Allgemeiner Austausch und Smalltalk zu Blumenberg

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
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Nauplios
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Mi 1. Jul 2020, 15:11

Blumenbergs Philosophie folgt dem "Prinzip des unzureichenden Grundes". Das bedeutet nicht, daß es darin gar keine Gründe gibt, jedoch sind es unzureichende. Auch unzureichende Gründe dürfen in ihrer sprachlichen Darstellung die Konjunktion "weil" verwenden, nur ist die Junktion darin keine des Zureichenden oder gar Notwendigen. Für die Verwendung eines solchen "weil" gibt es in den umfangreichen Schriften wahrscheinlich mehr als eine Belegstelle. :)

Gründe und Begründungen für seine Sicht auf die Geschichte der Philosophie, ihre Begriffsbildung, ihre Metaphorik, ihre Theoriebildung, für die Umbesetzungen, Akzentverschiebungen, Metakinesen ... bringt auch Blumenberg. Dennoch ist die Verfassung seiner Philosophie im Ganzen eine beschreibende und erzählende. Deshalb darf man Ferdinand Fellmann in seiner Gewichtung der Metaphorologie zustimmen: "Beschreibung statt Begründung". Das ist in der Frühzeit der Phänomenologie ja auch das Programm Husserls, eine "deskriptive" Phänomenologie. "Beschreibung statt Begründung" ist aber mißverstanden, wenn man daraus die Selbstverpflichtung macht, niemals die Konjunktion "weil" zu verwenden. Die einmalige Verwendung von "weil" ändert an der Formel "Beschreibung statt Begründung" so wenig wie es die hundertfache Verwendung tun würde. Das Aufspüren eines "weil" ist kein Beweis für die Falschheit des Fellmann' schen "Beschreibung statt Begründung". Blumenberg gibt es mit seinem "Prinzip des unzureichenden Grundes" selbst vor. In der Beschreibung des Menschen taucht dieses Element wieder auf.

"Geschichten statt System" - Blumenbergs Geschichten vom fallenstellenden Menschen der Savanne, von der Sichtbarkeit durch den aufrechten Gang, von den in der Höhle zurückgebliebenen Geschichtenerzählern, von der Tradition des Mythos, die sich in der Metapher als eine Art Mythos in nuce fortsetzt, vom Geschöpf, das in seine Welt eingesetzt wird von einem fürsorgenden Schöpfer, vom metaphysisch unbehausten Menschen der Neuzeit, der dem Ordnungsschwund und dem nominalistischen Gott des Spätmittelalters seine humane Selbstbehauptung entgegensetzt, vom Bewohner moderner Lebenswelten, vom Hörer der Bach' schen Matthäuspassion ... all diese Geschichten bilden die Verfassung einer wesentlich narrativen Philosophie, die kaum systematische Bezogenheiten hat. Auch hier bedeutet "Geschichten statt System" nicht, daß Blumenberg nicht auch Beiträge zur phänomenologischen Grundlagenforschung geschrieben hätte. Aber der Grundtypus seiner Philosophie ist dennoch ein erzählender.

"Stil statt Wahrheit" - damit ist chiffrenartig das seit Platon belastete Verhältnis von Rhetorik und Philosophie gemeint. Blumenberg hat ja Einiges zur Rhetorik geschrieben, was für einen Metaphorologen nicht überraschend ist, war doch die Rhetorik für die Tropen der Rede zuständig. Wenn für Blumenberg die Philosophie der Inbegriff von unbeweisbaren Behauptungen ist, dann rücken natürlich Formen der Überzeugung in den Vordergrund, die auf Plausibilität abstellen, auf Zustimmung unter Vorbehalt. Wo das "Prinzip des unzureichenden Grundes" waltet, ist mit der Nudität der Wahrheit nicht zu rechnen. Hier kommt es auf die Kraft des Einleuchtenden an, auf den Stil der Argumente, nicht auf ihren Beißdruck. "Stil statt Wahrheit" bedeutet auch hier nicht, daß Blumenberg sich das Verbreiten von Unwahrheiten zum Ziel gesetzt hätte. Gelegentlich spricht er ja von einer vérité à faire, einer zu machenden Wahrheit; hier deutet sich die Haverkamp' sche Überantwortung der Wahrheit des Werks an die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte an. Blumenberg ist ein Skeptiker. Und Skeptiker baden nicht gern an den FKK-Stränden der Wahrheit. :D

