Gedankenexperiment "Die Liebespille"

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JasminW
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Di 7. Jan 2020, 18:22

Hallo ihr Lieben,

ich schreibe derzeit im Rahmen meines Philosophiestudiums eine Hausarbeit zum Gedankenexperiment "Die Liebespille".
Im Grunde stelle ich hierbei in Frage, ob denn Liebe eine freie Entscheidung ist.
Dazu bin ich verzweifelt auf der Suche nach Sekundärliteratur auf die ich mich beziehen kann.
Hätte einer/ eine einen Tipp oder eine Idee für mich, welche/r Philosoph/in hierzu in Frage kommen könnte? Gibt es Schriften, passend zu diesem Thema?

Bin es nun Leid stundenlang ohne Erfolg durch das Netz zu googlen, vielleicht habt ihr ja den ein oder anderen Anreiz dazu.
Über Rückmeldung würde ich mich freuen.

Mit lieben Grüßen,
Jasmin




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Stefanie
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Di 7. Jan 2020, 18:30

Hallo JasminW und herzlich willkommen,

das Thema haben wir im Forum schon mal besprochen und zwar hier

viewtopic.php?t=243

Vielleicht findest Du dort einige Anregungen oder Du kannst uns zu dem Thema Anregungen geben.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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JasminW
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Di 7. Jan 2020, 18:40

Vielen Dank für die schnelle Rückmeldung Stefanie :) !

Habe diesen Thread auch bereits entdeckt, aber leider keine Antwort auf meine Frage gefunden- trotz spannender Diskussionen!
Deshalb dachte ich, ich probiere es so noch mal...
Vielleicht lasse ich das Thema in diesem Forum noch mal aufleben- außer es hätte hier jemand einen Tipp für mich?

Liebe Grüße,
Jasmin




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2020, 05:48

Ich habe nur diese kleine Liste in petto. Das erste Buch habe ich mir vor Jahren mal gekauft, finde es leider aber gerade nicht; ob dein Thema darin behandelt wird, kann ich dir daher leider nicht sagen :(

Das zweite Buch wurde mir von Amazon bei der Recherche nach dem ersten angeboten :)

Und von dem dritten Buch habe ich zufällig gehört, weil ich mit dem Autor bei Facebook verknüpft bin.

*Analytische Philosophie der Liebe
*Was ist Liebe?: Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart
*Peter Trawny, Philosophie der Liebe




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2020, 06:09

Meines Erachtens ist Liebe eine Ausdruck von Freiheit.
Ich nehme Dich an als meine Frau/meinen Mann. Ich verspreche Dir die Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will Dich lieben achten und ehren alle Tage meines Lebens.
So lautet ein klassisches Eheversprechen bei uns im westlichen Kulturkreis. Meines Erachtens ist das sogar ein höchster Ausdruck der Freiheit, in der Lage zu sein, ganz bewusst eine solche Bindung einzugehen. Sich selbst an ein Versprechen zubinden, ist ein Ausdruck der gemeinsamen Freiheit, weil es eine Form der "Selbstgesetzgebung", spricht der Autonomie ist.

Freiheit heißt auch, zu bestimmen, wer man selbst ist. Wenn zu diesem Lebensentwurf eine weitere Personen hinzutritt, die ihrerseits frei und autonom ist, und man sich gemeinsam als dieses Liebespaar entwirft, dann ist das ein Ausdruck der Freiheit, der Selbstbestimmung.

Wenn Liebe einen Ausdruck der Freiheit ist, dann kann es eine Liebespille aus logischen Gründen eigentlich gar nicht geben. Das ist keine Liebe, was kein Ausdruck der Freiheit ist.




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2020, 07:11

Randbemerkung: es gibt ja eine eigenständige Sparte in der Philosophie, die Philosophie der Liebe, aber ich frage mich gerade, ob man das nicht auch als Sondergebiet in die Philosophie der kollektiven Intentionalität einfügen könnte? Eine spannende Frage ist auch, ob die Liebe als Thema zur Philosophie der Gefühle gehört.




