Allgemeiner Austausch und Smalltalk zu Blumenberg

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
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Friederike
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Mi 8. Jul 2020, 09:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 7. Jul 2020, 18:42
Friederike hat geschrieben :
Di 7. Jul 2020, 17:13
Mich interessiert an der Unbegrifflichkeit
Mich würde zuvor ja interessieren, was damit überhaupt gemeint ist.
Ziemlich sicher bin ich mir darin, daß Blumenberg nicht das nicht sprachliche "Begreifen" (den Zugang zur Welt, die Verständigung der Menschen untereinander) meint. Ich vermute, er meint eine Sprache, die -wieder ex negatio- nicht an Eindeutigkeit und Präzision ausgerichtet ist, die nicht der Vernunft-Logik folgt.




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Friederike
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Mi 8. Jul 2020, 09:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 7. Jul 2020, 20:33
Nach einem ganz allgemeinen Verständnis erfassen wir mit einem Begriff "etwas als etwas". Das berühmte hermeneutische "als". Wir verstehen/erkennen das da "als" Buch. Diese Struktur ändert sich bei der Metapher ja nicht komplett! Wir verstehen nach wie vor "etwas als etwas", z.b. die Wahrheit als Licht, das Leben als Reise, den Menschen als Wolf. Das ist eine durch und durch begriffliche Struktur.
Ich verstehe schlicht nicht, worauf Du hinauswillst @Jörn. Also behelfe ich mich mit einer Frage: Angenommen, es wäre so, wie Du sagst. Was würde denn daraus für die Metaphorologie folgen?




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jul 2020, 10:33

Das Argument "befragt" die Redeweise von der "Theorie der Unbegrifflichkeit" im Zusammenhang mit Metaphern.

Wer über Begriffe verfügt, kann etwas als etwas interpretieren. Das da als "Telefon", Peter als "Person", ein Haus als "Geldanlage". Metaphern gehören zu dieser Struktur: Ich interpretiere etwas als etwas: Das Leben als langen, ruhigen Fluss, das Sein als Licht in den dessen Schein, die Dinge so oder so erscheinen. Was ist daran "unbegrifflich"?




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Alethos
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Mi 8. Jul 2020, 15:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 10:33
Metaphern gehören zu dieser Struktur: Ich interpretiere etwas als etwas: Das Leben als langen, ruhigen Fluss, das Sein als Licht in den dessen Schein, die Dinge so oder so erscheinen. Was ist daran "unbegrifflich"?
So, wie ich es verstehe, operiert die Metaphorologie mit Begriffen. Der Fluss ist ein Begriff, das Leben ein weiterer. Die Handmühle und der despotische Staat - beides Begriffe. Soweit sind wir uns einig.

Die Metapher charakterisiert sich also dadurch, dass ein Begriff auf einen anderen Begriff übertragen wird, d.h. ein Begriff für einen anderen steht. Durch diese Begriffsübertragung werden auch Bedeutungsinhalte übertragen. Ein Begriff bedeutet etwas, wenn er auf den eigentlichen Gegenstand geht (Der Fluss für die sich schlängelnde Wassermasse) und lässt im Begriff, für den er metaphorisch steht (Leben als Fluss), in diese Bedeutung duechscheinen. Durch die Begriffsübertragung findet gleichsam eine Bedeutungsüberlagerung statt, durch die nicht-begriffliche Strukturen, substrukurelle Bedeutungen der jeweils metaphorisch verwendeten Begriffe beleuchtet werden. Strukturen, die in den Begriffen, wenn sie als eigentliche und nicht metaphorisch verwendet werden, nicht durchscheinen würden.

Die Metapher hebt den eigentlichen Begriff aus den Ankern seiner semantischen Struktur und führt in qua Übertragung einem neuen Bedeutungsumfang zu. Dieser Umfang ist nicht mehr rein begrifflich, sondern "atmosphärisch", er wird gefärbt und in ein anderes Licht getaucht.

