Hans Blumenberg in effigie

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
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Friederike
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Di 23. Jun 2020, 13:30

Nauplios hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 00:52
Naja, für die "Klärung von Sachverhalten" fühle ich mich nicht zuständig. Der Absolutismus der Wahrheit scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. ;) Aber jetzt mal im Ernst. Ob nun drei Stellplätze und zwei Autos oder zwei Stellplätze und drei Autos ... Es handelt sich hier um Interviews, die in lockerer Form, vielleicht bei einer Tasse Kaffee, vielleicht bei einem Glas Wein, vielleicht bei zwei Gläsern Wein mit einem Mann geführt werden, der zur Zeit des Interviews immerhin in seinem 76. Lebensjahr stand und in seinen Erinnerungen über Ereignisse spricht, die sich zwischen 1962 und 1965 zugetragen haben, mithin mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen. - Vereinfacht ausgedrückt: es ging darum, daß Hossenfelder Blumenberg den Parkplatz klaute.
Das ist der Unterschied zu der/den Geschichte/n, die Blumenberg erzählt; bei ihm stimmen die Details ( die zumindest sind "wahr" 8-) ). Lücken, Ungereimtheiten, die die Erzählung unschlüssig machen ... gibt's die bei ihm?!




Nauplios
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Di 23. Jun 2020, 15:55

Die Geschichten, die Blumenberg in seinen großen Monographien erzählt, wie etwa die von der Umbesetzung des Höhlengleichnisses in Höhlenausgänge oder die von der Selbstbehauptung des neuzeitlichen Menschen gegen den Willkürgott des Nominalismus oder die von der actio per distans bei der Begriffsbildung ... wollen wir diese Geschichten vergleichen mit der Geschichte von den drei Parkplätzen? :)

Die Geschichte von den drei Parkplätzen muß nicht stimmen. Die gerade angeführten Geschichten Blumenbergs müssen auch nicht stimmen. (So viel Vergleich ist möglich.) - Wichtiger als daß sie stimmen, ist, daß sie stimmig sind. Darüber streitet die Philosophie (s. Flasch, Schlaffer u.a.). Es gibt auch hier keine "nackte Vergangenheit", an der eine adaequatio die historische Beschreibung messen und als wahr oder unwahr erweisen könnte.

Wenn Blumenberg in seinen späten Jahren aus der einsamen Erinnerung an einen ehemaligen Schulfreund schreibt, dann gibt es auch bei ihm "Ungereimtheiten", Verwechslungen, Erinnerungslücken, die Zill in seinem Anmerkungsapparat ausweist. Wie sollte das in einem Leben auch anders sein? - Selbst dem akribisch seine Geschichte dokumentierenden Hans Blumenberg sind da Fehler unterlaufen. Deine Idealisierung Blumenbergs bekommt Risse, Friederike. ;)




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Stefanie
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Di 23. Jun 2020, 17:16

Kurzes off-topic
Nauplios:
Außerdem scheinen die Autosorten bei dem Parkplatzklau eine Rolle zu spielen, angeberisch vs. bieder oder so" - Auch Anfang der 60er Jahre war das Auto bereits ein Statussymbol. Und ganz offensichtlich waren die Philosophen der damaligen Zeit vor der Inbesitznahme durch Statussymbole nicht sicher. Warum auch sollten sie es sein? - Wir Heutigen sind da unendlich viel schlauer. Angebertum, das gibt es praktisch gar nicht mehr, schon gar nicht, wenn es um Autos und Straßenverkehr geht. Diesbezüglich können wir uns zugute halten, daß wir der automobilen Vernunft endgültig zum Durchbruch verholfen haben. Der 7. Sinn ist ubiquitär. Wer würde sich heute noch über eine mangelnde Parkgelegenheit ärgern? - Eben. -
:- )))

Einer der besten Werbekampagnen einer Autofirma ist meiner Meinung nach die von Dacia ...weil sie den Nagel auf den Kopf trifft. "Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen."
Deshalb fahre ich einen Smart :- ))



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Friederike
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Di 23. Jun 2020, 17:41

