Philipp Hübl: Wahrheit (3) / Wissen (4)
Zusammenfassung von Hübl
(1) Fakten bestehen unabhängig von uns.
(2) Wer die Fakten beschreibt, sagt etwas Wahres.
(3) Wir leben nicht in einem postfaktischen Zeitalter, aber manche Menschen haben in bestimmten Situationen einen faktenfernen Denkstil.
(4) Wahrheit ist objektiv, nicht definierbar, nicht relativ, keine Konstruktion und keine Annäherung.
(5) Wahrheit ist die Voraussetzung für Denken und Sprechen: Die meisten unserer Überzeugungen müssen wahr sein, sonst könnten wir nicht denken, sprechen und uns in der Welt zurechtfinden
(6) Wissen hat eine subjektive Komponente: Die meisten Wahrheiten (wahren Aussagen) kennen wir nicht.
(7) Wir können uns irren, also etwas zu wissen glauben, was nicht wahr ist.
Zusammenfassung von Hübl
(1) Wissen ist eine wahre, gerechtfertigte Überzeugung (plus X).
(2) Realisten glauben, es gebe Wissen. Relativisten meinen, es gebe keine Objektivität. Skeptiker setzen Wissen mit Unfehlbarkeit gleich.
(3) Wissenschaft ist systematische Wahrheitssuche.
(4) Alle Menschen haben (natur-)wissenschaftliche Alltagstheorien.
(5) Die empirischen Wissenschaften untersuchen Konkreta: Ereignisse und die Dispositionen (Neigungen und Kräfte) der Dinge in Raum und Zeit
(6) Theorien müssen unter anderem durch Instanzen bestätigt werden sowie falsifizierbar, ontologisch sparsam und präzise sein.
(7) Verursachung ist eine Beziehung zwischen Ereignissen in der Welt.
(8) Eine kausale Erklärung ist eine Beziehung zwischen Aussagen über die Welt, die in expliziter Form sowohl die Ursachen also auch die Dispositionen der beteiligten Dinge nennt.
(9) Korrelation deutet auf Kausalität hin, ist aber nicht dasselbe: Faktoren können durch eine gemeinsame Ursache (durch gemeinsame Faktoren) oder durch Zufall korreliert sein.
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Das Video hat nicht nur viele Aufrufe (über 35.000), sondern es gibt auch noch sehr viele Kommentare (über 200), ich habe ein paar ausgewählt, auf einige hat Hübl sogar knapp geantwortet:
@seamusdraide3589 hat geschrieben : In den Naturwissenschaften meinen wir mit "wir nähern uns der Wahrheit an" m. E. etwas anderes. Es geht nicht darum, dass eine Aussage genauer wird, sondern dass die Modelle, die wir verwenden, zunehmend besser geeignet sind, unsere Beobachtung zu beschreiben. Um beim Beispiel der Mondetnfernung zu bleiben. Erstes Modell: "Der Mond kreist um die Erde." Wir messen aber ständig unterschiedliche Entfernungen. Jetzt sind wir entweder zu doof zu messen (soll vorkommen, ich erinner ich an mein Physikpraktikum...), oder wir messen richtig und müssen unser Modell der Wahrheit annähern: "Der Mond und die Erde eiern umeinander."
@philipphuebl2931 hat geschrieben : Mit dem Modell können wir gehaltvollere wahre Aussagen machen: Das ist hier mit "annähern" gemeint. Die Messung ist genauer. Aber Aussagen sind entweder wahr oder falsch. Wahrheit verträgt kein Mehr oder Minder.
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@Frank Alias_Frank hat geschrieben : Es gibt aber auch unterschiedliche Wahrnehmungen bei gleichen Fakten. Wenn zum Beispiel heute die Sonne scheint und es hat draußen 30 Grad, dann würde einer sagen, ja draußen herrscht eine unerträgliche Hitze, während ein anderer sagen würde, ja draußen ist schönes Wetter, lass uns ins Freibad fahren.
@philipphuebl2931 hat geschrieben : Werturteile können auch Wahrheitswerte haben, folgen aber einer anderen Logik. Sie widersprechen nicht der Beobachtung, dass deskriptive Aussagen entweder wahr oder falsch sind.
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@smaug2475 hat geschrieben : Als philosophisch ungeschulter genieße ich diese Vorlesung, aber mich verwirrt, dass viele verwendete Beispiele wahr sind, weil wir uns darauf geeinigt haben: „Wale sind Säugetiere" ist wahr, weil wir eine anerkannte Definition darüber haben, was ein Säugetier ist. Die Aussage „Der Himmelskörper Pluto ist ein Planet" war auch mal wahr, ist es jetzt aber nicht mehr. Andere Beispiele sind unveränderlich wahr: „Ein Elektron ist negativ geladen" ist so eins: Das Teilchen wird während seiner Existenz immer eine Eigenschaft haben, die wir heute „negativ geladen" nennen. Gibt es also unterschiedliche Qualitäten von Wahrheit?
Man kann das mit dem Schießen eines Pfeiles auf eine Zielscheibe vergleichen: Entweder der Pfeil trifft sie oder er verfehlt sie; aber nicht alle Fehlschüsse sind gleich weit von der Zielscheibe entfernt. Die Sätze "1+1=3" und "1+1=30" sind beide falsch, aber ersterer ist wahrheitsnäher oder wahrheitsähnlicher als letzterer.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 6. Apr 2025, 17:38Das Video hat nicht nur viele Aufrufe (über 35.000), sondern es gibt auch noch sehr viele Kommentare (über 200), ich habe ein paar ausgewählt, auf einige hat Hübl sogar knapp geantwortet:
@seamusdraide3589 hat geschrieben : In den Naturwissenschaften meinen wir mit "wir nähern uns der Wahrheit an" m. E. etwas anderes. Es geht nicht darum, dass eine Aussage genauer wird, sondern dass die Modelle, die wir verwenden, zunehmend besser geeignet sind, unsere Beobachtung zu beschreiben. Um beim Beispiel der Mondetnfernung zu bleiben. Erstes Modell: "Der Mond kreist um die Erde." Wir messen aber ständig unterschiedliche Entfernungen. Jetzt sind wir entweder zu doof zu messen (soll vorkommen, ich erinner ich an mein Physikpraktikum...), oder wir messen richtig und müssen unser Modell der Wahrheit annähern: "Der Mond und die Erde eiern umeinander."@philipphuebl2931 hat geschrieben : Mit dem Modell können wir gehaltvollere wahre Aussagen machen: Das ist hier mit "annähern" gemeint. Die Messung ist genauer. Aber Aussagen sind entweder wahr oder falsch. Wahrheit verträgt kein Mehr oder Minder.
