Wie kommt der Neger nach Afrika?

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
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Nauplios

Mi 26. Jul 2017, 21:00

"Im Wahn gibt es immer einen Neger,
einen Juden, einen Chinesen, einen
Großmogul, einen Arier."

(Gilles Deleuze; Schizophrenie und
Gesellschaft
; S. 26)

"Ich habe Afrika gesehen, aber niemals
einen Fuß dorthin gesetzt."

(Jean-Baptiste Labat; 1728)

Wie kommt der Neger nach Afrika? - Fehlen da nicht die Anführungszeichen? Wenn nachfolgend die Rede vom "Neger" ist, dann ist von jener Zuschreibung die Rede, die der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe sich in der Critique de la raison nègre (2013) zu eigen macht. Neger zu sein, ist das Ergebnis eines kolonialen Blicks. Mbembes Kritik der schwarzen Vernunft ist der Versuch, von der "Rückseite der Geschichte" her der Frage auf den Grund zu gehen, wie man diese Zuschreibung zwar einerseits aus Gewohnheit trägt, ohne andererseits die darin enthaltene Beleidigung auszublenden. Der Akt der Identifizierung mit dem Satz "Ich bin ein Neger" ist es, der das Interesse von Mbembe weckt.

Der Neger ist das Ergebnis einer Rassenlogik, die den postkolonialen Diskurs bis heute prägt. Theorien der Ungleichheit zwischen den sogenannten Rassen, die heute im Gewand der "kulturellen Unterschiede" oder der "Nicht-Integrierbarkeit" von Menschen aus "fremden Kulturkreisen" scheinbar gemäßigt daherkommen, pochen darauf, daß die westlich-säkularisierte Welt mit ihren "Werten" im Fall der Zuwanderung aus afrikanischen Ländern ihren eigenen Untergang evoziert, da die "Identität" europäischer Länder auf die Abschottung gegenüber "inkompatiblen" Kulturen angewiesen sei.

Verfolgt man die Quellen, die Mbembe in seiner scharfsichtigen Untersuchung zum Sprechen bringt, stößt man auf Argumentationsmuster, die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin in die 20er Jahre den nationalkolonialen Diskurs kennzeichnen. So ist man zum Beispiel davon überzeugt, daß diejenigen Völker, die eine "Kreuzung" der Rassen zulassen, dem kulturellen Untergang geweiht sind. Die "Schwarzen" vermehrten sich massenhaft; man müsse sie an andere Orte deportieren; von ihnen ginge eine Bedrohung für die weibliche Bevölkerung der "zivilisierten" Gesellschaften aus. Charles Richet (La Sélection humaine; 1919) schlägt vor, männliche Vertreter der schwarzen Rasse zu sterilisieren. In entsprechenden Zeitzeugnissen wird der Afrikaner als Kind dargestellt, als schwachsinniges Kind, dessen Schwachsinn die Folge eines angeborenen Mangels ist. Die "Eingeborenen" verfügen über Grausamkeiten, denen gegenüber die "aufgeklärten" Völker Europas über "zivilisatorische Errungenschaften" verfügen.

Léon Blum sagt am 09. Juli 1925: "Wir glauben, daß die überlegenen Rassen das Recht und sogar die Pflicht haben, jene zu gewinnen, die nicht denselben Grad an Kultur erreicht haben und sie zu den Fortschritten aufzurufen, die dank der Bemühungen der Wissenschaft und der Industrie verwirklicht worden sind." (Erklärung vor der Chambre des députés) - Dieses Muster findet sich im rechtspopulistischen Diskurs dieser Tage erneut abgebildet. Die "zivilisierte" westliche Welt - "zivilisiert" ist sie trotz der Holocaust-Erfahrung - steht vor dem Problem, daß "Horden" von potenten jungen Männern aus Afrika, die aus einer mit "westlichen Werten inkompatiblen Kultur" stammen, aufgrund ihrer "Vermehrungsrate" die "einheimische Bevölkerung" an den Rand drängen, was zu Effekten der "Überfremdung" führt. Und natürlich können die "inkompatiblen Kulturen" den aufgeklären und "säkularisierten" Westen niemals einholen. Ihr Defizit ist ihnen aufgrund ihrer "rückständigen" Religion und Kultur eingeschrieben. - Der Neger wird der Neger bleiben.