Nauplios hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 15:55
Wenn Blumenberg in seinen späten Jahren aus der einsamen Erinnerung an einen ehemaligen Schulfreund schreibt, dann gibt es auch bei ihm "Ungereimtheiten", Verwechslungen, Erinnerungslücken, die Zill in seinem Anmerkungsapparat ausweist. Wie sollte das in einem Leben auch anders sein? - Selbst dem akribisch seine Geschichte dokumentierenden Hans Blumenberg sind da Fehler unterlaufen. [...]
Wie ist denn der letzte Satz gemeint, @Nauplios? In welcher Form - doch keine Tagebücher oder späte tägliche Notizen auf Zetteln? Bezieht sich die Äußerung auf Briefe, auf die von Dir erwähnten Briefe an den Schulfreund? Ich bin total überrascht ... :roll:




Nauplios
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Di 23. Jun 2020, 17:56

Stefanie hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 17:16
Kurzes off-topic

:- )))

Einer der besten Werbekampagnen einer Autofirma ist meiner Meinung nach die von Dacia ...weil sie den Nagel auf den Kopf trifft. "Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen."
Deshalb fahre ich einen Smart :- ))
Da wir schon dabei sind: ich fahre einen Twizy. Höchstgeschwindigkeit: ca. 75 km/h (mit Rückenwind: 80) / Reichweite: ca 80 km (je nach Fahrweise) / aufladbar an jeder Haushaltssteckdose. Das Auto hat keine Servolenkung, keine Fenster, keine Türen, keine Heizung - mit einem Wort: ein Auto für echte Kerle, die sich den Gefahren der Natur todesmutig entgegenstellen. ;)




Nauplios
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Di 23. Jun 2020, 18:08

Friederike hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 17:41

Wie ist denn der letzte Satz gemeint, @Nauplios? In welcher Form - doch keine Tagebücher oder tägliche Notizen auf Zetteln? Bezieht sich die Äußerung auf Briefe, auf die von Dir erwähnten Briefe an den Schulfreund? Ich bin total überrascht ... :roll:
Aus Deiner Frage spricht doch nicht etwa eine postmoderne Form der curiositas, Friederike? ;)

Tagebücher wurden im Nachlaß bislang nicht gefunden, obwohl Blumenberg solche als "Aufzeichnungen" gelegentlich in seinen Briefen andeutet. Er hat vor allem seine philosophischen Tätigkeiten dokumentiert in Form von Leselisten, Karteikarten, die das Gelesene archivieren ...

Korrespondenzen gibt es dagegen einige, u.a. mit Schulfreunden aus dem Lübecker Katharinäum, mit anderen Philosophen, mit Schriftstellern, Behörden, Hochschulen ...

Ich werde demnächst einiges aus der Zill-Biographie hier einstellen. Es wird interessant werden. ;)

Worüber bist Du denn "total überrascht", Friederike?




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Stefanie
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Di 23. Jun 2020, 18:15

Endlich mal ein Auto, welches auch mein Smart überholen kann. Mein Smart dürfte in Altenberge (Blumenberg hat dort gewohnt) die Straße unten vom Rathaus zum Bahnhof locker schaffen, beim Twizy habe ich da so meine Bedenken.
Bin schon wieder weg...



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Nauplios
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Di 23. Jun 2020, 23:38

Stefanie hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 18:15
Endlich mal ein Auto, welches auch mein Smart überholen kann. Mein Smart dürfte in Altenberge (Blumenberg hat dort gewohnt) die Straße unten vom Rathaus zum Bahnhof locker schaffen, beim Twizy habe ich da so meine Bedenken.
Bin schon wieder weg...
Du kennst Altenberge, Stefanie?

