Markus Gabriel - Warum es die Welt nicht gibt

Markus Gabriel (* 6. April 1980 in Remagen) ist ein deutscher Philosoph. Er lehrt seit 2009 als Professor an der Universität Bonn.
Tosa Inu
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Mo 14. Aug 2017, 18:47

Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
Hi, ich bin nun auch hier, hallo allerseits!
Herzlich willkommen!
Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
Nach meinem Sprachgebrauch ist es nun - zumindest genau/wortwörtlich genommen - falsch, z.B. zu sagen, dass im Film "Das letzte Einhorn" Einhörner vorkämen.
Damit habe ich ehrlich gesagt auch größere Schwierigkeiten, zumal Gabriel das m.E. auch nicht gut begründet. Er sagt einfach, dass es Einhörner gibt und Punkt.
Er will ja den Begriff der Existenz etwas kleiner machen. Eine der Fragen muss wohl sein, wie eng oder breit man Existenz verstehen will (und was daraus folgt, wenn man es breit oder eng versteht).
Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
Falls man der Ansicht ist, dass es fiktive Objekte wie z.B. Einhörner gäbe, dann müsste man doch auch der Ansicht sein, dass diese auf andere Art existierten als Einhörner aus Fleisch und Blut, oder etwa nicht? Fiktive Einhörner - so es diese denn gäbe, zusätzlich zu den Beschreibungen und Abbildungen von Einhörnern, die es unbestritten gibt - unterschieden sich doch von Einhörnern aus Fleisch und Blut in einigen nicht ganz unwesentlichen Punkten, nicht? Und falls so, hätten wir es dann nicht mit einem Homonym zu tun, d.h. einem Wort - hier "Einhorn" - das für zwei grundsätzlich unterschiedliche Begriffe stünde? Und wäre es dann nicht ziemlich hilfreich für ein weiteres Verständnis, wenn man da möglichst sauber unterscheiden würde?
Beim Einhorn glaubt ja eigentlich niemand daran, dass es tatsächlich eine Wesen auch Fleisch und Blut und mit einer DNA ist.
Wichtiger fände ich zu klären, was es heißt, dass Einhörner existieren oder es sie „gibt“. Dass Existenz bedeutet, in einem Sinnfeld zu erscheinen, hilft mir an der Stelle noch nicht weiter, weil da mir der Begriff des Sinnfeldes ebenfalls noch nicht klar ist. Was ist z.B. das objektive oder von Menschen geschaffene Sinnfeld eines Einhorns. Klar, der Film, abr was will Gabriel damit sagen, außer, dass es fiktionale Welten und Wesen gibt? Die gibt es fraglos, nur – und wenn – man ihnen zuspricht zu existieren, was bedeutet das für ein neues Verständnis was den Naturalismus und Konstruktivismus gleichermaßen hinter sich lässt und Realitätsstatus beansprucht. Was macht die fiktionale(n) Welt(en) real?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mo 14. Aug 2017, 19:02

iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
Inwiefern ließe sich Gabriels Ansatz in einen ernsthaften gesellschaftlichen Diskurs überführen? Welche Wirkung hätte dies auf andere Disziplinen und könnte man dort etwas damit anfangen? Ich denke bspw. an die Juristik oder die Medizin.
M.E. geht das in der Medizin ausgezeichnet.
Ein Sinnfeld wäre dann die Welt eines Patienten, die man zu beachten hätte, was die Sinnfelder zwar wieder ein wenig in Richtung einer Perspektive und eines Weltbildes rückt, genau das, was Gabriel eigentlich vermeiden will. Aber diese rigide Trennung scheint mir bislang nicht gut begründet.
iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
Nur dass diese Verbindung mit Gabriel nicht mehr das bedeutet, was sie eigentlich bedeuten müsste, nämlich eine nicht überprüfbare Verbindung. Welches Argument könnte hier nun entkräften, dass Kugel a und Foto b zusammengehören?
Und vor der Tür stehen wir ja schon, dass wir Kausalbeziehungen erahnen, ohne sie hinreichend belegen zu können.
iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
Das ganze nochmal in Kurzform: wenn vor Gabriels Tafel Kläger und Angeklagter sitzen und sie gefragt werden was dort an der Tafel ist, dann haben immer Kläger und Angeklagter zugleich recht, denn es existiert ja, was sie behaupten, weil es im jeweiligen Sinn eben so erscheint.
Stimmt. Und in der Juristerei hat das andere, problematischere, Konsequenzen, als in der Medizin. (Wobei es in der Juristerei vielleicht gar nicht so oft um tatsächlich unterschiedliche Sichtweisen geht, als darum, was man sicher nachweisen kann. Wer z.B. lügt, weiß das ja.)



