ordo planetarum oder von der Verspätung der Wahrheit

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
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Nauplios
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Urstiftung und Vergessenheit. - Springt man aus den Schriften der frühen Phänomenologie in die späte Krisis-Abhandlung, dann fällt die Historisierung im Denken Husserls auf. Die Krisis aller neuzeitlichen Wissenschaft unterspült die europäische Kultur in ihrer Gesamtheit. Daraus könnte auch eine Vision der Zukunft entstehen, aber es handelt sich bei der Krisis eher um eine Vision der Vergangenheit. Vergessen sind Urstiftung dieser Kultur und Urstifter. Von "Erben und Mitträgern der durch die Philosophie hindurchgehenden Willensrichtung" spricht Husserl in der Krisis-Abhandlung (S. 72), von "Funktionären der Menschheit". - Was sich hier andeutet, wird Blumenbergs Thema in Lebenszeit und Weltzeit sein, das die Geschichte das episodische Dasein des Menschen in beide Richtungen der Zeit überdauert: die unendliche Aufgabe der Phänomenologie und die Endlichkeit des phänomenologischen Subjekts. Es ist der "verborgene Gott" der Phänomenologie.

"Die am wenigsten metaphysische Philosophie dieses Jahrhunderts, die Phänomenologie, eine an die Beschreibung der ˋSachen selbst´ programmatisch gebundene Disziplin, hat eine Kryptotheologie. Sie ist zugleich die Verhinderung dessen, daß es eine phänomenologische Anthropologie gegeben hat oder geben darf. Der Gott des Phänomenologen ist zuerst sein Rivale um Erkenntnisgewißheit, dann der Inbegriff derjenigen Subjektivität, die das ˋwelthafte´ Subjekt durch phänomenologische ˋMeditation´ selbst zu werden beansprucht. Wenn das so ist, liegt die Chance einer phänomenologischen Anthropologie in der Resistenz gegen kryptotheologische Rivalität." (Hans Blumenberg; Ein mögliches Selbstverständnis; S. 139f.) -




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epitox
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Mi 14. Aug 2019, 13:55

Nauplios hat geschrieben :
Mo 15. Jul 2019, 17:52
Allzu viel wissen zu wollen, hat von jeher den Argwohn kirchlicher Instanzen bewirkt, insbesondere dann, wenn solche Instanzen den Moraldiskurs von Gesellschaften dominierten. Augustinus´ concupiscentia oculorum, die Augenlust, stand im lateinischen Mittelalter in Verdacht der Weltverfallenheit. Zu sehen, was zu sehen dem menschlichen Auge nur mit erfindungsreichen Listen möglich war, galt als Ausdruck jener von Augustinus in den Lasterkatalog verbannten curiositas, der Neugierde.
Nein, ganz im Gegenteil. Augustinus begreift nämlich den Sehsinn nicht nur als eine Eigenschaft der Augen, sondern das Sehen ist das Symbol des Erfahrens im Allgemeinen. Sinne sind für Augustinus etwas Erkenntnissmäßiges. Die concupiscentia oculorum wird als ein "sich umsehen" gedeutet - als "bloßes Sehenwollen". Diese Wissbegierde führt allerdings in die Zerstreuung und damit weg von der Erkenntnis wie die Dinge recht gebraucht werden sollten und somit auch weg von der Erkenntnis Gottes.

Augustinus will mit seinen Betrachtungen prinzipiell diejenigen Grundantriebe des Menschen freilegen, die ihn in die Not (Lebenslast), Schuldverstrickung, in das Leid, in die Selbstversklavung und letztlich in die Gottesferne treiben. Er warnt deshalb - auch aufgrund eigener Erfahrungen - vor einem Umgang des Menschen mit seinen Begierden, die jedes Maß und jede Verantwortung vor sich selbst und vor Gott verloren haben. Die Konsequenzen, die aus der Nichtbeachtungen der Zusammenhänge herrühren, erkennen wir am heutigen Zustand von Welt und Gesellschaft deutlichst.




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Nauplios
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Mi 14. Aug 2019, 14:44

Kölner Mediaevistentagung

Philosophische Fakultät Kölner Mediaevistentagung

CURIOSITAS

42. Kölner Mediaevistentagung
7.–11. September 2020

In der Rehabilitierung der theoretischen Neugierde sah Hans Blumenberg das herausragende epochenspezifische Merkmal, das der Neuzeit gegenüber der Antike und vor allem gegenüber dem Mittelalter ihre epochale Eigenständigkeit verleihe. Damit sei zudem der entscheidende Grund für die Geburt des modernen Wissenschaftsverständnisses benannt, das zuvor nicht zuletzt durch den theologisch moti­vierten curiositas-Vorbehalt in seiner Entfaltung gehindert worden sei. Als einer der frühesten ­historischen Zeugen gilt Augustinus, der im Anschluss an den römischen Stoizismus und in Auseinandersetzung mit Manichäismus und Gnosis die c­uriositas als fehl­geleitete und im Grunde eitle und schädliche Neugier beschreibt, die der weisheit­lichen Orientierung an den ewigen und göttlichen Dingen entbehrt und auf diese Weise zu einem Kardinallaster wird. Hierbei wird die falsche Augenlust (concupiscentia oculorum) zum Modell triebhafter Selbstgenügsamkeit des »kuriosen« Sich-selbst-Überlassens an die Welt der Erscheinungen.