Achille Mbembe, Tsenay Serequeberhan, Olufémi Taíwò, Fabien Ebousi Boulaga, Nkiru Nzegwu, Oyèrónké Oyéwùmí ... keiner dieser Namen dürfte einem breiteren philosophischen Publikum in Europa bekannt sein. Und doch werden wir uns, bedingt durch die Flüchtlings- und Migrationsströme der nächsten Jahre und Jahrzehnte darauf einzustellen haben, daß der Diskurs der afrikanischen Philosophie unsere westliche "zivilisierte" Kultur bereichern wird.

"Afrika. Welch ein Land dieses Afrika! Asien hat seine Geschichte, Amerika hat seine Geschichte, selbst Australien hat seine Geschichte, seit es Eingang in das Gedächtnis der Menschheit gefunden hat. Afrika hat keine Geschichte. Eine riesige dunkle Legende umgibt es. [...] Ihr Völker, bemächtigt euch dieses Landes! Nehmt es ein!" - Das schreibt Victor Hugo im Discours sur l´Afrique
(zit. nach Mbembe; S. 140) - Das erinnert sehr an Aussagen von Ayn Rand, die in ihren Büchern die Unterdrückung und das Unrecht gegenüber den Indianern legitimiert. - Der rechtspopulistische Diskurs greift Motive und Elemente des kolonialen Diskurses auf. Darin liegt sein "gemäßigter" Rassismus.




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Jörn Budesheim
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Fr 28. Jul 2017, 06:37

Aber was ist das Antidot? Mbembe: "Nelson Mandela hat die Universalität der Menschenrechte repräsentiert. Nun wissen wir: Es gibt nur eine einzige Welt, und wir sind alle gemeinsam ihre Erben." Ohne Europas Idee der Gleichheit lässt sich die Zukunft nicht denken. "Wir können Europa in unsere Mitte nehmen, die Europäer gehören dazu. Wir sind alle in gewissem Sinne Europäer. Europa lebt in uns allen, in unseren Archiven, in unseren Lektüren, in unserem Verhalten. Aber Europa ist nicht mehr der Kapitän."

Zeit




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iselilja
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So 30. Jul 2017, 16:23

Afrika wird untergehen - diese schwarze geschichtslose Legende. Sie wird in zweierlei Hinsicht untergehen. 1: Afrika wird lernen, seine Geschichte zu schreiben. 2: diese Geschichte wird aber nicht aus der nativen Tradition heraus geschrieben, denn diese wurde bereits mit der Kolonialisierung zerstört. Der Gedanke einer globalen Menschheit erfordert eine Gleichheit, die im Laufe der Zeit authentisch wachsen muss - und sie wächst auch, doch die Richtung des Wachsens steht bereits geschrieben - und Schwarzafrika hat gelernt das Geschriebene zu lesen.

Ich glaube Mbembe weiß dies. Dass sich Afrika in den großen folklorischen Reign integriert.


ps: Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Phänomene, die wir weltweit beobachten können. Eine Art Sehnsucht nach der Vergangenheit. Auch Europa ist von dieser Sehnsucht nicht verschont. Sie äußert sich vielfältig. Ich glaube, der Menschheit wird allmählich und nur sehr schleppend bewußt, dass allerorts die Geschichte zur Folklore wird. Woher kommen sonst all die Mittelalterfeste, woher kommt sonst der Wunsch nach einem arabischen Mittelalter, warum bewundern wir die Weisheit der Indianer Nordamerikas? All das ist Ausdruck einer Sehnsucht nach Identifikation - einer eigenen Geschichte. Auch Afrika weiß, dass es eine Geschichte hat - eine eigene.




