Markus Gabriel - Warum es die Welt nicht gibt

Markus Gabriel (* 6. April 1980 in Remagen) ist ein deutscher Philosoph. Er lehrt seit 2009 als Professor an der Universität Bonn.
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Jörn Budesheim
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Sa 12. Aug 2017, 08:53

iselilja hat geschrieben :
Fr 11. Aug 2017, 17:04
Auch wenn wir ein paar Schritte zur Seite gehen (also eine andere Position/Perspektive im Raum einnehmen), erfassen wir unfreiwillig einen anders gearteten Ausschnitt des Unbestimmten und der Prozess der Objektivierung setzt sofort erneut ein.
Für den Fall, dass ich Gabriel richtig verstehe und für den Fall, dass ich dich richtig verstehe, muss ich sagen, dass ihr verschiedene Ansichten vertretet, ja sogar konträre. Es geht bei den Sinn-Feldern keineswegs grundsätzlich darum, das Unbestimmte zu bestimmen. Was du dort beschreibst, das nennt Gabriel in dem Vortrag Antirealismus.

Nimmt man die fraglichen Beispiele, dann verstehe ich deinen Ansatz so, dass wir dort - wie du sagst - eigentlich "Unbestimmtes" haben, welches wir, indem wir uns auf eine bestimmte Art und Weise einstellen/fokussieren erst bestimmen. Mit anderen Worten wir selbst machen aus dem an sich Unbestimmten, Quadrate, Kreide oder Atome.

Das ist aber gerade das, was Gabriel ablehnt. Gabriel macht ja ganz deutlich, dass die Sinne, so wie er diesen Terminus technicus verwendet, bereits vorhanden sind. An anderer Stelle (nicht in dem Vortrag) gibt er dafür ein Beispiel. Die verschiedenen Bereiche, welche unsere Naturwissenschaften bearbeiten, hätte es auch dann gegeben, wenn es diese Naturwissenschaften nie gegeben hätte. Bereiche sind für Gabriel nichts, was durch Diskurse oder ähnliches entsteht.

Natürlich gibt es auch für Gabriel SinnFelder, die konstruiert sind. In dem Vortrag macht er sogar geltend, dass vielleicht mehr konstruiert ist, als uns lieb sein kann. Wichtig jedoch ist, dass sie nicht grundsätzlich etwas konstruiertes sind.




Tosa Inu
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Sa 12. Aug 2017, 09:11

Segler hat geschrieben :
Fr 11. Aug 2017, 14:36
Es ist immer ein Warnsignal, wenn philosophische Theorien den Intuitionen des Normalmenschen widersprechen. In solchen Fällen befindet sich der Philosoph häufiger auf dem Holzweg als der Normalo.
Solange Gabriel definiert, was er meint, ist sein Vorgehen völlig in Ordnung.
Welche Vorannahmen findest Du denn problematisch?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Sa 12. Aug 2017, 09:18

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 09:11

Solange Gabriel definiert, was er meint, ist sein Vorgehen völlig in Ordnung.
Welche Vorannahmen findest Du denn problematisch?
Fangen wir mal bei diesen Sinnfeldern an. Schon die werfen einige Fragen auf.

Wie definiert Gabriel "Sinn"?
Wie definiert Gabriel "Feld"?
Was ist der Ursprung von "Sinn"?
Was ist der Ursprung von "Feldern"?

Anderes Beispiel:

Gabriels Vorannahmen zum Thema Kausalität.




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Sa 12. Aug 2017, 09:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 08:53
Natürlich gibt es auch für Gabriel SinnFelder, die konstruiert sind. In dem Vortrag macht er sogar geltend, dass vielleicht mehr konstruiert ist, als uns lieb sein kann. Wichtig jedoch ist, dass sie nicht grundsätzlich etwas konstruiertes sind.
Wir müssen nur schauen, dass sich die Beschreibung von Gabriel nicht in einer Negativbestimmung ergehen, die fortwährend sagt, was Gabriel nicht meint.