Siehe dazu: Truthlikeness: https://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness/
Deutsche Übersetzung:
"Wahrheit gilt weithin als konstitutives Ziel der Forschung. Selbst diejenigen, die das Forschungsziel für etwas Zugänglicheres als die Wahrheit halten (wie etwa die empirisch erfassbare Wahrheit), sowie diejenigen, die das Ziel für etwas Robusteres als den Besitz von Wahrheit halten (wie etwa den Besitz von Wissen), bekräftigen Wahrheit dennoch als notwendige Komponente des Forschungsziels. Und unter sonst gleichen Bedingungen erscheint es besser, eine Forschung mit der Bestätigung der Wahrheit statt mit der Bestätigung von Unwahrheiten zu beenden.
Auch wenn an der Vorstellung, Forschung ziele auf die Wahrheit ab, etwas dran ist, muss man zugeben, dass Wahrheit eine eher grobkörnige Eigenschaft von Propositionen ist. Manche Unwahrheiten scheinen das Ziel, die Wahrheit herauszufinden, besser zu erreichen als andere. Manche Wahrheiten erreichen dieses Ziel besser als andere. Und vielleicht erreichen manche Unwahrheiten das Ziel sogar besser als manche Wahrheiten. Die Dichotomie der Klasse der Propositionen in Wahrheiten und Unwahrheiten muss durch eine feinere Ordnung ergänzt werden – eine, die Propositionen nach ihrer Nähe zur Wahrheit, ihrem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit klassifiziert.…"
[Google Translate]
Wahrheitsähnlichkeit: https://plato-stanford-edu.translate.go ... r_pto=wapp
"In its two main variants, fallibilism claims that scientific theories are either uncertain-but-probably-true or false-but-truthlike hypotheses."
——————————
"In seinen beiden Hauptvarianten behauptet der Fallibilismus, dass wissenschaftliche Theorien entweder ungewisse, aber wahrscheinlich wahre, oder falsche, aber wahrheitsähnliche Hypothesen sind." [Google Translate mit einer Änderung meinerseits]
(Niiniluoto, Ilkka. Critical Scientific Realism. Oxford: Oxford University Press, 1999. p. 13)
"The sentences 'X is probably true' and 'X has probably a high degree of truthlikeness' express relations between an assertion X and its evidence, whereas the sentences 'X is true' and 'X has a high degree of truthlikeness' express relations between the assertion X and facts (truthmakers) in the world. The former sentences express evidential relations, the latter express semantic-ontological relations; the idea of truthlikeness belongs to a correspondence theory of truth."
——————————
"Die Sätze ‚X ist wahrscheinlich wahr‘ und ‚X hat wahrscheinlich einen hohen Grad an Wahrheitsähnlichkeit‘ drücken Beziehungen zwischen einer Behauptung X und ihren Beweisen aus, während die Sätze ‚X ist wahr‘ und ‚X hat einen hohen Grad an Wahrheitsähnlichkeit‘ Beziehungen zwischen der Behauptung X und Tatsachen (Wahrmachern) in der Welt ausdrücken. Die ersteren Sätze drücken Evidenzbeziehungen aus, die letzteren semantisch-ontologische Beziehungen; die Idee der Wahrheitsähnlichkeit gehört zu einer Korrespondenztheorie der Wahrheit." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]
(Johansson, Ingvar. "Bioinformatics and Biological Reality." In Applied Ontology: An Introduction, edited by Katherine Munn and Barry Smith, 285-328. Frankfurt: Ontos, 2008. p. 293)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
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Um das mal mit dem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit am praktischen Beispiel festzumachen. Stell dir einmal vor, du wärst ein Mathelehrer an der Grundschule und dir lägen zur Benotung zwei Klassenarbeiten vor. Eine mit Satz "1+1=3" und eine mit dem Satz "1+1=30" . Darf sich ersterer über eine bessere Benotung freuen, weil die Dichotomie der Klasse der Propositionen in Wahrheiten und Unwahrheiten durch eine feinere Ordnung ergänzt werden muss. – eine, die Propositionen nach ihrer Nähe zur Wahrheit, ihrem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit klassifiziert?Consul hat geschrieben : ↑So 6. Apr 2025, 20:33
Man kann das mit dem Schießen eines Pfeiles auf eine Zielscheibe vergleichen: Entweder der Pfeil trifft sie oder er verfehlt sie; aber nicht alle Fehlschüsse sind gleich weit von der Zielscheibe entfernt. Die Sätze "1+1=3" und "1+1=30" sind beide falsch, aber ersterer ist wahrheitsnäher oder wahrheitsähnlicher als letzterer.
Siehe dazu: Truthlikeness: https://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness/
Deutsche Übersetzung:
" Die Dichotomie der Klasse der Propositionen in Wahrheiten und Unwahrheiten muss durch eine feinere Ordnung ergänzt werden – eine, die Propositionen nach ihrer Nähe zur Wahrheit, ihrem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit klassifiziert.…"
[Google Translate]
Wahrheitsähnlichkeit: https://plato-stanford-edu.translate.go ... r_pto=wapp
Um dazu auf den Vortrag von "Wahrheit" von Philipp Hübl zurückzukommen, so heißt es an der Stelle 57:03
- "Vier Aspekte in der Wahrheitstheorie
(1) Wahrheitswerträger: Was kann wahr oder falsch sein ?