(eine kleine Gemeinde im Kreis Steinfurt, unweit von Münster) Blumenberg wohnte hier (Grüner Weg 30):
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Nauplios
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Mi 24. Jun 2020, 01:00

"Ein Faktum unseres Lebens gilt nicht, insofern es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hatte." (Eckermann; Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens; S. 446) -

"All diese aneinandergefügten Erinnerungen bildeten eine Art fester Masse, dennoch gab es zwischen den älteren und den neueren, solchen, die aus einem Duft aufstiegen, und solchen, die eigentlich Erinnerungen anderer Menschen waren, von denen ich sie erst übernahm, wenn nicht gerade Risse so doch kleine Spalten oder wenigstens Äderungen und farbliche Unterschiede, wie sie bei manchen Gesteinsbildungen, besonders den Marmorarten, auf die Verschiedenheit des Ursprungs, des Alters oder der ˋFormationen´ zurückzuführen sind." (Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 1: In Swanns Welt

28. März 1942: in der Nacht vor Palmsonntag wird die alte Hansestadt Lübeck durch einen Luftangriff britischer Bomber zerstört. Hans Blumenberg ist 21 Jahre alt. Das Haus des Kunstdruck-Verlegers Josef Carl Blumenberg wird in Schutt und Asche gelegt. Die Familie überlebt den Angriff, der Familienhund nicht. Axel, ein Collie, kommt bei dem Angriff um. Sohn Hans verliert seine stattliche Bibliothek; kein Buch ist zu retten.

28. März 1996: in Altenberge stirbt der Philosoph Hans Blumenberg inmitten seiner inzwischen wieder auf tausende von Büchern angewachsenen Bibliothek und umgeben von mehreren zehntausend von ihm selbst verfaßten Seiten an einem Herzinfarkt. -

Lesen war für Blumenberg eine Obsession. Schon als Schüler führt er Listen mit Gelesenem. In sein Denken fließt alles ein, was er sich aus den Bereichen Philosophie, Theologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Naturwissenschaft, Literatur ... einverleibt. "Ein Text wird nicht nur daraufhin gelesen, was er sagt, [...], sondern auch daraufhin, was in ihm mitschwingt: der Horizont, vor dem sich etwas Geschriebenes entfaltet [...] Dazu gehört ebenso, was gerade nicht ˋrezipiert´ wird [...]: Was am Horizont hätte sein können, es aber - aus welchen Gründen auch immer - nicht war, was sich als Problem hätte stellen können, aber nicht über die Wahrnehmungsschwelle gelangte." (Rüdiger Zill; Der absolute Leser; S. 10) -

"Für einen analytischen Philosophen ist es gleichgültig, ob er mit einem Kollegen diskutiert oder einen Text von Aristoteles studiert. Er behandelt beide gleichermaßen als Gesprächspartner, an deren Argument er interessiert ist: ein Argument, das er prüft und widerlegt oder übernimmt, gegebenenfalls ausbaut." (Zill; S. 9) -

Hier wird schon ganz früh, im Prolog der Biographie, klar, warum man mit der Suche nach Argumenten, Begründungen, Thesen, Forschungslogiken u.ä. beim Verstehen der Blumenberg´schen Philosophie nicht weit kommt. Der "Horizont, vor dem sich etwas Geschriebenes entfaltet" und das man auch zur Entfaltung kommen lassen muß, selbst da, wo es "nicht über die Wahrnehmungsschwelle gelangte", ist für das Verständnis der Blumenberg´schen Texte unverzichtbar. Dem Leser wird implizit abverlangt und zugemutet, daß er diesen Horizont beim Lesen abschreitet, daß er auch das, "was hätte sein können" beim Lesen vorhält. Das ist einer der Gründe, warum ein Speed-Dating mit der Gedankenwelt Blumenbergs unbefriedigend bleiben muß. Umwegig und umständlich ist das Kennenlernen dieser Gedankenwelt.