Es ist in der Tat etwas diffus die Sinnfelder von den Perspektiven zu trennen. Da wo sie zusammenfallen, fallen sie eben zusammen, da wo sie angeblich getrennt sind, überzeugt Gabriel mich nicht. Er kann so etwas wie die Gesetze der Logik in Sinn haben, die (unter bestimmten Bedingungen) auch dann richtig sind, wenn es keine zur logischen Einsicht fähigen Wesen gibt, dass es aber nun felsenfest steht, dass es im Film Das letzte Einhorn ganz einfach Einhörner gibt und man ansonsten "keine Ahnung von Das letzte Einhorn" (Gabriel) hat.

Gabriel will so ziemlich in einem Atemzug sagen, dass Einhörner nicht exisiteren, es sie aber sehr wohl gibt und das ist etwas schwierig. Sie erscheinen nicht als biologischen Wesen, wohl aber in einen restringierten Sinnfeld, dass es aber dennoch nicht nur mit Einbildung zu tun hätte, denn auch wenn niemand (mehr) das Einhorn in Das letzte Einhorn bezeugen kann, "gibt" (Gabriel) es dennoch dieses Einhorn.

Klar, es ist wahr, dass das was jemand mal erlebt hat, erlebt wurde, auch wenn dieser Jemand nicht mehr lebt. Aber was macht das mit dem Sinnfeld in dem ein Einhorn auftaucht und was sagt es uns über dieses Sinnfeld? Das Sinnfeld des Satzes des Pythagoras würde vermutlich immer wieder gefunden werden, auch wenn wir aussterben und eine Milion Jahre später eine andere vernunftbegabte Spezies irgendwo im Universum auftaucht. Aber würde diese auch Einhörner finden?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Segler hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 09:18
Fangen wir mal bei diesen Sinnfeldern an. Schon die werfen einige Fragen auf.

Wie definiert Gabriel "Sinn"?
Wie definiert Gabriel "Feld"?
Was ist der Ursprung von "Sinn"?
Was ist der Ursprung von "Feldern"?

Anderes Beispiel:

Gabriels Vorannahmen zum Thema Kausalität.
Wie er Sinn definiert, weiß ich nicht.
Feld definiert er als objektive Größe, in Anlehnung an Felder aus der Physik.
Den Kausalitätsbegriff lehnt er glaube ich ab.



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Sa 12. Aug 2017, 09:45

Das erinnert mich an die Lehre von Alexius Meinong. Der unterschied zwischen Existenz, Bestand und Gegebenheit.

Das Einhorn ist eine Gegebenheit ohne eigenständiges Sein. Es ist ein Konstrukt des menschlichen Verstandes.
Der Satz des Pythagoras hat Bestand. Er ist zeitlos wahr.
Der Mond existiert. Er kann in der Raumzeit verortet werden.




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Segler hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 09:45
Das erinnert mich an die Lehre von Alexius Meinong. Der unterschied zwischen Existenz, Bestand und Gegebenheit.
Von dem grenzt sich Gabriel ab.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Sa 12. Aug 2017, 10:05

Segler hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 09:18
Fangen wir mal bei diesen Sinnfeldern an. Schon die werfen einige Fragen auf.

Wie definiert Gabriel "Sinn"?
Wie definiert Gabriel "Feld"?
Was ist der Ursprung von "Sinn"?
Was ist der Ursprung von "Feldern"?
Hier wäre es sehr hilfreich, wenn du die entsprechenden Stellen des Videos benennen würdest, an denen die Probleme deine Ansicht nach auftreten. Zu all diesen Dingen sagt Gabriel etwas, daher wäre es günstig, an das Gesagte anzuschließen und es dann zu diskutieren.




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Sa 12. Aug 2017, 10:12

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 09:34
Gabriel will so ziemlich in einem Atemzug sagen, dass Einhörner nicht exisiteren, es sie aber sehr wohl gibt und das ist etwas schwierig.
Ich finde nicht, dass das das Projekt Gabriels ist. Gabriel sagt ganz deutlich, dass der Begriff Existenz immer eine Ortsangabe beinhaltet. Zu sagen, dass Einhörner existieren, heißt nicht automatisch zu sagen, dass sie im Weltall existieren, auch wenn wir das im Normalfall oder aus pragmatischen Gründen als erstes vermuten, wenn wir den Begriff verwenden. Einhörner sind kein Gegenstand der Biologie, weil sie in dem Bereich, den die Biologen bearbeiten, eben nicht existieren. Einhörner gehören zum Bereich der Literatur oder des Films.