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Mo 14. Aug 2017, 19:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 05:57
Noch mal, Gabriel leugnet nicht, dass Zahlen anders sind als Steine, er leugnet auch nicht, dass Vulkane etwas ganz anderes sind als Fantasien und er leugnet ebensowenig, dass Opern etwas anderes sind als Comics.
Zu fragen oder zu klären wäre also, ob, wo und ggf. inwieweit physische, logische, numerische und fiktionale Welten interagieren.
Denn Realisten (oder Physikalisten) bestreiten in aller Regel, dass etwas anderem als dem Physischen Existenz zukommt.
Wenn man z.B. zeigen kann, dass Materie sich anhand von Primzahlmuster ausrichtet und das auf Sinnfelder zurückführen kann, das wär was.



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iselilja
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Mo 14. Aug 2017, 19:59

Tosa Inu hat geschrieben : M.E. geht das in der Medizin ausgezeichnet.
Ein Sinnfeld wäre dann die Welt eines Patienten, die man zu beachten hätte, was die Sinnfelder zwar wieder ein wenig in Richtung einer Perspektive und eines Weltbildes rückt, genau das, was Gabriel eigentlich vermeiden will. Aber diese rigide Trennung scheint mir bislang nicht gut begründet.
Gut, zur Medizin hatte ich mir jetzt konkret noch keine weiteren Gedanken gemacht, allerdings scheint mir die Beziehung Arzt/Patient nicht wesentlich anders zu sein als Kläger/Angeklagter. Letztendlich steht und fällt die Sinnfeldontologie mit der Verwendung adäquater Begriffe, die von beiden Seiten sinnvoller weise verstanden werden müssen.

Fragt man wie Gabriel im Video nach Gegenständen, steht den Betrachtern ein üppiges Feld möglicher Gegenstände zur Verfügung (was ontologisch soweit auch korrekt ist). Spricht man von Schmerzen, ist die Sache zwar schon etwas eingegrenzt, aber noch nicht hinreichend geklärt. Man muss also mit der Diagnose genau auf das zielen, was als Schmerz dem Patienten erscheint. Und nur genau das existiert dann auch und kann, weil es existiert behandelt werden (z.B. mit Schmerzmitteln ^.-). Diagnose wäre demnach Sinnfeldanalyse - unabhängig davon, was dem Arzt während der Diagnose so alles an Alternativen erscheint. :-) Der Patient hat dann mehr oder weniger Glück, wenn im Unterschied zum Patienten dem Arzt eine bakterielle Infektion sinnvoll erscheint -> sie existiert und ist also behandelbar. Oder dem Arzt erscheint irgend etwas anderes.. dann hat der Patient eben Pech gehabt.

Oder kann Gabriels Existenzbegriff garnicht dem Anspruch gerecht werden, den man eigentlich doch ganz gerne vermuten möchte?




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Mo 14. Aug 2017, 20:47

iselilja hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 12:34
Gabriel würde sagen, Geglaubtes existiert nicht, da es ja auch nicht in Erscheinung tritt. Und darin würde ich ihm auch zustimmen.
Ist denn eigentlich Religion ein Sinnfeld? Oder existiert sie in einem Sinnfeld?
Oder anders: Wenn es Einhörner gibt, wieso nicht Zeus? Über Einhörner wurde ein Film gedreht, über Zeus viel geschrieben.

Latours Ansatz in Existenzweisen ist ja darzustellen, dass z.B. Religion und Wissenschaft andere Sprachen sprechen und ganz andere Ziele verfolgen. In welcher Weise folgen sie (oder ihre Sinnfelder) also gemeinsamen Regeln? Was habe alle Sinnfelder gemeinsam, so dass sich der Begriff, dass es sich hier um ein Sinnfeld handelt (in dem einmal Erdbeeren, ein anderes Mal Primzahlen und zuletzt Einhörner auftauchen/erscheinen) rechtfertigt?



