Politisch korrekte Sprache in Romanen

Kunst, Literatur ,Musik
Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7170
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

So 29. Dez 2019, 19:50

20191229_185813.jpg
20191229_185813.jpg (2.7 MiB) 18175 mal betrachtet
In einem Unterhaltungsroman aus dem Jahr 2019, den ich geschenkt bekommen habe, steht obiger Hinweis.

Die Geschichte im Roman spielt zum grössten Teil in den 1940er Jahren in Ostafrika.
So einen Hinweis habe ich bislang noch nicht gelesen. Ich finde es gut. Es geht ja um die Darstellung einer Zeit, in denen es diesen Rassismus und seine Sprache gab, dies kann man doch nicht verschweigen.

Meistens geht es aber um Romane, die wesentlich älter sind, in denen sowohl die Sprache wie auch die Darstellung von Menschen heutzutage als rassistisch oder diskriminierend angesehen wird.
Es gab die Diskussion um eine Geschichte von Pipi Langstrumpf in denen das Wort Neger verwendet wurde. In einer neuen Übersetzung wurde das Wort nicht mehr verwendet.
Ein weiteres Beispiel ist "Vom Winde verweht."

In diesem Artikel geht es um solche Romane.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/um ... _id=463974
Es kommt auf den Zusammenhang an
Elisa Diallo zieht eine klare Trennung: „Wenn das Wort ‚negro‘, als das Buch geschrieben wurde, in seinem Kontext neutral gebraucht wurde – so wie man heute ‚schwarz‘ sagt –, dann würde ich es mit dem neutralen Wort von heute übersetzen. Ich sehe keinen Grund, dann das alte Wort zu benutzen.“

Gehe es dagegen um einen Autor wie James Baldwin, der seinen Text mit „I Am Not Your Negro“ übertitelte, sei es richtig, den Begriff „negro“ stehen zu lassen, sagt Diallo, deren Mutter Französin ist und deren Vater aus dem afrikanischen Guinea stammt. Denn „Ich bin nicht euer Schwarzer oder eure Schwarze“ habe natürlich nicht die gleiche Bedeutung wie „I Am Not Your Negro“.

Andreas Nohl stimmt Diallo zu. Der Übersetzer hat gerade gemeinsam mit seiner Frau „Vom Winde verweht“ neu übersetzt und sagt: „Wenn dort Rassisten reden, sprechen die von ‚Niggern‘ – das ist ein dokumentarischer Anteil dieses Romans. Und man würde ihn kontextuell vollkommen verfälschen, wenn man das nicht sagen würde. Aber: Innerhalb des Erzähltextes, dort, wo die Autorin auktorial erzählt, ist der gesamte zeitbedingte Rassismus, den dieses Buch ja quasi transportiert mit Begriffen wie ‚negro‘, bei uns getilgt.“
Schiller säubern? Merkwürdige Vorstellung
Generell findet Nohl, dass man literarischen Texten der Vergangenheit „nicht unsere Vorstellung von Gerechtigkeit und Toleranz überstülpen“ sollte, sondern „wir müssen sie in ihrer historischen Andersartigkeit akzeptieren“. Wenn bei Schiller der Satz falle „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“, könne man den nicht mit dem Argument des Rassismus verändern. Schiller habe diesen Satz auch nicht rassistisch gemeint.
Ich würde bei "Vom Winde verweht" keine Anpassung vornehmen. Der Roman ist aus dem Jahr 1936, der Film aus dem Jahr 1939, die Autorin ist in den Südstaaten, Atlanta, aufgewachsen und hat dort gelebt. Der ganze Roman ist geprägt von der Zeit im Bürgerkrieg, von den Ansichten in dieser Zeit und auch von den dominierende Ansichten der Zeit, in der der Roman geschrieben wurde. Eine Korrektur würde das verfälschen. Besser fände ich so einen Hinweis, oder es wird in Besprechungen thematisiert, zu denen man durchaus auch in diesen Fall über die Dreharbeiten zum Film berichten kann, in denen Clark Gable ziemlich deutlich gegen die Behandlung der farbigen Schauspieler und gegen die Ausrichtung protestierte. Es gibt Kinos in den USA die zeigen den Film nicht mehr. Finde ich auch nicht gut, das ist ein Verschweigen der Vergangenheit.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 30. Dez 2019, 13:41

