Re: Markus Gabriel - Warum es die Welt nicht gibt
Verfasst: Mo 26. Feb 2018, 12:56
Diesen Denkschritt nachzuvollziehen fällt mir schwer. Warum sollte es ein übergeordnetes Geschwisterprinzip geben müssen, damit das verschiedenartige Geschwistersein als ontologisch gleichrangig gelten könnte? Vielleicht kannst du diesen Punkt noch etwas präzisieren, damit ich ihn verstehen kann.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mo 26. Feb 2018, 07:40Das wäre m.E. dann der Fall, wenn es ein übergeordnetes Geschwisterprinzip gäbe, dessen Wurzeln nicht biologischer Natur sind.Alethos hat geschrieben : ↑So 25. Feb 2018, 22:50Das müssen wir aber hier nochmal deutlich hervorheben: Das ist keine Frage des Vorrangs eines ontologischen Sinns des Schwesterseins, denn die Sache selbst kümmert es doch nicht im geringsten, ob die Existenz der Schwester sich auf den Gegenstand in der Form einer Romanfigur, einer Figur im Traum oder den Gegenstand eines Irrtums in der Aussage bezieht:
Dann wären die Existenz biologischer Geschwister nur ein Ausdruck eines übergeordneten Prinzips, z.B. aus einer rein geistigen Welt. Könnte ja sein.
Ich bin ziemlich sicher (aber das ist nur eine Intuition), dass der Begriff des Einzeldings für jede Ontologie zentral ist. An ihm hängt schliesslich der Substanzbegriff und auch die Frage nach seiner Subsistenz.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mo 26. Feb 2018, 07:40Es geht ja hier eher nicht um die Frage nach Einzeldingen.Alethos hat geschrieben : ↑So 25. Feb 2018, 22:50So wenig es also Esswaren gibt, wenn es niemanden gibt, der essen könnte, sowenig gibt es Atommodelle, wenn es niemanden gibt, der die Natur der physischen Dinge untersucht. Das heisst natürlich aber nicht, dass es keine Atome gibt oder keine essbaren Dinge, oder dass es diese nur gebe, wenn es Menschen gibt, sondern dass das, was sie sein können, nur vor dem Hintergrund ihrer Funktion das sind, was sie nun eben sein können. Atome sind so gesehen nicht weniger praktisch ein Modell als ein Gefäss praktisch ein Trinkgefäss sein kann.
Es gibt ja nirgends diese isolierten Einzeldinge namens Atome, die sich nicht noch weiter aufschlüsseln und in ihrer Tiefenstruktur erforschen und denken liessen. Ein Atom ist also genauso wenig ein Einzelding, sondern das Tor zu einer indefiniten Sinnhaftigkeit des Seienden, wie ein Trinkgefäss nicht ein Einzelding ist, sondern das Tor zu einer indefiniten Sinnhaftigkeit des Seienden.
Die Funktionalität von etwas ist ja nur einer von vielen Hintergründen, vor denen sich seine spezifische Seiendheit auszeichnet. Ein Trinkgefäss existiert nur vor dem Hintergrund des Trinkenvorgangs, aber die Hexe existiert nicht aufgrund ihrer Funktion in einer Erzählung (das kann sie auch), sondern ihr referenzieller Rahmen ist der Roman selbst. Sie existiert durch den Roman und der Roman durch sie als eines seiner (vielleicht, aber nicht notwendiger Weise essentieller) Bestandteile. Der Bezugsrahmen der Erzählung genügt, um die Hexe darin erscheinen zu lassen, so dass wir sagen können, es gebe sie als Gegenstand der Erzählung. Sie ist dann die Ursubstanz, von der du sprichst, sie genügt sich selbst in ihrem Hexesein, auch wenn ihr Hexesein gegeben ist durch die Erscheinung in einem Sinnfeld.Tosa Inu hat geschrieben : ↑Mo 26. Feb 2018, 07:40Was Du sagst ist jedoch richtig. Atome und Trinkgefäße erscheinen erst einem Beobachter als das, was sie im Rahmen einer bestimmten Art der Betrachtung sein können: Atommodell oder Trinkgefäß. Nur ist da eben auf der anderen Seite bereits etwas da, was diese Funktion übernehmen kann. Vielleicht eine zerplatze Kokosnuss oder eben irgendwas, was als eine Art Ursubstanz fungiert.
Bei Hexen ist da aber erst mal nichts, aus dem man sagen könnte, dass dies nun zukünftig als Hexe 'gebraucht' wird, sondern, das wäre auch die Erklärung von Referenz, sie könnte komplett erfunden sein.
Wir stossen immer wieder an diesen Begriff der Eigenständigkeit. Ich denke, du meinst damit, dass das entsprechend eigenständig Seiende so gedacht werden muss: Wenn jede menschliche Aktualisierung wegfällt, besteht es durch sich selbst weiter. Aber warum sollte die Eigenständigkeit das Kriterium sein für die ontologische Aussage, dass es existiere. Dass etwas durch etwas anderes existiert, z.B. eine Gedanke durch den Menschen, der ihn denkt, bedeutet doch für die Existenz des Gedankens nichts?