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Mo 14. Aug 2017, 20:54

Herr K. hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 14:52
Anders ausgedrückt: es gibt zwar in den obigen Beispielen Referenzen auf Einhörner, einen Krug und auf 3 Hexen, aber daraus folgt nicht, dass das, worauf referenziert wird, auch existiert.
Welche Bedingungen muss etwas Deiner Meinung nach erfüllen, damit Du ihm Existenz zuschreiben würdest.
Was ist z.B. mit Primzahlen?



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Herr K.
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Mo 14. Aug 2017, 21:26

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 20:54
Herr K. hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 14:52
Anders ausgedrückt: es gibt zwar in den obigen Beispielen Referenzen auf Einhörner, einen Krug und auf 3 Hexen, aber daraus folgt nicht, dass das, worauf referenziert wird, auch existiert.
Welche Bedingungen muss etwas Deiner Meinung nach erfüllen, damit Du ihm Existenz zuschreiben würdest.
Was ist z.B. mit Primzahlen?
Allgemeine Existenzkriterien kann ich Dir nicht nennen, weiß aber auch nicht, ob meine Ansicht hier überhaupt interessant ist, denn es geht ja um Gabriel. (Prim)-Zahlen existieren meiner Ansicht nach nicht, ich bin diesbezüglich Nominalist, genauer gesagt Fiktionalist (und fiktive Entitäten existieren meiner Ansicht nach nicht).
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 20:47
Ist denn eigentlich Religion ein Sinnfeld? Oder existiert sie in einem Sinnfeld?
Oder anders: Wenn es Einhörner gibt, wieso nicht Zeus? Über Einhörner wurde ein Film gedreht, über Zeus viel geschrieben.
So wie ich das bislang verstehe, verhält es sich laut Gabriel so:

1. Jede Religion ist ein eigenes Sinnfeld
2. Jedes Sinnfeld ist in einem anderen Sinnfeld enthalten
3. Zeus existiert (mindestens) im Sinnfeld "griechische Mythologie"

Und mal eine persönliche Frage: bist Du eigentlich Carl Spitzweg mit einem anderen Nicknamen?




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iselilja
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Mo 14. Aug 2017, 22:03

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 20:47
iselilja hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 12:34
Gabriel würde sagen, Geglaubtes existiert nicht, da es ja auch nicht in Erscheinung tritt. Und darin würde ich ihm auch zustimmen.
Ist denn eigentlich Religion ein Sinnfeld? Oder existiert sie in einem Sinnfeld?
Oder anders: Wenn es Einhörner gibt, wieso nicht Zeus? Über Einhörner wurde ein Film gedreht, über Zeus viel geschrieben.
M.e. gibt es keine Einhörner, wohl aber gibt es (existieren) Bilder und Filme, auf denen etwas erscheint, was wir begrifflich als Einhorn bezeichnen (demzufolge existieren auch Einhörner in diesem sehr begrenzten Kontext, nämlich als Abbildungen) - unabhängig davon ob es diese auch jenseits von Bildern und Filmen gibt. Diese Art von Problem, was man eigentlich als Existent bezeichnet und was nicht bestand aber auch schon lange vor dem neuen Realismus. Ich wüßte auch nicht, ob und wie dieser daran etwas ändern könnte.
Tosa Inu hat geschrieben : Was habe alle Sinnfelder gemeinsam, so dass sich der Begriff, dass es sich hier um ein Sinnfeld handelt (in dem einmal Erdbeeren, ein anderes Mal Primzahlen und zuletzt Einhörner auftauchen/erscheinen) rechtfertigt?
Ich denke, das lässt sich nur klären, wenn Gabriel den von ihm verwendeten Begriff Erscheinung spezifiziert. Denn ich wüsste nicht, wie man erklären will, dass einerseits Primzahlen in Erscheinung treten (also bewußt erkannt werden, falls dem MG überhaupt so zustimmen würde, ich bin mir da gerade nicht so sicher), aber andererseits und auf gleicher abstrakter Ebene Phantasmen genauso erkannt werden können, wie eben etwa Einhörner (Chimären).

