Aspekte der Unbegrifflichkeit

In desem Forum kann die Philosophie des deutschen Philosophen Hans Blumenberg diskutiert werden.
Benutzeravatar
Friederike
Beiträge: 4950
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 07:48

Fr 17. Jul 2020, 09:19

Lieber Nauplios, amüsiert habe ich soeben Deine beiden Antworten an mich gelesen. Du wirst verstehen, daß ich erst einmal "verdauen" muß 8-) - die Anmutung, ich hätte nullkommanix von der Metapher begriffen. Vielleicht liegt es eher an diesen beiden Sätzen ... wie auch immer, ich werde mich im Laufe des Tages damit befassen.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Fr 17. Jul 2020, 09:21

Nauplios hat geschrieben :
Fr 17. Jul 2020, 08:30
Nicht so in den Blumenberg-Threads
Mein Einwand oben richtet sich nicht "gegen" Blumenberg.

Meine Einwände gelten dem Definitionsbeispiel für "gelb". Wieso wird das einfach akzeptiert? Weil es so schön passt? Oder, weil man es im Ernst für ein brauchbares Beispiel hält? An der Stelle reden wir keineswegs über Blumenberg, sondern über dein Beispiel. Wenn du so etwas akzeptierst, warum akzeptierst du dann nicht, dass die Welt alles ist, was der Fall ist? Warum dann nicht akzeptieren, dass Heidegger mit seiner Seinsfrage auf dem Holzweg ist, weil das nichts mehr ist als eine unzulässige "Verdinglichung". Das sind schließlich keine Positionen, die ich frei erfunden habe. (Ich teile sie auch nicht.) Sie gehören aber mit demselben Recht zur "Wirkungsgeschichte" wie anderes auch.

Deswegen verstehe ich solche Sätze auch nicht: "Wenn man beispielsweise sagt: Die Welt ist alles, was der Fall ist und darauf beharrt, dann macht man es sich besonders schwer mit dem Verstehen eines Philosophen wie Gabriel, der uns erklärt, warum es die Welt nicht gibt." Wer beharrt denn? Niemand. (Ich finde, dass Wittgenstein irrt.) Es geht schließlich nicht ums beharren. Es geht darum, dass man die eigene Position gegen Einwände verteidigt und plausibel macht. Wer sagt, man könne den Begriff "Welt" nicht definieren (aber auch nicht vermeiden) der sollte irgend etwas Substanzielles zu dem Wittgensteinwort zu sagen haben, finde ich.

Und wenn man Beispiel für definite Definitionen bringt, dann sollte man sich fragen, ob es denn wirklich Beispiele dafür sind. Warum die Definition absurd ist, hab ich in meinen kurzen Beiträgen zu Gelb schon erläutert. Von daher ist es auch besonders schlechter Still, da einfach etwas von Wiki zu zitieren.




Nauplios
Beiträge: 2883
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

Fr 17. Jul 2020, 11:31

Friederike hat geschrieben :
Fr 17. Jul 2020, 09:19
Lieber Nauplios, amüsiert habe ich soeben Deine beiden Antworten an mich gelesen. Du wirst verstehen, daß ich erst einmal "verdauen" muß 8-) - die Anmutung, ich hätte nullkommanix von der Metapher begriffen. Vielleicht liegt es eher an diesen beiden Sätzen ... wie auch immer, ich werde mich im Laufe des Tages damit befassen.
Sich mit Anmutungen zu befassen, denen ein Verdauungsvorgang vorausgeht, wird den Lauf des Tages nicht anmutiger machen, Friederike. ;)

Amüsiert zu sein und es zu bleiben, wäre eine Alternative. Und es wäre auch die angemessene Art von Schlussstrich, die wir unter diesen Thread ziehen könnten. Sollten. ;)




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 6. Sep 2020, 12:48

Nauplios hat geschrieben :
Fr 17. Jul 2020, 08:30
Das Ganze hat nur einen Haken: Wenn man beispielsweise sagt: Die Welt ist alles, was der Fall ist und darauf beharrt, dann macht man es sich besonders schwer mit dem Verstehen eines Philosophen wie Gabriel, der uns erklärt, warum es die Welt nicht gibt. Umgekehrt wird man unter der Voraussetzung, daß es die Welt nicht gibt, von der Lektüre von Schopenhauer' s "Welt als Wille und Vorstellung" nicht viel haben. Man wird dann auf Schritt und Tritt einwenden können: "Das ist doch Quatsch! Wie soll denn die Welt irgendetwas sein? Die gibt es doch gar nicht!" - Noch bevor man das Werk Schopenhauers überhaupt aufgeschlagen hat, kann man es wieder ins Regal zurückstellen - unter "Q". Q wie Quatsch.
Was Du hier forderst ist Offenheit gegenüber Neuem, oder dem Unbekannten.
Das ist nötig. Das sehe ich auch so.
Ich würde dir aber dahingehend widersprechen, dass sich ein Verständnis nur einstellen kann, wenn von allem Bekannten abgesehen wird (Den Kopf leer machen und von allem Anderen befreien).
Da bin ich gänzlich anderer Meinung. Verstehen vollzieht sich zum Großen Teil auch durch Gegenüberstellung und Vergleich.