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Sa 12. Aug 2017, 10:18

Ich habe noch mal geblättert und folgendes, hoffentlich hilfreiches Zitat gefunden:

„Es hat sich bereits im 20. Jahrhundert eingebürgert, von Gegenstandsbereichen, -sphären, -gebieten oder -regionen zu rede, um dasjenige zu bezeichnen, worauf sich restringierte quantifizierte Aussagen beziehen. Wenn man von allen französischen Vegetariern oder von den natürlichen Zahlen spricht, setzt man einen Gegenstandsbereich voraus, auf den die für wahr gehaltenen Aussagen sich richten. Statt von Gegenstandsbereichen spreche ich von Sinnfeldern. Eines der Motive dahinter besteht darin, hervorzuheben, dass Felder Strukturen zur Verfügung stellen, die Gegenstände zur Erscheinung bringen, ganz unabhängig davon, unter welchen Bedingungen wir epistemische Identitätskriterien projizieren oder in Anschlag bringen. Die Art, wie Felder Gegenstände zur Erscheinung bringen (die Regeln, die festlegen, um welches Sinnfeld es sich handelt) bezeichne ich als „Sinn“.“
(M.Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp TB 2016, S. 39)
Zuletzt geändert von Tosa Inu am Sa 12. Aug 2017, 11:49, insgesamt 3-mal geändert.



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Sa 12. Aug 2017, 10:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 10:12
Einhörner gehören zum Bereich der Literatur oder des Films.
Was unterscheidet den Bereich oder Gegenstandsbereich (siehe Gabrielzitat oben) denn nun von der Perspektive?
Dass es aus Sicht der Fantasyliteratur oder des -films oder in dessen Bereich Einhörner gibt, klar. Aber worin liegt der philosophische Gehalt, der einen Neuen Realismus antreibt?



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Sa 12. Aug 2017, 11:20

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 10:22
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 10:12
Einhörner gehören zum Bereich der Literatur oder des Films.
Was unterscheidet den Bereich oder Gegenstandsbereich (siehe Gabrielzitat oben) denn nun von der Perspektive?
Dass es aus Sicht der Fantasyliteratur oder des -films oder in dessen Bereich Einhörner gibt, klar. Aber worin liegt der philosophische Gehalt, der einen Neuen Realismus antreibt?
Ich vermute, ich verstehe die Frage nicht. Denn meiner Ansicht nach, hast du zuvor die Antwort ja bereits gepostet: "Eines der Motive dahinter besteht darin, hervorzuheben, dass Felder Strukturen zur Verfügung stellen, die Gegenstände zur Erscheinung bringen, ganz unabhängig davon, unter welchen Bedingungen wir epistemische Identitätskriterien projizieren oder in Anschlag bringen. Die Art, wie Felder Gegenstände zur Erscheinung bringen (die Regeln, die festlegen, um welches Sinnfeld es sich handelt) bezeichne ich als „Sinn“." (Markus Gabriel)

Oder mit anderen Worten, mir ist nicht klar, inwiefern das keine Antwort ist?!




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Sa 12. Aug 2017, 11:37



Ich poste noch mal den Link zu dem Video für Leute, die vielleicht jetzt erst einsteigen.




Tosa Inu
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Sa 12. Aug 2017, 11:38

Mein Problem damit ist einfach, dass ich das Zitat ausgewählt habe, weil da zwei Begriffe näher definiert sind, die wir hier brauchen, aber ich finde das Zitat an sich weder klar noch erhellend.

Wenn "Felder Strukturen zur Verfügung stellen, die Gegenstände zur Erscheinung bringen", was soll das heißen? Was sind diese Strukturen und wie machen die Sinnfelder das, was ist ihre "Natur"? Inwieweit ist das Sinnfeld was Erdbeeren erscheinen lässt mit dem wesensverwandt, was Primzahlen oder den Räuber Hotzenplotz erscheinen lässt? Was an der Erdbeere ist das Feld? Und was an der Primzahl und an Hotzenplotz? Worin liegt die Gemeinsamkeit, die ja immerhin den gleichen Begriff rechtfertigen muss?

