Edvard Munch

Architektur, Malerei, Graphik, Design ...
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Jörn P Budesheim
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Do 28. Aug 2025, 08:03

Bild
"Evening on Karl Johan Street"
Edvard Munch (1892)

Bild
(Photoshop Bearbeitung)

Die Szene ist – selbst ohne Menschen – ausgesprochen gespenstisch und atmosphärisch, finde ich. Ich habe das einmal in Photoshop ausprobiert. Besonders auffällig finde ich den Baum* (oder was ist das?) auf der rechten Seite. Die Komposition ist ebenfalls erstaunlich: Der Fluchtpunkt liegt exakt in der Bildmitte, was mich überrascht – normalerweise würde man für mehr Spannung eine Verschiebung erwarten. Die Darstellung ist zwar skizzenhaft und reduziert, doch von meisterlicher Hand. Ich habe einmal eine Ausstellung von Munch gesehen – bei aller psychologischen Tiefe ist er auch ein unbestrittener Könner und Virtuose. Das gilt besonders für die Farbpalette: Sie dient zwar der (düsteren?) Stimmung, ist dabei aber auch sehr delikat.

Obwohl man nicht einmal zehn Köpfe sieht, nimmt man dennoch eine Crowd wahr, oder? Nur zwei oder drei Figuren sind ansatzweise ausgearbeitet und wirken wie Gespenster oder Vampire, irgendwie anonym. Der Kopf des Mannes im Zylinder wirkt durch die eingefallenen Wangen fast wie ein Totenschädel. Die Kleidung entspricht laut Wikipedia der gehobenen bürgerlichen Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts.

Wo befinde ich mich als Betrachter eigentlich? Ich stehe mitten im Weg, aber es scheint die Figuren kümmert das nicht. Und wer ist dieses „lyrische/malerische Ich“? Ist es ein universal verortetes Ich? Dieses Ich wirkt etwas erhöht, finde ich. Die kleine Figur über der Schulter einer Frau verstärkt das – es ist fast so, als nehme diese Figur als einzige Kontakt mit mir auf … oder vielleicht auch gerade nicht?

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Gemäß Online-Recherche sieht der Kunsthistoriker Arne Eggum darin einen Bezug zu Arnold Böcklins Toteninsel, was die unheimliche, psychologische Wirkung verstärkt.

Bild




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Jörn P Budesheim
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Sa 18. Okt 2025, 14:04

Die Moderne Galerie in Saarbrücken zeigt derzeit die Ausstellung „Into the Dark – Grafik von Ensor bis Munch“.

Hier der Ankündigungstext der Homepage: Angst, Verzweiflung, Eifersucht, Trauer, Wut, Entsetzen: dunkle Gefühle gehören zum Menschsein – und bleiben dennoch häufig im Verborgenen. Es sind diese Emotionen, die seit jeher eine Triebfeder künstlerischen Schaffens sind und ihren Ausdruck in zahlreichen bedeutenden Kunstwerken finden, insbesondere in der Grafik der klassischen Moderne. Ausgehend von den eigenen Beständen und ergänzt um hochkarätige Leihgaben beleuchtet die Präsentation dieses Thema anhand von rund 110 Werken. Gezeigt werden zentrale Arbeiten von Otto Dix, James Ensor, Vincent van Gogh, Käthe Kollwitz, Alfred Kubin, Edvard Munch und vielen anderen. Besonders hervorzuheben ist der Munch-Bestand, der erstmals vollständig präsentiert wird.

Auf Instagram fragen die Moderne Galerie und der.psychodoc als Ankündigung für eine Veranstaltung: „Wann wird Kunst zur Krankheit – und wann ist sie Ausdruck tiefster Menschlichkeit?“ Und auf Facebook wird eine weitere Veranstaltung mit der Überschrift beworben: „Die Kuratorin erklärt die Ausstellung.“

Die Kunst von Ensor bis Munch – ein Fall für den Psychiater? Kunst als Krankheit? Und zugleich das Versprechen, dass diese Kunst erklärbar sei. Ich weiß nicht, ob ich mittlerweile überempfindlich geworden bin, aber ich hatte wirklich das Gefühl, ich traue meinen Augen nicht. Nachdem ich mich einigermaßen besonnen und beruhigt habe habe ich folgen Kommentar geschrieben:

„Wann wird Kunst zur Krankheit?“ – durch diese Frage droht eine Reduktion des Werkes auf den psychischen Zustand seines Schöpfers oder seiner Schöpferin. Das ist eine Form von Psychologismus, die man meines Erachtens unbedingt vermeiden sollte, denn sie droht, aus der Kunst ein bloßes Symptom zu machen, eine Illustration seelischer Ausnahmezustände. An die Stelle der Auseinandersetzung mit dem, was ein Werk als Werk ausmacht – seiner Form, Komposition, Farbe, seinem inneren Rhythmus – tritt dann die Frage: „Welche psychologische Situation steckt dahinter?“

Auf diese Weise droht die Kunst selbst zu verschwinden. Das Werk verliert seinen Eigenwert und wird zu einem rein psychologischen Dokument der Person. Die Analyse wandert von der Kunstgeschichte in die Psychodiagnostik. Und genau das scheint mir das eigentliche Problem zu sein: Es droht der Verlust des Blicks auf das Ästhetische selbst.

Es ist meines Erachtens selbstverständlich kein Problem, den Makrokontext eines Kunstwerks in den Blick zu nehmen – im Gegenteil, das ist meist sogar notwendig. Mitunter kann es auch sinnvoll sein, den Mikrokontext des Künstlers oder der Künstlerin zu berücksichtigen, aber nur mit der nötigen Sensibilität, einer angemessenen Sprache und der klaren Kontextualisierung, dass es sich dabei nur um einen von vielen Aspekten handelt.

Auch heute sollte das autonome Kunstwerk selbst im Zentrum der Betrachtung stehen – da bin ich konservativ. Und ebenso sollte klar sein, dass niemand die Kunst erklären kann, weder eine Kuratorin noch ein Psychologe. Die Irritationen, die von einem Kunstwerk ausgehen, und ebenso die Faszination, die es auslöst, lassen sich nicht wegerklären; sie sind Teil der Kunst selbst.




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Flame
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Mi 29. Okt 2025, 07:01

Bild

Motiv

Das Gemälde zeigt einen einsamen Mann am Strand, den Kopf in die Hand gestützt, versunken in Grübelei. Hinter ihm, am Ufer, sieht man ein Paar oder eine kleine Gruppe von Menschen, während das Meer ruhig und endlos wirkt.
Der Mann im Vordergrund ist von dunklen, schweren Farben umgeben – ein Symbol für die innere Schwere und Isolation. Das Meer und der Himmel dagegen schimmern in weichen, fast träumerischen Tönen – eine Distanz zwischen Innenwelt und Außenwelt.

Bedeutung

„Melancholie“ ist kein bloßes Porträt von Traurigkeit, sondern eine Darstellung des inneren Abstands zur Welt.
Munch sagte einmal:

„Ich malte nicht, was ich sah – sondern, was ich fühlte.“

Die Figur am Strand verkörpert den Zustand des Nachsinnens, der Einsamkeit, der unstillbaren Sehnsucht – ein Mensch, der in sich selbst zurückfällt, während das Leben um ihn weitergeht.

Die Komposition deutet auf ein seelisches Gefälle:

Die Gestalt im Vordergrund = Innere Nacht, Abschied, Stillstand

Die Menschen am Horizont = Leben, Beziehung, Fortgang

Das Meer = Grenze zwischen Innen und Außen, ein Symbol für Zeit und Erinnerung

Stil

Das Werk gehört zu Munchs "Seelenlandschaften" – Bildern, in denen Landschaft und Gefühl verschmelzen.
Die Linien sind weich, rhythmisch, wellenförmig, die Farben gedämpft, aber lebendig – die Natur spiegelt den emotionalen Zustand wider.

Man könnte sagen:

Das Meer denkt mit – der Himmel fühlt mit – die Landschaft ist ein Spiegel der Seele.

Innerer Kern

„Melancholie“ ist nicht bloß Trauer. Es ist Würde im Rückzug.
Ein Bild, das nicht schreit – sondern atmet.
Die Gestalt ist nicht zerstört, sondern bewusst – still, aber wach.
Man könnte es lesen als:

Der Moment, in dem der Mensch innehält und begreift, dass seine Empfindung tiefer ist als die Welt um ihn.



