"Comedian" Störung oder Zerstörung?

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Jörn Budesheim
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Di 10. Dez 2019, 09:11

Der italienische Künstler Maurizio Cattelan hat auf der Art Basel eine Banane mit Duct Tape an die Wand geklebt. Dem Werk gab er den Titel "Comedian". Am vorletzten Tag der Art Basel nahm der Performance-Künstler David Datuna sie von der Wand, schälte und aß sie auf. Das veröffentlichte er anschließend als Video auf Instagram und schrieb: "Ich liebe die Kunst von Maurizio Cattelan und ich liebe wirklich diese Installation. Sie ist sehr lecker." Bei FB habe ich das Video gepostet mit folgendem Kommentar: "Ich finde das nicht richtig! Selbst wenn man das Kunstwerk nicht mag oder doof findet, sollte man es respektieren und es nicht zerstören." Dafür gab es wenig Applaus.

Oft wurde eingewandt, man könne das Kunstwerk gar nicht zerstören: "Das Kunstwerk ist in diesem Fall das Konzept (ein ziemlich ödes allerdings) und nicht seine konkrete materielle Realisierung. Die Banane wäre sowieso verrottet, das einfache Aufessen ist hier die vernünftigste, klimaverträglichste Art der Entsorgung." (Wojtek Skowron) Hier kann man die gesamte Debatte verfolgen, auch wenn man bei FB nicht angemeldet ist > https://www.facebook.com/joern.budeshei ... 1219926875

Ich will hier noch mal der Frage nachgehen, ob man “ein solches Kunstwerk” überhaupt zerstören kann. (Den selben Text hab ich auf auf FB gepostet)

Ähnliche Kunstwerke kennt man schon seit langem und ich hab das eine oder andere auch schon gesehen. Dabei muss der/die Künstler/in keineswegs selbst Hand anlegen. Stattdessen gibt es eine Anweisung, was zu tun ist. Zu den Anweisungen gehört in der Regel auch, wer was tut oder tun darf. Das könnte zum Beispiel so aussehen: “Besorge dies oder das und befestige es gemäß der Skizze in 1,8 m Höhe an einer weißen Wand.” Im Grund kann man sagen, es gibt eine Notation und eine Aufführung - vergleichbar mit Musikstücken. Nun kann man sich in langen Debatten darüber streiten, welcher Teil der Arbeit das Kunstwerk ist: die ursprüngliche Idee? die Notation? die Aufführung? Ich würde davon ausgehen, dass wir es hier mit einem Gesamt zu tun haben. Wie auch immer man sich da entscheidet, die Aufführung ist ganz sicher in irgendeiner Form ein Teil der Arbeit. In der Regel ist es sogar ein besonders wichtiger Teil.

Wenn man die Aufführung stört, zerstört man vielleicht nicht das Kunstwerk in allen Details, da man Ideen nicht in demselben Sinne zerstören kann, wie etwa ein Ölbild Rembrandts. Aber dennoch verletzt man die Integrität der Arbeit. Zudem beschneidet man die anderen Rezipienten, da diese der Aufführung nicht mehr im intendierten Sinne beiwohnen können. Im vorliegenden Fall musste das Kunstwerk (seine “Aufführung”) sogar entfernt werden, da sich sofort Nachahmer fanden, die ihrerseits die Aufführung ("zer-")stören wollten.

Wir brauchen sozusagen verschiedene Begriffe von Störung bzw. Zerstörung, die den unterschiedlichen Kunstwerken angemessen sind. Ist ein Kunstwerk essentiell mit einer Idee “verknüpft” (wie oben angedeutet), dann kann man es nicht in einem traditionellen Sinne zerstören, das mag stimmen. Aber es gibt dennoch Formen, der Störung, die völlig unangemessen sind. Unangemessen wäre daher zu sagen, dass mit so einem Kunstwerk eigentlich alles erlaubt ist, weil man es ja nicht zerstören kann. So krass drückt man sich natürlich nicht aus. Nichtsdestotrotz wurden die Eingriffe mit dem Hinweis auf die “Unzerstörbarkeit” des Kunstwerkes ja in irgendeiner Weise “verteidigt” oder relativiert. Nimmt man das jedoch ernst, folgt jedoch, dass man im Grunde keinen Eingriff mehr bemängeln kann. Aber das kann natürlich nicht richtig sein. Das würde auch unsere Präsentations- und Aufführungspraxis als Gesamte in Frage stellen.

Nun kann man sagen: Letztlich haben die Galerie und der Künstler davon profitiert. Aber das ist keine Rechtfertigung des Eingriffs. Dass etwas falsches auch positive Folgen haben kann, macht es nicht richtig. (Diese verquere Logik kann sogar dazu führen, dass man den Künstlern unterstellt, den Angriff selbst inszeniert zu haben.)




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Jörn Budesheim
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Di 10. Dez 2019, 12:23

Hier kann man sich ein paar Arbeiten des Künstlers anschauen > https://blog.artsper.com/en/a-closer-lo ... B8xDHIN7BI




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Jörn Budesheim
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...

"Es ist mir total egal, dass sie gegessen wurde, denn was zählt, ist nur die Idee"

...

"Es wird immer jemanden geben, der meine Puppen herunter reißt, der meine goldene Toilette stiehlt oder meine Banane isst", sagte Cattelan. All das unterstütze seine künstlerische Erzählweise ...

https://www.monopol-magazin.de/maurizio ... t-mir-egal




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Stefanie
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Di 10. Dez 2019, 19:14

Als ich das erstemal über dieses Kunstwerk gelesen habe, dachte ich u.a. oh ein naturgemäßes vergängliches Kunstwerk, denn irgendwann sind die Bananen nicht mehr da, vergammelt, auseinandergefallen usw. und habe mich praktisch gefragt, wie man die unangenehmen Folgen des Verrottens in den Begriff bekommt. Ich wunderte mich etwas, dass jemand für etwas vergängliches Geld bezahlt. Der Verfall der Banane gehörte für mich dazu, eine besondere Form von Humor.

Dann kommt da jemand, isst die Banane, jemand redet es geht um die Idee, und schwupps wird es langweilig. Kein vergängliches Kunstwerk mehr, sondern ein Kunstwerk, dass je nach Bedarf erneuert werden kann. Die andere Variante gefiel mir besser.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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