In dem Video, das ich am Freitag, den 13. hier gepostet habe, schlägt Lisz Hirn vor, bei Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf fragwürdige Begriffe wie "Negerkönig" stehenzulassen. Begründung: die Eltern sollten den Kindern beim Vorlesen erläutern, dass sich Begriffe zwar früher verwendet wurden, aber eigentlich nicht okay sind. Dabei würden die Kinder lernen, dass sich die Bewertung der Begriffe über die Zeit ändern kann. Das würde auch das Geschichtsbewusstsein stärken.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7170
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 1. Jan 2020, 21:06

Die Frage stellt sich wohl nicht nur bei Büchern...
Rassismus-Debatte: "Disney+" kennzeichnet „Dumbo“ mit Warnhinweis
15-fakten-zu-disney-figuren-8097883-dumbo.jpg
15-fakten-zu-disney-figuren-8097883-dumbo.jpg (36.67 KiB) 18113 mal betrachtet
https://www.tvmovie.de/news/rassismus-d ... eis-108824



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Mi 1. Jan 2020, 23:42

Ich wusste nicht einmal, dass der Name 'Jim Crow' einen Stereotyp bedient. Ich schätze, wir dürfen froh sein für solche Hinweise. Oder darf man Unwissenheit als entschuldigende Tatsache ins Feld führen, falls man einmal Dumbo ganz ohne Warnhinweise einem Publikum vorspielt? Ich will mich nur nicht zum Affen machen (die Affen mögen mir diesen politisch unkorrekten Kommentar verzeihen)

Generell halte ich die Debatten über politische Korrektheit in der Kunst für etwas hysterisch artikuliert. Neulich kam doch dieser 'Meine Oma ist ne Umweltsau'-Song in die Bredouille. Ich finde das ein wenig überempört. Es wird ja nicht eine bestimmte Oma angegriffen, sondern einfach eine fiktive, und es werden ja nicht alle Omas zu Unweltsäuen gemacht. Was für ein Spektakel wir aber machen können.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 2. Jan 2020, 06:48

Mir hat das Oma Lied auch gut gefallen :) hier gibt's dazu eine sehr witzige und treffende Textanalyse > https://mobile.twitter.com/sduwe/status ... 3052482560




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 2. Jan 2020, 16:19

Eine Kleinigkeit möchte ich aber am Omalied doch kritisieren, obwohl ich das Lied mag. Es werden - soweit ich sehe - nur die üblichen Verdächtigen aufs Korn genommen: SUV-Fahrer, Karnivoren und Kreuzfahrer. Es gibt aber weitaus mehr Umweltsäue, schätze ich.




Benutzeravatar
Stefanie
Beiträge: 7170
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Do 2. Jan 2020, 18:03

Ich habe zu dem Lied eine etwas andere Meinung.

In einem Artikel, den ich leider nicht mehr wiederfinde, erklärte u.a. Chorleiter worum es in dem Lied geht und wie es auch den Kindern erklärt wurde. Der neue Text sollte auch den Generationenkonflikt darstellen. Eine super Idee, Kindern beizubringen, es gibt einen Konflikt zwischen den Generationen. Genau der richtig Ansatz, um zu vermitteln, dass es um etwas geht, was nur gemeinsam gelöst werden kann.
Zweitens die Verwendung von Umweltsau, völlig egal ob es sich auf eine Oma, einem Opa, Kind, Vater, Mutter handelt.
Die Bezeichnung "Du Sau" ist eine Beleidigung. Umweltsau auch. Von Kindern gesungen. Auch eine super Idee, dem Nachwuchs beizubringen, welche Wörter in einer sachlichen Diskussion verwendet werden können.
Zudem werden Klischees bedient. Nicht die Generation der derzeitigen Großeltern fährt SUV und diese Minivans, sondern die Eltern.

Wenn das ein Beispiel für eine deutsche Satire ist, dann gute Nacht.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Mi 12. Aug 2020, 23:43

Manchmal frage ich mich, wie wir es geschafft haben, trotz all der "rassistisch durchtränkten Sprache" keine Rassisten zu werden.
Auf uns ist das ganze Zeug ja ungefiltert und unkommentiert eingeprasselt.
Wahrscheinlich sind wir einfach zu gut erzogen um uns davon beeinflussen zu lassen?