Das Leben ist kein langer Fluss, rein terminologisch betrachtet, aber es kann als langer Fluss beschrieben werden, wodurch die vielen Wendungen, die es nehmen kann, genauso beschrieben werden wie die Unbekümmerheit des Vorwärts einer Wassermasse in einem steten Jetzt ihrer Teile. Auch die Unteilbarkeit des Flusses, die ständigen Wechsel und Veränderungen, die Wasserwirbel, die Schaumkrönchen auf der Oberfläche - das alles ist Veränderung bei gleichzeitiger Konstanz des Flusses als Fluss - oder eben des Lebens als Leben. Das Leben als Fluss verstanden zeigt das Leben in seinen feineren Nuancen - Nuancen, die entweder nicht thematisch werden in den eigentlichen Begriffen oder für die wir gar keine Begriffe haben, weil sie zu subtil sind für unsere Terminologie.



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Nauplios
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Friederike hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 09:52

Ich verstehe schlicht nicht, worauf Du hinauswillst @Jörn. Also behelfe ich mich mit einer Frage: Angenommen, es wäre so, wie Du sagst. Was würde denn daraus für die Metaphorologie folgen?
Metaphern und Begriffe lassen etwas als etwas sehen. Metaphern sind Gebrauchsmittel der Sprache und als solche haben sie nur die Bedeutung, die den in der Metapher vorkommenden Wörtern als solche zukommt. Die Übertragung, welche die Metapher leistet, generiert keine neu hinzukommende Bedeutung. Metaphern bewirken etwas, sie stimulieren sozusagen, erzielen Effekte, aber als Metaphern haben sie nur eine "wörtliche" Bedeutung. Metaphern sind grundsätzlich nicht bedeutungsfähig im dem Sinne, daß durch ihren Gebrauch der wörtlichen Bedeutung eine Bedeutungserweiterung hinzugefügt würde. Sie bedeuten eben nur was sie bedeuten, womit den Metaphern kein spezifischer kognitiver Gehalt zukommt. Indem sie etwas als etwas interpretieren, haben sie jene Struktur, die auch der Begriff aufweist. Damit kann in erkenntnistheoretischer Hinsicht das Etwas-als-etwas-Interpretieren der Metapher genauso behandelt werden wie das Etwas-als-etwas-Interpretieren des Begriffs. - Der Fehler der Metaphorologie Blumenbergs liegt darin, daß sie die Metapher der Sphäre der Bedeutung zurechnet und ihr als absolute Metapher eine erkenntnisleitende und erkenntnisfähige Qualifikation zutraut anstatt sie der Sphäre des Gebrauchs zuzuweisen.

Siehe dazu: Donald Davidson; Was Metaphern bedeuten in: Ders.: Wahrheit und Interpretation ; S. 343ff.

Ich denke, darauf läuft es hinaus. ;)




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jul 2020, 16:35

Nauplios hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 16:26
Ich denke, darauf läuft es hinaus. ;)
Nö. Ich frage ganz explizit nach der "Unbegrifflichkeit". Und dazu hab ich Beispiele gebracht. Mit Donald Davidson hat das gar nichts zu tun.




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Mi 8. Jul 2020, 16:43

Alethos hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 15:06
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 10:33
Metaphern gehören zu dieser Struktur: Ich interpretiere etwas als etwas: Das Leben als langen, ruhigen Fluss, das Sein als Licht in den dessen Schein, die Dinge so oder so erscheinen. Was ist daran "unbegrifflich"?

Die Metapher hebt den eigentlichen Begriff aus den Ankern seiner semantischen Struktur und führt in qua Übertragung einem neuen Bedeutungsumfang zu. Dieser Umfang ist nicht mehr rein begrifflich, sondern "atmosphärisch", er wird gefärbt und in ein anderes Licht getaucht.

Das Leben ist kein langer Fluss, rein terminologisch betrachtet, aber es kann als langer Fluss beschrieben. [...] Das Leben als Fluss verstanden zeigt das Leben in seinen feineren Nuancen - Nuancen, die entweder nicht thematisch werden in den eigentlichen Begriffen oder für die wir gar keine Begriffe haben, weil sie zu subtil sind für unsere Terminologie.
Diese "feineren Nuancen", das "Atmosphärische" ... werden als ästhetische Ornamente der Rede von Davidson nicht bestritten. Der Erfrischungsgehalt der Metapher wird zugestanden, aber nicht der über die wörtliche Bedeutung hinausgehende Überschuss an Bedeutung, weil die Metapher dafür den Kriterien der Bedeutung, die Davidson entwickelt ("Übersetzbarkeit" und "Paraphrasierbarkeit"), nicht genügt. -




