kʊnst und kʊlˈtuːɐ̯

Architektur, Malerei, Graphik, Design ...
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Stefanie
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Do 17. Jan 2019, 19:45

Jörn:
Knapp skizziert: Kunst folgt den Regeln, die sie sich selbst setzt, und ist ein eigenständiger (autonomer) also in diesem Sinne freier Bereich. Kunstwerke sollten daher aus ihrer eigenen "inneren" Logik heraus verstanden werden und nicht als Zwecke für anderes. Sie sind "umgekehrt gesagt" nicht heteronom und folgen nicht fremden Zwecken wie "staatlichen Vorgaben und Einschränkungen" bzw. gesellschaftlichen Forderungen, müssen nicht einfach 1:1 die Natur nachahmen und sind auch moralisch/ethisch eigenständig etc. p.p.
Ist Die Kunst so homogen, und so in sich einig, dass sie für alle, die Kunst schaffen, verbindlich, eigene Regeln setzen kann?

Gerade der Punkt der moralischen, ethischen Eigenständigkeit erweckt den Eindruck, dass Kunst ein abgegrenzter geschlossener Bereich ohne Bezug zu anderen gesellschaftlichen Bereichen ist. Die universale Geltung der Menschenrechte gilt nicht nur für und in der Kunst, sie gilt für alle. Das ist z.b. eine gesellschaftliche Forderung. Oder?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Fr 18. Jan 2019, 05:17

Wieso homogen? Denk dir einen Monet, einen Picasso, einen Warhol, einen Richter ... das ist doch nicht homogen. Mit der Freiheit (der Kunst) werden die Menschenrechte ja nicht ausgesetzt - sie sind vielmehr ein Ausdruck davon. Klaus Steak macht kritische Kunst in die Gesellschaft "hinein", aber nicht im staatlichen Auftrag, sondern nach eigener Maßgabe, also frei und autonom.

Im krassen Gegensatz dazu steht die Ansicht, dass Künstler mit bestimmter Hautfarbe manche Sujets nicht malen sollten.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Jan 2019, 06:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 18. Jan 2019, 05:17
Wieso homogen?
Eine gewisse Homogenität gab es dennoch, sie entstammte jedoch gerade nicht der Autonomie der Kunst. Ganz im Gegenteil. Denn es gibt in ihrer Geschichte krasse Ungleichgewichte - Frauen zum Beispiel waren oftmals außen vor. Der Kanon muss neu erzählt oder zumindest anders weiter gestrickt werden. Diese Autorin meint sogar, wir wären damit fasst schon am Ziel: "Die Frauen sind [in der Kunst] gemeinsam mit den Männern an der Macht." https://amp.welt.de/kultur/kunst/articl ... a-und.html Aber das stimmt, kann ich nicht sagen, ich meine, es gibt auch Zahlen, die das Gegenteil besagen ... müsste ich mal sehen, ob ich es finde.




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Stefanie
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Fr 18. Jan 2019, 08:13

Ich glaube, wir verstehen bestimmte Wörter anders.

Eben weil es in der Kunst so unterschiedliche Kunst gibt, frage ich mich, wie sich die Kunst Regeln selber setzen kann, die für alle diese unterschiedlichen Formen, Arten etc. gelten kann. Für einen Richter gleichermaßen, wie für einen Staeck.
Es kann nur der kleinste gemeinsame Nenner sein, und dass ist die Unabhängigkeit von staatlichen Zwängen.
Wo ich wirklich Probleme mit habe ist die Aussage über die vermeintlich moralische/ethische Selbstständigkeit. Was ist das?
Wer sich die Rechte selber setzt, müsste auch ein Regulativ haben, damit bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Es gab doch mal einen Künstlerin, die hat irgendwie lebende Katzen (?) zu Kunstwerken "verarbeitet" hat.

In dem Artikel kritisieren Künstler andere Künstler. Ist das die moralische/ethische Selbstständigkeit?