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2020, 07:25





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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2020, 07:47

Ich hatte oben Peter Trawny erwähnt. Bei Facebook findet sich natürlich einiges zu seinem neuen Buch, hier ist ein Link, der auch die Frage nach Freiheit, Vernunft und Rationalität berührt > https://m.facebook.com/story.php?story_ ... 1098183173




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2020, 10:06

In diesem Facebook-Thread bei Peter Trawny gibt es diverse interessante Beiträge. Auf den folgenden hab ich, von diesem Thread hier inspiriert, eine Antwort probiert.
Frank Schlegel hat geschrieben : Lieber Peter Trawny, an dieser Stelle dann doch noch mal ein (letztlich stark verkürzter) Kommentar zu der von Dir sicherlich absichtlich plakativ überzeichneten Gegenüberstellung von Liebe und Freiheit, Liebe und Vernunft, Liebe und Moral in Deinem sehr schönen Buch über die Liebe. Allein in der erotischen Liebe, genauer: im erotisch-rauschhaften Verliebtsein ist es doch so, dass ich meiner Vernunft, Freiheit und Moral verlustig gehen kann. ... [bitte bei Facebook weiter lesen]
“Die Nächstenliebe z.B. hat im Mitleid zwar einen anfänglichen emotionalen Impuls. Die bewusste Entscheidung, helfen zu wollen und die Tat selbst entspringen aber einem Nachdenken und einem aus Freiheit entspringenden Wollen, in dem die tätige Liebe allererst entsteht.”

Freiheit, Moralität, Vernunft - das sind nach meinem Verständnis Begriffe in wechselseitiger Abhängigkeit. Unter Vernunft würde ich die Fähigkeit verstehen, sensibel für Gründe zu sein und sich im Handeln und Denken an ihnen zu orientieren. Ein Grund ist nach meinem Verständnis eine Tatsache, die für etwas spricht. Vor diesem Hintergrund würde ich sagen, dass der “anfängliche emotionale Impuls” des Mitleids bereits Teil des Raums der Vernunft ist.

Ein Beispiel: Wenn wir sehen, wie jemand leidet, dann gibt uns dieses Leiden einen Grund zu helfen. Das Mitleid ist unsere Antenne, um diese Tatsache zu erkennen. Hier haben wir es schon nicht mehr einfach mit “Ursachen” zu tun, denn das Leid des Anderen verursacht unsere Hilfe ja nicht einfach. Wir können uns dazu wiederum verhalten, es also in einen distanzierteren Blick nehmen - Wenn wir zum Beispiel sehen, dass professionelle Hilfe bereits gewährleistet ist.

Freiheit und Vernunft sind zwar auch Distanzvermögen, aber nicht nur. Nicht erst in der Reflexion üben wir sie aus, auch wenn das in der Regel als der paradigmatische Ort gedacht wird. Daher sind auch nach meinem Verständnis Freiheit, Liebe und Vernunft keineswegs gegenüber gestellt.

“Im erotisch-rauschhaften Verliebtsein ist es doch so, dass ich meiner Vernunft, Freiheit und Moral verlustig gehen kann.” Das würde ich daher nur zur Hälfte unterschreiben. Vieles, was wir im erotisch-rauschhaften Verliebtsein tun, ist bereits eine Ausübung unserer Vernunft. Der angehimmelte Partner selbst liefert uns ja einen Grund für dieses Verliebtsein, obwohl hier der Unterschied zwischen Grund und Ursache manchmal aufgehoben zu sein scheint. Der (teilweise) Verlust von Vernunft, Freiheit und Moral besteht hier darin, dass andere (widerstrebende) Gründe oft nicht mehr gesehen werden, weil Liebe bekanntlich blind macht. Aber wenn die anderen Gründe, falls sie überhaupt vorliegen, gar nicht schwer wiegen, dann ist das Verliebtsein auch eine Form der Vernunft nachzugehen, auch wenn diese Formulierung mehr als seltsam klingt. Auf der anderen Seite: Man hat immer einen Grund der Liebe und der Leidenschaft zu folgen. Das kommt einem nur dann seltsam vor, wenn man unter Vernunft per se rechnende Vernunft versteht, meine ich.




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Stefanie
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Mi 8. Jan 2020, 18:05

Ich weiß nicht, ob Jasmin diesen Link schon kennt

https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft- ... iebespille

Hier werden auch einige Philosophen zum Thema liebe genannt.