Nauplios
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Mi 8. Jul 2020, 16:58

Eine auf die Schnelle besorgte DEFINITION (Beim Zeus!) bringt das "Historische Wörterbuch der Philosophie":

"Der Sammelbegriff Unbegrifflichkeit bezeichnet, was in Anschauung und Erfahrung außerhalb der Verweisungsfähigkeit von Begriffen bleibt und bleiben muß: theoretische Redeformen, 'die in die begreifend-begrifflich nicht erfüllbare Lücke und Leerstelle' einspringen, 'um auf ihre Art auszusagen'. H. Blumenberg, der das Konzept 1979 ausformuliert hat, spricht von Metaphern, von Mythen und Symbolen – von Darstellungsmitteln, die aus dem theoretischen Diskurs heraus auf 'Lebenswelt' verweisen."

https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xa ... keit%27%5D

Gewonnen ist damit nicht viel. - Zu den Referenzschriften (s.o.) gehört auch der Aufsatz "Geld oder Leben" zu Georg Simmel.




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jul 2020, 18:20

Alethos hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 15:06
Übertragung
Man kann sich auch fragen, wie es überhaupt möglich ist, dass wir Metaphern nutzen und verstehen. Wie kommt es dazu, dass sie etwas bedeuten? Eine Antwort ist, dass die Bedeutung in irgendeiner Form "übertragen" ist. Donald Davidson lehnt diese Interpretation ab. Nach seiner Ansicht bedeutet in "der Mensch ist des Menschen Wolf" Wolf einfach Wolf. Zumindest soweit ich mich erinnere, die Lektüre ist ziemlich lange her.

Das ist sicherlich eine spannende Diskussion. Aber meine Frage ist eine ganz andere. Ich frage ganz explizit, das habe ich ja wiederholt gesagt, nach der Theorie der Unbegrifflichkeit, natürlich im Zusammenhang mit Metaphern. Ganz unabhängig davon, ob man glaubt, dass Wolf in dem vorhergehenden Beispiel in einer übertragenen Bedeutung verwendet oder wortwörtlich verwendet wird, man wird doch aufgefordert, den Begriff in eine Als-Struktur (in einem weiten Sinn) "einzufügen". Und wie auch immer man zu der ersten Frage steht, ist das meines Erachtens ein Indiz dafür, dass wir den begrifflichen Zusammenhang niemals verlassen.

Und deswegen halte ich es für ganz und gar unplausibel, in diesem Zusammenhang von einer Theorie der Unbegrifflichkeit zu sprechen.

Wenn ich mich metaphorische ausdrücke und Sein als ein Licht bezeichne, das die Gegenstände der bestimmten Weise erscheinen lässt, wo ist hier das unbegriffliche Moment? Das sehe ich einfach nicht.




Nauplios
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Mi 8. Jul 2020, 19:07

Unbegrifflichkeit ist ein Terminus, dessen Genese mit einer bestimmten Theorieumgebung verknüpft ist. Blumenbergs Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit ist gewissermaßen das Epizentrum dieser Umgebung. Von dort hat das Konzept der Unbegrifflichkeit seinen Ausgang genommen. Aufgegriffen und bisweilen modifiziert findet sich die Unbegrifflichkeit heute in diversen Theoriezusammenhängen wieder. Es ist zu vermuten, daß nicht alle diese Variationen von Blumenberg akzeptiert worden wären. Der Ursprung jedenfalls der Unbegrifflichkeit liegt in einer Modifikation der Metaphorologie von 1960 durch Blumenberg selbst. In der Sekundärliteratur ist hier auch schon mal von einer "Kehre" die Rede. -

Will man die Gedanken, denen der Begriff Unbegrifflichkeit seine Entstehung verdankt, nachvollziehen, ist ein begriffsgeschichtliches Vorgehen notwendig, d.h. man sucht den Begriff gleichsam in Aktion auf, nämlich dort, wo Blumenberg ihn verwendet - in seinen Schriften. Ein ungeduldiges Beharren auf Vorab-Klärung führt hier nicht weiter. Eine Art Definition (s.o.) liegt nun vor. Und von mir aus können wir es damit belassen. Wenn es nur darum geht, was man zu diesem frühen Zeitpunkt schon "sieht" oder auch nicht sieht, braucht es im Grunde überhaupt gar keine Beschäftigung mit Blumenberg. Dann ist der Fall ja längst klar: Unbegrifflichkeit ist nicht zu sehen. Die Akte kann geschlossen werden. Wenn man für Erweiterungen des Sehfeldes aufgeschlossen ist, muß man lesen. Wenn nicht, hat man ein Resultat: Mumpitz. - :o