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Jörn P Budesheim
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Mi 29. Okt 2025, 15:59

Bild

Ich hab hier das Gleiche wie oben probiert: was passiert, wenn die Figur entfernt wird? Die Stimmung ändert sich meines Erachtens kaum. Sie ist auch ohne den Melancholischen melancholisch. (Der Protagonist des Bildes ist fast redundant.) Nicht der Mann ist melancholisch, die Landschaft ist es, allerdings wunderschön melancholisch und vor allem auch sehr seltsam, finde ich. Das Bild lebt stark von seinen Farben und den eigentümlichen Formen. Und doch bleibt es erstaunlich realistisch: Eine Abendstimmung am Strand kann einen genau so erfassen – ganz ohne unglückliche Liebesgeschichte im Hintergrund.
Flame hat geschrieben :
Mi 29. Okt 2025, 07:01
Ein Bild, das nicht schreit – sondern atmet.
Ja, das passt.




Timberlake
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Sa 1. Nov 2025, 00:04

Weil ich mich bei solchen Bildern immer frage, inwiefern die Biografie des Künstlers darauf Einfluss genommen hat, habe ich zu Edvard Munch, von dem mir übrigens nur Der Schrei bisher bekannt war, folgendes recherchiert …

kunst-zeiten.de hat geschrieben :
Edvard Munch - Sein Leben

Edvard Munch wird am 12.12.1863 in Løten, in Norwegen geboren. Munch muss bei seiner sehr schwer verlaufenden Geburt sprichwörtlich um sein Leben kämpfen. Seine Kindheit und Jugend verbringt er in Kristiana, dem heutigen norwegischen Oslo. Schon zu dieser Zeit macht er früh Erfahrungen mit dem Tod. Erst stirbt seine Mutter und dann seine Schwester an Tuberkulose. Sein Vater und seine zweite Schwester werden geisteskrank. Munch leidet unter starken Depressionen und Nervosität. In erwachsenen Jahren leidet er in zeitlichen Perioden unter Verfolgungswahn und verfällt dem Alkohol. Munch wird deswegen in verschiedenen Kliniken behandelt.

Nach dem Abbruch eines Studiums für Ingenieurswissenschaften (1880) wendet sich Munch seiner Laufbahn als Künstler zu. In Kristiania trifft er sich mit einer Gruppe Bohemien von Studenten, Schriftstellern und Künstlern und wendet sich künstlerisch gegen die gesellschaftliche Moral. Er formuliert ein eigenes Manifest für junge Künstler.

Edvard Munch war mit seiner Malerei schon sehr früh erfolgreich. Er erhielt deshalb in Oslo Stipendien, um in Europa weiterhin Kunst studieren zu können.

Edvard Munch - zwischen Genie und Wahnsin

1892 malt Munch das Bild "Der Zweifel", welches ein Motiv enthält, das er später in seinem wohl berühmtesten Werk, "Der Schrei", weiterentwickeln wird.

Er stellt seine Werke in Kristiania (Oslo) und in Berlin aus. Seine Ausstellung in Berlin wird von den Besuchern als schockierend und erschreckend erlebt und bereits nach einer Woche wieder geschlossen. Dies macht Edvard Munch jedoch über Nacht in Berlin berühmt. In Berlin trifft er sich oft mit dem schwedischen Schriftsteller August Strindberg und er lernt viele Künstler in Berlin kennen.
Irgendwie kommt mir das bekannt vor .

Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang übrigens auch das, was mir von der KI bezüglich seines Manifests für junge Künstler angezeigt wurde.

Übersicht mit KI

Edvard Munchs Manifest für junge Künstler besagt, dass Kunst nicht länger nur ein Abbild der äußeren Natur sein soll, sondern ein Ausdruck des Inneren, der Gefühle wie Liebe, Angst und Leid. Er forderte eine Kunst, die den Menschen bewegt und zum Ausdruck des Lebens wird, vergleichbar mit dem Betreten einer Kirche. Seine Vision war, persönliche innere Bilder und Erinnerungen, die oft von Tragik und Träumen geprägt waren, in der Kunst darzustellen.