Vor wenigen Jahren hat man zahlreiche Exoplaneten entdeckt, die den großen Gasplaneten in unserem Sonnensystem ähneln. Das war erstmal nichts Ungewöhnliches, damit hat man gerechnet.
Was allerdings untypisch ist, ist dass diese Exoplaneten in ihren Sonnensystemen an einer Stelle vorkommen, wo sie den gängigen Theorien nach eigentlich gar nicht hingehören, nämlich im "inneren Bereich".
Das wiederum war eine Sensation. Denn gemäß unserer bisheriger Vorstellung davon wie Planetensysteme entstehen, bilden sich Gasriesen (immer) im äußeren Bereich eines Sonnensystems.
Du kannst Dir sicher vorstellen, was dann in der Astronomengemeinde los war. Von "Die Daten sind falsch" (Das glaube ich nicht, das kann nicht sein. Hier liegt ein Messfehler vor), über "Unsere Vorstellung von der Entstehung sind schon richtig, aber irgendwie sind diese Planeten später ins innere Sonnensystem gelangt" (Synthese von Neu und Alt), bis hin zu "Unsere Vorstellungen sind komplett falsch, Sonnensysteme können wohl auch auf andere Art entstehen" (Verwerfen des Alten), war alles dabei.
Dabei reiben sich "alte" Vorstellungen bereits während des eigentlichen Vorgangs des Verstehens an den Neuen. Das finde ich vollkommen normal und richtig und für den Verstehensprozess förderlich.

Offenheit ist natürlich entscheidend, und natürlich muss man erstmal verstehen, was die neue Datenlage eigentlich bedeutet (hier: Was will uns der Philosoph eigentlich sagen?).
Aber warum sollte man dabei dem Neuen das Alte nicht gegenüberstellen dürfen und das Neue am Alten messen (und umgekehrt)?
Gerade durch die Gegenüberstellung werden ja auch Unterschiede (zwischen Neu und Alt) erst klar.

Kurzum: Du forderst, dass zuerst das Verstehen einsetzt, bevor die Gegenüberstellung (oder Kritik) beginnt.
Das ignoriert meiner Meinung nach aber den Umstand, dass für ein Verstehen eine Gegenüberstellung (auch in Form von Kritik) notwendig sein kann.
Deiner Forderung, sich die Mühe des Verstehens zu machen, würde ich die Forderung entgegenstellen sich die Mühe zu machen durch Beantwortung kritischer Nachfragen das Verstehen (vielleicht auch das eigene) zu fördern.
Aber vielleicht bist Du da auch der falsche Ansprechpartner. Immerhin bist Du ja nicht der Sender der hier besprochenen philosophischen Thesen, sondern nur ihr Rezipient, wie wir anderen auch.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 6. Sep 2020, 17:07

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 6. Sep 2020, 12:48
sich die Mühe [...] machen durch Beantwortung kritischer Nachfragen das Verstehen (vielleicht auch das eigene) zu fördern.
Mit dem Weltbegriff verhält es sich ähnlich wie dein Beispiel oben. Viele Philosophen haben ja die Probleme mit dem Weltbegriff gesehen und auf ihre Art und Weise darauf reagiert. Und durch kritisches Weiterdenken kann man versuchen, bei der Lösung des Problems weiterzukommen.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Mo 7. Sep 2020, 09:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 6. Sep 2020, 17:07
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 6. Sep 2020, 12:48
sich die Mühe [...] machen durch Beantwortung kritischer Nachfragen das Verstehen (vielleicht auch das eigene) zu fördern.
Mit dem Weltbegriff verhält es sich ähnlich wie dein Beispiel oben.
Ja, wobei ich mich da korrigieren muss. Es ist schon eine Weile her, als ich das gelesen hatte. Es ging nicht um die Position der Gasriesen innerhalb der Sonnensysteme sondern um ihre Existenz überhaupt.
Man hat Gasriesen um einen roten Zwergstern gefunden, was man bis dahin, nach der gängigen Theorie von der Planetenentstehung, für unmöglich hielt.
Wer möchte kann das hier nachlesen:
https://www.scinexx.de/news/kosmos/ein- ... on-riesen/