Blumenberg selbst gibt als ein Beispiel den Ulysses von James Joyce an. Bestimmte Schichten dessen, was er "Bedeutsamkeit" nennt, seien in diesem Roman nicht aus dem Text allein zu erschließen, sondern es brauche dazu "geborene Hermeneuten". - "Dieser Anspruch könne natürlich nur an eine kleine Zahl von Lesern gestellt werden, aber das sei kein Einwand gegen diese Literatur, denn literarische Kunstwerke seien ˋnoch niemals für alle geschrieben worden´." (vgl. Arbeit am Mythos; S. 95) -

Rüdiger Zill ergänzt dazu: "Wer aus der Welt eines humanistischen Gymnasiums kommt, liest natürlich die philosophischen Klassiker im griechischen und lateinischen Original und schätzt sie entsprechend hoch ein. Auch wenn Blumenberg sicher Englisch und Französisch leidlich beherrschte, so war Literatur in diesen Sprachen doch für ihn von anderer, geringerer Dignität. Das mag ein Grund gewesen sein, warum er wichtige Autoren der angelsächsischen Metapherntheorie nie gelesen, geschweige denn ernst genommen hat." (Zill; S. 19) -

"Er besitzt eine leichte Auffassungsgabe und ist brav und fleißig." (So schreibt es die Klassenlehrerin in Sütterlin. Es ist Hans Blumenbergs erstes Zeugnis.)




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Stefanie
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Mi 24. Jun 2020, 07:34

Nauplios hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 23:38
Stefanie hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 18:15
Endlich mal ein Auto, welches auch mein Smart überholen kann. Mein Smart dürfte in Altenberge (Blumenberg hat dort gewohnt) die Straße unten vom Rathaus zum Bahnhof locker schaffen, beim Twizy habe ich da so meine Bedenken.
Bin schon wieder weg...
Du kennst Altenberge, Stefanie?

(eine kleine Gemeinde im Kreis Steinfurt, unweit von Münster) Blumenberg wohnte hier (Grüner Weg 30):

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Kennen ist zu viel gesagt. Ich war zweimal jeweils zwei Tage dort, aus beruflichen Gründen. Übernachtet in dem Hotel direkt an der Bahn Haltestelle und wir mussten immer "runter" in das Gewerbegebiet. Ich fragte beim ersten mal, warum der Ort Altenberge heißt; wo denn der Berg sei. Antwort: Na den merken Sie doch, wenn Sie die Bahnhofstraße fahren. Ich, ach so, dieser Minihügel. Empörter Gesichtsausdruck. Aber damals war das Hotel wirklich gut, und ein nettes Restaurant, irgendwas mit Kartoffeln, aber dass dort ein berühmter Philosoph wohnte, wusste ich damals nicht. Scheinbar Altenberge auch nicht so richtig.



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Friederike
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Mi 24. Jun 2020, 08:17

Ich sag' erst morgen wieder was.




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Friederike
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Mi 24. Jun 2020, 09:23

Dies doch noch heute:
Nauplios hat geschrieben :
Di 23. Jun 2020, 18:08
Tagebücher wurden im Nachlaß bislang nicht gefunden, obwohl Blumenberg solche als "Aufzeichnungen" gelegentlich in seinen Briefen andeutet. Er hat vor allem seine philosophischen Tätigkeiten dokumentiert in Form von Leselisten, Karteikarten, die das Gelesene archivieren ...
Korrespondenzen gibt es dagegen einige, u.a. mit Schulfreunden aus dem Lübecker Katharinäum, mit anderen Philosophen, mit Schriftstellern, Behörden, Hochschulen ...
Worüber bist Du denn "total überrascht", Friederike?
Über Deine Formulierung, B. habe seine Geschichte akribisch dokumentiert. Du hast es oben beantwortet, aber ich hatte dabei eben nicht nur an Lese- und Arbeitslisten gedacht, sondern an das Notieren von Treffen, Auftritten, Ereignissen im Haushalt, Einkäufen für das Häuschen, Ärgernissen u.dgl.




