Neugierde?

Nauplios
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Do 20. Aug 2020, 20:23

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 20. Aug 2020, 19:18

Ich werde das Gefühl nicht los, dass Du mir die Philosophie irgendwie "ausreden" willst.
(Mir hat übrigens damals mein Lehrer das genaue Gegenteil gesagt, als ich ihn fragte wie so ein Philosophiestudium abläuft. Die Antwort war: "Wenn Sie sich unbedingt unglücklich machen wollen, dann nur zu!". Ich überlege bis heute wie er das gemeint hat, also ob er ganz allgemein der Ansicht war, dass ein Philosophiestudium nicht zu empfehlen ist, oder ob er, nachdem er mich mehrere Jahre im Unterricht ertragen musste, zu der Ansicht gekommen war, das sei nichts für mich. Vielleicht ja auch beides.)
Die Antwort Deines Lehrers könnte fürsorglicher gemeint sein als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Ein Leben kann man durchaus mit Philosophie bestreiten, von Philosophie schon weniger gut. Vielleicht war das prognostizierte Unglück in einer unsicheren sozialen Existenz befürchtet.

Ausreden will ich Dir nichts, eher schon einreden, nämlich daß der Weg in die Philosophie nicht ausgeschildert ist und probate Navigationssysteme hier ihren Dienst versagen. Der Weg ist labyrinthisch, mit Sackgassen und Kreisverkehren versehen. Eine Wegbeschreibung taugt hier so viel wie Pantomime im Radio. Man muß einen Zipfel erwischen und wenn man Glück hat ist es ein Zipfel vom Kohl´schen "Mantel der Geschichte", der Philosophiegeschichte. Was die Moralphilosophie betrifft, die Du im Proust-Thread ansprichst, so ist vor wenigen Tagen Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten. Universale Werte für das 21. Jahrhundert von Markus Gabriel erschienen. Wenn Du den Weg über "konkrete Fragen" favorisierst, wirst Du hier vermutlich fündig werden. Der Verlag bewirbt das Buch so:

"Dieses Buch ist ein philosophisches Handbuch, das einen Entwurf der Aufklärung gegen den Wertenihilismus unserer Zeit bietet. Es gibt uns eine neue Antwort auf die Hauptfrage der Philosophie: ˋWas ist der Mensch?´
Die Krise der liberalen Demokratie und die Ausbreitung des Populismus folgen dem Muster einer Selbstabschaffung des Menschen. Der Diskurs über Künstliche Intelligenz und die hemmungslose Digitalisierung verstärken diese fatale Entwicklung noch. Doch trotz aller gegenwärtigen Rückschläge: Die Menschheit ist zu moralischem Fortschritt fähig. In seinem engagierten Buch zeigt Markus Gabriel, Deutschlands weltweit bekanntester Gegenwartsphilosoph, warum es nicht verhandelbare, universale Grundwerte gibt, die für alle Menschen gelten. Er zeigt: Wir bedürfen dringend eines innovativen Konzepts der Kooperation von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, um ein Gesellschaftssystem zu entwerfen, das auf moralischen Fortschritt zielt." -




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Jörn Budesheim
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Fr 21. Aug 2020, 06:48

kati hat geschrieben :
Sa 15. Aug 2020, 13:13
Und ja, Neugier hängt mit Angst zusammen – je grösser die Angst, desto geringer die Gier nach Neuem. Es braucht Mut, sich auf etwas Neues einzulassen, es könnte ja alles in seinen Grundfesten erschüttern und beweisen, dass die Welt tatsächlich rund ist.
Ja, das ist ein interessanter Aspekt. Angst hängt ja nicht nur etymologisch mit Enge zusammen. Während Neugierde, positiv verstanden, nach meinem Dafürhalten eine Form der Offenheit und Beweglichkeit ist. Dementsprechend kann das Andere, was immer es ist, (noch mehr) Angst machen oder Neugierde wecken.