In den "Ungereimtheiten" steckt etwas Poetisches - der Reim. Blumenberg folgt Husserl nicht in all seinen Theoriestücken. Aber es geht ihm dabei nicht um "Widerlegungen". Es geht ihm um' s Weiterphilosophieren. Blumenberg ist nicht der Alles-Zermalmer. Er denkt die Phänomenologie weiter, etwa dort wo er Ungereimtheiten sieht. Aber er nimmt sich die Husserliana nicht zur Brust und preßt ihnen durch ein Verhör die Wahrheit ab, um anschließend ihre Unwahrheiten zu verdammen. Sein Stil (!) ist ein anderer. Michael Hampe scheidet zu Beginn seiner Studie Die Lehren der Philosophie zwei Paradigmen in der Philosophie: "Behauptende Philosophie" und "Erzählende Philosophie". Und er verschärft diese Unterscheidung noch indem er die behauptende Philosophie eine 'doktrinäre Philosophie' nennt und die erzählende eine 'nichtdoktrinäre'."

Man muß sich die Verschärfung nicht zu eigen machen; Blumenberg dem erzählenden Paradigma zuzurechnen, bietet sich jedoch an. - Auch hier ist damit nicht gemeint, daß Blumenberg nie etwas behauptet. Auch Definitionen wird man bestimmt finden. Dennoch hält er es diesbezüglich eher mit Kant.

Was ich hier allgemein über die Philosophie Blumenbergs schreibe, ist in vielem durch die Blumenberg-Forschung belegt (Felix Heidenreich bildete da kürzlich allerdings eine Ausnahme.) ;) Wetz, Stoellger, Goldstein, Fellmann, Zill ... Ich sehe mich in keinem Widerspruch dazu. - Aber auch für mich gilt, veritatem temporis filiam esse .




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Friederike
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Do 2. Jul 2020, 16:35

Jochen Kleppers "Der Vater" kenne ich nicht; seine Tagebuchaufzeichnungen hingegen, die habe ich mehrfach gelesen, und darin ist so auffallend der starke Wunsch, von denen anerkannt zu werden, die ihn zunehmend schmähen (Klepper ist mit einer Jüdin verheiratet gewesen). Er will die Demütigungen nicht wahrhaben und erst, als die Deportation unmittelbar bevorsteht, entscheiden sich Klepper, seine Frau und die Tochter seiner Frau für den "gemeinsamen" Tod - vorher.




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Nauplios
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Do 2. Jul 2020, 18:53

Die Vater-Sohn-Beziehung hat Blumenberg im Hinblick auf Kafka oder auch in Arbeit am Mythos immer wieder beschäftigt. In seiner eigenen Biographie gibt es dafür Anlaß. Sein Vater hat ihn während seiner Kindheit und Jugend stark gefördert. Und doch steht am Ende ein bitteres Zerwürfnis. Sein Vater habe ihn am Ende mit Hass verfolgt, schreibt er an einen Freund, "ohne daß ich bis heute dafür einen Grund weiß." - Ein paar Jahre später heißt es:

"Er hat seine Haushälterin zur Erbin eingesetzt und mich ganz und gar ausgeschaltet. Er hat mich und meine Frau in den letzten Jahren seines Lebens mit Hass und Gemeinheit verfolgt." (s. Zill; S. 118)




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Nauplios
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Do 2. Jul 2020, 19:28

Friederike hat geschrieben :
Fr 26. Jun 2020, 15:45
offtopic: Vielleicht gehört (das) "Sein" zu den absoluten Metaphern. Definiere "Sein"!
Das Heidegger-Handbuch vermerkt dazu:

"Hans Blumenberg hat in seinen frühen Arbeiten zur Metaphorologie nicht nur die Wirkungsgeschichte der für Heidegger so wichtigen Licht-Metaphorik aufgearbeitet, sondern die Funktion der Metaphorik für die Philosophie allgemein beschrieben. Er ist dabei auf das Phänomen der 'Unbegrifflichkeit' gestoßen: Es gibt Gegenstände - wie die Welt, die Geschichte, der Mensch oder Gott - , die für uns weder in der Anschauung gegeben - niemand hat eine Anschauung der ganzen Welt - noch in Form einer Definition begrifflich faßbar sind. Auch Heideggers später Seinsbegriff zählt für Blumenberg zu dieser Gruppe von Gegenständen: Wo die Begriffe nicht mehr greifen, springen die Bilder ein. [...] Genau diese Funktion haben die 'absoluten Metaphern' Heideggers für das Sein selbst. Sie sind Entwürfe des unsagbaren Seins. Absolute Metaphern sind sie auch, weil sich nicht fragen läßt, ob sie 'richtig' oder 'angemessen' sind. Diese Metaphern konstituieren den weder in der Anschauung noch begrifflich zugänglichen Gegenstand, indem von ihm durch sie gesprochen wird." (S. 219) -

Warum haben wir nicht auf Dich gehört, Friederike? ;)




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Nauplios
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Sa 4. Jul 2020, 01:27

In der Ausgabe 1/2020 von "weiter denken. Journal für Philosophie", welche Hans Blumenberg gewidmet ist, gibt es in dem Aufsatz von Sebastian Tränkle Monumente des Mißtrauens. Eine ideologiekritische Lektüre der Metaphorologie eine Passage, die zur Klärung Deiner gestrigen Frage, Friederike, beitragen dürfte:

"Mit dem Begriff der »Hintergrundmetaphorik« bietet Blumenberg eine Konzeption auf, die erlaubt, einzelne in einem Text oder einer Rede auftretende Metaphern als Indizes zu deuten: Sie verweisen auf ein dem jeweiligen Gebrauch zu Grunde liegendes metaphorisches Assoziationssystem. Um ein berühmtes Beispiel von Immanuel Kant aufzugreifen: Die metaphorische Darstellung eines autoritär regierten Staates als Handmühle indiziert eine mechanische, die Darstellung eines verfassungsmäßig regierten Staates als Organismus eine organische Hintergrundmetaphorik. Solche ebenso geschichtlich variierenden wie transhistorisch wirksamen Metaphernkomplexe bilden laut Blumenberg die »Substruktur« oder die »Sinnhorizonte« auch des begrifflichen Denkens: Dessen grundsätzliche Ausrichtung ist regelrecht daran »abgelesen«, was auch dort gilt, wo sich in Aussagenzusammenhängen gar keine Metaphorik manifestiert."

https://weiter-denken-journal.de/fruehj ... rauens.php

https://weiter-denken-journal.de/index.php




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Jul 2020, 05:04

Friederike hat geschrieben :
Fr 26. Jun 2020, 15:45
Vielleicht gehört (das) "Sein" zu den absoluten Metaphern. Definiere "Sein"!
Das Heidegger-Handbuch hat geschrieben : Wo die Begriffe nicht mehr greifen, springen die Bilder ein
Welches Bild wird der mit dem Begriff "Sein" aufgeboten?




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Friederike
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Sa 4. Jul 2020, 07:21

Nauplios hat geschrieben :
Sa 4. Jul 2020, 01:27
Solche ebenso geschichtlich variierenden wie transhistorisch wirksamen Metaphernkomplexe bilden laut Blumenberg die »Substruktur« oder die »Sinnhorizonte« auch des begrifflichen Denkens: Dessen grundsätzliche Ausrichtung ist regelrecht daran »abgelesen«, was auch dort gilt, wo sich in Aussagenzusammenhängen gar keine Metaphorik manifestiert."
Ich werde heute nicht dazu kommen, in die von Dir verlinkten Texte zu schauen. @Nauplios, ich finde das mit den absoluten Metaphern und nun auch den einfachen Metaphern sooo kompliziert :roll: (*freundlichseufz*) - wie soll man denn auf die Metaphernkomplexe kommen, wenn sich in den Aussagezusammenhängen gar keine Metaphorik manifestiert??? (Bei dem "Handmühlenbeispiel" manifestiert sich doch eine Metaphorik in den Aussagezusammenhängen?) Was glaube ich, Deine Frage @Jörn, einschließt. Jedenfalls habe ich mich dasselbe gefragt. Das geht allerdings auf die absolute Metapher.