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JasminW
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Do 9. Jan 2020, 17:54

Vielen lieben Dank für diesen wunderbaren Input und die tollen Buchvorschläge.
Nora Kreft werde ich mir in jedem Fall besorgen, in der Hoffnung daraus genug Material für meine Hausarbeit ziehen zu können.
Danke noch mal für die Mühe und Auseinandersetzung!

Vielleicht gibts dann in ein paar Monaten eine grandiose Hausarbeit zum Thema "Die Liebespille" von mir zu lesen.

Mit lieben Grüßen,
Jasmin




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Alethos
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Do 9. Jan 2020, 19:15

Zum Glück gibt es keine Pille, die Zwischendurch-Besucher zu langfristigen User macht, sonst wäre ich versucht, sie zu verabreichen. :roll:



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Jörn Budesheim
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Do 9. Jan 2020, 19:26

Aber wäre das ethisch zu rechtfertigen? :)




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Alethos
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Do 9. Jan 2020, 21:36

Vermutlich wäre es, moralisch gesehen, falsch. Das wenigstens legt die Tatsache nahe, dass man jemandem einen Willen aufzwingen würde, den er oder sie gar nicht hat. Und, wenn man es auch für gut halten möchte, wenn sich mehr Leute philosophisch beteiligen würden, so wäre es in jeder Hinsicht nur sinnvoll, wenn sie es freiwillig und mit echter Freude tun. :)

Aber die Versuchung bleibt, weil man Leute zu ihrem Glück zu zwingen neigt, nicht, weil man es böse meinte, sondern weil man verkennt, dass das Glück in der Freiheit allein liegt. In der Regel in der Freiheit das zu tun, was richtig ist. Eine Pille zu verabreichen, die jemanden etwas zu tun veranlasst, das er gar nicht will, ist nicht richtig, weil du ihn gar nicht frei machst und ihn damit der Fähigkeit beraubst, das Richtige zu tun. Du würdest einen Roboter artigen Menschen züchten, der so tut, als ob er es aus freien Stücken machte, wobei er sich mit Blick auf die Authentizität seines Handelns in nichts unterscheiden würde von einem Kürbis, der bloss so aussieht, als lachte er, obwohl gerade der Umstand, dass er es gar nicht tut und nur den Eindruck macht, das Gruselige an der Sache ist.

Aber ist es denn nicht gruselig, wenn jemand glücklich scheint, weil er Antidepressiva schluckte, obwohl man weiss, dass seine Seele schmerzt? Wie viel Einflussnahme ist gut? Wäre es gut, wenn man uns die Fähigkeit zur Grausamkeit gentechnisch wegzüchtete? Das mag lächerlich klingen, aber ich halte diese Fragen nicht für immer eindeutig beantwortbar.



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Jörn Budesheim
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Fr 10. Jan 2020, 09:02

Alethos hat geschrieben : Aber ist es denn nicht gruselig, wenn jemand glücklich scheint, weil er Antidepressiva schluckte, obwohl man weiss, dass seine Seele schmerzt?
Viel hängt hier von der Vorstellung ab, wer oder was der Mensch und damit man selbst ist. Ist man nur ein Bioapparat, dann sind chemische Hilfsstoffe natürlich kein Problem, bzw. das Mittel der ersten Wahl. Damit will ich mich natürlich nicht gegen "chemische Hilfsstoffe" also diverse Tabletten generell wenden. Aber es ist schon eine Frage, welche Möglichkeiten dank des Selbstbildes in den Blick kommen und welche nicht.




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Alethos
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Sa 11. Jan 2020, 03:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2020, 09:02
dank des Selbstbildes
Vielleicht geht es um Authentizität. Wir alle wollen besser werden und ich denke, wir irren, wenn wir glauben, wir müssten dazu ein anderer sein.
Und ich meine, wir irren, wenn wir meinen, wir seien noch wir selbst, wenn wir uns eine Pille geben, um etwas zu fühlen, was nicht intimer und authentischer Teil von uns ist.

Kleider machen nun eben keine Leute, sie stellen nur dar, dass da jemand ist. Und Pillen ergeben keinen Fühlenden, bloss, weil sie jemanden fühlen macht. Es ist doch dieser Jemand, der sich und nicht etwas anderes fühlen soll?



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