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jul 2020, 19:19

Alethos hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 15:06
Das Leben ist kein langer Fluss, rein terminologisch betrachtet, aber es kann als langer Fluss beschrieben werden, wodurch die vielen Wendungen, die es nehmen kann, genauso beschrieben werden wie die Unbekümmerheit des Vorwärts einer Wassermasse in einem steten Jetzt ihrer Teile. Auch die Unteilbarkeit des Flusses, die ständigen Wechsel und Veränderungen, die Wasserwirbel, die Schaumkrönchen auf der Oberfläche - das alles ist Veränderung bei gleichzeitiger Konstanz des Flusses als Fluss - oder eben des Lebens als Leben. Das Leben als Fluss verstanden zeigt das Leben in seinen feineren Nuancen - Nuancen, die entweder nicht thematisch werden in den eigentlichen Begriffen oder für die wir gar keine Begriffe haben, weil sie zu subtil sind für unsere Terminologie.
Eigentlich zeigt dein Beispiel das Gegenteil von dem, was du am Schluss folgerst. Die Nuancen, von denen du sprichst, sind nicht zu subtil für unsere Terminologie, sondern du hast sie ja direkt der Terminologie entnommen! Quasi vor unseren Augen, denn: Woher haben wir den unsere Begriffe? Unsere Begriffe sind mit unserem Leben und unserer Wirklichkeit verknüpft, das ist der Ort, wo wir sie gewinnen. Wenn man den Begriff so entfaltet, wie du es oben so schön getan hast, dann kommen Dinge des Lebens und der Wirklichkeit in den Blick, die ohne diese begriffliche Arbeit vielleicht im Dunkeln geblieben werden.

Obwohl ich nicht Davidson im Sinn hatte, habe ich die Anregung aufgenommen und das Buch gesucht :) Davidson schreibt am Ende des Aufsatzes, dass die Metapher dafür sorgt, dass wir ein Ding als etwas anderes sehen. Das ist die Als-Struktur, von der ich gesprochen habe, aber in einer verbesserten Version. Also nicht "etwas als etwas", sondern "etwas als etwas anderes". Das gefällt mir sogar noch besser.




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Mi 8. Jul 2020, 19:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 09:23
Wenn Argumente einfach übersprungen werden, dann sollten wir den Laden hier schließen. Das ist mein Ernst!
Für den Fall, daß sich dieser Ernst auch auf ein Gespräch über die Abdichtungen dieses "Ladens" erstreckt, die bereits jetzt auszumachen sind, werde ich mich - entgegen ursprünglichen Vorsätzen - einem solchen Gespräch nicht verweigern, vorausgesetzt, daß Friederike, Stefanie, Alethos sich daran beteiligen. - Ein solches Gespräch wäre im Bereich "Administratives, Anregungen und Vorschläge" am besten platziert. -




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jul 2020, 20:07

Nauplios hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 19:07
Will man die Gedanken, denen der Begriff Unbegrifflichkeit seine Entstehung verdankt, nachvollziehen, ist ein begriffsgeschichtliches Vorgehen notwendig, d.h. man sucht den Begriff gleichsam in Aktion auf, nämlich dort, wo Blumenberg ihn verwendet - in seinen Schriften.
Und das, was du dort gelesen und gelernt hast, kannst du nicht auf die Fragen, die hier gestellt werden anwenden?




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Mi 8. Jul 2020, 20:42

Doch. Aber nicht auf Fingerschnipp.