- Vorschläge : Sätze, Äußerungen, Überzeugungen, Behauptungen, Theorien, Gedanken, Urteile "
- "Die Dichotomie der Klasse der Propositionen in Wahrheiten und Unwahrheiten muss durch eine feinere Ordnung ergänzt werden – eine, die Propositionen nach ihrer Nähe zur Wahrheit, ihrem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit klassifiziert.…"
"Beim Arzt " Dieses Medikament rettet ihr Leben oder nicht. Es gibt keine Wahrheit"
Hier nun würde ich wiederum den Satz für wahr halten. Denn ob dieses Medikament in Wahrheit ein Leben rettet oder nicht, muss meiner Meinung nach tatsächlich durch eine feinere Ordnung ergänzt werden, als die einer Dichotomie der Klasse der Propositionen in Wahrheiten und Unwahrheiten. Eine feinere Ordnung , die Propositionen nach ihrer Nähe zur Wahrheit, ihrem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit klassifiziert.
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Fazit
Ja, es gibt meiner Meinung nach tatsächlich unterschiedliche Qualitäten von Wahrheit. Zum einen, die sich nach Wahrheiten und Unwahrheiten (höchste Qualität ....„Ein Elektron ist negativ geladen", "1+1=3" und "1+1=30" ... . ) bemisst und zum anderen, die sich nach ihrer Nähe zur Wahrheit (geringe Qualität .. „Der Himmelskörper Pluto ist ein Planet", dieses Medikament rettet ihr Leben, ... ) bemisst.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 6. Apr 2025, 18:02@smaug2475 hat geschrieben : Als philosophisch ungeschulter genieße ich diese Vorlesung, aber mich verwirrt, dass viele verwendete Beispiele wahr sind, weil wir uns darauf geeinigt haben: „Wale sind Säugetiere" ist wahr, weil wir eine anerkannte Definition darüber haben, was ein Säugetier ist. Die Aussage „Der Himmelskörper Pluto ist ein Planet" war auch mal wahr, ist es jetzt aber nicht mehr. Andere Beispiele sind unveränderlich wahr: „Ein Elektron ist negativ geladen" ist so eins: Das Teilchen wird während seiner Existenz immer eine Eigenschaft haben, die wir heute „negativ geladen" nennen. Gibt es also unterschiedliche Qualitäten von Wahrheit?
Nein, es gibt keine unterschiedlichen Qualitäten von Wahrheit. Die Aussage "Elektronen sind negativ geladen" bezieht sich wie die Aussage "Wale sind Säugetiere" auf eine bestimmte vereinbarte Definition. Es wurde vereinbart, welche Eigenschaften eine Sache haben muss, damit es als "negativ geladen" oder als "Säugetier" bezeichnet werden darf. Die Elektron-Frage ist da nicht "unveränderlicher" als die Wal-Frage. Zu beiden Themen können zukünftig sowohl empirische Falsifikationen als auch neu vereinbarte Definitionen erscheinen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 6. Apr 2025, 18:02@smaug2475 hat geschrieben : Als philosophisch ungeschulter genieße ich diese Vorlesung, aber mich verwirrt, dass viele verwendete Beispiele wahr sind, weil wir uns darauf geeinigt haben: „Wale sind Säugetiere" ist wahr, weil wir eine anerkannte Definition darüber haben, was ein Säugetier ist. Die Aussage „Der Himmelskörper Pluto ist ein Planet" war auch mal wahr, ist es jetzt aber nicht mehr. Andere Beispiele sind unveränderlich wahr: „Ein Elektron ist negativ geladen" ist so eins: Das Teilchen wird während seiner Existenz immer eine Eigenschaft haben, die wir heute „negativ geladen" nennen. Gibt es also unterschiedliche Qualitäten von Wahrheit?
Laut vereinbarter Definition ist dasjenige negativ geladen, was von anderen negativen Ladungen abgestoßen wird oder von positiv Geladenem angezogen wird. Elektronen bewegen sich vom Minuspol einer Batterie zum Pluspol. Gemäß dieser Beobachtung sind sie negativ geladen. Aber vielleicht gibt es weitere, noch unentdeckte Feinheiten zum Thema Ladung, die möglicherweise eines Tages Anlass geben, die Definition zu verändern. Des Weiteren gibt es keinerlei Gewissheit darüber, dass die Naturgesetze unveränderlich sind. Vielleicht werden nächsten Freitag alle Elementarteilchen zufällig umgepolt.
Wahrheit hat nur eine Qualität: Wahr.
Aussagen hingegen können verschiedene Qualitäten haben. Aussagen sind aber nicht notwendig wahr. Aussagen können klanghaft sein, schön, hässlich, falsch etc.
Phrasen wie "die grausame Wahrheit" oder "die duftende Wahrheit" etc. halte ich für Poesie. Darin ist nicht direkt die Wahrheit gemeint, sondern die Tatsache. Tatsachen brauchen keine Korrespondenz, um Tatsachen zu sein. Die Wahrheit aber, um über sie sprechen zu können, braucht eine Korrespondenz; etwa die zwischen Tatsache und Aussage.
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Consul hat geschrieben : ↑So 6. Apr 2025, 20:33Man kann das mit dem Schießen eines Pfeiles auf eine Zielscheibe vergleichen: Entweder der Pfeil trifft sie oder er verfehlt sie; aber nicht alle Fehlschüsse sind gleich weit von der Zielscheibe entfernt. Die Sätze "1+1=3" und "1+1=30" sind beide falsch, aber ersterer ist wahrheitsnäher oder wahrheitsähnlicher als letzterer.

Die Argumentation rund um die Annäherung an die Wahrheit beginnt hier > https://www.youtube.com/watch?v=nvVKK5W3bBI&t=6007s
Ich fand das Bild mit der Zielscheibe gestern abend eigentlich ganz treffend - aber da war ich noch nicht bei der entsprechenden Stelle im Video angelangt. Hier könnte man (hoffentlich gemäß Hübl) jedoch einwenden, dass das die falsche Suggestion ist. Betrachtet man die Zielscheibe und die Schützin, kann man natürlich klar sagen, welche Schüsse besser und welche schlechter sind. Aber was, wenn man nicht weiß oder sieht, wo das Ziel ist? Das Wissen um das Ziel ist in diesem Beispiel ja vorausgesetzt. Hübls Beispiel ist: "Ich weiß nicht, wo Rom liegt, aber ich nähere mich Rom an --- aber das kann ich nur sagen, wenn ich weiß, wo Rom liegt." Oder, abstrakt formuliert: "Ich kann nicht gleichzeitig sagen, ich weiß nicht, wo die Wahrheit liegt, aber ich nähere mich ihr an." Verwechselt werden hier laut Hübl Wahrheit und Genauigkeit.