Das Andere ist dann das, was nicht in die gegebene Ordnung passt und es droht, diese Grundfesten zu erschüttern. Daher kann ein und derselbe Umstand für die einen ein Argument sein, alles beim Alten zu belassen, während es für die anderen ein Argument ist, was Neues zu probieren und der Neugierde "freien Lauf" zu lassen: "Das haben wir ja noch nie so gemacht !" :)

Nach meinem Gefühl ist das eine Grundstruktur der aktuellen Situation. Wir sind in vielen Bereichen im Grunde "gezwungen" die Dinge zu ändern, teilweise radikal zu ändern. Dem kann man in der Grundeinstellung der Neugierde oder der Angst begegnen.




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Jörn Budesheim
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Sa 22. Aug 2020, 19:35

Peter Bieri hat geschrieben : Neugierde ist der unersättliche Wunsch zu erfahren, was es in der Welt alles gibt. Sie kann in ganz verschiedene Richtungen gehen: hinauf zu den Gestirnen und hinunter zu den Atomen und Quanten; hinaus zu der Vielfalt der natürlichen Arten und hinein in die fantastische Komplexität eines menschlichen Organismus; zurück in die Geschichte von Weltall, Erde und menschlicher Gesellschaft und nach vorn zu der Frage, wie es mit unserem Planeten, unseren Lebensformen und Selbstbildern weitergehen könnte. Stets geht es um zweierlei: zu wissen, was der Fall ist, und zu verstehen, warum es der Fall ist.




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Jörn Budesheim
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So 23. Aug 2020, 07:47

Ich meine, es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Neugierde, Staunen und Poesie.




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NaWennDuMeinst
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Di 22. Sep 2020, 02:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 23. Aug 2020, 07:47
Ich meine, es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Neugierde, Staunen und Poesie.
Zum Zusammenhang zwischen Staunen und Neugierde:
Ich musste da sofort an eine Zaubershow denken, bei der uns Dinge gezeigt werden, die es eigentlich gar nicht geben kann. Bei mir entsteht dabei immer sofort der unbändige Drang wissen zu wollen wie der Zauberer auf der Bühne das gemacht hat.
Wir wissen natürlich, dass das nur Tricks sind, aber man kann das dann auch nicht einfach so stehen lassen. Wir wollen wissen, wie der Zauberkünstler es geschafft hat uns zu überlisten. Man staunt also über das was man da sieht und entwickelt in Folge eine Neugierde in Bezug auf das unbekannte Neue das dahinter steckt.
Ähnlich geht es mir auch häufig mit den "Tricks" der Natur. Wie funktioniert das?
Das ist vielleicht Neugierde die aus dem (manchmal auch ungläubigen) Staunen heraus entsteht.

Es gibt aber auch eine andere Form der Neugierde (an die ich zuerst dachte): Die Gier nach Neuem. Sie ist eher sowas wie ein Gegenmittel für Langeweile.
Man sehnt sich da nach neuen Eindrücken, neuen Erlebnissen. Das Alte, Bekannte langweilt den Geist. Dabei ist die Neugierde gar nicht auf etwas Konkretes gerichtet, sondern entsteht aus einer Sättigung an Altbekanntem. Dieser Zustand wird mit der "Sehnsucht nach Neuem" überwunden.

Wie aber Neugierde und Poesie zusammenhängen, das weiß ich noch nicht.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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Jörn Budesheim
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Bild

Im Park sitzen. Sich ein Blatt nehmen. Adern. Staunen über das Wunderbare! Neugierig hinsehen, mit dem Stift auf dem Papier sieht man anders. Die Gedanken geraten in Bewegung. Die Verwandlungen, das Spiel zulassen... Dann wird aus dem Blatt ein Segel für dein kleines Boot.




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NaWennDuMeinst
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Di 22. Sep 2020, 18:53

Alexa, spiele das Lied, das zu dem Bild von Jörn gehört.

