Elsbeth

Architektur, Malerei, Graphik, Design ...
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Jörn Budesheim
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Sa 20. Jan 2024, 08:11

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Kersten Knipp fragte mich gestern unter einer Zeichnung von mir, was mich an Holbeins Porträt seiner Frau und den Kindern so fasziniert. Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir heute morgen eine Reproduktion des Bildes auf den Bildschirm geholt und frei und unsystematisch assoziiert.

Mich fasziniert vor allem das Porträt von Elsbeth. Das habe ich mir eigens ausgeschnitten, die Kinder habe ich beiseite gelassen. Die Kinder stehen für mich nicht im Mittelpunkt. Ich habe sie mir auch nie im Detail angeschaut.

In erster Linie fasziniert mich natürlich die virtuose Malerei Holbeins, er ist sicher einer der besten Maler überhaupt. Wie der Kopf modelliert ist, das ist einzigartig, besonders liebe ich die Nase, die Nase, die Nase und immer wieder die Nase.

Der Mund ist natürlich auch schön, aber er ist einfach da, damit er nicht fehlt.

Für mich wird fast alles von den Augen getragen. Ihr Blick ins Nichts, nach Innen, aus der Vergangenheit in die Zukunft... ist für mich unergründlich und faszinierend.

Der Mund, der einfach da ist, lässt alles zu: Manchmal sehe ich eine große Traurigkeit in dem Porträt, dann wieder habe ich das Gefühl, dass sogar ein leichtes Lächeln da ist, das aber gleich wieder verschwindet, sobald ich es zu sehen glaube. Der Ausdruck des Gesichtes ist nicht festgelegt, aber darin zeigt sich sich eine große Lebenserfahrung und ein tiefes Wissen über den Menschen und das Leben.

Was mir besonders gefällt, ist die Asymmetrie der Augen. Irgendwie sind sie etwas schräg, manchmal bin ich mir nicht sicher, ob Elsbeth nicht ein bisschen schielt.

Die Augenbrauen sind, soweit man das auf den Abbildungen erkennen kann, meiner Meinung nach kaum vorhanden. Sie sind nur angedeutet und dienen dazu, das Gesicht zu modellieren: Bei ihrem rechten Auge ist, glaube ich, ihr Schädel ein bisschen angedeutet. Ich glaube, das ist wichtig für die Stimmung des Bildes.

Die Farben sind natürlich unglaublich, vor allem das zart angedeutete Rosa der Wangen und die leichte Röte der Lippen. Die Haarfarbe ist erstaunlich - eigentlich kann ich nichts zu den Haaren sagen, aber sie sind geheimnisvoll, aber sehr zurückgenommen, finde ich.

Dieses Gemälde ist virtuos, faszinierend, tief und schön.

Letztendlich ist das meine naive Sicht als ehemaliger Maler und aktiver Zeichner, vielleicht würde sich vieles ändern, wenn ich kunsthistorisch informiert wäre, aber ich habe es bisher vermieden, etwas über das Bild zu lesen. Ich habe nur einmal recherchiert, wie sie heißt: Elsbeth.




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Quk
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Sa 20. Jan 2024, 08:49

Meiner Empfindung nach zeigen die Augen eine Resignation oder Apathie, und in dem Mund sehe ich ein leichtes Lächeln, vielleicht eine Zuversicht, möglicherweise für jemand anderes, nicht für sie selbst. Vielleicht ist das Lächeln im Lauf ihres Lebens in ihre lockere Muskelstellung "hineingewachsen", so dass die Lippenform auch dann lächelnd aussieht, wenn sie gerade mental nicht lächelt und die Muskeln entspannt sind. Wenn das wahr ist, hat sie in ihrem Leben wohl viel gelächelt.

Könnte es sein, dass der Haarbereich handwerklich unvollendet ist, beziehungsweise Farbmaterial abgebröckelt ist? Da liegt ja ein transparentes Tuch darüber. Vielleicht sollte das ein Tuch aus Spitze werden, oder es war eins, gemalt mit einem ganz besonderem Material (Blattgold?), das sich ablöste? Und deshalb hat er vielleicht die Haare nur provisorisch angedeutet?

In Deinem unteren Bild mit den schwarzen Strichen erscheint der Tränensackbereich etwas straffer als im Original, meine ich. Das macht die Augen ein kleines bisschen vitaler, habe ich den Eindruck. Ihr linkes Auge, das mit den dünnen Strichen knapp unter dem Auge, wirkt da sogar lächelnd. Aber die Lider wirken wiederum eher resignierend oder müde, wie im Original.

Ja, das ist eines dieser faszinierenden Bilder, die mehrere, verschiedene menschliche Stimmungen in einem einzigen Gesicht zusammenführen ...