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Alethos
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Mi 8. Jul 2020, 23:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 19:19
Eigentlich zeigt dein Beispiel das Gegenteil von dem, was du am Schluss folgerst. Die Nuancen, von denen du sprichst, sind nicht zu subtil für unsere Terminologie, sondern du hast sie ja direkt der Terminologie entnommen! Quasi vor unseren Augen, denn: Woher haben wir den unsere Begriffe? Unsere Begriffe sind mit unserem Leben und unserer Wirklichkeit verknüpft, das ist der Ort, wo wir sie gewinnen.
Gewiss, das Leben ist der Ort, wo wir unsere Begriffe gewinnen und die Wirklichkeit ist dasjenige, was ihnen ihre Bedeutung gibt. Wir verstehen Metaphern gerade deshalb, weil wir die Begriffswirklichkeit des
einen Begriffs durch die metaphorische Verwendung hindurch im anderen Begriff wiedererkennen, da sich die Bedeutung trotz Übertragung erhält. Auch, wenn wir Begriffe "als etwas anderes" verwenden, also metaphorisch, erkennen wir ihre Wirklichkeit wieder. So gesehen bewegen wir uns immer in begrifflichen Strukturen, auch und vorallem, wenn wir Bedeutung von einem Begriff auf den anderen übertragen.

Nun vermag aber ein Begriff doch nicht durch sich selbst alles zu beleuchten, was wirklich an ihm ist. Er steht, wie du es schön sagst, in einem relevanten Verhältnis zu unserer Lebenswelt, zu seiner Etymologie, zu seiner Geschichte im Besonderen und der Geschichte im Allgemeinen, zu den Menschen, die ihn wälzten etc. Alles das formt den Begriff und umgibt ihn. Der Begriff bezieht seine Bedeutung nicht nur von den Gegenständen, die er bezeichnet, sondern doch auch von der Art und Weise seiner Verwendung, seiner Werdung und auch der rhetorischen Intention, die ein Sprecher an den Tag legt, um etwas zu heben, was nicht am Begriff selbst offensichtlich wird, aber vielleicht offensichtlich werden kann in der Verwendung des Begriffs als etwas anderes. Die Metapher funktioniert nicht einfach als Übersetzungsleistung von Begriffsbedeutung zu Begriffsbedeutung, sondern sie funktioniert, weil sie Assoziationen weckt, Anspielungen macht und dadurch neue Blickwinkel schafft, die der reine, eigentliche Begriff vielleicht nicht deutlich werden lassen kann.

Um Deutlichkeit geht es dem Begriff, der Metapher um Deutungsvielfalt, auch um ein kreatives Potenzial, meine ich, das sich eben auch in einer gewissen Offenheit äussert, vielleicht auch einer Deutungsoffenheit und terminologischen Unschärfe. Die Unschärfe ist aber nichts Produziertes, sondern wirklichkeitsimmanentes. Nicht alles ist eindeutig in der Wirklichkeit, keine Perspektive abschliessend. Der Begriff - als Terminus - kann die Wirklichkeit nicht in allen ihren Facetten, den unscharfen und undeutlichen, den unklaren und nicht distinkten, vollständig darstellen. Weil die Wirklichkeit nicht nur scharf begrifflich strukturiert ist, braucht es eine Methode, die dieser Unbegrifflichkeit durch Offenheit gerecht werden kann - die Metaphorologie verstehe ich als einen solchen Versuch, die Wirklichkeit in ihrer Vielgestaltigkeit zu fassen und damit als eine Methode, die nicht-begriffliche Wirklichkeit durch Begriffe durchscheinend auszudrücken.



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Jörn Budesheim
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Do 9. Jul 2020, 06:13

Alethos hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 23:18
um Deutlichkeit geht es dem Begriff
Erst einmal: danke für deinen Beitrag, ich werde sicherlich später noch detaillierter darauf eingehen. Jetzt zu dem Zitat: das wird von Nauplios/Blumenberg zwar wieder und wieder behauptet, aber das kaufe ich nicht. Begriffe können ebenso gut das Undeutliche, das Andeutungsweise, das Vage, das Atmosphärische, das sich nur Andeutende, das Schemenhafte, das Nebulöse et cetera erfassen. (Z.b. mit diesen und anderen Ausdrücken.)

Zudem muss man sich ja vergegenwärtigen, dass Begriffe keine Einzelgänger sind, und auch in der Regel nicht als solche auftreten: Menschen können Gedichte schreiben! Begriffe erlauben uns, einfache und komplexe Gedanken zu erfassen, die wir ihrerseits (oft, aber nicht immer) mit Sätzen ausdrücken können, die wiederum auf unsere Begriffsdifferenzierung zurück wirken können, weil sie manchmal unter die Haut gehen.