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

sokrates_is_alive
Beiträge: 79
Registriert: Sa 26. Sep 2020, 14:38

Mi 21. Okt 2020, 08:49

Der Lateiner lernte bereits "et arma et verba vulnerant" - sowohl Waffen als auch Worte können verletzen; daher scheint ein selbstkritischer Sprachgebrauch durchaus angezeigt. Was mich allerdings an der Diskussion stört, sind im wesentlichen drei Dinge:
1. Die implizite Behauptung, über eine Änderung der Sprache könne gleichzeitig die Realität verändert werden, scheint mir unzutreffend oder doch zumindest nur langfristig Teilerfolge zu erzielen. Beispiel: Die Benutzung "Afro-Amerikaner" statt "Neger" hat für die Gleichberechtigung der Betroffenen nicht wirklich geholfen; gleichzeitig stellt sich die Frage, ob durch die Einführung bestimmter Begriffe nicht wiederum andere Menschen ausgegrenzt werden. Sind "Afro-Amerikaner" nun Amerikaner, die von afrikanischen Sklaven abstammen oder seit mehreren Generationen nach Auswanderung/ Flucht aus Afrika in den USA leben oder auch gerade erst Emmigrierte ohne US-Bürgerschaft? Ich persönlich fände z.B. den Begriff "Afro-Deutscher" für meine Mitmenschen aus Sub-Sahara-Afrika ziemlich sperrig und unangemessen, denn entweder ist er Deutscher (Staatsbürgerschaft) oder Ghanaer, Kongolese usw.;

2. Grundsätzlich stelle ich mir die Frage, wem nutzt der neue Begriff. Ein ganz gelungenes Beispiel finde ich die Bewegung der Schwulen und Lesben, denen es gelungen ist, die ursprünglichen Schimpfwort zunehmend mit einer positiven Konnotation oder doch zumindest Akzeptanz zu verbinden (mir ist bewusst, dass es immer noch Anfeindungen bis hin zu Angriffen gibt, aber ich glaube, die Mehrheit akzeptiert unsere Mitmenschen). Ich nehme mal ein etwas unverfänglicheres Beispiel: Der alte Begriff "Greis" wurde peu à peu durch "Senior" ersetzt, also das ursprüngliche Bild des ergrauten, erfahrenen Menschen zunächst mit Gebrechlichkeit, Verfall zunehmend konnotiert und dann allmählich durch Senior ersetzt - dass Senior in der Wirtschaftswelt mit Führungskraft ebenfalls auftritt - on y soit qui mal y pense. Wem das nützt, ist nicht schwer zu erraten. Ein weiteres gelungenes Beispiel erscheinen mir die Roma, die sich aus mehreren Gruppen (u.a. Sinti, Manouches, Aschkali, Burgenland-Roma, Kalderasch, Lovara) zusammensetzen, auch wenn man kritisch anmerken mag, dass Roma durchaus nicht als homogene Gruppe betrachtet werden sollte.

3. Die neue "Sprachverordnung" wird von Wenigen geführt, denen es nicht gelingt, eine breite Diskussion zu starten. Damit haftet diesen Bemühungen häufig das Etikett "Elitär" oder - in der eigenen Wahrnehmung der Neuerer - Avantgarde an, die Mehrheit bleibt unberührt und unberücksichtigt. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat dies aus meiner Sicht gut zusammengefasst: "Nicht nur diktatorische Staaten versuchen systematisch, die Meinungsbildung zu wichtigen Themen über die Verwendung bestimmter Benennungen
bzw. das Verbot anderer Ausdrücke zu beeinflussen. (...)Vorsicht ist allerdings immer dort geboten, wo gewisse Sprachnormen sich nicht aus einer Sprachgesellschaft heraus entwickeln, sondern von "höherer" Stelle, etwa einzelnen Organisationen, Verbänden oder Politikern, vorgegeben werden. Hier sollte hinterfragt werden, was einerseits durch die neue Sprachgestaltung betont und was andererseits ausgeblendet wird." (https://www.bpb.de/politik/grundfragen/ ... heit?p=all)



"Der Teufel ist ein Optimist. Er glaubt, er könnte die Menschen schlechter machen." (nach Karl Kraus) :roll:

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Okt 2020, 06:10

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:49
Die implizite Behauptung, über eine Änderung der Sprache könne gleichzeitig die Realität verändert werden, scheint mir unzutreffend...
Eine Änderung der Sprache ist eine Änderung der Realität. Der einfachste Grund, unangemessene Begriffe zu vermeiden ist, dass sie unangemessen sind.