Ich bin bisher auch davon ausgegangen, dass Aussagen wahr, näherungsweise wahr, falsch (und wahrheitsmäßig unbestimmt) sein können. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob ich das revidieren muss/werde.
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@smaug2475 hat geschrieben : Als philosophisch ungeschulter genieße ich diese Vorlesung, aber mich verwirrt, dass viele verwendete Beispiele wahr sind, weil wir uns darauf geeinigt haben: „Wale sind Säugetiere" ist wahr, weil wir eine anerkannte Definition darüber haben, was ein Säugetier ist. Die Aussage „Der Himmelskörper Pluto ist ein Planet" war auch mal wahr, ist es jetzt aber nicht mehr. Andere Beispiele sind unveränderlich wahr: „Ein Elektron ist negativ geladen" ist so eins: Das Teilchen wird während seiner Existenz immer eine Eigenschaft haben, die wir heute „negativ geladen" nennen. Gibt es also unterschiedliche Qualitäten von Wahrheit?
Deswegen würde ich (so wie Quk) sagen, dass es keine verschiedenen "Qualitäten" von Wahrheit gibt, unser Wissen um die Planeten ist tiefer geworden, was Unterschiede ans Licht brachte, die man zuvor nicht kannte und gemäß dieser Unterschiede wurden bessere Unterscheidungen getroffen.perplexity.ai hat geschrieben : Pluto galt früher als Planet, weil er bei seiner Entdeckung 1930 als neunter Planet des Sonnensystems eingestuft wurde. Damals gab es keine klare Definition, was ein Planet ist, und Pluto schien ähnlich groß wie andere Planeten zu sein.
2006 änderte sich dies, als die Internationale Astronomische Union (IAU) eine neue Definition für Planeten festlegte. Ein Himmelskörper muss drei Kriterien erfüllen, um als Planet zu gelten:
Pluto erfüllt die ersten beiden Bedingungen, aber nicht die dritte. Seine Umlaufbahn im Kuipergürtel teilt er mit vielen anderen Objekten, und seine Anziehungskraft reicht nicht aus, um diese zu beseitigen. Zudem wurde entdeckt, dass andere Himmelskörper wie Eris ähnlich groß oder sogar größer als Pluto sind, was die Notwendigkeit einer klaren Unterscheidung verstärkte.
- Er muss die Sonne umkreisen.
- Er muss eine kugelähnliche Form haben (durch eigene Schwerkraft geformt).
- Er muss seine Umlaufbahn von anderen Objekten "geräumt" haben (dominant genug sein, um andere Himmelskörper anzuziehen oder wegzustoßen).
Seit 2006 wird Pluto daher als Zwergplanet klassifiziert, eine Kategorie, die für ähnliche Objekte wie Ceres oder Eris geschaffen wurde. Die Entscheidung bleibt umstritten, insbesondere in den USA, wo Pluto als einziger von einem Amerikaner entdeckter "Planet" galt.
https://www.ardalpha.de/wissen/weltall/ ... o-104.html
https://www.fr.de/wissen/begriff-astron ... 86499.html
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Wenn wir als Prüfer in einer Prüfungssituation sind und die richtige Antwort auf eine Frage kennen, dann können wir vielleicht auch sagen, dass die Schülerin ggf. dicht an der Wahrheit war, so wie bei dem Spiel, wo man dann "heiß" oder "kalt" sagt :-)Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Apr 2025, 08:52Ich bin bisher auch davon ausgegangen, dass Aussagen wahr, näherungsweise wahr, falsch (und wahrheitsmäßig unbestimmt) sein können. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob ich das revidieren muss/werde.
X winkt uns zu. Zwar wissen wir nicht mit absoluter Sicherheit, ob wir X so beschreiben, wie X tatsächlich ist. Aber X winkt uns zu. Nämlich immer dann, wenn gemäß einer Theorie eine Voraussage zutrifft. Weicht sie einmal ab und wir präzisieren die Theorie, werden die nächsten Voraussagen wieder zutreffen. Der ungefähre Ort von X zeigt sich anhand der Richtung, in welche die Theorie präzisiert wird.Metapher "Annähern" an X unterstellt, dass wir wissen, wo X ist.
Wenn ich in der Dunkelheit irgendwo eine Wasserquelle sprudeln höre, weiß ich zwar nicht exakt deren Koordinaten, aber ich kann mich für eine Richtung entscheiden, in die ich suchen gehe. Wird das Geräusch leiser, wähle ich eine andere Richtung. Wird es lauter, bin ich auf dem richtigen Weg. Während dieser ganzen Suche weiß ich nicht genau, wo die Quelle ist, aber meine Geh-Richtung erweist sich als vielversprechend. Nach jedem Schritt höre ich die Quelle lauter. Jeder Schritt ist eine zutreffende Voraussage. Ich nähere mich der Quelle, auch wenn ich noch nicht in ihr bin.
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Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Apr 2025, 08:52"Ich weiß nicht, wo Rom liegt, aber ich nähere mich Rom an --- aber das kann ich nur sagen, wenn ich weiß, wo Rom liegt." Oder, abstrakt formuliert: "Ich kann nicht gleichzeitig sagen, ich weiß nicht, wo die Wahrheit liegt, aber ich nähere mich ihr an." Verwechselt werden hier laut Hübl Wahrheit und Genauigkeit.
So ähnlich habe ich mir das gestern auch ausgemalt, ich habe mir auch vorgestellt, dass ich etwas suche und Indizien in irgendeiner Form bekomme. Aber ich glaube, das ist nicht das, worauf Hübl hinauswill. (Wetten würde ich nicht.) Denn in deinem Beispiel (in meinem war es nicht anders) kennst du ja bereits eine Wahrheit über die Quelle, nämlich, dass sie sich irgendwo in dem Bereich dort hinten befindet. Es handelt sich also nicht um einen Fall, in dem wir nicht wissen, was die Wahrheit ist (wo die Quelle ist), uns aber dennoch der entsprechenden Wahrheit annähern.