Es ist eine Beschränkung, wenn es jemand aufgrund seiner Hautfarbe oder Geschlecht verboten werden soll, sich mit bestimmten Themen künstlerisch zu beschäftigen. Sicherlich.
Allerdings..
Kunst war und ist weiß und männlich. Das war mir nie so bewusst, hat was gedauert, bis ich das merkte. Sicherlich hat sich etwas geändert, aber sie ist trotzdem noch weiß und männlich. (
Wenn Jahrzehnte lang, ja sogar Jahrhunderte lang, Menschen mit nicht weißer Hautfarbe, und dann auch vielleicht weiblich, in der Kunst einseitig dargestellt wurden, die Belange und Rechte dieser Menschen nicht gewahrt wurden, die Kunstschaffenden, die nicht weiß und männlich sind, es schwer hatten/haben, sollte man sich nicht wundern, wenn es etwas Gegenwind gibt.
Der Tod eines 14 jährigen jungen schwarzen Teenagers, dessen Tod, wenn ich das richtig gelesen habe, immer noch nicht vollständig geklärt worden ist, wird sehr publikumswirksam von einer weißen Künstlerin verarbeitet. Letztendlich spricht also wieder jemand, der einer Gruppe angehört, die viel mehr Rechte haben, als das getötete Kind, für schwarze Menschen. Erneut und immer noch.
Sie wollen aber für sich selber sprechen und angehört werden und nicht mehr nur Objekt sein. Ich kann nachvollziehen, warum sich darüber empört wird.
Ich finde es übrigens nicht in Ordnung, wenn ein totes Kind instrumentalisiert wird, egal welche Hautfarbe.

Was ist in diesem Fall die ethisch/moralische Selbständigkeit der Kunst?

In dem Artikel selber gibt es einen Satz, der zeigt, dass es immer noch nicht so, dass alle Kunstschaffenden gleich gestellt sind und auch der Autor offenbar noch in der weißen Welt lebt:
Der Autor schreibt zu Beyonce:
Eine Kampfansage – oder gar Zerstörung oder Zensur – ist aber auch nicht nötig, sind Beyoncé und Jay-Z doch nicht nur keine Opfer von Unterdrückung mehr, sondern setzen als Stars der globalen Pop-Kultur selbst Standards. Sie müssen sich nirgendwo mehr Zugang erkämpfen; vielmehr öffnet ihnen das Museum bereitwillig alle Türen und richtet sich nach ihren Bedingungen
Wie anmaßend ist das denn?
Woher weiß er dies, nur weil die beiden Superstars sind, was sie davon befreit, nicht mehr unterdrückt zu werden? Woher will er wissen, dass diese beiden globalen Superstars in ihrem Alltag nicht auch noch immer bewusst oder unbewusst aufgrund ihrer Hautfarbe anders behandelt werden, als weiße Menschen? Übrigens nicht nur im Alltag, wenn man wahrscheinlich genauer hinschaut, wird von ihnen oft eine andere Art von Musik etc. erwartet, als von weißen Künstlern, oder ein anderes Verhalten.

Den Satz hätte er sich sparen sollen.



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Jörn Budesheim
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Fr 18. Jan 2019, 08:21

Stefanie hat geschrieben :
Fr 18. Jan 2019, 08:13
Eben weil es in der Kunst so unterschiedliche Kunst gibt, frage ich mich, wie sich die Kunst Regeln selber setzen kann, die für alle diese unterschiedlichen Formen, Arten etc. gelten kann. Für einen Richter gleichermaßen, wie für einen Staeck.
Aber das ist ja auch gar nicht der Ansatz, dass die Ordnung des einen Künstlers zugleich die Ordnung eines anderen setzen soll.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Jan 2019, 08:26

Stefanie hat geschrieben :
Fr 18. Jan 2019, 08:13
Ich finde es übrigens nicht in Ordnung, wenn ein totes Kind instrumentalisiert wird, egal welche Hautfarbe.
Aber ein totes Kind wird nicht allein schon dadurch "instrumentalisiert", dass sich eine Künstlerin künstlerisch damit auseinander setzt, finde ich.




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Stefanie
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Fr 18. Jan 2019, 10:06

Es kommt darauf an wie.

Der Sarg von dem Jungen ist in einem Museum ausgestellt. In dem Sarg liegt ein Photo von seinem zerstörten Gesicht. Dieses Bild findet man auch im Internet. Dieses Photo ist Vorlage für das Gemälde, wenn sich die Malerin nicht sogar den Sarg mit Photo im Original angeschaut hat.
Muss alles und jenes, auch das zerstörte Gesicht eines Kindes, so direkt in Kunst verarbeitet werden? Ohne Rücksicht auf den toten Jungen?
Aber das ist ja auch gar nicht der Ansatz, dass die Ordnung des einen Künstlers zugleich die Ordnung eines anderen setzen soll.
Also jeder für sich hat seine eigenen Regeln.
Wo sind die Grenzen?