Nauplios

Di 1. Aug 2017, 04:44

Ich denke, das Entscheidende ist nicht, ob und wie etwas "untergeht" oder überlebt, sondern daß sich das philosophische Denken in den nächsten Jahren und Jahrzehnten "dekolonialisiert". Europa wird es mit Migrationsbewegungen zu tun bekommen und offensichtlich führt ja einer dieser "Ströme" von Afrika nach Europa. Insbesondere die Unkultur des nationalkonservativen und/oder "identitären" Denkens lebt in der Illusion, etwas aufhalten zu müssen, das natürlich auch die Philosophie betrifft. Aifrikanische Philosophie wird in die europäische Philosophie einwandern. Die Wanderungsbewegungen werden nicht mehr in erster Linie aus "französischen Denkschulen" oder "postanalytischen" Herkunftsländern stammen; dagegen werden es Importe aus dem islamisch-arabischen Raum und afrikanischen Raum sein, die den philosophischen Diskurs in Europa bereichern werden. Man sieht das bereits in der Literatur und in Ansätzen auch in der Philosophie. Das mit "Islamisierung des Abendlandes" zu umschreiben, ist Ausdruck einer Hysterie. Und diese Hysterie erspürt aber durchaus, daß Veränderungen möglich sind; Veränderungen, welche die einen als Bedrohung empfinden, welche die anderen jedoch neugierig und aufgeschlossen machen.

Der "identitäre" Diskurs kommt ja bis heute nicht über Chiffren hinaus. Niemand weiß, was das ist, die "Identität" einer deutschen Kultur. Die Wiege der deutschen Kultur steht in Griechenland, genauer gesagt in Kleinasien. Ionien - das liegt ja nicht in der schwäbischen Alb. Europa - kommt aus Syrien. Dieser ganze Schwachsinn von der "Inkompatibilität" des "Kulturfremden" offenbart ja die Wiederaufnahme einer kolonialen Sichtweise, die sich Kultur als Entwicklung auf einer Zeitstrecke vorstellt, auf der Europa und der Westen der afrikanischen und arabischen Welt um Jahrhunderte voraus sind. Dieser postkoloniale Blick ("Wir sind euch voraus") optiert immer für die Abwertung des "Fremden". Menschenverachtung und Rassismus wohnen ihm inne. Das ist kein offener Rassismus, der da gepflegt wird, sondern ein inhärenter, der sich seiner selbst nicht bewußt ist. Durch diesen Rassismus kommt der Neger nach Afrika.




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Jörn Budesheim
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Di 1. Aug 2017, 06:26

"Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Vernunft" Ich habe mir mal eine Leseprobe des Autoren besorgt und kopiere hierher mal seine Definition von Neoliberalismus, die ich ganz interessant finde. (Der besseren Leserlichkeit halber füge ich nach Gutdünken ein paar Absätze ein und entferne die Hinweise auf die Fußnoten.)

"Der Neoliberalismus steht für das Zeitalter, in dem Kapitalismus und Animismus, die man so lange unter Schwierigkeiten auseinanderzuhalten versuchte, dahin tendieren, eins zu werden. Da der Kreislauf des Kapitals jetzt vom Bild zum Bild führt, ist das Bild zu einem Beschleunigungsfaktor der Triebenergien geworden. Aus der potenziellen Verschmelzung des Kapitalismus mit dem Animismus ergeben sich Folgen, die unser zukünftiges Verständnis der Rasse und des Rassismus bestimmen. Zunächst einmal sind die systemischen Risiken, denen zu Zeiten des Frühkapitalismus nur die Neger ausgesetzt waren, inzwischen vielleicht nicht die Norm, aber zumindest doch das Schicksal aller subalternen Menschengruppen. Sodann geht diese tendenzielle Universalisierung der conditio nigra einher mit der Entstehung bislang unbekannter imperialer Praktiken.