Augustins Bestimmung und Verständnis der curiositas hat in der Tat Konjunktur gehabt. Sie bestimmt begriffsgeschichtlich und konzeptionell den Diskurs um das The­orieverständnis im lateinischen Abendland. Hierbei scheint der Begriff der curiositas in seiner Bedeutung festglegt: als Laster steht die vana curiositas komplementär zur concupiscentia, die sich orientierungslos und selbstbezüglich auf die falschen Gegen­stände richtet (Theater, Magie, Sterne, Begierden). Zudem ist die curiositas, die als Fehlform des studium veritatis cognoscendae einer inordinatio appetitus entspringt, der Ausgangspunkt des Sündenfalls. http://kmt.phil-fak.uni-koeln.de/10208.html




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Nauplios
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Mi 14. Aug 2019, 15:05

Hallo Epitox,
schön, mal wieder etwas von Dir zu lesen. ;)

Wie ich sehe, hast Du Pierfrancesco Stagi, Der faktische Gott gelesen.

Ich habe auf die Schnelle mal oben eine Fundstelle zitiert, die sich mit der concupiscentia oculorum als "Modell der triebhaften Selbstgenügsamkeit, des 'kuriosen' Sich-selbst-überlassens an die Welt der Erscheinungen" beschäftigt. - Ich lese auch Stagi in genau diesem Sinne. Konkupiszenz bezeichnet an sich ja bereits das Verfallenensein des Menschen an die Welt. (vgl.: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Konkupiszenz

(Der Verfasser des Wikipedia-Artikels bezieht sich sogar exemplarisch auf Augustinus und die concupiscentia oculorum als "triebhaftes Genießen sinnlicher Erfahrung, das sich an allem ergötzen kann".) -

Also mir ist gar keine andere Auslegung der confessiones und der concupiscentia oculorum als lasterhafte Augenlust bekannt.




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epitox
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Mi 14. Aug 2019, 16:18

Nauplios hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 15:05
Wie ich sehe, hast Du Pierfrancesco Stagi, Der faktische Gott gelesen.
Hallo Nauplios,

ich freue mich auch sehr etwas von dir hier zu lesen.

Als ich diesen thread von dir entdeckte, fiel mir erst mal nur dieser Begriff aus dem Johannesbrief auf, auf den sich dann Augustinus etwa 300 Jahre später bezieht. In dem von dir zitierten Buch gibt es allerdings interessante Formulierungen des Autors und Erläuterungen von Heidegger, die sich mit Augustinus thematisch sicher erst mit Hilfe des schon erwähnten 1. Johannesbriefes verbinden lassen.

In dem Johnnesbrief geht es allgemein um die Etablierung von communio (Gemeinschaft, ecclesia, etwas was alle Christen gemeinsam haben und was sie miteinander verbindet). Insbesondere geht es dort um die Liebe Gottes. Es gibt zwei Hauptteile. Die Weltentsagung steht am Ende des 1. Teils Die dort thematisierte Gier wird mit den Hinweis auf den Dekalog verboten. (Du sollst nicht begehren) Die Laster führen in die „Liebe zur Welt“. Sie ist exakt das Gegenteil jener Weltliebe, in der nach Joh 3,16 der Vater den Sohn gegeben hat, damit die Gläubigen gerettet werden. Verbunden mit der falschen Weltliebe aus Gier ist eine Faszination für das Böse gegeben und damit eine daraus bewirkten moralischen Verwirrung des Menschen. Konsequenz: Verlust der heiligmachenden Gnade Gottes.

Wichtig zu verstehen ist es hier, dass die Verfasser des Johannesbriefes im ersten Teil zwar deutlich moralisch argumentieren, aber immer soteriologisch im Hinblick auf einen möglichen Verlust der Gnade Gottes. Der Mensch soll sich an das Ewige binden (Gott) und nicht an das Vergängliche (Welt).

Auf diesen Überlegungen und ihrer Rezeptionsgeschichte baut nun Augustinus seine späteren Ausführungen auf.




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epitox
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Mi 14. Aug 2019, 19:38

Nauplios hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 15:05
Also mir ist gar keine andere Auslegung der confessiones und der concupiscentia oculorum als lasterhafte Augenlust bekannt.
Ja, bei der Sache mit Blumenberg scheint es sich so zu verhalten wie bei der Befragung beliebiger Atheisten über die Grundaussage des Christentums, über Sinn und Ziel des Menschen (um mal bei der Theologie zu verweilen). Man gewinnt aus solchen Befragungen ein Sammelsurium von abstrusen, sinn- und geistlosen Häresien, wie man sie sich selbst - bei aller Fantasie - nicht hätte ausdenken können. Der Erkenntniswert daraus wäre demnach sehr schmal , zwar nicht immer ganz falsch, aber dennoch würden die Dimensionen des Glaubens nur schrecklich entstellt daraus hervorgehen. Bei Blumenberg mag das aufgrund seines fachspezifischen, methodischen Vorgehens ungewollt (in einer leichten Form) auch der Fall sein. Das wäre auch als eine Erklärung zu verstehen, dir hier zum Thema antworten zu wollen.