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Nauplios
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Sa 4. Jul 2020, 08:41

Nun sind ja die Lichtung und das Licht bei Heidegger - der selbst nie metaphorisch schreiben und verstanden werden wollte - Topoi, die weithin leuchten. ;) "Im Lichte des Seins [erscheint] das Seiende als das Seiende, das es ist". Das Sein wird metaphorisiert als etwas, das Licht ausstrahlt. Weil es dieses Licht ausstrahlt, kann dann das Seiende als das, was es ist, erscheinen. Ohne das "Licht des Seins" läge das Seiende im Dunkeln. Das "Licht des Seins" leuchtet ... na, ich hätt' jetzt beinahe geschrieben lichtet. :) In die "Lichtung des Seins" kommen dann herein Gott, Götter, Geschichte, Natur ... Eine Lichtung ist eigentlich eine baumfreie Stelle in einem Wald. Aus diesem Bedeutungszusammenhang wird die Lichtung dann übertragen (metapherein) in den Bedeutungszusammenhang von Sein und Seiendem. Das Seiende tritt gleichsam wie ein scheues Wild aus dem dunklen Wald heraus in die Lichtung des Seins; es erscheint auf der Lichtung, erscheint im Lichte des Seins. IM Lichte des Seins heißt dann, daß wir nicht das Licht sehen, sondern das, was im Lichte erscheint, das Seiende. Wir sehen das Seiende, weil es das Licht reflektiert. - So wird das Sein bei Heidegger zu einer (absoluten) Metapher. Es gibt also so eine Art Wurzelwerk des Seinsbegriffs. Seine Metaphorizität ist dem Begriff des Seins nicht auf den ersten Blick anzumerken. Im Untergrund, im Hintergrund laufen diese Bilder vom Licht mit, sind Leitvorstellung und Orientierung des Begriffs. Dieses Wurzelwerk ist die "Nährlösung", von der Blumenberg spricht. Die Metaphorologie schickt sich an, dieses Wurzelwerk freizulegen, zu - entbergen. ;)

Wenn wir von der Geschichte als einem Prozeß des Fortschritts sprechen, dann ist hier Ähnliches am Werk oder von der titelgebenden Lesbarkeit der Welt, vom Buch der Natur, in dem wir lesen können ... Später wird Blumenberg von der Unbegrifflichkeit sprechen. (Heute ist das Netz und die Vernetzung eine Metapher, die eine Karriere macht; wir sprechen von rechtsextremistischen Netzwerken, von Politikern, die gut vernetzt sind, vom neuronalen Netz , vom Inter-net ... Hier böte sich Gelegenheit des Weiterphilosophierens, die Blumenberg ja wichtig war. Untersuchungen zur Netzmetapher gibt es bereits.)

Eine Vielzahl von Metaphern hat übrigens Ernst Robert Curtius 1948 in Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter gesammelt, natürlich noch ohne metaphorologische Intention. -




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Jul 2020, 12:41

Nauplios hat geschrieben :
Mi 1. Jul 2020, 15:11
Blumenbergs Philosophie folgt dem "Prinzip des unzureichenden Grundes". Das bedeutet nicht, daß es darin gar keine Gründe gibt, jedoch sind es unzureichende.
Franz Josef Wetz, Hans Blumenberg hat geschrieben : Ein solches Erschließen und Verstehenlassen möchte überzeugen, beweisen will es nichts. Es untersteht dem »Prinzip des unzureichenden Grundes«, das nicht einen Verzicht auf Gründe überhaupt fordert, sondern sich – »diffus und methodisch ungeregelt« – mit Argumenten unterschiedlicher Art begnügt. Jenseits wissenschaftlicher Beweisführung und irrationaler Dezision gibt es als dritte Möglichkeit noch die sorgfältige Überlegung und die abwägende Beratung.
Das ist das, was ich mit Marketing meine. Ich hätte es vielleicht besser Reklame nennen sollen. Es wird einem eine große Sache versprochen, aber wenn man die Packung aufmacht, ist nichts besonderes drin. "Füllhöhe technisch bedingt." Blumenberg argumentiert und möchte überzeugen. Super! Dass man je nach Gegenstandsbereich, Zusammenhang und Argumentationziel mit je anderen Argumenten (bzw Argumenttypen oder was auch immer...) zu rechnen hat, ist keine besonders große Überraschung. Niemand dürfte es verwundern, dass es in der Geometrie andere Beweismöglichkeiten gibt als z.b. in den Literatur-Wissenschaften. Und niemand dürfte in der Lage sein die Fülle der philosophischen Disziplinen, Fragestellungen, Methoden et cetera zu ermessen.