Diese Praktiken orientieren sich am Vorbild der Sklavenlogiken des Fangens und Erbeutens, ebenso wie an den kolonialen Logiken der Besetzung und Ausbeutung, also der Bürgerkriege oder Raubzüge früherer Zeitalter.Bei den auf Besetzung zielenden und den der Aufstandsbekämpfung dienenden Kriegen geht es nicht nur darum, den Feind aufzuspüren und zu liquidieren, sondern auch eine Aufteilung der Zeit und eine Atomisierung des Raumes herbeizuführen. Da ein Teil der Arbeit nun darin besteht, das Reale in Fiktion und die Fiktion in Realität zu verwandeln, werden militärische Mobilmachung aus der Luft, die Zerstörung der Infrastruktur, die Schläge und Verwundungen nun von einer totalen Mobilmachung durch Bilder begleitet.

Die Bilder sind damit nun Teil der Dispositive einer Gewalt, die sich als rein versteht. Außerdem gehen Fangen, Erbeuten, Ausbeutung und asymmetrische Kriege einher mit einer Rebalkanisierung der Welt und einer Intensivierung von Praktiken der Einteilung in Zonen – worunter man eine bislang unbekannte Komplizenschaft zwischen dem Ökonomischen und dem Biologischen zu verstehen hat. Konkret zeigt sich diese Komplizenschaft in der Militarisierung der Grenzen, in der Zerstückelung der Territorien, ihrer Aufteilung und der Schaffung mehr oder weniger autonomer Räume innerhalb eines bestehenden Staates, die sich zuweilen jeglicher Form nationaler Souveränität entziehen, aber unter dem informellen Gesetz einer Vielzahl fragmentierter Autoritäten und privater bewaffneter Mächte oder unter dem Schutz internationaler Körperschaften mit vorgeschobenen oder realen humanitären Zielsetzungen oder einfach ausländischer Armeen operieren.

Eine derartige Schaffung von Zonen geht in der Regel einher mit einer transnationalen Vernetzung der Repression, einer ideologischen Gleichschaltung der Bevölkerung, dem Einsatz von Söldnern gegen lokale Guerillas, der Aufstellung von »Greifkommandos«, dem systematischen Einsatz von massenhafter Inhaftierung, Folter und außergesetzlichen Hinrichtungen. Mit Hilfe solcher Praktiken der Zonenbildung produziert ein »Imperialismus der Desorganisation« Katastrophen und vervielfältigt nahezu überall den Ausnahmezustand, wobei er sich selbst von der Anarchie nährt. Durch Verträge zum Zweck des Wiederaufbaus und unter dem Vorwand, Unsicherheit und Unordnung zu bekämpfen, legen ausländische Firmen, Großmächte und einheimische herrschende Klassen die Hand auf Reichtümer und Bodenschätze der solcherart zu Vasallen gemachten Länder.

Massive Vermögenstransfers in Richtung privater Interessen, die Enteignung eines wachsenden Teils der durch frühere Kämpfe dem Kapital entrissenen Reichtümer, die endlose Abzahlung von Schuldentranchen – die Gewalt des Kapitals trifft nun auch Europa selbst, wo eine neue Klasse strukturell verschuldeter Männer und Frauen erscheint. Noch charakteristischer für die potenzielle Verschmelzung des Kapitalismus mit dem Animismus ist die deutlich erkennbare Möglichkeit einer Verwandlung der Menschen in belebte Dinge, in digitale Daten und Codes. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit verweist der Name Neger nicht mehr nur auf die Lage, in die man die Menschen afrikanischer Herkunft in der Epoche des Frühkapitalismus brachte (Enteignungen unterschiedlicher Art, Beraubung jeglicher Möglichkeit der Selbstbestimmung und vor allem der Zukunft und der Zeit, dieser beiden Matrizen des Möglichen). Diese neue Fungibilität, diese Löslichkeit, deren Institutionalisierung als neue Daseinsnorm und ihre Generalisierung für den gesamten Planeten meinen wir, wenn wir sagen, die Welt werde schwarz." (Achille Mbembe)




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Jörn Budesheim
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Di 1. Aug 2017, 06:31

Der Epilog des Buches heißt übrigens "Es gibt nur eine Welt."