Kernpunkte von Munchs Manifest:
  • Ausdruck des Inneren: Die Kunst soll nicht länger nur die äußere Wirklichkeit abbilden, sondern tief in die menschliche Seele blicken und deren Gefühle, wie Liebe, Angst und Tod, auf die Leinwand bringen.
  • Weg mit banalen Motiven: Er forderte ein Ende der Malerei von unbedeutenden Szenen wie strickenden Frauen oder lesenden Männern.
  • Bilder des Lebens: An ihre Stelle sollten Bilder von Menschen treten, die „atmen und fühlen und leiden und lieben“.
  • Spirituelle Erhabenheit: Munch wollte, dass seine Werke eine solche erhabene Wirkung erzielen, dass sie die Betrachter dazu bewegen, ihre Hüte zu ziehen, als beträten sie eine Kirche.
  • Erinnerung und Symbolismus: Seine Bilder basieren oft auf persönlichen Erinnerungen an seine tragische Kindheit und seine Träume, was zu seinem symbolistischen Stil führte




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Jörn P Budesheim
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Sa 1. Nov 2025, 07:52

Timberlake hat geschrieben :
Sa 1. Nov 2025, 00:04
Weil ich mich bei solchen Bildern immer frage, inwiefern die Biografie des Künstlers darauf Einfluss genommen hat ...
Warum fragst du dich das bei solchen Bildern immer? Was sind „solche” Bilder? Ich frage mich das beispielsweise fast nie, weil ich mich in der Regel nicht für den Künstler oder die Künstlerin, sondern für das Kunstwerk interessiere. Dafür ist manchmal der kulturelle und zeitliche Zusammenhang von Belang, aber nicht unbedingt die individuelle Biografie des Künstlers oder der Künstlerin.




Timberlake
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Sa 1. Nov 2025, 13:40

Weil ich im Sinne des Holismus dazu neige, alle Erscheinungen, wie sie in "solchen" Bildern mit uns kommunizieren, aus ganzheitlichen Prinzipien abzuleiten. Im Gegensatz zum Reduktionismus, bei dem man sich nur für das Kunstwerk selbst interessiert.
Damit würde ich übrigens Edvard Munch Manifests für junge Künstler entsprechen, von dem es lt. KI heißt ..


Übersicht mit KI

"Edvard Munchs Manifest für junge Künstler besagt, dass Kunst nicht länger nur ein Abbild der äußeren Natur sein soll, sondern ein Ausdruck des Inneren, der Gefühle wie Liebe, Angst und Leid. Er forderte eine Kunst, die den Menschen bewegt und zum Ausdruck des Lebens wird, vergleichbar mit dem Betreten einer Kirche. Seine Vision war, persönliche innere Bilder und Erinnerungen, die oft von Tragik und Träumen geprägt waren, in der Kunst darzustellen"

Weil vor wenigen Minuten in "Rembrandt .. Giganten der Kunst" im Fernsehen auf Phoenix gesehen. So finde ich es doch von daher, also von den inneren Gefühlen und somit der Biografie des Künstlers, bemerkenswert, wie unterschiedlich doch diese Kirchen ausgestattet sein können, wenn man die Kirche Edvard Munchs und die Kirche Rembrandts betritt.

kunst-zeiten.de hat geschrieben :
Edvard Munch - Sein Leben

Er stellt seine Werke in Kristiania (Oslo) und in Berlin aus. Seine Ausstellung in Berlin wird von den Besuchern als schockierend und erschreckend erlebt und bereits nach einer Woche wieder geschlossen. Dies macht Edvard Munch jedoch über Nacht in Berlin berühmt. In Berlin trifft er sich oft mit dem schwedischen Schriftsteller August Strindberg und er lernt viele Künstler in Berlin kennen.
So wäre es nahezu undenkbar , dass eine Ausstellung Rembrandts von den Besuchern in gleicherweise erlebt werden könnte.
kunst-zeiten.de hat geschrieben :
Edvard Munch - Sein Leben