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Mi 14. Aug 2019, 20:13

epitox hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 19:38
Nauplios hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 15:05
Also mir ist gar keine andere Auslegung der confessiones und der concupiscentia oculorum als lasterhafte Augenlust bekannt.
Ja, bei der Sache mit Blumenberg scheint es sich so zu verhalten wie bei der Befragung beliebiger Atheisten über die Grundaussage des Christentums, über Sinn und Ziel des Menschen (um mal bei der Theologie zu verweilen). Man gewinnt aus solchen Befragungen ein Sammelsurium von abstrusen, sinn- und geistlosen Häresien, wie man sie sich selbst - bei aller Fantasie - nicht hätte ausdenken können. Der Erkenntniswert daraus wäre demnach sehr schmal , zwar nicht immer ganz falsch, aber dennoch würden die Dimensionen des Glaubens nur schrecklich entstellt daraus hervorgehen. Bei Blumenberg mag das aufgrund seines fachspezifischen, methodischen Vorgehens ungewollt (in einer leichten Form) auch der Fall sein. Das wäre auch als eine Erklärung zu verstehen, dir hier zum Thema antworten zu wollen.
Ein "Sammelsurium von abstrusen, sinn- und geistlosen Häresien" mit "sehr schmalem Erkenntniswert" und bei Blumenberg "mag das ... ungewollt ... auch der Fall sein"?? :o

Im Verlauf dieses Threads gab es desöfteren Anlaß für mich, auf Widerspruch, auch auf heftigen, gefaßt zu sein. Stattdessen umgab solche Anlässe jeweils beredtes Schweigen, das ich mir nicht anders als stummes Einverständnis erklärt habe. :-)

Daß nun ausgerechnet eine Selbstverständlichkeit, die man sich noch verständlicher machen kann durch Anklicken beliebiger Fundstellen unter Eingabe von "concupiscentia oculorum" + "Augustinus", zum Befund der "sinn- und geistlosen Häresie" geeignet ist, macht mich für den Moment sprachlos. :-)

Richtig ist, daß Theologen Blumenbergs Matthäuspassion als eine Abrechnung mit dem Christentum verstehen können, ansonsten möge die Tatsache, daß Blumenberg zeit seines Lebens Mitglied der katholischen Kirche gewesen ist (wie der hier Schreibende auch), die Anklage der "Häresie" abmildern - wenigstens für ihn. :-)




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Nauplios hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 20:13
Ein "Sammelsurium von abstrusen, sinn- und geistlosen Häresien" mit "sehr schmalem Erkenntniswert" und bei Blumenberg "mag das ... ungewollt ... auch der Fall sein"?? :o

Nein, dieser Kurzschluss wäre hart und unangemessen. Blumenberg hat durchaus schon anderweitig zugegeben, dass die curiositas keineswegs die Negation von Welterkenntnis bedeutet muss, sondern eher ihre Degenerationsform darstellt.

Augustinus: die Dinge zeigen sich nicht mehr dem Menschen, sondern sie werden dem Menschen von Gott gezeigt.




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Do 15. Aug 2019, 11:34

Nauplios hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 20:13
Richtig ist, daß Theologen Blumenbergs Matthäuspassion als eine Abrechnung mit dem Christentum verstehen können, ansonsten möge die Tatsache, daß Blumenberg zeit seines Lebens Mitglied der katholischen Kirche gewesen ist (wie der hier Schreibende auch), die Anklage der "Häresie" abmildern - wenigstens für ihn. :-)
Ich kann nicht und möchte nicht über das Christsein Blumenbergs abschließende Urteile aussprechen, aber Blumenberg betrachtet das Christentum aus seinen historischen, kulturellen Zusammenhängen und (philosophischen) Abhängigkeiten heraus. Nicht aber aus den Augen des Lehramtes oder der heutigen Theologie oder etwa aus dem Glauben heraus. Daran ist natürlich erst einmal nichts verkehrt. Das ist erlaubt und willkommen. Aber aus einer solchen Perspektive heraus lässt sich dann aber eben auch nicht mehr die ursprüngliche Lehre der Kirche rekonstruieren.Darin besteht allerdings unser heutiges Verhängnis. Dieses Defizitäre im Verständnis des Christentums ist ein Mangel, dem man entgegentreten muss, wenn seine Kritik überhaupt verständlich werden soll.




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Nauplios
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Do 15. Aug 2019, 15:01

epitox hat geschrieben :
Do 15. Aug 2019, 11:34
Nauplios hat geschrieben :
Mi 14. Aug 2019, 20:13
Richtig ist, daß Theologen Blumenbergs Matthäuspassion als eine Abrechnung mit dem Christentum verstehen können, ansonsten möge die Tatsache, daß Blumenberg zeit seines Lebens Mitglied der katholischen Kirche gewesen ist (wie der hier Schreibende auch), die Anklage der "Häresie" abmildern - wenigstens für ihn. :-)
Ich kann nicht und möchte nicht über das Christsein Blumenbergs abschließende Urteile aussprechen, aber Blumenberg betrachtet das Christentum aus seinen historischen, kulturellen Zusammenhängen und (philosophischen) Abhängigkeiten heraus. Nicht aber aus den Augen des Lehramtes oder der heutigen Theologie oder etwa aus dem Glauben heraus. Daran ist natürlich erst einmal nichts verkehrt. Das ist erlaubt und willkommen. Aber aus einer solchen Perspektive heraus lässt sich dann aber eben auch nicht mehr die ursprüngliche Lehre der Kirche rekonstruieren.Darin besteht allerdings unser heutiges Verhängnis. Dieses Defizitäre im Verständnis des Christentums ist ein Mangel, dem man entgegentreten muss, wenn seine Kritik überhaupt verständlich werden soll.
"Urteile aussprechen"... "Häresie"