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Jörn Budesheim
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Di 1. Aug 2017, 08:47

Kleiner Hinweis am Rande: In diesem Thread treffen sich mehr oder weniger direkt ein paar andere Themen.
  • Hegel scheint ein wichtiger Gewährsmann beispielsweise für Mbembe zu sein :-) Ich hab jetzt zwei oder drei Texte von oder über ihn gelesen und Hegel tauchte da stets auf, das dürfte kein Zufall sein.
  • Das Thema Kolonialismus ist eins der zentralen Themen der 14. documenta!
  • und in gewisser Hinsicht verdankt sich DIA-LOGOS dieser List der Vernunft, wenn man so will :-)




Nauplios

Fr 11. Aug 2017, 02:06

Über die Demokratie in Amerika erschien 1835; ein Jahr später wurde das Werk ausgezeichnet mit dem Prix Montyon der Académie francaise, deren Mitglied Tocqueville 1841 wurde. Darin heißt es über den Neger:

"[Er] bewundert seine Tyrannen noch mehr als er sie haßt, er findet seine Freude und seinen Stolz darin, seine Unterdrücker knechtisch nachzuahmen. [Ihm sei] die Sorge um sein eigenes Los abgenommen, selbst der Gebrauch des Denkens erscheint ihm als nutzloses Geschenk der Vorsehung und er genießt friedlich alle Vorrechte seiner Erniedrigung." (S. 368) - Seine Herrschaft hingegen lebt in beständiger Angst, vom Negersklaven getötet zu werden. Auch die Abschaffung der Sklaverei hat Mbembe zufolge an dieser Grundkonstellation wenig geändert. Für Tocqueville gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder die Vermischung der Rassen, die aber nicht unter Verhältnissen einer Demokratie zu erwarten sei, sondern nur unter dem Diktat eines despotischen Regimes oder - und deshalb wahrscheinlicher - durch die Absonderung der Weißen. Genau genommen müsse man die Neger in ihre Heimat, die aber keine Heimat mehr sei, zurückbringen, nach Afrika. Die Neger müßten aus der Neuen Welt verschwinden. Andernfalls käme es zum Untergang einer der beiden Rassen, entweder der Weißen oder der Neger. -

Tocquevilles Konzept einer Trennung der Rassen verbindet sich eng mit einem anderen Gedanken des westlichen Blicks auf die Weltgeschichte, dem der "Zivilisation". Zivilisationsgewinne werden danach gefährdet und bedroht durch die Anwesenheit und gar Vermischung "fremder Kulturen". Die Rasse ist danach letztlich die Grundlage für die Nation, ihr Territorium, das gleichsam in einem Meer der Unzivilisiertheit ein insulares Dasein führt, und ihre Kultur. - Nun könnte man meinen, ein staatsphilosophisches Werk aus dem Jahre 1835 habe in unseren Tagen wenig Bestand. Doch man urteile selbst. Tommy (Schmunzelmonster) hat soeben auf das entsprechende Statement im Nachbarforum kritisch repliziert.




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iselilja
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Fr 11. Aug 2017, 15:49