Ein weites Feld voller Sinnhaftigkeiten. :-)




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Mo 14. Aug 2017, 22:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 06:13
Eine Ansicht ist nach Gabriel dann wahr, wenn sie den Tatsachen entspricht, Gabriel ist keineswegs der Ansicht, dass wahr ist, was immer jemand glaubt :) du interpretierst Gabriel als Relativist, aber das ist er nicht.

Gabriel ist z.b. der Ansicht, dass es Sinnfelder, in denen man berechtigterweise von Schuld und Sühne sprechen kann, tatsächlich gibt.
Es gibt auch Sinnfelder, in denen es Gott mit den Eigenschaften A bis Z tatsächlich gibt. Das ist für Gläubige äußerst praktisch, weil es nun der Glaube Existenz verleiht. Glaube kann nun buchstäblich Berge versetzen. So etwas wie einen falschen Glauben gibt es nicht mehr. Gabriels Ontologie liefert die Begründung dafür: "Es existiert, was in einem Sinnfeld erscheint."




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Di 15. Aug 2017, 05:15

Fast richtig. Nach Gabriel gibt es bekanntlich alles außer der Welt. Irren kann man sich in diesem System natürlich trotzdem, wenn man annimmt, dass etwas in einem bestimmten Sinnfeld (zum Beispiel in der physikalischen Welt) existiert, indem es gar nicht existiert. Diesem Irrtum unterlag z.b. der russische Kosmonaut, der als er im Weltall war, freudig feststellte, dass dort kein Gott auszumachen war. :)

Wenn also gläubige Menschen annehmen, es gäbe einen Sinnfeld namens Himmel oder Jenseits oder wie auch immer man es nennen möchte, während es dieses Sinnfeld gar nicht gibt, dann haben sie sich eben geirrt, dann gibt es Gott eben nur ihrer Vorstellung, in der Bibel, diversen Erzählungen et cetera.




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Di 15. Aug 2017, 05:19

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 18:28
Meine Bemerkung galt Deiner Aussage, man müsse den Begriff der Regel bei Gabriel sehr breit fassen (von der Physik bis zum Bundestag). Da stößt man sich dann irgendwann, an Gabriels eigenen antimetaphysischen Prämissen.
Warum?




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Di 15. Aug 2017, 05:33

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 18:47
Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
Nach meinem Sprachgebrauch ist es nun - zumindest genau/wortwörtlich genommen - falsch, z.B. zu sagen, dass im Film "Das letzte Einhorn" Einhörner vorkämen.
Damit habe ich ehrlich gesagt auch größere Schwierigkeiten ...
Mein Sprachgebrauch und auch der Sprachgebrauch vieler anderer Menschen, die ich kenne, ist exakt so. Wenn man vom Plot eines Filmes, eines Buches oder eines Theaterstückes erzählt, verfährt man genau in der Weise, die Gabriel angibt. Wer von dem Film Terminator z.b. erzählt, der würde niemals sagen, dass in dem Film die Beschreibung eines Terminators vorkommt. Es würde dann einfach nicht so verstanden werden, wie er es beabsichtigt hat. Wenn man vom tatsächlichen Sprachgebrauch ausgeht, dann muss ich sagen, dass ich die Redeweise, es gebe in einem Film, in einem Buch et cetera die "Beschreibungen von x" noch nie (in dem fraglichen Sinne) gehört habe. Würde man z.b. sagen, in Hänsel und Gretel gäbe es Beschreibungen von zwei Kindern, dann würde kein Mensch verstehen, was damit gemeint ist. Und damit ist meines Erachtens wortwörtlich gemeint, dass es in dem Märchen die fraglichen handelnden Personen gibt.

Ich meine auch, dass es wortwörtlich stimmt, dass es in Terminator 2 zwei Terminatoren gibt, nämlich ein veraltetes Modell und ein neueres. Aber ich meine damit natürlich nicht, dass irgendwo in Amerika zwei Terminatoren gibt.

Gabriels Ballspiel ist regelmäßig Goethe. Literaturwissenschaftler erforschen nämlich z.b. wie viele Hexen es in den Stücken von Goethe gibt. Und das ist natürlich wortwörtlich zu verstehen. Sie untersuchen aber natürlich nicht, wie viele Hexen es etwa in Bochum oder Dortmund gibt.