Nichts gefunden?
Na gut, dann greifen wir der Maschine mal unter die "Arme".
;-)




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Jörn Budesheim
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Di 22. Sep 2020, 20:01

Verrückt, das Lied kenne ich natürlich, aber ich hätte niemals gewusst, dass die Gruppe Styx heißt :)




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NaWennDuMeinst
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Di 22. Sep 2020, 20:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 22. Sep 2020, 20:01
Verrückt, das Lied kenne ich natürlich, aber ich hätte niemals gewusst, dass die Gruppe Styx heißt :)
Achso. Deshalb hat Alexa auch nichts gefunden.
;-)



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Stefanie
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Di 22. Sep 2020, 20:07

Diese Lied habe ich eine Ewigkeit nicht mehr gehört.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Di 22. Sep 2020, 20:11

Das Lied hat für mich eine ganz besondere Bedeutung. Ich war, lange bevor das Internet in jedem Haus war, ganz doll (aber unglücklich) in eine Frau verliebt, die eines Tages bei einem Treffen immer dieses Lied summte und mich fragte ob ich es kennen würde. Ich kannte es zwar, konnte ihr aber auch nicht sagen wie es heißt oder von wem es ist.
Und dann bin ich später extra in einen Plattenladen gegangen, habe mich dort zum Horst gemacht (mit Vorsingen und so) um dieser Frau dieses Lied zu besorgen.
Was man nicht alles macht. Als ich ihr dann später das Lied gab, wusste sie gar nicht mehr, dass sie mich das mal gefragt hatte. Sie hatte das schlicht vergessen.



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Jörn Budesheim
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Di 22. Sep 2020, 20:30

😅




Timelaios
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Mo 5. Okt 2020, 14:21

Beim Versuch, den Begriff im "Kognitionsnetz" unterzubringen, würde Quine wohl Verbindungen zum allgemeinbiologischen Appetenz- und Explorationsverhalten finden. ;)




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Jörn Budesheim
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Mi 7. Okt 2020, 13:15

Zu Quine kann ich nichts sagen. Aber ich erinnere mich an einen Vortrag von Gabriel, den ich online gesehen habe, bei dem es im Anschluss auch um Quine und mögliche Überschneidungen ging.




Timelaios
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Mi 7. Okt 2020, 15:52

Die ontologische Differenz zwischen Betrachter und Objekt wird einfach verdoppelt: Sinn- und Objektfelder. Das ist zwar weder Lacan pur, noch Popper oder Quine, aber doch in deren Denktraditionen (?)




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Jörn Budesheim
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Mi 7. Okt 2020, 16:20

Jetzt bin ich irritiert :-) Wie sind wir denn hier bei den Sinnfeldern gelandet?

Wie auch immer, ganz, ganz kurz: Statt Sinnfeld könnte man für erste auch Bereich sagen, ggf auch Ordnung. Gabriel versucht die Frage zu beantworten, was "existieren" heißt. Und die Antwort lautet ungefähr: "In einem Bereich vorkommen." (Genauer: erscheinen in einem Sinnfeld.) Beispiel: Die 7 existiert, sie kommt u.a. im Bereich der ganzen Zahlen vor. Superman kommt in den DC-Comics vor. Bundeskanzlerinnen sind Teil unserer politischen Ordnung zum Beispiel. Autos kommen im Straßenverkehr vor. usw. usf.

Alles kommt in Sinnfeldern vor, so natürlich auch die Sinnfelder selbst. Nach Gabriel gibt es nichts, was es nicht gibt. Mit einer Ausnahme: Die Welt (als Totalität). Das bedeutet, dass es keine Ordnung gibt, dem alles unterliegt. Das ist der "metaphysikfeindliche" Aspekt der Idee. Ein metaphysischer Grundgedanke wird damit verabschiedet, nämlich die "Formel" "Alles ist x" (Wasser, Atome und Leere, Materie, Konstruktion, Zahl, ...)




Timelaios
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Do 8. Okt 2020, 08:54

Naja, das wäre in der Tat auffällig als Pause, Überlicht, Gedanke oder Joker. Regt zumindest "zum Nachdenken an ! :D




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