"Die Art, wie Felder Gegenstände zur Erscheinung bringen (die Regeln, die festlegen, um welches Sinnfeld es sich handelt) bezeichne ich als „Sinn“." (Gabriel)

Den Satz verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Welche Regeln legen denn fest, dass Erdbeeren erscheinen? Und welche, dass es sich um Primzahlen handelt? Wo genau geht das über den Konstruktivismus hinaus, der simpel gesagt behauptet, dass in meiner Welt erscheint, was eben neuronal vermittelt, erscheint? Aber Sinnfelder sollen ja nicht einfach nur Lesart oder Perspektive und Konstruktibismus sein (wohlgemerkt, dass Sinnfeld der Erdbeere, nicht die Erdbeere), deshalb: Was ist die objektive Gestalt oder Herleitung des Sinnfeldes Erdbeere, Primzahl oder Hotzenplotz, das über die Perspektive von "Ich betrachte dies, aus dem und dem Grund, als x" hinaus geht? Sind die Sinnfelder physischer Dinge selbst physisch? Wenn nicht, was genau macht sie objektiv?

PS: Ich will das Schiff nicht absaufen sehen, sondern möchte, dass es ein stolzer Kahn wird, aber dafür müssen wir halt klar bekommen, was das alles bedeuten soll!



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iselilja
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Sa 12. Aug 2017, 13:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 08:53
iselilja hat geschrieben :
Fr 11. Aug 2017, 17:04
Auch wenn wir ein paar Schritte zur Seite gehen (also eine andere Position/Perspektive im Raum einnehmen), erfassen wir unfreiwillig einen anders gearteten Ausschnitt des Unbestimmten und der Prozess der Objektivierung setzt sofort erneut ein.
Für den Fall, dass ich Gabriel richtig verstehe und für den Fall, dass ich dich richtig verstehe, muss ich sagen, dass ihr verschiedene Ansichten vertretet, ja sogar konträre. Es geht bei den Sinn-Feldern keineswegs grundsätzlich darum, das Unbestimmte zu bestimmen. Was du dort beschreibst, das nennt Gabriel in dem Vortrag Antirealismus.

Nimmt man die fraglichen Beispiele, dann verstehe ich deinen Ansatz so, dass wir dort - wie du sagst - eigentlich "Unbestimmtes" haben, welches wir, indem wir uns auf eine bestimmte Art und Weise einstellen/fokussieren erst bestimmen. Mit anderen Worten wir selbst machen aus dem an sich Unbestimmten, Quadrate, Kreide oder Atome.

Das ist aber gerade das, was Gabriel ablehnt. Gabriel macht ja ganz deutlich, dass die Sinne, so wie er diesen Terminus technicus verwendet, bereits vorhanden sind. An anderer Stelle (nicht in dem Vortrag) gibt er dafür ein Beispiel. Die verschiedenen Bereiche, welche unsere Naturwissenschaften bearbeiten, hätte es auch dann gegeben, wenn es diese Naturwissenschaften nie gegeben hätte. Bereiche sind für Gabriel nichts, was durch Diskurse oder ähnliches entsteht.

Natürlich gibt es auch für Gabriel SinnFelder, die konstruiert sind. In dem Vortrag macht er sogar geltend, dass vielleicht mehr konstruiert ist, als uns lieb sein kann. Wichtig jedoch ist, dass sie nicht grundsätzlich etwas konstruiertes sind.
Ähm.. nein. Also ich gehe mit Gabriel soweit mit, dass dort auch tatsächlich schon etwas da ist, und zwar so wie es da ist. Die antirealistische Betrachtung lehne ich hier genauso ab, dass wir gewissermaßen den Sinn in die Welt hineinlegen, obwohl da auch was ganz anderes sein könnte. Da bin ich mit Gabriel auf eine Wellenlänge. Die weiße Kreide an der Tafel ist ja tatsächlich da, egal wie ich sie nenne oder betrachte. Mir geht es auch nicht darum Gabriels Position an eben diesem Punkt zu entkräften, sondern darum, warum das für Perspektiven nicht genau so gilt - ich sehe da nach wie vor kein plausibles Argument - außer natürlich der Strohmann, man wolle ja mit Perspektivität eine Art Antirealismus ausdrücken, was aber m.E. nicht so recht zur Problematik passt.