Jetzt mal im Ernst:

Häresie ist das Antipodische zur Orthodoxie. Orthodoxie bedeutet, es gibt eine Lehrmeinung. Häresie ist die Abweichung von dieser Lehrmeinung. Du sprichst von der "ursprünglichen Lehre der Kirche". - In der Philosophie (und es geht hier um die Philosophie) gibt es eine Vielzahl von Lehrmeinungen, von Meinungen überhaupt, von Abweichungen von Meinungen - nicht selten innerhalb eines Philosophenlebens. Vielfalt ist hier angesagt. Das ist noch keine Beliebigkeit. Vielfalt bedeutet: es gibt keine Orthodoxie und es gibt keine Häresie. Philosophen kritisieren einander. Philosophen verfolgen einander nicht - es sei denn, es handle sich um einen Chefideologen, der im Auftrag der Partei mißliebige Stimmen, "Abweichler", "Konterrevolutionäre" zum Schweigen bringt. -

Niemand wird bestreiten, daß es in der Philosophie abweichende Meinungen zu Blumenbergs These der "Legitimität der Neuzeit" gibt. Kurt Flasch könnte man nennen, Carl Schmitt u.a. Von Häresie spricht dort niemand. Von Häresie kann nur sprechen, wer sich einer Orthodoxie verpflichtet fühlt. Dann kann man von "beliebigen Atheisten" sprechen, von einem "Mangel, dem man entgegentreten muß" u.dgl. -

Mit dem Flammenschwert der Häresie ist philosophisch nichts zu gewinnen. -




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epitox
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Do 15. Aug 2019, 17:45

Nauplios hat geschrieben :
Do 15. Aug 2019, 15:01
Vielfalt bedeutet: es gibt keine Orthodoxie und es gibt keine Häresie. ...
Nein, es ist gerade anders herum. Orthodoxie im Glauben fördert geradezu eine Vielfalt von Einstellungen und Weisen des Zusammenlebens der Gemeinden und in Gemeinschaft mit der Welt. Sie fördert und verstärkt den Austausch im Glauben.Sie befördert das Glaubensleben und bewirkt eine tiefere Durchdringung der Lehre im Leben des Gläubigen. In der Theologie hat man dafür einen bestimmten Begriff geprägt: den Glaubenssinn der Gläubigen ( sensus fidei).

Das Lehramt der Kirche äußert keine Meinung, sondern legt den Glauben der Kirche und der katholischen Lehre, wie sie von der Heiligen Schrift, der apostolischen Überlieferung bezeugt wird, dar. Das Lehramt steht dabei nicht etwa über der Heiligen Schrift oder über der Überlieferung, sondern muss bei einer Entscheidung beide jeweils berücksichtigen. D.h. auch dem einzelnen Gläubigen kommt bzgl der H. Schrift und der Überlieferung keine Sonderrechte zu. "Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes authentisch auszulegen, ist allein dem lebendigen Lehramt der Kirche“ — das heißt den Bischöfen in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, dem Bischof von Rom — "anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird“ (DV 10).

Nach diesen Erläuterungen kann man nun auch verstehen warum im CIC die Häresie wie folgt definiert wird: "Häresie nennt man die nach Empfang der Taufe erfolgte beharrliche Leugnung einer mit göttlichem und katholischem Glauben zu glaubenden Wahrheit oder einen beharrlichen Zweifel an einer solchen Glaubenswahrheit; ... (can. 751).

Wenn man nun irgendwelche Leute auf der Straße befragt über bestimmte Sachverhalte des Glaubens, so ist unschwer einzusehen dass sie zu bestimmten Verständnisweisen neigen, die nicht mit dem Lehramt vereinbar sind und auch in der Sache selbst nicht sehr stimmig sein können. Beide Sachverhalte werden von ihnen aber nicht selber erkannt.Warum ist das so? Nicht so sehr wegen ihrer Glaubensferne, sondern eher aufgrund fehlende Bildung auf dem Gebiet des Glaubens. Es sind die Grundlagen verlorengegangen, auf denen sich Kritik überhaupt aufbauen, formulieren und verstehen lässt. Auf diesen Punkt wollte ich hinweisen. Welche theol. Grundüberzeugungen hingegen Blumenberg als Philosoph und Historiker besitzt, kann ich im einzelnen nicht abschätzen., sondern nur versuchen indirekt ausfindig zu machen.




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Nauplios
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Do 15. Aug 2019, 19:47

Du beharrst auf das Exklusivrecht der Theologie, Begriffe wie "Häresie", "Orthodoxie" u.ä. so auszulegen wie sie dem Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici) mit seinen 2414 canones entsprechen. - Im philosophischen Diskurs ist aber die Erbfolge von Begriffen nicht nach einem Codex iuris geregelt. Dieser Diskurs flottiert frei. Er wildert in den Einzelwissenschaften, er wildert in der Kunst, er wildert in der Literatur und er wildert auch in der Theologie. Die "Legitimität der Neuzeit" besteht u.a. auch darin, die christlich geprägte Tradition des Abendlandes zum Gegenstand historischer Betrachtungen zu machen. Es gibt kein theologisches Exklusivrecht auf Auslegung lateinischer oder griechischer Kirchenväter. Der formelle Häretiker zieht sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu (CIC, can. 1364). - Aus der Philosophie wird man nicht exkommuniziert. Philosophie unterliegt nicht dem Kirchenrecht. In der Philosophie gibt es keine Tatstrafe. -

Art. 5 GG (3): "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung."