Nauplios hat geschrieben :
Di 1. Aug 2017, 04:44
Ich denke, das Entscheidende ist nicht, ob und wie etwas "untergeht" oder überlebt, sondern daß sich das philosophische Denken in den nächsten Jahren und Jahrzehnten "dekolonialisiert". Europa wird es mit Migrationsbewegungen zu tun bekommen und offensichtlich führt ja einer dieser "Ströme" von Afrika nach Europa. Insbesondere die Unkultur des nationalkonservativen und/oder "identitären" Denkens lebt in der Illusion, etwas aufhalten zu müssen, das natürlich auch die Philosophie betrifft. Aifrikanische Philosophie wird in die europäische Philosophie einwandern.
Hm. Also ich würde garnicht so sehr Wert auf den Blickwinkel der Migration legen, wo es doch m.E. um das Selbstverständnis afrikanischer Philosophie geht. Sicher wirkt dieser Prozess der Migration - auch nachhaltig, aber ich halte ihn nicht für den wesentlichen Aspekt dabei. Wenn es lediglich darum ginge, dass afrikansiche Philosophie sich im postkolonialen Exportbewußtsein einer an sich europäischen Replikenphilosophie einen Platz im globalen Reigen sucht, käme das Auftreten der schwarzen Vernunft einem Kunstwerk gleich, das 100 Jahre zu spät sich selbst analysiert. Es wäre verfälschte Folklore ohne Authentizität. Afrika muss sich selbst einbringen, wenn es sich nicht selbst verlieren will.


ps: ich würde das so verstehen: Die kulturelle Vielfalt ist womöglich das Einzige, was eine globale Gesellschaft vor der globalen Depression bewahren kann. Doch diese Vielfalt muss echt sein, sonst kann sie nicht wirken.




Nauplios

Fr 11. Aug 2017, 20:38

Ich stimme Dir im Wesentlichen zu, Iselilja. Afrikanische Philosophie, das hat ja (ich gehe mal jetzt nur allein von mir aus) etwas Exotisches. Für mich nahm die Philosophie ihren Ausgang von Thales und den ionischen Philosophen. In manchen Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie ist dies Anfang und Ursprung (Heidegger zum Beispiel legt den Fokus sehr auf diesen Aspekt) der Philosophie schlechthin. Afrika als Kontinent taucht in der europäischen Philosophiegeschichtsschreibung schlechterdings nicht auf, vielleicht noch das alte China, aber nicht Afrika. - Schaut man bei Tocqueville nach, aber auch bei Kant, bei Hegel ... , dann ist Afrika eine terra incognita, der Afrikaner ein Wesen zwischen Mensch und Tier, zur Vernunft gar nicht fähig, geschweige denn zur Philosophie begabt. Lange Zeit hat man (gar nicht unähnlich der Einschätzung der Frauen) den Neger für unfähig gehalten, sich mit Fragen der Vernunftkritik, Logik u.ä. überhaupt angemessen zu befassen. Wenn wir heute diese Texte (Tocqueville, Kants Anthropologie u.a.) lesen, dann wischt man all das schnell beiseite als für den Gang der philosophischen Debatte skurril und letztlich unbedeutend. Nun ist der Standpunkt von Mbembe ein anderer; er sagt, daß "Afrika" und der "Neger" europäische Schablonen sind, die sich die Menschen in Afrika gleichsam zu eigen gemacht haben. Und im Zuge einer ökonomischen Globalisierung (wozu letztlich auch Migrationsbewegungen gehören) werden nun die Karten - wenn man das mal so salopp sagen darf - neu gemischt. Aus der Kenntnis der Geschichte (der politischen, aber auch der Ideengeschichte) heraus, ergeben sich für Mbembe neue Gesichtspunkte auf die Philosophie - auch auf die Philosophie der kontinental-europäischen Herkunft.