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Di 15. Aug 2017, 06:05

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 19:10
Zu fragen oder zu klären wäre also, ob, wo und ggf. inwieweit physische, logische, numerische und fiktionale Welten interagieren.
Wenn ich mich recht entsinne, sag Gabriel in dem Vortrag, dass manche Felder einander über Lappen , während andere nie etwas miteinander zu tun haben.

Fiktionale Welten und physische Welten dürften durchaus "interagieren", wie du dich ausdrückst. (Wobei ich nicht ganz sicher bin, ob der Begriff glücklich gewählt ist.) Nehmen wir ein Beispiel. Ich habe mir gestern auf der documenta einen Film angeschaut. In dem Film hat ein Mathematiker von jetzt auf gleich seine Lebensumstände hinter sich gelassen, um in einem stillgelegten Waggon die Dunkelheit zu erforschen. Die Geschichte wurde in wunderschönen Bildern erzählt, die mich sehr beeindruckt haben. Ich schätze mal (und Gabriel wird das sicher auch nicht leugnen) dass diese Bilder in meinem Körperinneren physische Prozesse ausgelöst haben, die sogar notwendig sind, damit ich die fraglichen Erlebnisse hatte.




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iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
Diagnose wäre demnach Sinnfeldanalyse - unabhängig davon, was dem Arzt während der Diagnose so alles an Alternativen erscheint.
Diagnose ist vermutlich auch Sinnfeldanalyse und muss es umso mehr werden, je mehr es darum geht, der Einstellung des Patienten nahe zu kommen. Das ist, Thema Schmerz, z.B. dann der Fall, wenn es sich nicht um einen organisch begründbaren Akutschmerz handelt, sondern um immer weniger begründbaren chronischen Schmerz.
iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
Oder kann Gabriels Existenzbegriff garnicht dem Anspruch gerecht werden, den man eigentlich doch ganz gerne vermuten möchte?
Vielleicht treffen sich ja bei pathologischen Zuständen zwei Existenzbereiche (Körper und Vorstellungen), denen Gabriel Existenz zuspricht, während Physikalisten den Vorstellungen Existenz absprechen würde.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Di 15. Aug 2017, 08:55

Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
Allgemeine Existenzkriterien kann ich Dir nicht nennen, weiß aber auch nicht, ob meine Ansicht hier überhaupt interessant ist, denn es geht ja um Gabriel. (Prim)-Zahlen existieren meiner Ansicht nach nicht, ich bin diesbezüglich Nominalist, genauer gesagt Fiktionalist (und fiktive Entitäten existieren meiner Ansicht nach nicht).
Wie weit der Existenzbegriff beim Einzelnen reicht, könnte später interessant werden.
Es reicht ja am Ende nicht die Existenz zu behaupten, sondern auch zu erklären, was man darunter versteht.
Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
2. Jedes Sinnfeld ist in einem anderen Sinnfeld enthalten
Inwiefern meint Gabriel das?
Herr K. hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:23
Und mal eine persönliche Frage: bist Du eigentlich Carl Spitzweg mit einem anderen Nicknamen?
Ja.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Di 15. Aug 2017, 09:08

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 08:55
Inwiefern meint Gabriel das?
Na ja, das ergibt sich eigentlich zwingend aus seiner Theorie. Da SinnFelder existieren, kommen sie ins in SinnFeldern vor.




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Di 15. Aug 2017, 09:19

iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
M.e. gibt es keine Einhörner, wohl aber gibt es (existieren) Bilder und Filme, auf denen etwas erscheint, was wir begrifflich als Einhorn bezeichnen (demzufolge existieren auch Einhörner in diesem sehr begrenzten Kontext, nämlich als Abbildungen) - unabhängig davon ob es diese auch jenseits von Bildern und Filmen gibt.
Existenz in diesem Sinne könnte dann auch heißen oder gegeben sein, wenn (ein Bild oder eine Vorstellung von) etwas in mehr als einem Kopf herumspukt?
iselilja hat geschrieben :
So 13. Aug 2017, 22:52
Ich denke, das lässt sich nur klären, wenn Gabriel den von ihm verwendeten Begriff Erscheinung spezifiziert.
Ich glaube ja immer noch, dass der Begriff Sinnfeld die Lösung ist. Gabriel spricht ja von einer Sinnfeld-Ontologie und wertet den Ontologiebegriff gegenüber dem Metaphysikbegriff auf. Er will damit sagen, dass das was in Sinnfeldern erscheint wirklich und tatsächlich exisitiert, ob Berge, Zahlen oder Hexen.