Wenn man hier so tut, als könne man bei dieser Frage letztlich nur bis drei zählen: erstens strenge wissenschaftliche Methode, zweitens irrationale Dezision und drittens das Prinzip des unzureichenden Grundes, auf welches insbesondere Blumenberg ein Patent angemeldet hat, dann weiß ich nicht mehr, wie ernst man den Leser überhaupt noch nimmt. Das ist nichts als ein Versuch, ein Alleinstellungsmerkmal herbeizumogeln, mit anderen Worten: eine Mogelpackung.

Anspruch auf Plausibilität darf das sicherlich nicht erheben.




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Nauplios
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Sa 4. Jul 2020, 18:08

Friederike hat geschrieben :
Sa 4. Jul 2020, 07:21
@Nauplios, ich finde das mit den absoluten Metaphern und nun auch den einfachen Metaphern sooo kompliziert :roll: (*freundlichseufz*) - wie soll man denn auf die Metaphernkomplexe kommen, wenn sich in den Aussagezusammenhängen gar keine Metaphorik manifestiert???
Neuerdings wird viel *geseufzt*, mal freundlich, mal resignativ, mal mißmutig. ;) Bevor aus dem Seufzen ein Stöhnen wird: Philipp Stoellger hat in seinem Beitrag Blumenbergs Sprachdenken. Zur Unbegrifflichkeit der Phänomenologie (Link zu "weiter denken" s.o.) auf die Humoralität des Blumenberg' schen Schreibens hingewiesen:

"Blumenbergs Art des Sagens (Schreibens) ist in seiner fungierenden Humoralität Verflüssigung - auch der Grenzen von Literatur und Philosophie, von Rhetorik und Hermeneutik, von Verstehen und Vergnügen. Sind doch die zitierten Wendungen merklich vergnüglich ..."

Zu den Blumenberg' schen Chiasmen zählt er u.a. auch "schmunzelnd, gar lachend Verstehen und verstehend Lachen". - Die leise Ironie in Blumenbergs Texten geht bisweilen ins dreifache Pianissimo. Das Lachen und das Verstehen ergeben mitunter eine enharmonische Verwechslung. Eine philosophische Jokologie hätte ihre Freude daran. - Deswegen: nicht freundlich seufzen. Lachend seufzen! :lol:




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Jörn Budesheim
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So 5. Jul 2020, 05:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Jul 2020, 12:41
Reklame
Ich erinnere mich dabei an eine Vorlesung zur Philosophie der Ästhetik. Der Prof. hatte gerade einen bestimmten Fachterminus eines bestimmten Philosophen erläutert. (Leider habe ich vergessen, um welchen Begriff und welchen Philosophen es ging.) Dann tritt er neben das Pult, um eine kleine freie Zwischen-Rede zu halten: wie wichtig es nämlich sei, "karrieretechnisch" betrachtet, gelegentlich solche Ausdrücke zu erfinden. Man kann Aufmerksamkeit damit erregen und vor allem geht es um Alleinstellungsmerkmale. Also eine Art philosophisches Selbstmarketing. Das hat natürlich zu einer gewissen Erheiterung im Vorlesungssaal geführt, aber es war durchaus offen, wie er es eigentlich gemeint hat. Einerseits wollte er ganz offenbar damit den fraglichen (gerade zuvor erläuterten) Begriff kritisieren und ironisch kommentieren, andererseits hat er es durchaus ernst gemeint.




