Kant und die Erziehung

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Stefanie
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Registriert: Mi 19. Jul 2017, 20:09

Mi 24. Apr 2024, 15:28

Philosophie der Erziehung nach Kant

Alles folgende aus:
1.
Mehr als zehn Jahre hält Kant eine Vorlesung über Pädagogik. Diese beginnt mit einer grundsätzlichen Beobachtung: „Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß.“ (Kant denkt hier nicht an Haustiere, sondern an die in freier Wildbahn lebenden Tiere.) Die Begründung überzeugt: Dem Menschen fehlen angeborene Quasi-Mechanismen, sogenannte Instinkte, die wie „eine fremde Vernunft“ für alles sorgen. Diesen Mangel, so Kants pädagogische Anthropologie, muss eine Erziehung ausgleichen. Er nennt sie überraschenderweise weltbürgerlich oder kosmopolitisch, (...)

2.
Zu dessen Leitzweck erklärt er die Aufklärung und gibt ihr eine provokative Bestimmung: Nimmt man den Ausdruck wörtlich, so ist die Aufgabe gemeint, Klarheit ins Unklare und Licht ins Dunkle zu bringen. Kant kennt diese theoretischen Leistungen an, hält sie aber für zweitrangig. Denn wichtiger als die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten ist eine moralisch-praktische Vorableistung. Unser Philosoph bringt sie in seiner berühmten Definition der Aufklärung auf den Punkt: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Folgerichtig komme es in der Erziehung „vorzüglich darauf an, daß Kinder denken lernen“, somit „den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst (d.i. in der eigenen Vernunft) suchen“.
Für diese Leitaufgabe sind nun als erstes nicht theoretische, sondern praktische Leistungen gefordert: eine charakterliche Anstrengung und vorab Courage. Weil diese Leistungen keinen überragenden Verstand voraussetzen, sondern von jedermann erbracht werden können, lehnt Kant hier eine beliebte Strategie ab, die Verantwortung für eigenes Fehlverhalten auf andere abzuschieben, auf die Eltern, die Lehrer oder „die“ Gesellschaft. Kant, der große Philosoph der Freiheit, betont die Eigenverantwortung jedes Menschen.

3.Des Näheren plädiert er für eine Erziehung in vier zunehmend anspruchsvolleren Stufen. Er beginnt mit einer Aufgabe, die man ungern anerkennt, mit Disziplinieren . Neugeborene Menschen pflegen zu schreien. Das aber, bemerkt Kant zu Recht, lockt im Fall junger Tiere etwa Wölfe an, für die die Jungtiere eine willkommene Beute sind, weshalb sie um ihres Überlebens willen ein Schreien besser unterlassen. Weil jungen Menschen aber diese Vorsichtsmaßnahme fehlt, benötigen im Unterschied zur Tierwelt nur sie „Disziplin oder Zucht“.

4.
Kant legt in seiner Pädagogik vielmehr auf eine Aufgabe wert, die für die charakterliche Menschwerdung unaufgebbar ist: Der Mensch muss sich von jenen inneren Zwängen freimachen, den tendenziell wilden Begierden und maßlosen Trieben, die den Gebrauch seiner ihn auszeichnenden Vermögen, Verstand und Vernunft, hindern.

5.
Sinnenfeindlich soll die Erziehung allerdings nicht sein. Verboten ist lediglich das, was eine Entfaltung im Blick auf die „Zwecke der Vernunft“ verhindert: Man darf sich ihnen nicht sklavisch unterwerfen. Offensichtlich braucht es Disziplin freilich nicht bloß in den ersten Lebensjahren.

6.
Weil man in der frühen Jugend nicht weiß, welche Zwecke uns im Leben aufstoßen dürften, so suchen Eltern vornehmlich ihre Kinder recht vielerlei lernen zu lassen und sorgen für die Geschicklichkeit im Gebrauch der Mittel zu allerlei beliebigen Zwecken.“ Außerdem empfiehlt Kant, die Entwicklung innerer Fähigkeiten dem Gebrauch von Werkzeugen vorzuziehen. Für die eigene Epoche rät er, statt sich nur nach der Uhr zu richten, die Zeit nach dem Sonnenstand zu bestimmen. Auch solle man, statt ein Boot zu benutzen, Schwimmen lernen. Auch heute dürfte es klüger sein, statt sich zu viel von Werkzeugen, etwa IT-Geräten und -programmen abhängig zu machen, lieber mehr eigene Kenntnisse und Fertigkeiten auszubilden.

7.Auf der höchsten, aber auch schwierigsten Stufe, dem Moralisieren , schließlich soll man zu einer rundum rechtschaffenen Person erzogen werden. Dies erfolge in Freiheit, weshalb man ein Kind „nicht strafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen“ soll und „ihm sagen, daß man ihm in Zukunft nicht glauben werde“..

8.
Seinem Leitbegriff, der Freiheit, treu, fasst Kant die verschiedenen Erziehungsziele in einem Leitziel zusammen: der Erziehung zu einem „frei handelnden Wesen“. Auf der ersten Stufe, dem Disziplinieren, wird man von der Eigen- und Übermacht der Begierden frei. Auf der zweiten Stufe, dem Kultivieren, lernt man mittels Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten selbstgesetzte Zwecke zu verfolgen. Auf der nächsten Stufe, dem Zivilisieren, wird das Zweckeverfolgen verschiedener Menschen miteinander verträglich. Und auf der höchsten Stufe, dem Moralisieren, lernt man, rechtschaffen zu leben. Hier praktiziert man die Autonomie, die Selbstgesetzgebung des Willens, und findet dabei seine Würde in sich selbst.

Auf der dritten Erziehungsstufe wird übrigens eine zweite anthropologische Besonderheit wichtig: Der Mensch ist nicht bloß „das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß“. Er ist auch „das einzige Tier, das arbeiten“ und das Arbeiten lernen muss. Infolgedessen darf die Erziehung sich nicht mit bloßer Bildung zufrieden geben. Sie muss sie um eine Ausbildung ergänzen, die den Menschen befähigt, aber auch verpflichtet, für seinen Lebensunterhalt selber aufzukommen – um im Zuge der Berufstätigkeit nicht bloß ökonomischen Zwang zu erleben, sondern seine Begabungen, einschließlich sozialer Fähigkeiten zu entwickeln und sowohl Selbstachtung als auch Achtung durch die Mitmenschen zu erfahren.



Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)

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