Nauplios
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Mi 24. Jun 2020, 13:31

Es ist wohl so, daß es außer den Leselisten auch Listen über Vorträge gibt, die Blumenberg gehalten hat - vielleicht wird sich in dem Zusammenhang ja auch noch das Geheimnis um den Vortrag vor den Postbeamten in Bargteheide aufklären - und Lehrveranstaltungen, die er gehalten und als Student besucht hat. Aber "Ereignisse im Haushalt" oder "Einkäufe für das Häuschen" oder auch Reisen sind eher nicht gelistet. Ich muß allerdings einschränkend sagen, daß ich von den 800 Seiten bislang auch nur 200 gelesen habe; ich bin jetzt bei den "Ärgernissen" um seine Habilitationsschrift angekommen, weiß also nicht, was Zill noch alles zutage fördern wird. In den Anfangsjahren sind es vor allem Korrespondenzen mit Behörden, Anträge und private Briefe, auch Veröffentlichungen von Zeitgenossen, die Blumenberg gekannt haben, Chroniken von Gymnasien und Universitäten, staatliche Archive ... und natürlich all das, was in Marbach liegt, auf das sich Zill beruft. Man darf sich das nicht so vorstellen als hätte man hier einen kleinen Hausstand als Erbmasse, in der sich ein paar Bücher, ein Schrank von Kleidungsstücken, eine Zigarrenkiste mit Kurzwaren und der letzte Einkaufszettel von Aldi findet. Rüdiger Zill hat in Marbach mit Dorit Krusche, die dort den Nachlaß verwaltet, eine enorme Arbeit geleistet und natürlich mußte er am Ende eine Auswahl treffen. Er hat mit Zeitzeugen gesprochen, sofern sie noch leben, mit hochbetagten Menschen jenseits der 90; die Arbeit an dieser Biographie hat sich wahrscheinlich über Jahre hingezogen. Ein sehr umfangreicher Anmerkungsteil kommentiert die Quellen. Und man darf nicht vergessen, es ist ja auch eine "intellektuelle Biographie"; Zill schreitet neben den äußerlichen Daten auch die philosophische Entwicklung, den Denkweg Blumenbergs ab. Er ist ja nicht wie Safranski "hauptamtlich" Biograph, sondern Philosoph.

An anderer Stelle hatte ich schon mal auf einen Vortrag Zills über Blumenberg verlinkt. Also das Denken Blumenbergs hat er wirklich gut dargestellt.

Der Suhrkamp-Verlag hat in seiner Reihe "Diskurs" übrigens ein Gespräch mit Rüdiger Zill geführt, das man sich hier anschauen kann:

https://www.suhrkamp.de/mediathek/100_g ... _1634.html




Nauplios
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Mi 24. Jun 2020, 16:27

Kaum daß die Biographie von Rüdiger Zill über Hans Blumenberg erschienen ist, folgt nun nächste Woche ein weiteres umfangreiches Portrait des Blumenberg-Schülers Jürgen Goldstein nach; es ist bereits seine zweite Arbeit über Blumenberg:

9783957577580-x160xx400x-1589976021.jpg
9783957577580-x160xx400x-1589976021.jpg (40.57 KiB) 9757 mal betrachtet

Hier der Link zur Vorstellung des Buches auf der Verlagsseite:

https://www.matthes-seitz-berlin.de/buc ... nberg.html




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Mi 24. Jun 2020, 18:54

Nauplios hat geschrieben :
Mi 24. Jun 2020, 13:31
Rüdiger Zill hat in Marbach mit Dorit Krusche, die dort den Nachlaß verwaltet, eine enorme Arbeit geleistet und natürlich mußte er am Ende eine Auswahl treffen.
Nur eine Nachfrage, die sicher flott zu beantworten ist ... (frage mich nicht, was der Zusatz soll :mrgreen: ) - der "Sinneswandel der Familie", den Du eingangs erwähntest, bedeutet, daß sie den gesamten Nachlaß freigegeben hat zur Einsichtnahme und gegebenenfalls Veröffentlichung?




Nauplios
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Do 25. Jun 2020, 00:20

Vom "Sinneswandel in der Familie" spricht Rüdiger Zill und bedankt sich in dem Zusammenhang bei Caspar Blumenberg, einem Sohn Hans Blumenbergs und Bettina Blumenberg, der Tochter von Hans Blumenberg.