Treue zur Verfassung. Nicht Treue zum katholischen Glauben.

Viel mehr gibt es von meiner Seite eigentlich dazu nicht zu sagen. -




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epitox
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Do 15. Aug 2019, 21:22

Nauplios hat geschrieben :
Do 15. Aug 2019, 19:47
Du beharrst auf das Exklusivrecht der Theologie, Begriffe wie "Häresie", "Orthodoxie" u.ä. so auszulegen wie sie dem Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici) mit seinen 2414 canones entsprechen.
Ja, beinahe ist das richtig was du sagst. Als Begründung dient mir der gleiche Paragraf auf den du dich auch beziehst: Nicht nur die Wissenschaften als solche, sondern auch die Einzelwissenschaften untereinander sind den jeweils anderen gegenüber frei. Insbesondere sind sie darin frei über ihre eigene Begrifflichkeit selbst zu bestimmen. Exklusive Rechte kann man nicht ableiten. Vielleicht darf ich dich auch daran erinnern, dass die Kirche und ihr Recht universal sind. Das GG hat blo0 regionale Bedeutung - ganz zu schweigen von einer universale Reichweite.

Ich habe das Gefühl dass wir aneinander vorbeireden. In einer fruchtbaren Diskussion und Auseinandersetzung (insbesondere über Christentum, Kirche oder Glauben) sollte man es tunlichst vermeiden Strohmann-Diskussionen zu führen. D.h. die Dinge so darzulegen, wie sie beispielsweise von den Kirchen überhaupt nicht vertreten oder verstanden werden, um dann eine Kritik ohne ein gesichertes Fundament darauf aufzubauen. Das ist unredlich. Zur Unredlichkeit gehört letztlich auch das Ignorieren oder Leugnen der jeweiligen kontextabhängigen fachspezifischen Begrifflichkeiten. Natürlich hat der Begriff "Häresie" in Bezug auf philosophische Lehrsysteme eine etwas andere Bedeutung und erfährt auch dort selbstverständlich keine rechtliche Würdigung im Zusammenhang mit der Taufe - im kirchlichen Kontext sieht das jedoch - wie weiter oben dargelegt - völlig anders aus. Ich halte es daher für sinnlos mich von dieser Seite aus angreifen zu wollen.
In der Philosophie gibt es keine Tatstrafe
In der Theologie auch nicht.

Vielleicht noch zwei abschließende Gedanken:
  • Speziell seit dem Vaticanum II betont man die Rolle der Kirche als „Interpretationsgemeinschaft“. Diese wird als kreative Interpretationsgemeinschaft gesehen, die an der Konstruktion des Textsinns wesentlichen Anteil hat. Es kann unterschiedliche Interpretationen derselben Texte geben und gleichberechtigte Leseweisen unterschiedlicher Interpretationsgemeinschaften (zum Beispiel der jüdischen und christlichen Glaubensgemeinschaft). Auch das Apostolische Schreiben Verbum Domini aus dem Jahr 2010 sieht die Kirche als inspirierte Lehr- und Lerngemeinschaft.
  • Im Konzil wird die Forderung nach Freiheit der Forschung, der Kunst, der Eltern in der Kindererziehung oder der politischen Freiheit sowie der Pressefreiheit gestellt Das Konzil stellt zudem fest, dass durch kein menschliches Gesetz die persönliche Würde und Freiheit des Menschen mehr geschützt werden könne als durch das Evangelium. Damit bekommen Würde und Freiheit des Menschen noch einmal mehr eine universale Bedeutung.




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Nauplios
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epitox hat geschrieben :
Do 15. Aug 2019, 21:22
Ich habe das Gefühl dass wir aneinander vorbeireden.
Ich habe die Hoffnung, dass wir aneinander vorbeireden. :-)
epitox hat geschrieben :
Do 15. Aug 2019, 21:22