Edvard Munch wird am 12.12.1863 in Løten, in Norwegen geboren. Munch muss bei seiner sehr schwer verlaufenden Geburt sprichwörtlich um sein Leben kämpfen. Seine Kindheit und Jugend verbringt er in Kristiana, dem heutigen norwegischen Oslo. Schon zu dieser Zeit macht er früh Erfahrungen mit dem Tod. Erst stirbt seine Mutter und dann seine Schwester an Tuberkulose. Sein Vater und seine zweite Schwester werden geisteskrank. Munch leidet unter starken Depressionen und Nervosität. In erwachsenen Jahren leidet er in zeitlichen Perioden unter Verfolgungswahn und verfällt dem Alkohol. Munch wird deswegen in verschiedenen Kliniken behandelt.
Wo hätte Rembrandt auch jemals unter starken Depressionen, Nervosität und in zeitlichen Perioden unter Verfolgungswahn gelitten, so das man ihn deswegen in verschiedenen Kliniken hätte behandeln müssen. Ganz im Gegenteil. Wenngleich auch Rembrandt möglicherweise dem Alkohol verfallen ist. Nur halt nicht wie bei Edvard Munch, um sich zu betäuben, sondern, um als Genussmensch, davon zu profitieren.




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Jörn P Budesheim
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So 2. Nov 2025, 11:03

Timberlake hat geschrieben :
Sa 1. Nov 2025, 13:40
von den inneren Gefühlen und somit der Biografie
Wieso „somit“? Insofern die Bilder von Munch von existenziellen Erfahrungen handeln, handeln sie von Menschen überhaupt – und nicht nur von ihm selbst und seiner eigenen Biografie. Ich kann das Bild „Melancholie“ von Munch nachempfinden und schätzen, ohne das geringste Wissen über seine Biografie zu haben.

Dasselbe gilt für Rembrandt. Um mir sein Bild „Jakob segnet Ephraim und Manasse“, das hier in Kassel in der Gemäldegalerie hängt, anzusehen, muss ich nicht das Mindeste über Rembrandts Biografie wissen.

Natürlich kann es interessant sein zu erfahren, dass das Violinkonzert BWV 1004 von Bach etwas mit dem Tod seiner Frau zu tun haben könnte, aber das bedeutet keineswegs, dass wir uns seiner Biografie zuwenden müssen, um dieses Werk zu schätzen und zu fühlen.




Timberlake
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So 2. Nov 2025, 13:47

Um darauf mal mit einer Metapher zu antworten. Richtig, ich muss nicht das Mindeste über die Blütenpracht des Kirschbaums auf meinem Hof wissen, um mich daran zu erfreuen. Gleichwohl man ein Problem hätte, wenn man dabei stehen bleibt. Dann würde man nie etwas darüber erfahren, wie dass damit die Bienen angelockt werden. Die, in dem sie dessen Pollen sammeln, die Blüte bestäuben. Wodurch sich die Befruchtung vollzieht. Somit Früchte und somit Samen entstehen, aus denen neue Kirschbäume wachsen können.

In gleicherweise würde ich mir das "Wachsen" neuer Kunstwerke, wie die von Edvard Munch, Rembrandt oder auch von Bach erklären wollen. Das man nicht beim Empfinden dessen stehen bleibt. Sondern, in dem man darüber hinausgeht, dazu befähigt wird, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich bei dessen Entstehen das Gleiche vollzogen hat, wie mit den Bienen und den Blüten eines Kirschbaums. Von daher würde sich übrigens auch erklären, wie dass aus Kirschsamen, stets Kirschbäume, auch aus Munch, stets Munch Bilder und aus Rembrandt, stets Rembrandt Bilder wachsen. Bilder von Munch bzw. von Rembrandt , die sich als solches in etwa so voneinander unterscheiden, wie die Kirschsamen und die Kirschbäume, die daraus wachsen.

Irgend wie kam dazu, aus Schultagen an der POS Stöckheim, folgendes im Sinn ..


Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt‘ es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub‘s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich‘s
Am hübschen Haus.