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Mir ist gerade eingefallen, dass ich ja ein Buch von Hübl zu dem Thema habe. Dort heißt es:
"Selbst die Aussage, dass sich die Wissenschaft der »Wahrheit annähert«, ist bei genauer Betrachtung irreführend, denn sie verwechselt Wahrheit mit Messgenauigkeit. Zum einen muss man schon wissen, wo sich ein Punkt befindet, um sagen zu können, dass man ihm näherkommt. Wir müssten die Wahrheit also schon kennen, um sicher sagen zu können, dass wir uns ihr »annähern«. Zum anderen kann man auch auf Grundlage sehr genauer Messung etwas Unwahres sagen. Den Abstand der Erde zum Mond beispielsweise kann man mithilfe eines Lasers in jedem Moment mit einer Abweichung von wenigen Millimetern genau bestimmen.[12] Im Mittel ist der Mond 384 400 km von der Erde entfernt. Doch wer sagt, der Mond sei 410 000 Kilometer von der Erde entfernt, sagt zu jedem Zeitpunkt im Jahr etwas Falsches, auch wenn die Zahl deutlich näher an der exakten Messzahl liegt, als jemand, der mit der ungenauen Aussage »Der Mond liegt mehr als 100 000 Kilometer von der Erde entfernt« etwas Wahres sagt. Wissenschaftlicher Fortschritt besteht nicht darin, dass wir uns »der Wahrheit annähern«, sondern dass wir wahre Aussagen formulieren, die mathematisch präziser und damit gehaltvoller sind als die ebenfalls wahren, aber groben Schätzungen und damit gehaltärmeren Aussagen aus früheren Zeiten."
"Selbst die Aussage, dass sich die Wissenschaft der »Wahrheit annähert«, ist bei genauer Betrachtung irreführend, denn sie verwechselt Wahrheit mit Messgenauigkeit. Zum einen muss man schon wissen, wo sich ein Punkt befindet, um sagen zu können, dass man ihm näherkommt. Wir müssten die Wahrheit also schon kennen, um sicher sagen zu können, dass wir uns ihr »annähern«. Zum anderen kann man auch auf Grundlage sehr genauer Messung etwas Unwahres sagen. Den Abstand der Erde zum Mond beispielsweise kann man mithilfe eines Lasers in jedem Moment mit einer Abweichung von wenigen Millimetern genau bestimmen.[12] Im Mittel ist der Mond 384 400 km von der Erde entfernt. Doch wer sagt, der Mond sei 410 000 Kilometer von der Erde entfernt, sagt zu jedem Zeitpunkt im Jahr etwas Falsches, auch wenn die Zahl deutlich näher an der exakten Messzahl liegt, als jemand, der mit der ungenauen Aussage »Der Mond liegt mehr als 100 000 Kilometer von der Erde entfernt« etwas Wahres sagt. Wissenschaftlicher Fortschritt besteht nicht darin, dass wir uns »der Wahrheit annähern«, sondern dass wir wahre Aussagen formulieren, die mathematisch präziser und damit gehaltvoller sind als die ebenfalls wahren, aber groben Schätzungen und damit gehaltärmeren Aussagen aus früheren Zeiten."
"Wahrheit" nenne ich das nicht. Es ist eine Vermutung. Ich vermute, dass die Quelle dort irgendwo ist.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Apr 2025, 19:23Denn in deinem Beispiel kennst du ja bereits eine Wahrheit über die Quelle, nämlich, dass sie sich irgendwo in dem Bereich dort hinten befindet.
Meine Empirie zeigt mir die Suchrichtung. In diese Richtung werden Voraussagen gemacht. Wenn sie zutreffen, sind sie richtungsweisend hin zur Quelle.
Der Kompass zeigt, wo der magnetische Nordpol ist. Er zeigt nicht dessen Koordinaten, aber er zeigt die ungefähre Richtung. Ich weiß weder die Wahrheit über die Koordinaten noch die Wahrheit über die exakte Richtung. Denn die magnetischen Feldlinien der Erde verlaufen schlangenartig verwurstelt. Ich kann nur Vermutungen anstellen. Trotz allem kann ich dem Nordpol näherkommen, anhand immer genaueren zutreffenden Voraussagen. Ich will damit sagen, dass Ortsbestimmung und Richtungsbestimmung nicht verwechselt werden sollten.
Der Satz "wir wissen nicht, wo X ist" unterstellt, dass beim Erkenntnisgewinnen allein die Ortsbestimmung zähle und nicht die Richtungsbestimmung.
Ein Grundproblem des Begriffs der Wahrheitsnähe (Wahrheitsähnlichkeit) ist, dass die Feststellung (von Graden) der jeweiligen Wahrheitsnähe falscher Aussagen (durch eine Art von Messung) die Kenntnis des "Ortes" der Wahrheit voraussetzt.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Apr 2025, 19:23Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Apr 2025, 08:52"Ich weiß nicht, wo Rom liegt, aber ich nähere mich Rom an --- aber das kann ich nur sagen, wenn ich weiß, wo Rom liegt." Oder, abstrakt formuliert: "Ich kann nicht gleichzeitig sagen, ich weiß nicht, wo die Wahrheit liegt, aber ich nähere mich ihr an." Verwechselt werden hier laut Hübl Wahrheit und Genauigkeit.So ähnlich habe ich mir das gestern auch ausgemalt, ich habe mir auch vorgestellt, dass ich etwas suche und Indizien in irgendeiner Form bekomme. Aber ich glaube, das ist nicht das, worauf Hübl hinauswill. (Wetten würde ich nicht.) Denn in deinem Beispiel (in meinem war es nicht anders) kennst du ja bereits eine Wahrheit über die Quelle, nämlich, dass sie sich irgendwo in dem Bereich dort hinten befindet. Es handelt sich also nicht um einen Fall, in dem wir nicht wissen, was die Wahrheit ist (wo die Quelle ist), uns aber dennoch der entsprechenden Wahrheit annähern.