Der natürliche Lebensraum unserer Begriffe ist die komplexe Beziehung, die Vernetzung, das Wurzelwerk ... wie auch immer man es ausdrücken mag. Sie haben ihren Platz sowohl in diversen (!) Begriffsnetzen, als auch in vielfältigen Bezügen zur Wirklichkeit, sowie in den verschiedenartigen Gebrauchsweisen der Begriffsnutzer. Nur aus diesen bunten Netzwerken heraus ist der Begriff zu verstehen.

Und bei all dem geht es keineswegs immer um Deutlichkeit.




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Jörn Budesheim
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Do 9. Jul 2020, 06:40

Alethos hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 23:18
um Deutlichkeit geht es dem Begriff
Nehmen wir mal ein Beispiel: der Farb-Begriff "orange". Ein kompetenter Begriffsverwender weiß, dass dieser Begriff nicht deutlich ist, sondern seinen Platz in Übergängen hat! Zu dem Begriff selbst gehört es, dass orange einen unscharfer Raum zwischen gelb und rot meint. Es ist Teil der kompetenten Begriffsverwendung zu wissen, dass der Begriff eben gerade nicht deutlich ist. Dieses Undeutliche kann je nach Gesprächszammenhang seinerseits thematisiert werden, wenn es relevant ist. Z.b. mit: "ging mehr Richtung rot", "fast schon gelb", dicht an HKS 6, "ungefähr wie das da"...

Es gehört gewissermaßen zum Leistungsstärke der Begriffe, dass sie nicht deutlich sein müssen (aber, je nach den Umständen sein können) und ihre Deutlichkeit, wenn sie gefragt ist, erst aus den diversen Kombinationen von verschiedenen Begriffen in ihrem jeweiligen Zusammenhang gewinnen können, aber nicht müssen.




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Jörn Budesheim
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Do 9. Jul 2020, 07:45

Alethos hat geschrieben :
Mi 8. Jul 2020, 23:18
Nun vermag aber ein Begriff doch nicht durch sich selbst alles zu beleuchten, was wirklich an ihm ist. Er steht, wie du es schön sagst, in einem relevanten Verhältnis zu unserer Lebenswelt, zu seiner Etymologie, zu seiner Geschichte im Besonderen und der Geschichte im Allgemeinen, zu den Menschen, die ihn wälzten etc. Alles das formt den Begriff und umgibt ihn.
Ja und nein. Ja, weil es wichtig ist auf die Verhältnisse, die Lebenswelt und die Umgebung hinzuweisen. Nein, weil all dies nicht etwas ist, was dem Begriff äußerlich ist, sondern zu ihm gehört. Wenn man sich ein Netz vorstellt, dann gibt es darin vielleicht Knotenpunkte, aber diese wiederum sind nur aus dem Gesamt des Netzes heraus zu verstehen.




Nauplios
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Do 9. Jul 2020, 08:09

Die Metapher wird von Blumenberg in den Paradigmen dem Descartes' schen "hypothetischen ˋEndzustand´ der Philosophie" kontrastiert, welche entworfen wird als Folge und Abschluß des methodischen Programms, das Descartes im Discours de la Methode (1637) vorlegt. "Die erste (Vorschrift) besagt, niemals eine Sache als wahr anzuerkennen, von der ich nicht evidentermaßen erkenne, daß sie wahr ist: d.h. Übereilung und Vorurteile sorgfältig zu vermeiden und über nichts zu urteilen, was sich meinem Denken nicht so klar und deutlich darstellte, daß ich keinen Anlaß hätte, daran zu zweifeln." (Descartes; Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs; S. 31) -

Descartes spricht von "klar und deutlich", nicht Blumenberg und nicht ich. Ich zitiere Blumenberg. Und Blumenberg zitiert Descartes. "Klar und deutlich" heißt auf Latein clare et distincte. In den Meditationen weist Descartes daraufhin, daß unsere Begriffe clare et distincte sein müssen. Descartes macht das am berühmten Wachsbeispiel in der zweiten Meditation hinsichtlich des Materiebegriffs klar (Meditationen; S. 53), welches ihm "zur Einübung" dient. -

Das clare et distincte als Anforderungsprofil an die philosophische Begriffsbildung stammt jedoch nicht von Descartes. Es kommt schon in der Scholastik des Mittelalters vor.