Und pflanzt‘ es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

Johann Wolfgang von Goethe




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Jörn P Budesheim
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Mo 3. Nov 2025, 14:07

Man sollte nicht die Entstehungsbedingungen mit dem Werk (und seiner Wahrheit) selbst verwechseln. Biografie, psychische Disposition oder Krankheiten bestimmter Künstler und Künstlerinnen sind zwar manchmal empirisch rekonstruierbar, aber sie erklären nicht generell, was ein Werk bedeutet, was an ihm fasziniert, wie es komponiert ist oder welche Rätsel es aufgibt. Wer sich zu sehr auf die Lebensumstände der Künstler:innen konzentriert, blendet die Autonomie des Werkes aus – seine Fähigkeit, über Herkunft und Absicht hinauszugehen. Gerade diese Eigendynamik gerät dann aus dem Blick.

Die Kirschbaum-Metapher verfehlt meines Erachtens den Punkt, weil sie eine mechanistische Kausalkette suggeriert: Same → Baum → Frucht. Künstlerische Produktion folgt aber keinem biologischen Determinismus. Sie ist ein vielschichtiger Prozess – vom Material mitbestimmt, vom Zufall geprägt, vom Versuch getragen, dem Gesetz des Werkes zu folgen oder das Überraschende geschehen zu lassen und vieles andere mehr.

Ein Kunstwerk entwickelt häufig eine eigene Logik, die weit über Intention und Biografie hinausführt. Es emanzipiert sich von seinen sogenannten Schöpfer:innen. Kunstwerke haben Macht über ihre Künstler:innen und Betrachter:innen – sie eröffnen Räume, die sich aus keiner Biografie ableiten lassen.

Natürlich können Künstler:innen biografische Elemente verarbeiten. Aber wenn Munch seine Melancholie festhält, gewinnt das nur dann allgemeine Bedeutung, wenn dieses individuelle Geschehen im Werk zu etwas Exemplarischem wird – zu etwas, das über den Einzelfall hinausweist.

Künstler:innen mit ähnlich tragischen Biografien wie van Gogh oder Munch gibt es viele. Doch nur wenige schaffen Werke von wirklicher Bedeutung. Das zeigt, wie wenig die bloßen Entstehungsbedingungen erklären. Die Biografie mag ein Anlass sein, aber sie macht noch kein großes Kunstwerk. Und das erklärt sich im Wesentlichen aus dem Werk selbst.

Paradigmatisch dafür ist das dunkle Werk Goyas. Natürlich waren biografische Erlebnisse Auslöser für vieles Dunkle, was er gezeichnet und gemalt hat, aber die Größe der Bilder liegt in ihrer ästhetischen Meisterschaft und Goyas Fähigkeit, etwas Exemplarisches über den Menschen und seine Abgründe schlechthin zu zeigen. Klar ist es spannend, sich Filme über seine Zeit und seine erstaunliche Biografie anzuschauen, ich mache das auch gerne ... aber wenn man daraus eine Same → Baum → Frucht Logik macht, verpasst man seine Kunst völlig.




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Jörn P Budesheim
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Mo 3. Nov 2025, 19:41

Timberlake hat geschrieben :
Sa 1. Nov 2025, 00:04
[Munch] von dem mir übrigens nur Der Schrei bisher bekannt war ...
Ich hingegen habe viele Bilder von Munch auch schon im Original gesehen. Und ich habe mich nie mit seiner Biografie beschäftigt – und dennoch konnte ich die Bilder schätzen und ihre Wirkung spüren. Wenn die Annahme stimmt, dass die Biografie für das Verständnis oder die Bedeutung eines Werkes entscheidend ist, dann dürfte das gar nicht möglich sein.

Machen wir ein einfaches Gedankenexperiment: Wäre die Biografie von Munch für uns nicht zugänglich – würden wir seine Bilder dann weniger schätzen? Weniger fühlen? Würden sie uns weniger faszinieren? Wer das glaubt, setzt den Wert der Bilder radikal herab.




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Jörn P Budesheim
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Mo 3. Nov 2025, 20:43

Timberlake hat geschrieben :
Sa 1. Nov 2025, 00:04
Weil ich mich bei solchen Bildern immer frage, inwiefern die Biografie des Künstlers darauf Einfluss genommen hat, habe ich zu Edvard Munch [...] folgendes recherchiert …
Mit anderen Worten: statt dir seine Bilder anzuschauen, hast du dir Texte besorgt.