Wenn man den Abstand zwischen A und B messen will, aber nicht weiß, wo sich B (innerhalb eines bestimmten Koordinatensystems) befindet, dann lässt sich A's Nähe zu bzw. Ferne von B nicht bestimmen. Wenn man nicht von vornherein weiß, dass 1+1=2, dann kann man auch nicht wissen, dass die Aussage "1+1=3" wahrheitsnäher ist als die Aussage "1+1=6".
Gibt es eine Möglichkeit, dieses Dilemma aufzulösen?"The quest to nail down a viable concept of truthlikeness is motivated, at least in part, by fallibilism (§1.1). It is certainly true that a viable notion of distance from the truth renders progress in an inquiry through a succession of false theories at least possible. It is also true that if there is no such viable notion, then truth can be retained as the goal of inquiry only at the cost of making partial progress towards it virtually impossible. But does the mere possibility of making progress towards the truth improve our epistemic lot? Some have argued that it doesn’t (see for example Laudan 1977, Cohen 1980, Newton-Smith 1981). One common argument can be recast in the form of a simple dilemma. Either we can ascertain the truth, or we can’t. If we can ascertain the truth then we do not need a concept of truthlikeness – it is an entirely useless addition to our intellectual repertoire. But if we cannot ascertain the truth, then we cannot ascertain the degree of truthlikeness of our theories either. So again, the concept is useless for all practical purposes."
——————————
"Das Streben nach einem tragfähigen Konzept der Wahrheitsähnlichkeit ist zumindest teilweise durch den Fallibilismus (§1.1) motiviert. Sicherlich macht ein tragfähiges Konzept der Distanz zur Wahrheit Fortschritte in einer Untersuchung durch eine Abfolge falscher Theorien zumindest möglich. Ebenso gilt: Fehlt ein solches tragfähiges Konzept, kann Wahrheit als Forschungsziel nur dann beibehalten werden, wenn partielle Fortschritte in Richtung Wahrheit praktisch unmöglich werden. Aber verbessert die bloße Möglichkeit, Fortschritte in Richtung Wahrheit zu erzielen, unsere epistemische Lage? Manche argumentieren, dass dies nicht der Fall ist (siehe z. B. Laudan 1977, Cohen 1980, Newton-Smith 1981). Ein gängiges Argument lässt sich in ein einfaches Dilemma umformulieren: Entweder wir können die Wahrheit feststellen, oder wir können es nicht. Können wir die Wahrheit feststellen, brauchen wir kein Konzept der Wahrheitsähnlichkeit – es ist eine völlig nutzlose Ergänzung unseres intellektuellen Repertoires. Wenn wir aber die Wahrheit nicht feststellen können, können wir auch den Grad der Wahrheitsähnlichkeit unserer Theorien nicht bestimmen. Daher ist das Konzept für alle praktischen Zwecke nutzlos." [Google Translate]
Truthlikeness: https://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness/
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Hier ist die Auslegung des Begriffs der Wahrheitsähnlichkeit/Wahrheitsnähe des Wissenschaftstheoretikers Stathis Psillos:
"[A] theoretical description is truth-like to the extent to which it is roughly right in what it says about what it describes."
——————————
"Eine theoretische Beschreibung ist in dem Maße wahrheitsähnlich/wahrheitsnah, wie sie in ihren Aussagen über das, was sie beschreibt, annähernd richtig ist." [Google Translate]
(Psillos, Stathis. Scientific Realism: How Science Tracks Truth. London: Routledge, 1999. p. 265)
"An 'intuitive' approach
Truth-likeness is the working notion of truth in science. In our interactions with the world, the exact truth cannot generally be had, especially concerning the unobservable and spatio-temporally remote aspects of the world. A perfect match between theories and the world is almost impossible. This is so for many reasons. The complexity and interconnected character of natural phenomena is such that nature could not be effectively studied and represented in unified and comprehensive theories unless some idealisations and simplifications are made. Scientific theories involve many idealisations, like point-masses and ideal gases, which provide a simplified, yet more easily investigable, representation of the world. The laws which govern natural phenomena are represented by bracketing off several distorting features and conditions, such the air-resistance in the law of free fall. Some laws are deduced from others under specific conditions of approximation, and certain ceteris paribus assumptions. Theoretical predictions are tested against experimental results, but almost no experimental result is error-free, and almost no prediction exactly matches the experimental results. Most predictions stand within an ε, however small, from the experimental outcome, which itself has an error-estimate. Demanding the exact truth in science would amount to demanding the exclusion of all approximations, simplifications, idealisations, approximate derivations, sources of error in measurements and calculations. Even were this sort of science possible, it would not be the science with which we are familiar.
However, scientific results, mostly, are self-corrective. Not only do scientists specify the idealisations and approximations involved in theoretical laws and mechanisms, but also they specify, as exactly as possible, the respects and in degrees to which the natural phenomena deviate from their theoretical representations. Take for instance the case where a law is derived from other more fundamental laws, e.g. the derivation of Kepler’s first law from Newton’s inverse-square law. This derivation is, strictly speaking, false. Actually, from premises which are strictly speaking false, i.e. considering the revolution of Mars around the sun as a two-body problem, a false conclusion is derived—that Mars’ orbit is elliptical. But the degree of accuracy of the derivation is specifiable, as are the respects in and degrees to which the conclusion, Mars’s orbit is elliptical, deviate from the actual orbit of Mars. This is where the idea of truth-likeness enters science. For both the premises of the derivation (i.e. two-body problem) and its conclusion (Mars’s orbit is elliptical) are, in one sense, truth-like. For instance, Kepler’s laws are truth-like, because they approximate to a high degree of accuracy the motion of planets. The two-body approach in the derivation of Kepler’s first law from the law of universal gravitation is truth-like, because the gravitational effects of the other planets on the motion of Mars are negligible compared to the Sun’s gravitational field.
If truth is understood as fittingness, that is, if it accepted that a theory (or theoretical description) is true if and only if it fits the world, then truth-likeness should be understood as approximate fittingness: a description, statement, law, theory are truth-like if and only if there are respects and degrees to which they fit with the facts. As Thomas Weston has nicely put it: ‘A statement will count as approximately true to the degree that it is accurate in whatever it asserts’ (1992:54).