Kant schreibt in seiner Logik:

"Die Deutlichkeit der Erkenntnisse und ihre Verbindung zu einem systematischen Ganzen hängt ab von der Deutlichkeit der Begriffe, sowohl in Ansehung dessen, was in ihnen, als in Rücksicht auf das, was unter ihnen enthalten ist. Das deutliche Bewusstsein des Inhalts der Begriffe wird befördert durch Exposition und Definition derselben, das deutliche Bewußtsein ihres Umfangs dagegen durch die logische Eintheilung derselben - Zuerst also hier von den Mitteln zu Beförderung der Deutlichkeit der Begriffe in Ansehung ihres Inhalts." (Logik, Paragraph 98; AA, Bd. IX; S. 140) -

Allein in diesem Abschnitt spricht Kant gleich zweimal von der "Deutlichkeit der Begriffe". -

In den Logischen Untersuchungen schreibt Husserl: "Die Phänomenologie erschließt die Quellen, aus denen die Grundbegriffe [...] entspringen und bis zu welchen sie wieder zurückverfolgt werden müssen, um ihnen die für ein erkenntniskritisches Verständnis [...] erforderliche 'Klarheit und Deutlichkeit' zu verschaffen." (Logische Untersuchungen; II/1; S. 3) -

Es geht darum, daß die Klarheit und Deutlichkeit der Begriffe ein Ziel ist sowohl in der cartesischen Tradition, in die sich noch die Phänomenologie Husserls stellt (vgl. seine Cartesianischen Meditationen) als auch in der an Kant anschließenden kritischen Tradition. Die begriffsgeschichtlichen Wurzeln des "clare et distincte" reichen dabei zurück bis in die Scholastik des Mittelalters. Weder Descartes noch Kant noch Blumenberg noch Nauplios bestreiten das Vorkommen von unklaren und undeutlichen Begriffen. Aber, und das ist das Entscheidende, die Metapher wird in den Paradigmen einem "hypothetischen Endzustand" der Philosophie kontrastiert und in diesem hypothetischen Endzustand sind die philosophischen Begriffe allesamt "klar und deutlich". Alethos hat also vollkommen recht, wenn er schreibt: "Um Deutlichkeit geht es dem Begriff." - Exakt so ist es. Der Begriff zielt auf Deutlichkeit. Er behauptet nicht, daß alle Begriffe deutlich SIND. Das behauptet niemand. Aber dem Begriff GEHT es um Deutlichkeit. Und das läßt sich in den angesprochenen Traditionen ganz leicht und dutzendfach belegen. -




Nauplios
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Do 9. Jul 2020, 08:32

Auch daß Begriffe einen Spielraum haben, bestreitet niemand. Auch Blumenberg nicht. Hätte er diesen Spielraum nicht, sondern würde er exakt nur EIN Ding, EINE Sache bezeichnen, läge gar kein Begriff vor, sondern ein Name. Daß ein Begriff diesen Spielraum hat, schmälert nicht seine Deutlichkeit. Deutlichkeit meint nicht: eindeutig dieser Elefant. Deutlichkeit meint, daß der Begriff nicht so eng gestellt ist, daß er nur den einen Elefanten Boris bezeichnet und nicht so weit gestellt ist, daß mit Elefant nicht sämtliche Tiere Afrikas gemeint sind. Daß der Begriff so kalibriert und definiert ist, daß mit Elefanten lediglich Elefanten gemeint sind, keine Nashörner und keine Krokodile, macht die Deutlichkeit aus. Er ist aber auch wiederum nicht so definiert, daß er nur Elefanten ab 5 Tonnen Gewicht bezeichnet und Elefanten, die 4 Tonnen wiegen, nicht. Das ist der Spielraum, den ein Begriff sogar haben muß, damit er deutlich ist. Spielraum und Deutlichkeit gegeneinander auszuspielen, führt das Verständnis in die Irre. - Definitio fiat per genus proximum et differentiam specificam. Das ist die scholastische Version der bis zu Aristoteles zurückreichenden Definitionsregel. -




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