Ich halte es daher für sinnlos mich von dieser Seite aus angreifen zu wollen.
Ich greife Dich nicht an. Die Vorstellung, einem Philosophen im Jahre 2019 mit dem Kirchenrecht beikommen zu wollen, verdient in ihrer Welt-Fremdheit geradezu Sympathie. Ich selbst bin ja, wie Du aus anderen Zusammenhängen vielleicht noch weißt, vier Jahrzehnte als Organist im Dienst der katholischen Kirche gewesen. Ich hatte Gelegenheit, manch interessante Gespräche mit Geistlichen in Pfarrhäusern und Sakristeien zu führen. Nähe zur katholischen Kirche ist mir nicht fremd. Dennoch möchte ich das Recht der Philosophie auf Gottlosigkeit verteidigen. Natur- und Geisteswissenschaften forschen und lehren ohne theologische Anleitung. Und das hat im Übrigen ganz viel mit dem "Prozeß der theoretischen Neugierde" zu tun, den Blumenberg verhandelt. Im Grunde ist der Einspruch, den Du gegen Blumenberg erhebst, geradezu eine Illustration der Vorbehalte gegen diesen Prozeß, der in die Selbstbehauptung des Menschen durch Wissenschaft und Technik mündet. Die Blumenberg´sche Philosophie entfaltet ja die Frage, wie es möglich ist, in einer Welt zu leben, die uns letzte Antworten auf letzte Fragen vorenthält. Und darin steckt auch eine Theorie der Moderne als "permanentes Provisorium" - so der Titel einer Arbeitstagung zur Philosophie Blumenbergs im März 2012 an der Universität Paderborn. Von einer "Umwegskultur" ist im Sammelband zu dieser Tagung die Rede. "Nur wenn wir Umwege einschlagen, können wir existieren" heißt es einmal in Die Sorge geht über den Fluß (137). Dieser Satz ist dem Sammelband als Motto vorangestellt. - Provisorium und Umweg gehören zur Signatur der Moderne, in der die Vernunft sich ihrer Vorläufigkeit bewußt wird. Die Beschreibung der ideengeschichtlichen Verläufe - in denen Patristik und Scholastik selbstverständlich eine Rolle spielen - , welche an der "Genesis der kopernikanischen Welt" beteiligt sind, ist eine spannende Geschichte, die uns das Verständnis der Welt, in der wir leben, erweitert, manchmal ermöglicht. Zugegeben, die Spannung dieser Geschichte verliert sich aufgrund der Komplexität des historischen Materials oft ins Unübersichtliche, ins Filigrane. Mit Nebenwegen, kargen Steppen, ausgetrockneten Flußbetten, toten Gängen, labyrinthischen Gedankenformationen ist zu rechnen. Der Wanderer durch Blumenbergs Theorielandschaft benötigt festes Schuhwerk. Manche Sektoren sind unzureichend kartographiert und Navigationsgeräte versagen ihren Dienst. - Blumenberg verschreibt sich keiner Idee der Moderne, keinem Programm, keinem Telos, auch keinem beglaubigten. -

Für den Fall, das es nicht bekannt ist, zitiere ich aus der Wikipedia:

"Im Wintersemester 1939/40 begann [Blumenberg] als Priesteramtskandidat des Bistums Osnabrück an der Theologischen Akademie Paderborn sein Theologiestudium [...] Das Sommersemester 1940 verbrachte Blumenberg im Jesuiten-Studium in Frankfurt-Sankt Georgen [...] Aufgrund des jüdischen Familienhintergrundes seiner Mutter Else mußte er im Herbst 1940 das Studium der Katholischen Theologie abbrechen."

Blumenberg promovierte mit seiner Arbeit Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie 1947.

Wirft man nur einen oberflächlichen Blick in eines der Werke Blumenbergs, kann man sich schnell einen Eindruck von der Vertrautheit Blumenbergs mit Fragestellungen, Thematiken und Autoren der Antike und des christlichen Mittelalters machen. -




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Nauplios hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2019, 02:31
Dennoch möchte ich das Recht der Philosophie auf Gottlosigkeit verteidigen. Natur- und Geisteswissenschaften forschen und lehren ohne theologische Anleitung.
Das ist die Grundangst der Philosophie, von der Theologie in Anspruch genommen zu werden. Aber nicht als gleichberechtigter Partner, sondern als Magd. Das ist aber allenfalls nur noch ein historisch richtiger Sachverhalt. In Wirklichkeit liegen Theologie und Philosophie nicht so weit auseinander. Sie gehören zusammen, sie ergänzen sich gegenseitig (das wäre vielleicht der bessere Ausdruck dafür). Denn in beiden Wissenschaften steht jeweils der Mensch im Blickpunkt des Interesses. Dessen Vernunft bedient sich beider Erkenntniswege gleichzeitig: philosophisch, theoretisch wird Gott von der Vernunft erkannt, dabei aber von der Glaubensvernunft anerkannt. Das Göttliche ist also sehr wohl Gegenstand der Philosophie. Man kann also bestenfalls nur feststellen, dass es phil. Systeme oder Einsichten gibt, in denen Gott nicht vorkommt.
Im Grunde ist der Einspruch, den Du gegen Blumenberg erhebst, geradezu eine Illustration der Vorbehalte gegen diesen Prozeß, der in die Selbstbehauptung des Menschen durch Wissenschaft und Technik mündet
Es ist weniger ein Einspruch als ein Anspruch. Das Thema ist aktuell, interessant aber komplex. Die Philosophie alleine ist damit überfordert. Deshalb gibt es interdisziplinäre Forschungen oder Untersuchungen zu diesem Themenfeld.




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Nauplios
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Fr 16. Aug 2019, 20:16

Klotho, Lachesis und Atropos bilden im griechischen Mythos die Schicksalsgemeinschaft der Schicksalsgöttinnen. Klotho spinnt den (Schicksals-)Faden, Lachesis mißt das Los zu und Atropos schneidet als Unabwendbare den Faden wieder ab. So ist das Leben des nachhomerischen Menschen ein Ab-schnitt. Die sichtbare Welt hat zwar einen Anfang, ähnelt darin dem Anfang des Spinnfadens, aber sie hat kein Ende. Timaios räumt zwar im gleichnamigen platonischen Dialog ein, daß der Kosmos grundsätzlich auch vergänglich sein könnte; aber dieser Kosmos ist aus sich heraus zur Existenz fähig, er bedarf keiner Unterhaltsleistungen durch eine externe Instanz. Im Timaios heißt sogar, modern anmutend, er sei "autark". Dennoch könnte er Kosmos auch ein Ende haben, etwa durch einen Akt demiurgischer Zerstörung, doch das widerspräche der prinzipiellen Gutheit des Demiurgen (41a/b). Dem Kosmos ist die Vorstellung, "Abschnitt" zu sein fremd. -

Ganz anders der christliche Schöpfergott. Während der platonische Demiurg noch handwerkliches Geschick benötigte, um aus dem kosmos noetos, eine Art Bauanleitung, den kosmos aisthetos als Faktum zu schaffen, wird die Welt in der Genesis aus dem Nichts geschaffen, kraft eines göttlichen "Es werde".