I call the approach I am defending currently ‘intuitive’ because it stays as closely as possible to our intuitions about truth-likeness. According to these intuitions, a theory is approximately true if the entities of the general kind postulated to play a central causal role in the theory exist, and if the basic mechanisms and laws postulated by the theory approximate those holding in the world, under specific conditions of approximation. The positive argument for the claim that a false description of a law, or entity, can be truth-like, is this: strictly speaking false descriptions may well be cognitively significant; they may fit better or worse with the facts they purport to describe. They may represent their intended domain to a low or high degree of accuracy. The wave theory of light is strictly speaking false. Yet, its description of the interference phenomena is a better approximation to the truth than is the relevant description of the theory of luminous molecules. Similar examples can be generated at will. The point then is that instead of abandoning any talk of truth-likeness, since all truth-like assertions are—strictly speaking—false, we had better try to capture as adequately as possible the conditions under which a representation fits as accurately as possible the relevant facts.
One natural way to spell out the intuitive notion is this:
A description D approximately fits a state S (i.e. D is approximately true of S) if there is another state S* such that S and S* are linked by specific conditions of approximation, and D fits S* (D is true of S*).
So, for instance, a theoretical law is approximately true of the world, if it is strictly true in a world which approximates ours under certain conditions. Take, for example, the law of gases, PV =RT . This is approximately true of real gases, since it is true of ideal gases and the behaviour of real gases approximates that of ideal gases under certain conditions.
This is just a skeleton of a theory of truth-likeness. But, it also captures the sound intuitions behind the ‘possible worlds’ approach as well as behind Giere’s views, examined in earlier sections. According to those intuitions, judgements of approximate truth involve some comparison between the actual world (or a description thereof) and the world, or state, described by the theory."
(Psillos, Stathis. Scientific Realism: How Science Tracks Truth. London: Routledge, 1999. pp. 266-8)
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"Ein 'intuitiver' Ansatz
Wahrheitsähnlichkeit ist der Arbeitsbegriff der Wahrheit in der Wissenschaft. In unserer Interaktion mit der Welt lässt sich die exakte Wahrheit im Allgemeinen nicht finden, insbesondere nicht in Bezug auf die unbeobachtbaren und räumlich und zeitlich entfernten Aspekte der Welt. Eine perfekte Übereinstimmung zwischen Theorien und der Realität ist nahezu unmöglich. Dies hat viele Gründe. Die Komplexität und Vernetzung natürlicher Phänomene ist so groß, dass die Natur ohne Idealisierungen und Vereinfachungen nicht effektiv untersucht und in einheitlichen und umfassenden Theorien dargestellt werden kann. Wissenschaftliche Theorien beinhalten viele Idealisierungen, wie Punktmassen und ideale Gase, die eine vereinfachte, aber dennoch leichter untersuchbare Darstellung der Welt ermöglichen. Die Gesetze, die Naturphänomene bestimmen, werden durch die Ausklammerung verschiedener verzerrender Merkmale und Bedingungen dargestellt, wie beispielsweise des Luftwiderstands im Gesetz des freien Falls. Einige Gesetze werden unter bestimmten Näherungsbedingungen und bestimmten Ceteris-Paribus-Annahmen aus anderen abgeleitet. Theoretische Vorhersagen werden anhand experimenteller Ergebnisse überprüft, doch fast kein experimentelles Ergebnis ist fehlerfrei, und fast keine Vorhersage stimmt exakt mit den experimentellen Ergebnissen überein. Die meisten Vorhersagen liegen innerhalb eines noch so kleinen ε vom experimentellen Ergebnis, das selbst eine Fehlerschätzung aufweist. Der Anspruch auf exakte Wahrheit in der Wissenschaft würde bedeuten, alle Näherungen, Vereinfachungen, Idealisierungen, approximativen Ableitungen und Fehlerquellen in Messungen und Berechnungen auszuschließen. Selbst wenn diese Art von Wissenschaft möglich wäre, wäre sie nicht die Wissenschaft, die wir kennen.
Wissenschaftliche Ergebnisse sind jedoch meist selbstkorrigierend. Wissenschaftler spezifizieren nicht nur die Idealisierungen und Näherungen theoretischer Gesetze und Mechanismen, sondern auch so genau wie möglich, inwieweit die Naturphänomene von ihren theoretischen Darstellungen abweichen. Nehmen wir zum Beispiel den Fall, in dem ein Gesetz aus anderen, grundlegenderen Gesetzen abgeleitet wird, z. B. die Ableitung von Keplers erstem Gesetz aus Newtons inversem Quadratgesetz. Diese Herleitung ist streng genommen falsch. Tatsächlich wird aus streng genommen falschen Prämissen, d. h. der Betrachtung der Umlaufbahn des Mars um die Sonne als Zweikörperproblem, die falsche Schlussfolgerung abgeleitet – dass die Umlaufbahn des Mars elliptisch sei. Der Grad der Genauigkeit der Herleitung ist jedoch bestimmbar, ebenso wie die Aspekte und Grade, in denen die Schlussfolgerung, dass die Umlaufbahn des Mars elliptisch sei, von der tatsächlichen Umlaufbahn des Mars abweicht. Hier kommt die Idee der Wahrheitsähnlichkeit in die Wissenschaft. Denn sowohl die Prämissen der Herleitung (d. h. das Zweikörperproblem) als auch ihre Schlussfolgerung (die Umlaufbahn des Mars ist elliptisch) sind in gewissem Sinne wahrheitsähnlich. Beispielsweise sind Keplers Gesetze wahrheitsähnlich, weil sie die Bewegung der Planeten mit hoher Genauigkeit abbilden. Der Zweikörperansatz bei der Ableitung von Keplers erstem Gesetz aus dem Gravitationsgesetz ist wahrheitsähnlich, da die Gravitationseffekte der anderen Planeten auf die Bewegung des Mars im Vergleich zum Gravitationsfeld der Sonne vernachlässigbar sind.
