Jörn Budesheim hat geschrieben : Hallo iselilja,
Ich muss zugeben, dass es mir sehr schwer fällt, aus deinem Beitrag klug zu werden. Deswegen pick ich mir jetzt einzelne Sätze heraus und versuche nach bestem Wissen und Gewissen darauf zu antworten
ich hoffe die Auswahl der Sätze ergibt kein verzerrtes Bild, ansonsten bitte ich Dich, es zu korrigieren.
iselilja hat geschrieben : die Position des Betrachters entscheidet [darüber], was man sieht und damit was dort eigentlich existiert
Ca. bei Minute 46 erklärt Gabriel seine Position anhand der SchallplattenMetapher. Die antirealistische Position, die Gabriel nicht vertritt, macht geltend dass der Lesekopf erst dazu führt, dass die Schallplatte ein bestimmtes Lied abspielt. Gabriel hingegen vertritt die Ansicht, dass die “Position” des Betrachters zwar entscheidet was er sieht, aber nicht was dort eigentlich existiert. Unter Position sollte man hier allerdings nicht wortwörtlich eine raumzeitliche Stelle verstehen. Ich möchte dass er so verstehen, dass man die eigene Registratur in einer bestimmten Art und Weise kalibrieren muss, um zu erkennen was ohnehin vorhanden ist. Nicht die Dinge und Tatsachen selbst sind registraturabhängig - das wäre der alte Antirealismus - sondern ob man das, was tatsächlich vorhanden ist, richtig in den Blick bekommt, ist abhängig von der eingesetzten Registratur und ihrer Kalibrierung. In dem Vortrag sagt Gabriel, der Sinn, der macht, dass bestimmte Sätze wahr sind, ist schon in der Wirklichkeit.
iselilja hat geschrieben : Er malt ja 3 Quadrate an die Tafel und fragt dann wieviele Gegenstände/Objekte dort zu sehen sind. Und hier wird natürlich sofort klar, dass der Begriff Gegenstand eine andere Bedeutung / einen anderen Sinn hat als Quadrat.
Zuvor hat Gabriel erläutert, wie er den Begriff Gegenstand verstehen möchte. Ein Gegenstand in diesem Zusammenhang ist alles, worüber man wahrheitsfähige Aussagen machen kann, also auch Quadrate.
iselilja hat geschrieben : Er sagt 1.) der Sinn der Sache liegt tatsächlich in der Realität, denn es sind 3 Quadrate an der Tafel und nicht etwa 5. Er sagt 2.) es gibt indefinit viele Sinnfelder zu dem was an der Tafel alles ist - wovon er jetzt aber nur 3 explizit anspricht: Quadrate, Seitenkanten oder Elementarteilchen.
Falsch daran ist nun 2. Es kann nämlich genauso wenig unendlich viele Begriffe geben, die wir zum Objekt erfragen können, wie es Perspektiven geben kann. An einem Punkt, den wir als Mensch recht schnell erreichen hört es bereits auf mit der Anzahl möglicher Sinnfelder.
Ich würde an dieser Stelle indefinit nicht mit unendlich, sondern mit unbestimmt übersetzen. Die Zahl der Sinnfelder ist unbestimmt und sicherlich deutlich größer als die möglichen Perspektiven, die wir einnehmen können. Punkt 2) ist also nach meiner Einschätzung aus zwei Gründen nicht falsch. Erstens weil indefinit nicht unendlich bedeutet und zweitens, weil an dieser Stelle nicht die Perspektiven, die wir einnehmen können, gemeint sind, sondern die SinnFelder selbst. Gabriel macht in dem Vortrag geltend, dass die Wirklichkeit lesbar ist, allerdings nicht auf eine einzige Art und Weise, sondern auf indefinit viele Art und Weisen. Wir als endliche Wesen werden vielleicht nie alle diese an sich vorhandenen Möglichkeiten tatsächlich lesen können.
Hallo Jörn, vermutlich wird es jetzt noch komplizierter wenn ich versuche, es besser zu umschreiben. Aber ich stelle auch gerade fest, dass ich mich tatsächlich an manchen Stellen etwas unverständlich ausgedrückt habe. Egal, ich versuch es einfach.
Meine Gemeinsamkeit mit Gabriels Ansicht ist, dass man verschiedene Auffassungen haben kann, was das (betrachtete) Objekt betrifft. Daher hatte ich das Beispiel mit der Skulptur und den Perspektiven gebracht. Nicht weil es eine bessere Erklärung wäre, sondern einfach, um den Umstand der Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung hervorzukehren.
Gabriel nun geht einen anderen Weg - er bezieht sich auf den Begriff und setzt ihn noch vor die Wahrnehmung. Der Sinn der Fragestellung "Was ist dort zu sehen?" beansprucht also bereits ein "etwas, das dort existieren soll". Auch das ist soweit ok, kann man machen. Gabriel zeigt nun, dass ein einzelnes Objekt unter dem Aspekt verschiedener Begrifflichkeiten betrachtet werden kann.
Nun wird es spannend
iselilja hat geschrieben : die Position des Betrachters entscheidet [darüber], was man sieht und damit was dort eigentlich existiert
Gabriel muss diesem Satz zustimmen, denn er sagt ja gewissermaßen, dass das was der Begriff zulässt auch tatsächlich existiert. Sieht man also aus einer Perspektive ein Quadrat und aus der anderen Perspektive einen Halbkreis, dann sind dort auch "tatsächlich (MG)" ein Quadrat und ein Halbkreis. Folglich ist die Kernaussage Gabriels identisch mit der Kernaussage der Perspektivenvertreter - obwohl es nicht das selbe ist.
Jörn Budesheim hat geschrieben : Gabriel hingegen vertritt die Ansicht, dass die “Position” des Betrachters zwar entscheidet was er sieht, aber nicht was dort eigentlich existiert.
Dann existieren auch nicht die 3 Quadrate an der Tafel, die Gabriel anmalte. Er sagt aber explizit "Doch! Die sind tatsächlich da. Wenn Sie 5 zählen irren sie sich."
Heißt, wenn der Betrachter der Skulptur einen Kreis sieht, wo eigentlich ein Quadrat in seinem Blickfeld sein sollte, dann irrt er sich ebenfalls, weil da ist ja in diesem Moment auch tatsächlich ein Viereck. Nämlich eine Seite der Skulptur. Genauso wie Gabriels Seiten am Quadrat.
Ist das soweit einigermaßen verständlich? Es ist auch schwer zu beschreiben, vor allem, wenn man Ungereimtheiten auflösen will.
Mit der Übersetzung von indefinit hast Du wohl recht. Das muss ich nochmal überdenken.