Ich mag auch Gabriels Schubladendenken nicht so besonders: etwa nach der Methodik [..]ismus I macht in Punkt xy eine unzutreffende Aussage, als ist I in dieser Hinsicht generell unbrauchbar und wird verworfen. Er schreitet mir zu schnell und unüberlegt von einem fragwürdigen Argument zum nächsten.. wobei einige dann wiederum auch sehr interessant sind.




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iselilja
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Sa 12. Aug 2017, 13:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 06:34
Kennt Gabriel die Welt nur aus Büchern? Zu Beginn des Vortrags wird Gabriel vorgestellt. Wenn man bedenkt, in wievielen Teilen der Welt Gabriel studiert hat und lehrt sowie Vorträge hält, wieviele Sprachen er spricht und was er über das Reisen schreibt, dann dürfte sich die Frage (die zudem ein verdecktes ad personam enthält) schnell verflüchtigen.

Selbstverständlich glaube ich nicht, dass MG tatsächlich die Welt nur aus Büchern kennt. Dennoch scheint mir die Metaphorik nicht so ganz unangebracht.. wo er doch immerhin über nichts geringeres als die Welt spricht. Nur wie er darüber spricht, zeigt, dass er dabei offenbar gern eine Stringenz verfolgt, die sich eben auch in Büchern finden lässt - Texte sind nunmal linear verfasst, egal ob das was drin steht richtig oder falsch, realistisch oder fiktiv ist. Der weise Blick zur Seite (über den Buchrand) scheint ihm abzugehen. Gut, genug zu MG.. noch kurz was zu den ad personams. Das wird ja doch recht häufig sofort kritisiert, wenn beobachtet. Zumeist auch zurecht. Allerdings: ich fühle mich eben doch etwas wohler, wenn ich zur rein objektiven Information eines Themas auch die Person, die IHRE SICHT zum Thema vorstellt, einschätzen kann. Wenn jemand hier und dort ganz eindeutig Unsinnigkeiten referiert, liegt das doch nicht am Leser oder Zuhörer. Hat aber sehr wohl Einfluß auf die Beurteilung des Referenten und damit auf dessen individuelle Art, den objektiven Gehalt der Sache einzufärben.




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Jörn Budesheim
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Sa 12. Aug 2017, 17:23

iselilja hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 13:29
Mir geht es [...] darum, warum das für Perspektiven nicht genau so gilt.
Mir ist nicht ganz klar, was für Perspektiven deiner Ansicht nach nicht genauso gilt.

Zum Thema Perspektiven ein Ausschnitt aus "Warum es die Welt nicht gibt" >>

"... ein einfaches Beispiel: Nehmen wir an, Astrid befinde sich gerade in Sorrent und sehe den Vesuv, während wir (also Sie, lieber Leser, und ich) gerade in Neapel sind und ebenfalls den Vesuv betrachten. Es gibt also in diesem Szenario den Vesuv, den Vesuv von Astrid aus (also aus Sorrent) gesehen und den Vesuv von uns aus (also aus Neapel) gesehen.

Die Metaphysik behauptet, dass es in diesem Szenario einen einzigen wirklichen Gegenstand gibt, nämlich den Vesuv. Dieser wird gerade zufällig einmal aus Sorrent und ein andermal aus Neapel betrachtet, was ihn aber hoffentlich ziemlich kaltlässt. Es geht den Vesuv nichts an, wer sich für ihn interessiert. Das ist Metaphysik.

Der Konstruktivismus hingegen nimmt an, dass es in diesem Szenario drei Gegenstände gibt: den Vesuv für Astrid, Ihren Vesuv und meinen Vesuv. Dahinter gebe es entweder überhaupt keinen Gegenstand oder doch keinen Gegenstand, den wir jemals zu erkennen hoffen könnten.

