



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Joachim
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Mo 16. Apr 2018, 14:44

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die "Virtual Reading Group" des Hannah Arendt Center ( http://hac.bard.edu/) hinweisen. Passend zur Amtseinführung von Donald Trump im letzten Jahr begannen wir mit der Diskussion von Arendts "Origins of Totalitarianism" (die erste Sitzung war am Tag seiner Vereidigung ;) ). Die Videos der einzelnen Sitzungen findet man ab hier: https://vimeo.com/search/page:2/sort:la ... dt+Center . Dazu auch Einführungsvideos zu den jeweiligen Textabschnitten mit dem Leiter des HAC, Roger Berkowitz.

Ist halt alles auf Englisch, aber vielleicht trotzdem für manche interessant und nützlich.

Joachim



"Under the most diverse conditions and disparate circumstances, we watch the development of the same phenomena - homelessness on an unprecedented scale, rootlessness to an unprecedented depth." Hannah Arendt

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Stefanie
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Mo 16. Apr 2018, 19:31

Danke für den Tipp. Ich habe reingehört, mein Englisch hat aber nicht ausgereicht. Tja, hätte ich in der Schule mal besser aufgepasst.



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Joachim
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 16. Apr 2018, 19:31
Danke für den Tipp. Ich habe reingehört, mein Englisch hat aber nicht ausgereicht. Tja, hätte ich in der Schule mal besser aufgepasst.
Ich muss gestehen, ich war in der Schule in Englisch auch nicht so gut. Ich habe aber dann später viele Jahre in meiner Freizeit für ai gearbeitet, und da wird man dann halt schon mit Englisch konfrontiert und ich musste wohl oder übel mich hineinfinden. Jetzt bin ich darin ziemlich fit. Wobei American English ja noch mal 'ne Sache für sich ist ;-)

Joachim



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