Dadurch allein wird man die diskriminierende Situation in der Regel nicht aus der Welt schaffen. Aber spricht das spricht nicht dafür, die diskriminierende Begriffe zu nutzen.

Nehmen wir analog dazu folgendes Argument: "Wenn ich aufhöre dich zu beleidigen, wird die Welt auch nicht besser!" Erstens stimmt das in einem ganz trivialen Sinne nicht, weil die Welt bereits dadurch besser wird, dass man aufhört zu beleidigen. Und selbst wenn die Welt dadurch nicht besser würde oder nur unwesentlich besser, würde das kein Grund liefern, mit dem Beleidigen fortzufahren.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Okt 2020, 07:30

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:49
Die neue "Sprachverordnung" wird von Wenigen geführt, denen es nicht gelingt, eine breite Diskussion zu starten. Damit haftet diesen Bemühungen häufig das Etikett "Elitär" oder - in der eigenen Wahrnehmung der Neuerer - Avantgarde an, die Mehrheit bleibt unberührt und unberücksichtigt.
Nehmen wir mal an, die Menschheit würde bis heute glauben, dass 7 + 5=11 ist. Und dann kämen einige wenige und würden versuchen, eine neue Rechenverordnung zu installieren... das könnte man natürlich elitär nennen und die Ansicht der vielen, dass 7 + 5 = 11 ist, bliebe dabei unberücksichtigt.

Meines Erachtens geht es keineswegs um eine neue Sprach-Verordnung, die von wenigen installiert werden soll. Es geht darum, dass eine unmoralische Praxis gibt. Und die soll nicht abgeschafft werden, weil es einige verordnen, sondern weil sie eben unmoralisch ist. Es geht also nicht um die, denen aufgefallen ist, dass etwas falsch läuft, sondern es geht darum, dass etwas falsch läuft und wir das ändern sollten. Das obige Argument ist also ein so ein typisches ad hominem Argument, bei dem von der Sache abgelenkt werden und der Überbringer der Botschaft diskreditiert werden soll.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Okt 2020, 07:33

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:49
Nicht nur diktatorische Staaten versuchen systematisch, die Meinungsbildung zu wichtigen Themen über die Verwendung bestimmter Benennungen bzw. das Verbot anderer Ausdrücke zu beeinflussen.
Wie passt eigentlich dieser Hinweis damit zusammen, dass weiter oben behauptet wird, die Änderung der Sprache sei letztlich nicht zielführend?




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Do 22. Okt 2020, 09:52

sokrates_is_alive hat geschrieben :
Mi 21. Okt 2020, 08:49
1. Die implizite Behauptung, über eine Änderung der Sprache könne gleichzeitig die Realität verändert werden, scheint mir unzutreffend
Dahinter steckt glaube ich die Annahme, dass Realität sich - auch wenn der Realist das nicht gerne hört - in unserem Denken bildet. Sprache hat dabei großen Einfluß darauf, wie wir die Realität wahrnehmen.
Ich bin mir dabei aber nicht sicher, ob es nicht besser wäre zuerst das Denken zu ändern, sodass sich Sprache dann in Folge ändert, oder umgekehrt. Oder Beides.
Für mich hat jedenfalls die Existenz des Begriffes Neger nie dazu geführt, dass ich schwarze Menschen als minderwertig ansehe. Dieser Begriff hat mir nur gezeigt, dass es Menschen gibt (dass das eine Realität ist) die so denken.
Schwierig. Auch frage ich mich, ob Sprache überhaupt so entsteht, also bewusst gelenkt. Wenn wir uns zum Beispiel die Jugendkultur anschauen, die ständig neue Begriffe bildet, dann ist da ja niemand, kein Konsortium, das sich am runden Tisch darüber Gedanken macht, welche Begriffe man einführen könnte. Sie entstehen einfach. Aus dem Denken und Fühlen und Leben der Menschen heraus. Sprache ist da nur ein Spiegel des Lebens, nicht umgekehrt.
ich weiß von mir selbst jedenfalls, dass ich Begriffe, deren Bedeutung in meinem Denken nicht präsent sind, nicht annehme.
Ein Beispiel wäre da der Versuch, den Begriff "Problem" durch "Herausforderung" zu ersetzen. Begründung war, dass der Begriff "Problem" die Leute demotiviert, wohingegen "Herausforderung" mehr nach einer lösbaren Aufgabe klingt.
Ich habe das nie angenommen, eben weil die Grundannahme für mich niemals zutraf. Ich habe Probleme schon seit je her nie als ein Hindernis angesehen. Probleme sind dazu da gelöst zu werden. Für mich hat dieser Begriff nichts Negatives, weshalb ich ihn auch nicht ersetzen muss.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Okt 2020, 10:40