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Jörn Budesheim
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Sa 20. Jan 2024, 08:54

An solchen Porträts wie diesem von Holbein sieht man meines Erachtens auch sehr schön die Nähe von Kunst und Philosophie, denn dieses Bild ist eine Antwort auf die Frage, was der Mensch ist/sein kann.




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Jörn Budesheim
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Sa 20. Jan 2024, 11:00

Interessante Informationen, die mir jemand auf Instagram geschickt hat.
Über das Bild von Holbein: Eine Frau rasierte sich in diesen Tagen die Augenbrauen und den Haaransatz darüber. Reine Modeerscheinung. Vergleiche andere Frauenporträts aus dieser Zeit. Aber ja, trotzdem ein schönes Porträt.




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Stefanie
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Sa 20. Jan 2024, 15:33

Die Frau ist müde, erschöpft und bestenfalls nachdenklich. Und Traurigkeit sehe ich. Ein Lächeln kann ich nicht erkennen. Die Mundwinkel sind ganz leicht etwas nach unten.
Das ist ja Ausschnitt von dem Gemälde. Es sind noch zwei der vier Kinder auf dem Bild. Und die beiden Kinder machen auch keinen glücklichen Eindruck.
Jetzt kann es sein, dass zu der Zeit einfach nicht gelächelt wird, wenn ein Portrait gemalt wird. Meistens ist es ein ernsthafter Blick.



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Quk
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Sa 20. Jan 2024, 15:55

Stefanie hat geschrieben :
Sa 20. Jan 2024, 15:33
Die Mundwinkel sind ganz leicht etwas nach unten.
Es gibt zweierlei Mundwinkel. Ganz außen, die äußeren fünf Millimeter, gehen nach unten (ich sehe diesen Bereich als Lächelgrübchen).

Aber die langen Linien, die links und rechts von der Mundmitte nach außen gehen, die gehen nach oben.

Der Mund hat quasi Zickzack-Linien wie ein "M". Wenn man die äußeren Abwärtslinien wegnimmt, bleibt ein lächelndes "V" übrig. Und das dominiert, finde ich.




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Stefanie
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Sa 20. Jan 2024, 16:26

Ähm, welche Längslinien?

Muss ich mir am Montag am großen Bildschirm ansehen. Bis dahin bleibe ich dabei...sie lächelt nicht.



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Quk
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Sa 20. Jan 2024, 16:34

Stefanie hat geschrieben :
Sa 20. Jan 2024, 16:26
Ähm, welche Längslinien?
Diejenigen, die 90% des kompletten Mundes ausmachen, von der Mitte aus nach rechts und links.




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Stefanie
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Sa 20. Jan 2024, 16:39

Ja nun...warten bis ich wieder im Büro bin.



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Stefanie
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Mo 22. Jan 2024, 09:21

Quk hat geschrieben :
Sa 20. Jan 2024, 15:55
Stefanie hat geschrieben :
Sa 20. Jan 2024, 15:33
Die Mundwinkel sind ganz leicht etwas nach unten.
Es gibt zweierlei Mundwinkel. Ganz außen, die äußeren fünf Millimeter, gehen nach unten (ich sehe diesen Bereich als Lächelgrübchen).

Aber die langen Linien, die links und rechts von der Mundmitte nach außen gehen, die gehen nach oben.

Der Mund hat quasi Zickzack-Linien wie ein "M". Wenn man die äußeren Abwärtslinien wegnimmt, bleibt ein lächelndes "V" übrig. Und das dominiert, finde ich.
hmm.
Ich sehe keine lange Linien, die links und rechts von der Mundmitte nach außen gehen. Gut zu sehen ist die Stelle zwischen Nase und Oberlippe. Sie hat noch nicht mal gut zu sehenden Nasiobalfalten (von der Nase zu den Mundwinkeln), die aber, wenn sie lächeln würde, besser zu sehen wären.
Wir sehen aber doch das selbe Bild, oder?

Sie hat einen traurigen, müden und erschöpften Blick und für mich ist kein Lächeln zu sehen. Das Bild strahlt trotzdem, wie ich finde, Wärme aus.



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Jörn Budesheim
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Ich kann mich nicht wehren, ich sehe manchmal den Anklang eines Lächelns, kann aber diese Sicht nicht auf Dauer stellen.




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Quk
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Mo 22. Jan 2024, 13:42

Wenn ich allein auf den Mund sehe, sehe ich permanent ein Lächeln.

Die grünen Linien gehen von der Mitte aus nach links und rechts außen, und sie gehen dabei aufwärts, nach oben weg von der blauen horizontalen Grundlinie. Ich empfinde das als Lächelstellung :-)

Die magenta Ecken haben zwar eine Abwärtskomponente, sind aber Teil eines Lächelgrübchen-Dreiecks:
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elsbethMund.jpg
elsbethMund.jpg (15.86 KiB) 1048 mal betrachtet




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Jörn Budesheim
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2024, 09:21
Nasolabialfalten
Stimmt, sie hat im Grunde gar keine Falten!




