Blumenberg-Kritik

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
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Nauplios
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So 14. Jun 2020, 13:30

In den Paradigmen zur Metaphorologie schreibt Blumenberg:

"Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam 'im Rücken'; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, 'kanalisiert' in dem, was überhaupt sich zu zeigen vermag und was wir in die Erfahrung bringen können." (Hans Blumenberg; Paradigmen zu einer Metaphorologie; S. 92)


Ob und was "im Rücken" steht, ist eine Vorstellung, deren Geburtsstunde in der Kritik der reinen Vernunft Kants liegt. Das "Ding an sich" können wir danach nicht erkennen, weil unser Erkenntnisvermögen dieses Ding immer schon gestaltet und formt. Die Wirklichkeit ist uns nach dieser Auffassung nicht direkt zugänglich. Während bei Kant die Erkenntnisbedingungen uns gleichsam "im Rücken" liegen, sind es bei Blumenberg Bildervorrat und Bilderwahl, die einen epochenspezifischen Begriff von Wirklichkeit generieren, der für die Zeitgenossen einer Epoche nicht verfügbar ist, weil er als implikativer Begriff erst jenseits der Epochenschwelle sichtbar wird. Damit verlegt Blumenberg diesen Bildervorrat - darin Kants Muster folgend - ebenfalls in den "Rücken".

Die Philosophie hat dieses Muster, in dem der Selbstwiderspruch liegt, daß man zum Zeitpunkt des Behautens, etwas läge im Rücken, ja gar nicht sehen kann, ob und was im Rücken liegt, immer wieder kultiviert als transzendentale Erkenntnisbedingungen, als "blinden Fleck" u.ä. Vollends mit dem Konstruktivismus und der Postmoderne ist daraus ein Perspektiven-Relativismus entstanden, der die Philosophie in die Sackgasse des Beliebigen geführt hat. - Auch Blumenbergs Philosophie der Umwege und des bloß metaphorischen Zugangs zur Welt führt letztlich in diesen Relativismus.

Gegen dieses Muster hat der Neue Realismus überzeugend nachgewiesen, daß wir die Wirklichkeit so wie sie ist erkennen können. Die Geburtsstunde dieses Neuen Realismus ist nach Auskunft von Markus Gabriel der 23. Juni 2011, "ungefähr 13.30". Geburtsort ist das Restaurant Il Vinacciolo in Neapel.

Seit diesem 23. Juni 2011 ist eine lange Tradition der europäischen Philosophie des Irrtums und des Selbstwiderspruchs überführt. Sich mit Hans Blumenberg und seiner Philosophie zu beschäftigen, kann also nur noch für die Archivare der Philosophiehistorie von Belang sein. Seine Philosophie ist es, die in Wirklichkeit der philosophischen Wahrheitssuche und dem philosophischen Fortschritt "im Rücken" steht. -




Nauplios
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So 14. Jun 2020, 13:37

Ich glaube, so entspricht es der Wahrheit. -




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Jörn Budesheim
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So 14. Jun 2020, 14:16

Nauplios hat geschrieben :
So 14. Jun 2020, 13:30
Seit diesem 23. Juni 2011 ist [laut Gabriel] eine lange Tradition der europäischen Philosophie des Irrtums und des Selbstwiderspruchs überführt.
Ich denke nicht, dass das der Wahrheit entspricht. Nennen wir es einfach einen Irrtum.

Markus Gabriel beschäftigt sich in vielen seiner Büchern übrigens auch mit Blumenberg, den er offenbar ziemlich schätzt. Aber das nur am Rande. Das philosophische Gespräch, welches Gabriel sucht und führt, reicht von den Ursprüngen der Philosophie bis in die Gegenwart. Oft beschwert er sich darüber, wenn es der Philosophie nicht gelingt, auf der Höhe von Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Fichte und insbesondere Schelling zu denken.

Alles, was er entwickelt, entwickelte er im Gespräch (und in der Auseinandersetzung) mit diesen und vielen anderen Denkern. Weitere Teilnehmer der Diskussion sind natürlich auch die Naturwissenschaften und die Kunst! Bei den Naturwissenschaften sind insbesondere die bahnbrechenden Forschungen von Giulio Tononi zu nennen, die Gabriel als einen Schock bezeichnet. In der Kunst kann man stellvertretend Rilke nennen, der immer wieder zitiert wird und von dem Gabriel sagt, dass er von ihm entscheidende Anregungen für seine Sinnfeld-Ontologie erhalten hat.

Wenn er sich mit solchen Forschern und Künstlern ins Gespräch begibt, z.b. mit Kant zu der Frage des Weltbegriffs, zu dem Kant wichtige Dinge beigesteuert hat, dann scheut er sich natürlich nicht, die fraglichen Autoren mit klaren Argumenten auch zu kritisieren ...




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