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 09:52
Ich bin mir dabei aber nicht sicher, ob es nicht besser wäre zuerst das Denken zu ändern, sodass sich Sprache dann in Folge ändert, oder umgekehrt.
Geht es hier um entweder, oder? Oder erst das dann das? Ich finde nicht.

Ich stelle mir das so vor: Wir haben ein Problem. Es gibt eine unbestimmte Menge von Maßnahmen, um das Problem zu bewältigen. Keine dieser Maßnahmen für sich allein wird das Problem aus der Welt schaffen - dazu braucht es viele Maßnahmen im Verbund. Daraus folgt aber offensichtlich NICHT, dass für jede einzelne der möglichen Maßnahmen gilt: weil sie es allein nicht schaffen kann, ergreife ich diese Maßnahme nicht. Daher ist das Argument "Nicht mehr X zu sagen, löst das Problem nicht", meines Erachtens einfach verfehlt.

Daraus, dass wir Diskriminierung nicht allein schon durch die Änderung der diskriminierenden Sprache aus der Welt schaffen können (falls es so ist), folgt nicht, dass wir die diskriminierende Sprache lassen sollten wie sie ist. Diskriminierende Sprache sollten wir ändern, weil sie falsch ist und weil es ein Puzzlestück zur Änderung des Gesamtproblems ist. Das heißt, wir sollten dabei wichtige andere Maßnahmen natürlich nicht aus den Augen verlieren. Man kann das eine tun ohne all das andere, was wichtig ist, zu lassen.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Do 22. Okt 2020, 11:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 10:40
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 09:52
Ich bin mir dabei aber nicht sicher, ob es nicht besser wäre zuerst das Denken zu ändern, sodass sich Sprache dann in Folge ändert, oder umgekehrt.
Geht es hier um entweder, oder? Oder erst das dann das? Ich finde nicht.

Ich stelle mir das so vor: Wir haben ein Problem. Es gibt eine unbestimmte Menge von Maßnahmen, um das Problem zu bewältigen. Keine dieser Maßnahmen für sich allein wird das Problem aus der Welt schaffen - dazu braucht es viele Maßnahmen im Verbund. Daraus folgt aber offensichtlich NICHT, dass für jede einzelne der möglichen Maßnahmen gilt: weil sie es allein nicht schaffen kann, ergreife ich diese Maßnahme nicht.
Schon klar. Aber die Frage war ja nicht, ob die Maßnahme im Verbund oder allein was bewirken muss, sondern ob sie überhaupt was bewirkt.
Also ich gehe hier nur von mir selber aus, aber mich muss man nicht durch Sprachvorgaben dazu bringen einzusehen, dass Afrikaner keine minderwertigen Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe sind.
Das weiß ich auch so,. Die Existenz oder Nichtexistenz des Begriffes "Neger" hat da für mich gar keinen Einfluß drauf.
Ich vermeide solche Wörter eigentlich nur aus Rücksicht den betroffenen Personen gegenüber. Weil sie mich darum bitten, nicht weil ich erst dann glaube, dass wir Menschen gleichberechtigt sind.
Daraus, dass wir Diskriminierung nicht allein schon durch die Änderung der diskriminierenden Sprache aus der Welt schaffen können (falls es so ist), folgt nicht, dass wir die diskriminierende Sprache lassen sollten wie sie ist. Diskriminierende Sprache sollten wir ändern, weil sie falsch ist und weil es ein Puzzlestück zur Änderung des Gesamtproblems ist. Das heißt, wir sollten dabei wichtige andere Maßnahmen natürlich nicht aus den Augen verlieren. Man kann das eine tun ohne all das andere, was wichtig ist, zu lassen.
Hm. Ich weiß nicht so genau, was diskriminierende Sprache eigentlich ist. Für mich gibt es Diskriminierung im Denken, das sich dann in Begriffen oder Wörtern zeigt (die in diskriminierender Absicht verwendet werden).
Dafür können aber in vielen Fällen die Wörter gar nichts. Das ändert sich ja auch dauernd. Wörter die in der Vergangenheit negativ besetzt waren sind es heute nicht mehr und umgekehrt.
Das Problem ist doch nicht das Wort, sondern das wofür (oder wie) wir es benutzen.
Wenn das Wort "Neger" nur im positiven Kontext verwendet werden würde, dann gäbe es doch mit dem Wort überhaupt kein Problem.
Das wurde ja oben auch mit dem Wort "schwul" erwähnt. "Schwul" war über lange Zeit einfach ein Schimpfwort. Heute ist es fast schon "schick". Das selbe Wort ändert seine Bedeutung, dadurch dass es anders besetzt und verwendet wird. Und das ergibt sich ja aus unserem Denken. Nicht umgekehrt. Glaube ich. Und ich sage hier absichtlich "glaube", weil ich nicht genau weiß wie da was zusammenwirkt. Ich schaue nur wie das bei mir ist.
Richtig wäre es mMn also gegen diskriminierendes Denken vorzugehen (durch z.B. Aufklärung) und dadurch zu bewirken, dass Wörter nicht mehr in diskriminierender Absicht verwendet werden.
Aber vielleicht ist das von mir auch zu einfach gedacht. Kann sein.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Okt 2020, 12:54