Der Neue Realismus hingegen nimmt an, dass es in diesem Szenario mindestens vier Gegenstände gibt: 1. Der Vesuv. 2. Der Vesuv von Sorrent aus gesehen (Astrids Perspektive). 3. Der Vesuv von Neapel aus gesehen (Ihre Perspektive). 4. Der Vesuv von Neapel aus gesehen (meine Perspektive).

Man kann sich leicht klarmachen, warum diese Option die beste ist. ..."




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iselilja hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 13:59
Der weise Blick zur Seite (über den Buchrand) scheint ihm abzugehen.
Ich hab viele Texte von ihm gelesen und meine genau das Gegenteil. Die Bücher sind voll von Blicken über den Buchrand mit Beispielen aus vielen vielen Bereichen.




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iselilja
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Sa 12. Aug 2017, 19:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 17:23
iselilja hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 13:29
Mir geht es [...] darum, warum das für Perspektiven nicht genau so gilt.
Mir ist nicht ganz klar, was für Perspektiven deiner Ansicht nach nicht genauso gilt.

Zum Thema Perspektiven ein Ausschnitt aus "Warum es die Welt nicht gibt" >>

"... ein einfaches Beispiel: Nehmen wir an, Astrid befinde sich gerade in Sorrent und sehe den Vesuv, während wir (also Sie, lieber Leser, und ich) gerade in Neapel sind und ebenfalls den Vesuv betrachten. Es gibt also in diesem Szenario den Vesuv, den Vesuv von Astrid aus (also aus Sorrent) gesehen und den Vesuv von uns aus (also aus Neapel) gesehen.

Die Metaphysik behauptet, dass es in diesem Szenario einen einzigen wirklichen Gegenstand gibt, nämlich den Vesuv. Dieser wird gerade zufällig einmal aus Sorrent und ein andermal aus Neapel betrachtet, was ihn aber hoffentlich ziemlich kaltlässt. Es geht den Vesuv nichts an, wer sich für ihn interessiert. Das ist Metaphysik.

Der Konstruktivismus hingegen nimmt an, dass es in diesem Szenario drei Gegenstände gibt: den Vesuv für Astrid, Ihren Vesuv und meinen Vesuv. Dahinter gebe es entweder überhaupt keinen Gegenstand oder doch keinen Gegenstand, den wir jemals zu erkennen hoffen könnten.

Der Neue Realismus hingegen nimmt an, dass es in diesem Szenario mindestens vier Gegenstände gibt: 1. Der Vesuv. 2. Der Vesuv von Sorrent aus gesehen (Astrids Perspektive). 3. Der Vesuv von Neapel aus gesehen (Ihre Perspektive). 4. Der Vesuv von Neapel aus gesehen (meine Perspektive).

Man kann sich leicht klarmachen, warum diese Option die beste ist. ..."
Ich sage es gleich zum Anfang.. es wird jetzt verwirrend, was aber daran liegt, dass hier praktisch in 5 Minuten ein weites Feld voller Begriffsinterpretationen abgearbeitet wird, dessen Komplexität man vermutlich vom bloßen Zuhören nicht begreifen kann.

Also.. ich hab mir jetzt nochmal die m.E. wichtigen Zusammenhänge angesehen (etwa 40:00 bis 45:00) und versuche sie mal aus meiner Sicht zu erläutern bzw. Fragen anzugeben, die mir dabei spontan in den Sinn kommen. Noch kurz als Anmerkung, ich habe das Buch, auf welches Du dich beziehst, nicht gelesen - muss mich also auf das Video halbwegs verlassen können, dass er dort im Groben nichts Widersprüchliches zu seinen Publikationen referiert. Aber wenn Du Textstellen aus den Büchern hast ist das natürlich umso hilfreicher.