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Quk
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Mo 22. Jan 2024, 14:01

Ihre Lidfalten sind allerdings ausgeprägt. Die Hautsäcke über den Augenlidern sehen schwer aus.

Wegen der relativ großen Nase hatte sie vermutlich eine tendenziell nasale Stimme. Vielleicht hatte sie auf dem Bild auch noch einen Schnupfen. Womöglich hatte sie eine Erkältung, war aber auf dem Weg der Besserung, was sich durch diesen, wie ich finde, subtil zuversichtlichen Mund ausdrückt :-)




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Stefanie
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Mo 22. Jan 2024, 18:34

Gut, diese Linie zwischen den Lippen hatte ich nicht auf meinem Schirm. Ich war neben dem Mund am suchen.
Ich habe es vor dem Spiegel ausprobiert. Wenn die Mundwinkel sehr leicht nach oben gehen, ziehen sich die Lippen auseinander, also eine gerade Linie.
Können wir uns darauf einigen, dass es kein bewusstes Lächeln ist, sondern eine in die Wiege gelegte Lippenform?

Mir ist jetzt eingefallen, wie ich den Blick bezeichnen kann. Sie blickt ins Leere.

Natürlich hat sie kaum Falten. Erstens hat sie ihre Mann gemalt und vor allem war sie so um die 34 Jahre alt, also deutlich jünger als die hier schreibenden Personen. Sie hat leicht rötliche Wangen...ich tippe darauf, er hat es nicht gemalt, sondern sie ist geschminkt.



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Jörn Budesheim
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Mo 22. Jan 2024, 19:04

Hier eine Beschreibung des Bildes und seiner Entstehungsumstände, der Zeit und auch ein wenig aus Holbeins Lebensgeschichte, alles in allem nicht besonders schön.
https://youtu.be/LO_tg_mlUNs?si=PEKusuVREqY8UYFU




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Quk
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Mo 22. Jan 2024, 19:48

Stefanie hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2024, 18:34
Können wir uns darauf einigen, dass es kein bewusstes Lächeln ist, sondern eine in die Wiege gelegte Lippenform?
Vielleicht. Ich weiß, nicht woran das universell erkennbar wäre.




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Stefanie
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Mo 22. Jan 2024, 20:56

Ein Mensch lächelt nicht nur mit dem Mund und den Lippen. Auch beim lächeln mit geschlossenen Lippen werden etliche Gesichtsmuskeln aktiviert. Bis hin zu den Augenmuskeln, die Nasiobalfalten, die Wangen z.B. der Kaumuskel, Kinn, die Muskeln um den Mund herrum. Selbst bei einem leichten Lächeln passiert das. Also leichtes hochziehen der Mundwinkel. Bei dem einem mehr, beim anderen weniger. Dadurch entstehen ja u.a. auch die Lachfältchen. Oder die Grübchen in den Wangen.
Bei der armen Elsbeth ist davon nichts zu sehen. Sie hat nicht viel zum lachen gehabt in ihrem Leben.
Nur den Mund isoliert betrachten, sagt nicht viel darüber aus, ob jemand lächelt.
Bei Elsbeth sieht man schon direkt um den Mund herrum keine Anzeichen, das sie lächelt.
Es ist bei allen Menschen so, dass sich beim lächeln nicht nur die Lippen und der Mund verändern. Sondern nahezu das gesamte Gesicht.



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Jörn Budesheim
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Mo 22. Jan 2024, 21:53

Stefanie hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2024, 20:56
Ein Mensch lächelt nicht nur mit dem Mund und den Lippen.
Ja, sicher. Ein Lächeln ist auch nicht in einem Moment eingefroren in der Regel, sondern etwas was in der Zeit ausgedehnt ist, anders als in so einem Bild, was nur eine Momentaufnahme liefert.




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Quk
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Mo 22. Jan 2024, 22:52

Stefanie hat geschrieben :
Mo 22. Jan 2024, 20:56
Ein Mensch lächelt nicht nur mit dem Mund und den Lippen.
Das stimmt, aber es gibt meiner Ansicht nach eine Schwelle, unter der nur die Mundwinkelmuskeln tätig sind. Sagen wir mal so: Das bei der Elsbeth würde ich als ganz leichtes Lächeln bezeichnen, oder von mir aus angedeutetes Lächeln. Wenn es Richtung grinsen ginge, gingen die Wangen hoch und es bildeten sich schmale Tränensäckchen. Soweit sind wir bei der Elsbeth nicht, in der Tat. Aber, ja, Dein Argument klingt plausibel, da die Augenpartie völlig locker ist, könnte dieses "leichte Lächeln" in diesem Augenblick völlig unecht sein und einfach nur in den Jahren davor angewachsen sein ...




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