Was aber so ein Sinnfeld ist und vor allem, was es dann ist, wenn es nicht mit einer Perspektive zusammenfällt, das muss geklärt werden, denn sonst werken wir mit erklärenden Begriffen herum, die selbst diffus sind. Sie Differenz von Schein (Erscheinung) und Sein will Gabriel mindestens abschwächen. Welcher Intuition er da folgt ist mir aber nicht ganz klar.



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Di 15. Aug 2017, 09:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 05:15
Nach Gabriel gibt es bekanntlich alles außer der Welt. Irren kann man sich in diesem System natürlich trotzdem, wenn man annimmt, dass etwas in einem bestimmten Sinnfeld (zum Beispiel in der physikalischen Welt) existiert, indem es gar nicht existiert.
Dann gibt es aber doch übergeordnete Kontexte (bei denen die Frage auftaucht, wer diese bestimmt), denn sonst könnte jeder behaupten, dass x in seinem personlichen Sinnfeld sehr wohl so sei. Das ist aber eher die schlechte Version der Postmoderne.



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Di 15. Aug 2017, 09:47

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 05:19
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 14. Aug 2017, 18:28
Meine Bemerkung galt Deiner Aussage, man müsse den Begriff der Regel bei Gabriel sehr breit fassen (von der Physik bis zum Bundestag). Da stößt man sich dann irgendwann, an Gabriels eigenen antimetaphysischen Prämissen.
Warum?
Weil etwas sehr breit zu fassen, sich auf eine Totalität zubewegt. Wir müssen etwas finden, Du sagstest Regeln, die besagen, wann was wo gilt und wo nicht mehr. Gott exisitert im Sinnfeld Religion, aber nicht im Sinnfeld Physik. So weit, so friedlich. Brisant wird es, wenn es darum geht zu klären, ob es Gott denn nun "wirklich" gibt. Und da unterstellen wir a priori den Wirklichkeitsbegriff der Physik. Das möchte Gabriel gerne weg haben/ändern, aber wenn wir auf den Wahrheitsbegriff auch zukünftig nicht verzichten wollen (und das will Gabriel nicht), brauchen wir Metaregeln, die uns den Weg weisen und sagen, welches Sinnfeld nun gerade zu betrachten ist.
Ein läppischer Pluralismus, der Art, dass es aus der Sicht der Physiker keinen Gott gibt, aus Sicht der Gläubigen aber sehr wohl, ist hier keine Lösung und auch in keiner Weise neu oder originell.



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Di 15. Aug 2017, 10:00

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 15. Aug 2017, 09:37
Dann gibt es aber doch übergeordnete Kontexte (bei denen die Frage auftaucht, wer diese bestimmt), denn sonst könnte jeder behaupten, dass x in seinem personlichen Sinnfeld sehr wohl so sei. Das ist aber eher die schlechte Version der Postmoderne.
Mir ist nicht klar warum? Neben einem ontologischen Pluralismus verficht Gabriel natürlich auch einen epistemischen Pluralismus. Das ergibt sich nach meiner Einschätzung zwingend. Und das entspricht auch unseren Alltagserfahrungen. In verschiedenen Bereichen, Situationen und Umständen nutzt man doch ganz verschiedene Weisen, um an die Wahrheit zu kommen. Wer herausbringen will, wie viel 5+7 ist, wird dazu kaum einen Teilchenbeschleuniger nutzen :-) Wer wissen will, welche Akteure bei Figaros Hochzeit im Spiel sind, wird dazu nicht im Telefonbuch nachschlagen usw. usf. Die Wahrheit unserer Ansichten bemisst sich an den Tatsachen und unsere Methoden, sie heraus zu finden, müssen sich auch an dem Umständen orientieren.




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