40:00 Gabriel definiert: Existenz ist Erscheinung in einem Sinnfeld. (wobei er auch erklärt, dass Erscheinung hier eher ein notwendiger Arbeitsbegriff ist, um Mengenproblematiken fern zu halten)
40:50 MG zitiert Frege: Wenn etwas existiert, ist es aus einer bestimmten Perspektive beschreibbar (Frege selbst nennt Perspektiven Sinne).
Nachfolgend malt MG die 3 Quadrate an die Tafel und stellt die Frage "Wieviele Gegenstände sind/sehen Sie hier?" (Warum fragt MG hier nach Gegenständen und nicht etwa nach Quadraten? Inwiefern bliebe dann noch ein Sinnfeld?Hängen Sinnfelder also davon ab, wie konkret man Fragen konzipiert? Warum rekurriert er auf einen existierenden Gegenstand, wenn Existieren doch Erscheinung sein soll? Wie hätte Gabriel postum die Frage richtig stellen müssen, damit sie seiner These zufolge einen Sinn ergibt? Etwa so: Wieviele Sinnfelder erscheinen Ihnen hier? Oder so: Wieviele Sinne erscheinen Ihnen hier? Wäre es überhaupt möglich diese Frage ohne den Begriff Gegenstand verständlich zu formulieren? M.E. zeigt MG hier lediglich dass allgemeine Begriffe ein unbestimmtes aber dennoch begrenztes Feld von Konkreta umfasst.)
42:40 MG: aus der Perspektive der Erwartung, dass es sich bei den erfragten Gegenständen bspw. um Quadrate handelt
42:50 MG: Erwartungsperspektive = Sinn (etym: Sinn=Richtung)

Fazit (iselilja): Existenz ist Erscheinung in einem Erwartungsperspektivenfeld, sofern die Erwartungshaltung in allgemeinen Begriffen gefasst ist.


Jetzt noch kurz zu dem eigentlichen Punkt, den Du zurecht ansprachst. Wir hatten irgendwo weiter oben (glaube auf der 2. Seite im Thread) die Perspektivität schonmal angeschnitten. Da ging es darum, ob das was man aus einer Perspektive sieht auch tatsächlich da ist. o.s.ä. Später hatten wir dann festgestellt, dass MG das offenbar nicht so versteht wie wir - und ich habe daraus dann geschlussfolgert, dass er diese Art von Perspektivität gänzlich heraus halten will. Im Video selbst sagt er nichts dazu. Aber gut.. durch Deinen Textbeleg wird nun zumindest etwas klarer, dass er dies doch mit einbezieht in sein Verständnis.

ps: Jetzt gerade fällt mir auch auf, wo m.E. Gabriels Fehler liegt, denn die Perspektive des Betrachters fokussiert eben ein Konkreta und nichts allgemeines. Gabriel widerspricht also im Grunde im Vortrag seinen Ausführungen im Buch, welche du hier zitiert hast. Oder?




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Sa 12. Aug 2017, 23:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 12. Aug 2017, 10:05
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Sa 12. Aug 2017, 09:18
Fangen wir mal bei diesen Sinnfeldern an. Schon die werfen einige Fragen auf.

Wie definiert Gabriel "Sinn"?
Wie definiert Gabriel "Feld"?
Was ist der Ursprung von "Sinn"?
Was ist der Ursprung von "Feldern"?
Hier wäre es sehr hilfreich, wenn du die entsprechenden Stellen des Videos benennen würdest, an denen die Probleme deine Ansicht nach auftreten. Zu all diesen Dingen sagt Gabriel etwas, daher wäre es günstig, an das Gesagte anzuschließen und es dann zu diskutieren.
Wie soll ich die Stelle angeben, an der Gabriel den Begriff "Feld" nicht definiert?
Den Begriff "Sinn" definiert er ca. Min 42. Dabei verwendet er als Definiens den Begriff "Erwartungsperspektive", den er aber nicht erklärt. Was ist Erwartung und was ist Perspektive?

Gabriel stellt Behauptungen auf und bleibt die Begründungen schuldig. Das gipfelt ca. 1:42 in dem Satz "Was ich sage ist notwendig wahr."

Über seine ausgesprochen eigenwillige Definition von "Metaphysik" (ca. Min 11) sage ich lieber nichts. Wenn ich mir die Grundlagen passend hinbiege, wird er Rest schon. Meiner Ansicht nach, ist die Ontologie eine Teildisziplin der Metaphysik, während Gabriel beide als etwas grundsätzlich unterschiedliches definiert.



Insgesamt ist mir das Ganze ja sympatisch. Es erscheint mir allerdings unzureichend begründet.




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