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Friederike
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So 5. Jul 2020, 13:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Jul 2020, 05:04
Welches Bild wird mit dem Begriff "Sein" aufgeboten?
Nauplios hat geschrieben :
Sa 4. Jul 2020, 08:41
Nun sind ja die Lichtung und das Licht bei Heidegger - der selbst nie metaphorisch schreiben und verstanden werden wollte - Topoi, die weithin leuchten. ;) "Im Lichte des Seins [erscheint] das Seiende als das Seiende, das es ist". Das Sein wird metaphorisiert als etwas, das Licht ausstrahlt. Weil es dieses Licht ausstrahlt, kann dann das Seiende als das, was es ist, erscheinen. Ohne das "Licht des Seins" läge das Seiende im Dunkeln. Das "Licht des Seins" leuchtet ... na, ich hätt' jetzt beinahe geschrieben lichtet. :) In die "Lichtung des Seins" kommen dann herein Gott, Götter, Geschichte, Natur ... Eine Lichtung ist eigentlich eine baumfreie Stelle in einem Wald. Aus diesem Bedeutungszusammenhang wird die Lichtung dann übertragen (metapherein) in den Bedeutungszusammenhang von Sein und Seiendem. Das Seiende tritt gleichsam wie ein scheues Wild aus dem dunklen Wald heraus in die Lichtung des Seins; es erscheint auf der Lichtung, erscheint im Lichte des Seins. IM Lichte des Seins heißt dann, daß wir nicht das Licht sehen, sondern das, was im Lichte erscheint, das Seiende. Wir sehen das Seiende, weil es das Licht reflektiert. - So wird das Sein bei Heidegger zu einer (absoluten) Metapher. Es gibt also so eine Art Wurzelwerk des Seinsbegriffs. Seine Metaphorizität ist dem Begriff des Seins nicht auf den ersten Blick anzumerken. Im Untergrund, im Hintergrund laufen diese Bilder vom Licht mit, sind Leitvorstellung und Orientierung des Begriffs. [...]
Da ich mich Deiner Frage angeschlossen hatte @Jörn, ist dies auch eine Antwort an mich. Mich überzeugt sie. Es geht hier allerdings ausschließlich um (das) "Sein" bei Heidegger, andere Seinsbegriffe -anderer Autoren und Zeiten- bleiben davon unberührt. Und man muß Heideggers "Sein" sicher nicht als absolute Metapher lesen - tut man es aber, so finde ich diese Lesart wirklich* sehr erhellend.

*"wirklich" :lol: - bekräftigend.




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Jörn Budesheim
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So 5. Jul 2020, 13:44

Da muss irgendwie ein Missverständnis vorliegen.

"Allgemein versteht Blumenberg unter Metaphorologie eine Lehre von den Bildern, die sich der Mensch für sein Dasein und die Welt schafft." (Wetz)

Ich habe dementsprechend nach dem Bild gefragt. Ein Beispiel für eine Metapher ist: das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Die Metapher ist hier das Bild vom langen, ruhigen Fluss. Ein anderes Beispiel: wenn man von der nackten Wahrheit spricht, dann wird als Bild Nacktheit aufgerufen. wenn man sagt, dass der Mensch des Menschen Wolf ist, ist das Bild, was man verwendet eben der Wolf.

Jetzt die Frage noch mal: welches Bild wird mit dem Begriff "Sein" aufgerufen? Das ist nicht die Frage nach dem Bildern, mit dem der Mensch sich das Sein veranschaulicht, sondern die Frage lautet welches Bild ist das Sein selbst? Wieso sollte das eine Metapher in dem oben erläuterten Sinn sein?




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Friederike
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So 5. Jul 2020, 14:38

Um weitere Mißverständnisse auszuschließen ... meine Frage (an Nauplios) war die, warum und inwiefern "Sein" bei Heidegger als absolute Metapher verstanden werden könne und bezog sich auf die folgende Äußerung:
Nauplios hat geschrieben :
Do 2. Jul 2020, 19:28
[...] Genau diese Funktion haben die 'absoluten Metaphern' Heideggers für das Sein selbst. Sie sind Entwürfe des unsagbaren Seins. Absolute Metaphern sind sie auch, weil sich nicht fragen läßt, ob sie 'richtig' oder 'angemessen' sind. Diese Metaphern konstituieren den weder in der Anschauung noch begrifflich zugänglichen Gegenstand, indem von ihm durch sie gesprochen wird." (S. 219) -




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So 5. Jul 2020, 14:45

Friederike hat geschrieben :
Sa 4. Jul 2020, 07:21
Was glaube ich, Deine Frage @Jörn, einschließt. Jedenfalls habe ich mich dasselbe gefragt. Das geht allerdings auf die absolute Metapher.
:lol: Lustig, ich hatte noch dazu schreiben wollen, "falls ich Deine Frage richtig verstehe". Ich hatte sie also mißverstanden und habe mich deswegen nicht "dasselbe gefragt".