Timberlake
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Di 4. Nov 2025, 23:20

Flame hat geschrieben :
Di 4. Nov 2025, 17:10
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Nov 2025, 16:20
Mag ja sein, dass du viel Herz reingesteckt hast. Es ändert ja nichts, das Bild ist dennoch herzlos.
Und was bezweckst du damit, Personen aus Gemälden zu photoshoppen?
Ist das nicht auch irgendwie herzlos? Geht dadurch nicht der Sinn verloren?
Naja, habe auch keine Kunst studiert? :)
Nun ja ..

Bild

....die Personen sind ja nun wahrlich nicht der Gestalt, dass man sie als sympathisch empfindet. Auch wenn ich keine Kunst studiert habe, so würde ich mir sogar selbst dieses Bild auf diese Weise erträglicher machen wollen.

Dazu nur mal zur Erinnerung ..
kunst-zeiten.de hat geschrieben :
Edvard Munch - Sein Leben

Seine Ausstellung in Berlin wird von den Besuchern als schockierend und erschreckend erlebt und bereits nach einer Woche wieder geschlossen.
Wenngleich Edvard Munch durchaus auch anders kann, als schockieren und erschrecken. Zum Beweis , wie von dir richtig erkannt ..
Flame hat geschrieben :
Mi 29. Okt 2025, 07:01
Bild


Ein Bild, das nicht schreit – sondern atmet.
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 5. Nov 2025, 00:06, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Di 4. Nov 2025, 23:56

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mi 29. Okt 2025, 15:59
Bild

Ich hab hier das Gleiche wie oben probiert: was passiert, wenn die Figur entfernt wird? Die Stimmung ändert sich meines Erachtens kaum. Sie ist auch ohne den Melancholischen melancholisch. (Der Protagonist des Bildes ist fast redundant.) Nicht der Mann ist melancholisch, die Landschaft ist es, allerdings wunderschön melancholisch und vor allem auch sehr seltsam, finde ich. Das Bild lebt stark von seinen Farben und den eigentümlichen Formen. Und doch bleibt es erstaunlich realistisch: Eine Abendstimmung am Strand kann einen genau so erfassen – ganz ohne unglückliche Liebesgeschichte im Hintergrund.

Übrigens, wo wir schon mal dabei sind. Für den Fall, dass diese Person, wie hier vorgeführt, entfernt wird, so fällt es zumindest mir, doch schon sehr schwer, sich darunter noch einen Strand vorzustellen. Ich glaube sogar, dort nunmehr den Kopf eines Hais zu entdecken.




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Flame
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Mi 5. Nov 2025, 08:13

Timberlake hat geschrieben :
Di 4. Nov 2025, 23:20
Flame hat geschrieben :
Di 4. Nov 2025, 17:10
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Nov 2025, 16:20
Mag ja sein, dass du viel Herz reingesteckt hast. Es ändert ja nichts, das Bild ist dennoch herzlos.
Und was bezweckst du damit, Personen aus Gemälden zu photoshoppen?
Ist das nicht auch irgendwie herzlos? Geht dadurch nicht der Sinn verloren?
Naja, habe auch keine Kunst studiert? :)
Nun ja ..

Bild

....die Personen sind ja nun wahrlich nicht der Gestalt, dass man sie als sympathisch empfindet. Auch wenn ich keine Kunst studiert habe, so würde ich mir sogar selbst dieses Bild auf diese Weise erträglicher machen wollen.

Dazu nur mal zur Erinnerung ..
kunst-zeiten.de hat geschrieben :
Edvard Munch - Sein Leben

Seine Ausstellung in Berlin wird von den Besuchern als schockierend und erschreckend erlebt und bereits nach einer Woche wieder geschlossen.
Wenngleich Edvard Munch durchaus auch anders kann, als schockieren und erschrecken. Zum Beweis , wie von dir richtig erkannt ..
Flame hat geschrieben :
Mi 29. Okt 2025, 07:01
Bild


Ein Bild, das nicht schreit – sondern atmet.
Nicht sympathisch. :D
Muss Kunst sympathisch sein?
Sie soll doch was in dir auslösen, dich bewegen.
Nicht immer nur Friede, Freude, Eierkuchen :D



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