Es ändert aber nichts an dem Grund, warum ich das Beispiel brachte.
Viele Philosophen haben ja die Probleme mit dem Weltbegriff gesehen und auf ihre Art und Weise darauf reagiert. Und durch kritisches Weiterdenken kann man versuchen, bei der Lösung des Problems weiterzukommen.
Ich glaube Nauplios will da gar nicht "weiterkommen", jedenfalls nicht in meinem und Deinem Sinne. Ihm geht es wohl eher um das reine Verstehen durch wertfreie Betrachtung der verschiedenen philosophischen Thesen.
Das ist einfach eine andere Herangehensweise. Aber auch das wertfreie Betrachten kann mit Kritik einhergehen. Denn schon der Verstehensprozess vollzieht sich z.B. bei mir anders. Ich lerne vor allem durch Gegenüberstellung. Indem ich das mache, begreife ich die Unterschiede und kann so das Neue in mein bestehendes Verständnis integrieren. Da geschieht u.a. mithilfe von Kritik, durch direkten Vergleich. Nauplios missinterpretiert das als "siegen wollen".
Ich wollte damit einfach aufzeigen, dass Kritik manchmal auch noch Teil des Verstehensprozesses ist. Es geht dabei nicht immer darum festzustellen wer mit seiner These nun "recht hat", sondern dieses Gegenüberstellen und Vergleichen hilft beim Verstehen. Mir jedenfalls.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Mo 7. Sep 2020, 09:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 6. Sep 2020, 17:07
Viele Philosophen haben ja die Probleme mit dem Weltbegriff gesehen und auf ihre Art und Weise darauf reagiert.
Natürlich. So beginnt es oft. Man stellt einfach fest, dass eine gängige These bestimmte Phänomene nicht erklären kann.
Wann immer das geschieht, muss die These oder Theorie entweder erweitert oder manchmal auch verworfen werden.
Wobei das bei der Philosophie glaube ich manchmal auch anders ist. Philosophen sind da ein bißchen freier.
In der Philosophie entstehen Thesen manchmal auch "grundlos". Grundlos in dem Sinne, dass es kein vorangegangenes Problem gibt.
Stellen wir uns die Welt doch einfach mal ganz anders vor (und schauen wir was passiert).
In der Philosophie können wir das machen. Das ist ja das Schöne an ihr.
:)



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Timelaios
Beiträge: 35
Registriert: Sa 26. Sep 2020, 22:59

Mi 7. Okt 2020, 07:50

Das geht natürlich nicht nur in der Philosophie, obwohl Fachdiskussionen dazu dort einen festen Platz finden. Ich denke oft an das Quinesche Netzwerk, dass der Sinnfeldtopologie oder den kommunikationstheoretischen Ansätzen von Lacan gar nicht so unähnlich ist und an die entsprechenden Formalisierungen, z.B. bei Saul Aaron Kripke.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23269
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 20. Feb 2021, 08:14

Rüdiger Zill in "Blumenberg lesen" hat geschrieben : Die Anekdote beziehungsweise ihre Interpretation ist eines der drei zentralen Elemente der Blumenbergschen Theorie der Unbegrifflichkeit, obwohl sie nirgends explizit so eingeführt wird.
...
Blumenberg erinnert an Nietzsches Diktum, dass es möglich sei, aus drei Anekdoten das Bild eines Menschen zu geben, wie auch an dessen Vorhaben, philosophische Systeme jeweils auf drei Anekdoten zu reduzieren. Hätte Nietzsche diesen Plan ausgeführt, wäre das wohl »die vollendete Auflehnung gegen die Monokratie des Begriffs« gewesen. Blumenberg selbst hält das nicht nur für vorstellbar, sondern geht zudem davon aus, »daß in vielen dieser kleinen Stücke Fiktionen über das durch Philosophie an Verhalten und Lebensform Mögliche stecken, wie wir es auch als ›Gedankenexperiment‹ lesen können«
Ich bin immer noch auf der Suche nach nachvollziehbaren Erläuterungen, was der Ausdruck "Unbegrifflichkeit" bei Blumenberg bedeuten könnte. Daher habe ich mir vor einiger Zeit den Band "Blumenberg lesen" gekauft in der Hoffnung dort fündig zu werden. Das Zitat stammt aus dem Buch. Ein hier im Forum einschlägig bekanntes Beispiel für eine Anekdote ist das "Lachen der Thrakerin".




Antworten