Bettina Blumenberg ist - wenn ich es richtig sehe - die entscheidende Ansprechpartnerin, wenn es um die Manuskripte ihres Vaters geht. Wer aus einem der zigtausend Seiten aus dem Nachlaß zitieren will, braucht ihre Erlaubnis. Sie hat, wie Zill es schreibt, "viele Fotos aus dem Familienarchiv zur Reproduktion in diesem Buch freigegeben". - Andere Fotos stammen aus dem Besitz von Caspar Blumenberg, der sie ebenfalls für die "intellektuelle Biographie" von Zill freigegeben hat. - Offenbar waren beide am Zustandekommen der Arbeit von Zill wohlwollend beteiligt.

Daß es einem Biographen gelingt, die Nachkommen und Nachlaßbetreuer eines Philosophen, der zeit seines Lebens nur ein Foto von sich für die Öffentlichkeit freigegeben hat (und das wahrscheinlich auch nur auf Drängen des Verlags), davon zu überzeugen, daß es ein öffentliches Interesse an der Person und am Leben dieser Person gibt, ist ja nicht selbstverständlich. Die Kinder haben wohl in den ersten Jahren die Linie des Vaters verfolgt und ihn verborgen. Doch jetzt, da Blumenberg in den letzten Jahren immer mehr zum Gegenstand eines philosophischen und biographischen Interesses wird und wo doch in diesem Jahr der 100. Geburtstag ins Haus steht, konnten und wollten sie diese Linie nicht länger fortführen; daher - womöglich - der "Sinneswandel der Familie". Hinzu kommt eine seit 20 Jahren anhaltende Flut von Veröffentlichungen aus dem Nachlaß - letztes Jahr Die nackte Wahrheit, vor einigen Tagen Realität und Realismus - , daß eigentlich der Umfang von Nachlaß-Schriften und zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften gleich groß sein müßte. -

Hans Blumenberg hatte vier Kinder: Markus, Bettina, Caspar und Tobias. - Der älteste Sohn, Markus, starb bereits 2013. Bettina und Caspar werden im "Dank" namentlich erwähnt. - Und Tobias? -

Tobias Blumenberg, der "belesendste Zahnarzt Deutschlands", berichtet der Schwäbischen Zeitung Ende 2019 über seinen Vater:

"Er hat mich geprügelt, gequält und hat keinen Sinn für meine Kindlichkeit aufgebracht. Das hat dazu geführt, daß ich sehr gerne das Elternhaus verlassen habe." -

Was nun aus dem Nachlaß noch herausgegeben wird in den nächsten Jahren, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis. Heute schreibt der Vorstand der Hans-Blumenberg-Gesellschaft den Mitgliedern eine e-mail und weist auf Veranstaltungen und weitere Literatur zu seinem Werk hin, außerdem auf einen Miniaturtext aus Begriffe in Geschichten mit dem Titel "Infektion als absolute Metapher". ;)




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Do 25. Jun 2020, 01:20

Stefanie hat geschrieben :
Mo 1. Jun 2020, 17:03

Es geht doch um den Menschen, in all seiner Komplexität und Vielfalt.

"Immer wieder fragt er: Was hat es mit dem Menschen auf sich?" (Franz Josef Wetz in seinem Vortrag über Hans Blumenberg)

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Do 25. Jun 2020, 01:35

Natürlich gibt es zum 100. Geburtstag Blumenbergs auch eine Ausstellung.

"Hans Blumenberg. Denken in Metaphern."

"Eine Kooperation zwischen der Westfälischen Wilhelms-Universität, dem Westfälischen Kunstverein sowie dem LWL-Museum für Kunst und Kultur anlässlich des 100. Geburtstags des Philosophen Hans Blumenberg."

https://www.westfaelischer-kunstverein. ... lumenberg/

 




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Do 25. Jun 2020, 02:14

Das "Buch der Woche" vom 20. Oktober 2019: Die nackte Wahrheit

https://srv.deutschlandradio.de/themes/ ... lumenberg+




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Do 25. Jun 2020, 10:56

Der Link zum Vortrag von Wetz "Radikaler Kritiker der Moderne - der Philosoph Hans Blumenberg" scheint nicht zu funktionieren. Hier der Link auf die entsprechende Seite des SWR:

https://www.swr.de/swr2/wissen/radikale ... 1-100.html




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