Sofern wir uns als Europäer verstehen, ist der nächste Nachbar - Afrika. Die Abschottung gegenüber Migranten und Flüchtlingen (z.B. aus dem muslimischen Afrika) geht oft auch einher mit der Abschottung gegenüber kulturellen Beständen. Afrika ist in Bewegung. Ebenso der arabische Raum. Unser Blick auf die Welt der Philosophie, der Literatur, der Kunst ... sollte auch in Bewegung sein. "Die Welt rückt näher", sagt der Kabarettist Gerd Dudenhöffer. Die Angst vor dem Untergang der europäischen oder deutschen Kultur ist ja in der Tat auch in Kreisen zu spüren, denen man das eigentlich gar nicht zutraut. Der Islam überrollt uns, ist zu hören. Flüchtlinge und Migranten stehen im Verdacht, aus einer Kultur zu kommen, die "inkompatibel" mit den "westlichen Werten" ist. Ich glaube, daraus schaut letztlich nichts anderes als der zwei Jahrhunderte alte Rassismus Tocquevilles und anderer. Wir sollten die eigenen Bestände durchforsten. Und die Globalisierung samt Migrationsbewegung wird dieses Jahrhundert - das philosophische Denken dieses Jahrhunderts - auf eine ganz andere Weise beeinflussen und prägen wie wir es aus dem vergangenen Jahrhundert kennen. Menschen kann man (eine Zeitlang) an einer Grenze zurückweisen, Gedanken nicht. In unseren Zeiten schon gar nicht. Deswegen muß man die eigenen kulturellen Traditionen nicht aufgeben. Um Gottes willen. Jedoch muß man damit rechnen, daß Kategorien wie das "Eigene" und das "Fremde" an Konturschärfe verlieren. - Die Welt rückt näher. :-)




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Jörn Budesheim
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Do 10. Mai 2018, 20:33

Mbembe hat geschrieben : "Nelson Mandela hat die Universalität der Menschenrechte repräsentiert. Nun wissen wir: Es gibt nur eine einzige Welt, und wir sind alle gemeinsam ihre Erben." Ohne Europas Idee der Gleichheit lässt sich die Zukunft nicht denken. "Wir können Europa in unsere Mitte nehmen, die Europäer gehören dazu. Wir sind alle in gewissem Sinne Europäer. Europa lebt in uns allen, in unseren Archiven, in unseren Lektüren, in unserem Verhalten. Aber Europa ist nicht mehr der Kapitän."
Ich will diesen Thread mal in Erinnerung bringen. Er passt sehr gut zu zwei Themen: "Biographische Philosophie" und "Sokrates hätte mit jedem geredet" in dem zwar viel die Rede von westlicher und östlicher Philosophie, aber Afrika spielt auch dort keine herausragende Rolle.




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Jörn Budesheim
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Fr 14. Sep 2018, 11:37

Hier ein Interview mit Mbembe >

Achille Mbembe: "Identitätspolitik ist Opium für das Volk"

VON WOLFGANG SCHÜTZ

Achille Mbembe, der wichtigste Denker Afrikas, sagt, wir haben größere Probleme, als uns um den inneren Zusammenhalt zu sorgen. Es geht um das Menschsein.

Wer Achille Mbembe beim Nachdenken über die Welt zuhört, sieht sie danach anders. Die Kraft seiner Sätze legt erstaunliche und beunruhigende Erkenntnisse frei. Diese Wirkung, die er auch in Büchern wie "Die Kritik der schwarzen Vernunft" und "Die Politik der Feindschaft" entfaltet, hat dem Politikphilosophen, der aus Kamerun stammt und nun in Südafrika lehrt, bereits weltweite Aufmerksamkeit verschafft. Derzeit lehrt er für zwei Wochen als Gastdozent am Jakob-Fugger-Zentrum der Universität Augsburg. Aber als der vielfach, unter anderem auch mit dem Geschwister-Scholl-Preis, ausgezeichnete Denker zum Gespräch im Domhotel empfängt, frappiert zunächst vor allem: Unglaublich, dass Achille Mbembe schon 60 Jahre alt sein soll! Aber zur Sache.

Politiker erzielen derzeit in vielen Ländern Erfolge damit, zu sagen: Wir haben selber genug mit den Herausforderungen von Globalisierung und Digitalisierung zu kämpfen, wir können nicht auch noch die Verantwortung für die Welt und die Flüchtlinge aus Afrika schultern. Also unterstützen wir euch mit Milliarden Entwicklungshilfe – dafür haltet ihr uns eure Probleme vom Hals. Was antworten Sie?

Hier weiter lesen: https://m.augsburger-allgemeine.de/kult ... 77901.html




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