Im frühen Christentum steht das Ende der Welt als unmittelbar Erwartbares im eschatologisch imprägnierten Nahhorizont der Zeit bevor. Auf das Kommen des Erlösergottes kann man buchstäblich warten. Im Spätmittelalter - die Erwartungen hatten sich zunächst mal nicht erfüllt - hat sich der Akzent vom Erlösergott auf den Schöpfergott verschoben. Naherwartung, Parusieverzögerung und Institutionalisierung - man beginnt sich auf Dauerhaftigkeit einzustellen; Schriften werden sondiert, Rituale und Ämter werden eingerichtet. "Hatte die Urgemeinde noch nach dem Kommen ihres Herrn gerufen, so bittet die Kirche alsbald pro mora finis um Aufschub des Endes." (Hans Blumenberg; Die Legitimität der Neuzeit, 31) -

Der Schöpfer der Welt hatte sich nach Vollendung seiner Schöpfung davon überzeugt, daß es gut war und sich in den Ruhestand versetzt. Doch konnte es sein, daß diese Welt nun ebenfalls "autark" war? - Es kommt die Vorstellung auf, eine Autarkie der Welt könne die Autarkie dessen, der sie geschaffen hat einschränken. Die Lösung bestand darin, die Welt als eine permanente Wiederholung des Schöpfungsaktes vorzustellen: Gott erhält die Welt, indem er sie von Augenblick zu Augenblick als Erhaltungsleistung in ihrem Bestand garantiert. Er schafft also auf der Zeitachse die Welt von Moment zu Moment neu, in einer creatio continua. War für die frühchristliche Eschatologie die Wiederkunft des Erlösergottes mit dem Ende der Welt durch sein Tun verbunden, so war für das Spätmittelalter die Welt durch das Nichtstun vernichtet, nämlich in dem Moment, wo Gott den Faden durch Schöpfungsunterlassung abreißen läßt. -

Und nun kommt Descartes. Und er kommt als Begründer der Neuzeit. So kann man es allenthalben in den Geschichtsbüchern der Philosophie nachlesen. Doch Descartes bleibt - das ist die These Blumenbergs - aufgrund seiner Zeitvorstellung als eine Abfolge von Jetztpunkten der spätmittelalterlichen Vorstellung einer creatio continua verhaftet. Descartes cogito führt eine Augenblicksexistenz. Sein Gottesbeweis enthebt ihn davon, den Augenblick des cogito mit einer Erinnerungsspur zu versehen. Weil Gott vollkommen und wahrhaftig ist, reicht das momentane cogito aus, die Wirklichkeit als von Gott gewährleistet vorzustellen. Er verändert nur durch stetige Schöpfungsakte die Wirklichkeit - ein kleines bißchen, von Moment zu Moment.

Die Überwindung dieser creatio continua wird erst durch die Genesis einer kopernikanischen Welt möglich. Kopernikus, Galilei, Newton, Kant, Husserl - das ist die Traditionslinie, die in die Moderne führt.




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epitox
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Nauplios hat geschrieben :
Fr 16. Aug 2019, 20:16
Klotho, Lachesis und Atropos bilden im griechischen Mythos....
Aus deinen Text heraus ergeben sich ein paar wichtige Fragen:
  • Was genau macht den christlichen Schöpfergott denn nun so besonders? Ist er doch bloß eine weiterer Gott im Götterpantheon?
  • Wie denkst du dir das Verhältnis von Gott zur Welt?
  • Was genau hat Schöpfung mit der Parusie zu tun? Oder sind das nur zwei (historisch relevante) unterschiedliche Themenfelder?
  • Wie genau hängen die creatio prima und die creatio continua zusammen? (Also es die Frage , nach dem Handeln Gottes in der Welt)
Wenn du bloß eine Frage beantworten möchtest, dann bitte vorrangig Frage 3. :)




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Nauplios
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Sa 17. Aug 2019, 12:23

Der christliche Gott ist keineswegs "bloß ein weiterer Gott im Götterpantheon". Die griechischen Götter sind ja nicht Gegenstand einer Theologie, sondern des Mythos. Der Mythos kennt kein Dogma; er kennt nur sich um einen invarianten Kern rankende Erzählungen. Der Mythos verteilt die Weltzuständigkeit auf verschiedene Instanzen. - Der christliche Gott jedoch ist kein Mythos. Als Erlösergott tritt er in eschatologischen Konzepten eines "Dabei-seins" (parousia) auf, deren Verzögerung dann später zum Thema der Theologie wird, aber natürlich nie aufgegeben wird (s. Credo). Das Ausbleiben der Wiederkunft Christi führt im Spätmittelalter dann dazu, daß der Akzent der theologischen Betrachtung sich vom Erlösergott auf den Schöpfergott verlagert. Es treibt die Theologie die Frage um, in welchem Verhältnis Gott zu seiner Schöpfung steht: ist sie das Ergebnis einer kontinuierlichen Kreation? Wenn das so wäre, würde die Welt ja in genau dem Punkt an ihr Ende kommen, in dem Gott aufhört, sie zu kreieren; während in den frühchristlichen Eschatologie-Vorstellungen das Ende der Welt mit dem Kommen des Erlösers verbunden ist, also mit einem Tun. In dem einen Fall endet die Welt, weil Gott nichts mehr tut, in dem anderen, weil Gott etwas tut. -