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 11:37
Aber die Frage war ja nicht, ob die Maßnahme im Verbund oder allein was bewirken muss, sondern ob sie überhaupt was bewirkt.
Wenn man aufhört, Menschen mit verächtlichen, herabsetzenden, stigmatisierenden oder ungerechten Begriffen zu benennen, dann hat man bereits etwas bewirkt.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Do 22. Okt 2020, 13:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 12:54
verächtlichen, herabsetzenden, stigmatisierenden oder ungerechten Begriffen
Ja. Wir sollten Menschen nicht herabsetzen, stigmatisieren oder ungerecht behandeln.
Das hängt aber nicht an Wörtern. Wenn ich ein Wort verbiete, verwenden Menschen, die jemand anderen diskriminieren wollen, eben ein anderes Wort.
Es hängt an unserem Denken. Das muss sich ändern. Ich sehe aber nicht wie man das durch das Verbieten von Wörtern erreichen sollte.
Aber es gibt ja genug Leute die das im Gegensatz zu mir so sehen. Das wird schon seinen Grund haben.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23270
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 22. Okt 2020, 13:56

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 13:28
Das hängt aber nicht an Wörtern.
Na doch. Beleidigende, herabsetzende Wörter gibt es doch unbezweifelbar zuhauf.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Do 22. Okt 2020, 14:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 13:56
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 22. Okt 2020, 13:28
Das hängt aber nicht an Wörtern.
Na doch. Beleidigende, herabsetzende Wörter gibt es doch unbezweifelbar zuhauf.
Was ich mit "das hängt nicht an Wörtern" meine ist, dass es Menschen sind die Wörter in herabsetzender Absicht gebrauchen.
Wir sollten einfach Sprache nicht dazu verwenden Menschen herabzusetzen, weil es falsch ist Menschen herabzusetzen.
Wenn Menschen so nicht denken würden, dann gäbe es auch keine Wörter die "in Verruf" geraten.

Ein Wort ist nur ein Wort. Es wird nur dadurch zum Problem, dass es in herabsetzender, rassistischer, diskriminierender usw Absicht verwendet, missbraucht, erfunden wird.
Diese Absichten, die aus dem korrespondierendem Denken resultieren, sind das Problem. Nicht die Wörter.
Und diese Absichten bekommst Du ja nicht dadurch weg, dass Du die Wörter verbietest. Dann nehmen Menschen mit diesen Absichten eben andere Wörter.
Es bringt doch nichts eine Wortschöpfung wie "Kopftuchmädchen" zu kritisieren. Kritisiert werden muss doch die Absicht des Herrn Sarrazin islamische Mädchen und Frauen damit zu diskriminieren oder zu stigmatisieren.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Do 22. Okt 2020, 14:35

Oder vielleicht so gesagt: Wenn wir Wörter verbieten oder ächten, dann basteln wir am Symptom rum. Nicht an der Ursache.
Es sei denn man könnte zeigen, dass Wörter die Ursache für herabsetzendes, rassistisches, diskriminierendes Denken sind.
Das weiß ich nicht, ob man das kann (schliesse aber nicht aus, dass das so ist).



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Antworten