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Fr 18. Jan 2019, 10:43

Man kann das ja mit Rücksicht auf den Toten machen. Tod, Leid und Ungerechtigkeit zum Thema zu machen, ist in der Kunst ja nicht erst seit gestern ein Thema. Warum ist es okay ein Foto des Opfers machen, aber nicht okay es zu malen. Das ist mir etwas zu hoch.




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Jörn Budesheim
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Fr 18. Jan 2019, 11:26

Stefanie hat geschrieben :
Fr 18. Jan 2019, 10:06
Wo sind die Grenzen?
Wo auch immer sie sein mögen oder sein sollten, sie sollten nicht entlang der Hautfarbe gezogen werden. Darauf können wir uns doch wohl einigen.




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Stefanie
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Fr 18. Jan 2019, 13:41

Darauf können wir uns einigen. Natürlich.
Warum ist es okay ein Foto des Opfers machen, aber nicht okay es zu malen. Das ist mir etwas zu hoch.
Sorry, das hatte ich vergessen zu schreiben. Das Photo ist auch grenzwertig. Ich poste es nicht ohne Grund hier nicht.



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Fr 18. Jan 2019, 18:53

Wir sprechen etwas aneinander vorbei, befürchte ich. Während ich mich darauf konzentriere, ob die Argumentation von Black gegen Schutz angemessen ist, bringst du (auch) deine eigene Einschätzung des Bildes von Schutz ins Spiel.

Ich kann dazu nicht viel sagen, weil ich das Oeuvre von Schutz gar nicht kenne - da müsste ich mich erst einsehen.




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Fr 18. Jan 2019, 19:56

monopol hat geschrieben : Die amerikanische Künstlerin Dana Schutz, geboren 1976, sagte Medienberichten zufolge [...]: "Ich weiß nicht, wie es ist, als Schwarzer in Amerika zu leben, aber ich weiß, wie es ist, Mutter zu sein. Emmett war der einzige Sohn seiner Mutter." Die Vorstellung, dass dem eigenen Kind etwas zustoßen könnte, sei furchtbar. "Ich habe das Bild gemalt, weil ich Mitgefühl mit der Mutter des Opfers habe."




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Fr 18. Jan 2019, 20:02

Na ja, ich bin bei dem Text, dort bei einem der ersten Beispiele und diesem Kanon.



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Sa 19. Jan 2019, 20:11

Zum "Kanon" der Kunst ein anderer Artikel.
https://www.zeit.de/kultur/kunst/2017-1 ... an-balthus



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Do 24. Jan 2019, 05:48

Das Zitat von Adorno aus dem Thread über Schindlers Liste gehört eigentlich auch hierher, oder? "Das perenniende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie Gemarterte zu brüllen ..."




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Do 24. Jan 2019, 05:49

Das Zitat von Adorno aus dem Thread über Schindlers Liste gehört eigentlich auch hierher, oder? "Das perenniende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie Gemarterte zu brüllen ..."




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Do 24. Jan 2019, 20:27

Die Zitate von Adorno gehören sicherlich zu Kunst und Kultur. Allerdings nur zu der Frage, ob und wie eine künstlerische Darstellung und Verarbeitung eines industriellen Massenmords erfolgen kann, darf, oder eben nicht.
Auf andere Verbrechen etc. sind diese Zitate nicht übertragbar bzw. anwendbar.



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Jörn Budesheim
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Fr 25. Jan 2019, 05:14

Warum?

Auch mithilfe von Google hab ich nicht herausgefunden, was "perenniend" heißt. Aber auch ohne das Prädikat scheint mir das Zitat sinnvoll: "Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie Gemarterte zu brüllen ..." Und das ist also das gute Recht von Dana Schutz, meine ich.




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proximus
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Fr 25. Jan 2019, 07:03

Das perenniende Leiden
Möglicherweise "ewiges Leid".



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

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Jörn Budesheim
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Fr 25. Jan 2019, 07:31

"perennierend" findet man: "das Jahr hindurch dauernd". Von daher könnte der Ausdruck durchaus so etwas bedeuten, wie lange andauernd, anhaltend oder ewig.




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