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Jörn Budesheim
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So 5. Jul 2020, 14:48

"Allgemein versteht Blumenberg unter Metaphorologie eine Lehre von den Bildern, die sich der Mensch für sein Dasein und die Welt schafft." (Wetz)

Die Frage geht jetzt an dich, Friederike: inwiefern ist "Sein" ein Bild, wenn man es als Metapher verstehen soll?




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So 5. Jul 2020, 15:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Jul 2020, 14:48
"Allgemein versteht Blumenberg unter Metaphorologie eine Lehre von den Bildern, die sich der Mensch für sein Dasein und die Welt schafft." (Wetz)
Die Frage geht jetzt an dich, Friederike: inwiefern ist "Sein" ein Bild, wenn man es als Metapher verstehen soll?
Da haben sich unsere Beiträge wohl überkreuzt ...




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So 5. Jul 2020, 15:33

Kannst du mich aufklären?

Du bist doch der Ansicht, dass Sein eine Metapher ist? Oder? Wenn das so ist, dann entsteht die Frage, inwiefern Sein ein Bild sein soll?




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So 5. Jul 2020, 16:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Jul 2020, 15:33
Kannst du mich aufklären?

Du bist doch der Ansicht, dass Sein eine Metapher ist? Oder? Wenn das so ist, dann entsteht die Frage, inwiefern Sein ein Bild sein soll?
Liest Du meine Äußerung von heute, 14.38 Uhr, bitte! Ich denke mir so, dann müßte eigentlich klar sein, daß ich nicht behauptet habe, der Begriff "Sein" allgemein (und unabhängig von Heidegger) sei eine (nicht absolute) Metapher.




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Bekanntlich besitzen Theologen die Fähigkeit, Licht an Stellen der Dunkelheit zu bringen, die ohne sie ein Schattendasein führen würden. Markus Buntfuß schreibt im Kapitel "Hintergrundmetaphorik" in Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache unter Bezugnahme auf Blumenberg:

"Auch in Bezug auf theoretische Totalitätsfragen, die sich in Begriffen wie 'Sein', 'Welt', 'Geschichte', 'Bewußtsein' oder 'Leben' widerspiegeln, gilt das erwähnte 'Verborgenheitstheorem'. Demnach legen 'die großen Konzepte des Ganzen und seiner Phrasierungen' ihre metaphorische Orientierung nicht offen, sondern verstecken sie proportional zu ihrer Abhängigkeit. Die Not zur Metaphorisierung macht sich folglich in zahlreichen Fällen als 'Verbot von Metaphorik' oder 'Metaphernverdikt' geltend. [...] 'Für sie [die Heidegger' sche Fundamentalontologie] galt striktes Metaphernverbot'. Mit diesem Verdikt verwickelt sich Heidegger jedoch in einen metaphernrepugnanten Selbstwiderspruch, 'denn die Sprache der Seinsgeschichte belegt, daß es nicht einzuhalten war'. Auch bei Heidegger widerspricht ein fehlendes Bewußtsein von der Funktion der Metapher ihrem faktischen Gebrauch. Von dieser Paradoxie sind besonders die hohen Leitbegriffe der Abstraktion und Spekulation betroffen." (S. 99)

In der Theorie der Unbegrifflichkeit nennt Blumenberg in diesem Zusammenhang explizit noch mal "das Sein". (S. 80) - Überhaupt ist ja die absolute Metapher nur ein "schmaler Spezialfall von Unbegrifflichkeit" (Blumenberg). Die Theorie der Unbegrifflichkeit hat hier die Sicht erweitert. -




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