Wenn Wahrheit als Zutreffendheit verstanden wird, d. h. wenn angenommen wird, dass eine Theorie (oder theoretische Beschreibung) genau dann wahr ist, wenn sie auf die Welt zutrifft, dann sollte Wahrheitsähnlichkeit als annähernde Zutreffendheit verstanden werden: Eine Beschreibung, Aussage, ein Gesetz oder eine Theorie sind genau dann wahrheitsähnlich, wenn sie in gewissen Aspekten und Graden mit den Tatsachen übereinstimmen. Thomas Weston hat es treffend formuliert: „Eine Aussage gilt in dem Maße als annähernd wahr, wie sie in dem, was sie behauptet, zutreffend ist“ (1992:54).
Ich nenne den Ansatz, den ich derzeit vertrete, „intuitiv“, weil er unseren Intuitionen über Wahrheitsähnlichkeit so nahe wie möglich kommt. Nach diesen Intuitionen ist eine Theorie approximativ wahr, wenn die Entitäten allgemeiner Art, denen eine zentrale kausale Rolle in der Theorie zugeschrieben wird, existieren und wenn die von der Theorie postulierten grundlegenden Mechanismen und Gesetze unter bestimmten Näherungsbedingungen denen der Welt nahekommen. Das positive Argument für die Behauptung, dass eine falsche Beschreibung eines Gesetzes oder einer Entität wahrheitsähnlich sein kann, lautet: Streng genommen können falsche Beschreibungen durchaus kognitiv bedeutsam sein; sie können besser oder schlechter zu den Tatsachen passen, die sie beschreiben sollen. Sie können ihren beabsichtigten Bereich mit geringer oder hoher Genauigkeit darstellen. Die Wellentheorie des Lichts ist streng genommen falsch. Dennoch ist ihre Beschreibung der Interferenzphänomene eine bessere Näherung an die Wahrheit als die relevante Beschreibung der Theorie der leuchtenden Moleküle. Ähnliche Beispiele lassen sich beliebig generieren. Der Punkt ist also, dass wir, anstatt die Rede von Wahrheitsähnlichkeit aufzugeben, da alle wahrheitsähnlichen Behauptungen – streng genommen – falsch sind, besser versuchen sollten, die Bedingungen, unter denen eine Darstellung möglichst genau zu den relevanten Tatsachen passt, so adäquat wie möglich zu erfassen.
Eine natürliche Art, die intuitive Vorstellung auszudrücken lautet wie folgt:
Eine Beschreibung D trifft approximativ auf einen Zustand S zu (d. h. D ist approximativ wahr für S), wenn es einen anderen Zustand S* gibt, sodass S und S* durch bestimmte Näherungsbedingungen verknüpft sind und D trifft auf S* zu (D ist für S* wahr).
So ist beispielsweise ein theoretisches Gesetz approximativ wahr für die Welt, wenn es in einer Welt, die unsere unter bestimmten Bedingungen approximiert, strikt wahr ist. Nehmen wir zum Beispiel das Gasgesetz PV =RT. Dieses trifft approximativ auf reale Gase zu, da es auch für ideale Gase gilt und deren Verhalten sich unter bestimmten Bedingungen dem von idealen Gasen annähert.
Dies ist nur ein Grundgerüst einer Theorie der Wahrheitsähnlichkeit. Sie erfasst aber auch die fundierten Intuitionen hinter dem Ansatz der „möglichen Welten“ sowie hinter Gieres Ansichten, die in früheren Abschnitten untersucht wurden. Diesen Intuitionen zufolge beinhalten Urteile über approximative Wahrheit einen Vergleich zwischen der tatsächlichen Welt (oder einer Beschreibung davon) und der Welt bzw. dem Zustand, der durch die Theorie beschrieben wird." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]
(Psillos, Stathis. Scientific Realism: How Science Tracks Truth. London: Routledge, 1999. pp. 266-8)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
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Kannst du denn das hören, dass es sich um eine Wasserquelle handelt? Also ich höre da in der Dunkelheit ein Rinnsal plätschern.
Zumal die Wahrscheinlichkeit dafür tatsächlich sehr viel größer ist. Nicht nur das es der Rinnsale sehr viel mehr gibt, auch erstrecken sich diese sehr viel weiter, als Quellen, die man nur vor Ort sprudeln hört. Auch das man kann übrigens mit dem Schießen eines Pfeiles auf eine Zielscheibe vergleichen. Nur das in diesem Fall, im übertragenem Sinn, das Zentrum der Zielscheibe die Quelle darstellt und der Rest das Rinnsal.Consul hat geschrieben : ↑So 6. Apr 2025, 20:33
Man kann das mit dem Schießen eines Pfeiles auf eine Zielscheibe vergleichen: Entweder der Pfeil trifft sie oder er verfehlt sie; aber nicht alle Fehlschüsse sind gleich weit von der Zielscheibe entfernt. Die Sätze "1+1=3" und "1+1=30" sind beide falsch, aber ersterer ist wahrheitsnäher oder wahrheitsähnlicher als letzterer.
Siehe dazu: Truthlikeness: https://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness/
Deutsche Übersetzung:
" Die Dichotomie der Klasse der Propositionen in Wahrheiten und Unwahrheiten muss durch eine feinere Ordnung ergänzt werden – eine, die Propositionen nach ihrer Nähe zur Wahrheit, ihrem Grad an Wahrheitsähnlichkeit oder ihrer Wahrscheinlichkeit klassifiziert.…"
[Google Translate]
Wahrheitsähnlichkeit: https://plato-stanford-edu.translate.go ... r_pto=wapp
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In unsere Interaktion mit der Welt sicherlich nicht, aber in unserer Interpretation der Welt., lässt sich meiner Meinung nach sehr wohl die exakte Wahrheit im Allgemeinen finden. Zumal ich vielmehr das für den Arbeitsbegriff der Wahrheit in der Wissenschaft halten würde.Consul hat geschrieben : ↑Mo 7. Apr 2025, 22:13Hier ist die Auslegung des Begriffs der Wahrheitsähnlichkeit/Wahrheitsnähe des Wissenschaftstheoretikers Stathis Psillos:
Wahrheitsähnlichkeit ist der Arbeitsbegriff der Wahrheit in der Wissenschaft. In unserer Interaktion mit der Welt lässt sich die exakte Wahrheit im Allgemeinen nicht finden, ...