Vielleicht noch mal im Allgemeinen: Ich werfe, gestützt auf weitaus ausführlicheres Material von Blumenberg, Sommer, Merker u.a. einen philosophisch motivierten Blick auf Theologisches. (Nichts spricht gegen einen theologisch motivierten Blick auf Philosophisches.) Ich kann im Rahmen eines "Threads" natürlich nur einen winzigen Ausschnitt aus diesem Material wiedergeben. Es handelt sich dabei eher um die zweite Stelle hinterm Komma. Die Diskussion könnte um einen Lesethread verbreitert werden, der mehr Material zusammenträgt und einzelne Aspekte vertieft - eine Illusion. So muß es mehr oder weniger bei Notizen und Randbemerkungen bleiben. Eine Absicht ist, eine - unter diesen Bedingungen knapp ausfallende - historische Perspektive anzudeuten, wie Wirklichkeiten verstanden werden, inwiefern sie von Kon-stella-tionen beeinflußt sind, wie sich die "kopernikanische Wende" als Grundkonstellation der Moderne gegen Antike und Mittelalter etablieren konnte und wie sie unser Wirklichkeitsverständnis bestimmt. - Daß auf dem Weg dieser Rekonstruktion, die hier nur angedeutet, nicht ausgeführt werden kann, theologische Schriften in den Blick geraten, hängt mit unserer über viele Jahrhunderte hinweg christlich geprägten Tradition zusammen, nicht mit einer besonderen Frömmigkeit meinerseits.




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epitox
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Nauplios hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 12:23
Der christliche Gott ist keineswegs "bloß ein weiterer Gott im Götterpantheon". Die griechischen Götter sind ja nicht Gegenstand einer Theologie, sondern des Mythos.
Diese Sichtweise ist nicht ganz richtig. Mythos und Theologie hängen aufs engste miteinander zusammen.

Marcus Terrentius Varro beschreibt diese Zusammenhänge in den Begriffen seiner Zeit wie folgt:

Es gibt drei Arten von „Theologie“. Theologie meint hier die ratio (quae de diis explicatur) – das Verstehen und Erklären des Göttlichen.

- die theologia mythica
- die theologia civilis
- die theologia naturalis

Daraus folgen vier nähere Bestimmungen:

I
- die Theologen der mythischen Theologie sind die Dichter, weil sie Gesänge über die Götter verfasst haben
- die Theologen der natürlichen Theologie sind die Philosophen, die Gelehrten, die Denker. Sie streben nach der Wirklichkeit, der Wahrheit
- die Theologen der Ziviltheologie sind die „Völker“, die sich den Dichtern angeschlossen haben, mit Visionen, Bildern und Gestalten

II
Orte in der Wirklichkeit

- mythischen Theologie: das Theater - auf Weisung der Götter eingerichtet
- politischen Theologie: die urbs
- natürlichen Theologie: der Kosmos

III
Inhalt der drei Theologien

- die mythische Theologie: die von den Poeten geschaffenen Götterfabeln
- die staatliche Theologie: der Kult
- die natürliche Theologie: wer sind die Götter? (z.b. Feuer, Zahlen, Atome...)

Man sieht hier den aufklärerischen Zug der Philosophen. Die Philosophen schauen hinter die Erscheinungen, sie wollen die Wahrheit über die Götter herausfinden.

IV
Die Art von Wirklichkeit

- die natürliche Theologie: Natur der Götter
- die civilische Theologie: hat keinen Gott, nur Religion
- die natürliche Theologie: hat eine Gottheit, die religiös nicht ansprechbar ist (Zahlen, Feuer...)




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epitox
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Sa 17. Aug 2019, 18:33

Nauplios hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 12:23
Als Erlösergott tritt er in eschatologischen Konzepten eines "Dabei-seins" (parousia) auf, deren Verzögerung dann später zum Thema der Theologie wird, aber natürlich nie aufgegeben wird (s. Credo). Das Ausbleiben der Wiederkunft Christi führt im Spätmittelalter dann dazu, daß der Akzent der theologischen Betrachtung sich vom Erlösergott auf den Schöpfergott verlagert. Es treibt die Theologie die Frage um, in welchem Verhältnis Gott zu seiner Schöpfung steht: ist sie das Ergebnis einer kontinuierlichen Kreation?
Der Text ist für einen durchschnittlichen Leser völlig unverständlich und verwirrend! Was meinst du oder Blumenberg mit diesen Aussagen? Wie unterscheidet sich der Schöpfergott vom Erlösergott? Woher kommt der auf einmal? Sind sie gegenseitig austauschbar oder gar derselbe Gott? Was haben beide mit der Schöpfung zu tun? Was bedeutet eigentlich creatio prima oder creatio continua? Zwei Schöpfungen ein Name oder eine Schöpfung mit unterschiedlichen Bezeichnung oder etwas drittes? Was verstehst du unter der Parusie? Wie ist sie mit diesen Themen verbunden? Fragen über Fragen...




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