Ludwig Wittgenstein über Privatsprache

Gemeinsame Lektüre und Besprechung philosophischer und anderer Literatur.
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Alethos
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So 18. Mär 2018, 17:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 16:06
Tosa Inu hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 15:50
Was ist denn Deiner Meinung nach eine Privatsprache?
Eine Sprache wie in dem Szenario über innere Gefühlszustände, die nur die Sprecherin selbst verstehen kann. Privat ist das Gegenstück zu Öffentlich. Was verstanden werden KANN ist öffentlich.
Aber, daraus folgt, dass das, was prinzipiell nicht durch Verständigung geteilt, also verstanden wird, privat ist.

Die Behauptung ist ja nicht die, dass eine Sprache prinzipiell unverständlich bleiben muss, sondern kann. Es ist möglich, das es ein individuum gibt in den tiefsten Wäldern von Nebraska, das noch keinen Menschen je gesehen und keine Sprache je gehört hat. Und diese Sprache, die er entwickelt, diese Begriffe, die er anzuwenden beginnt, sie mögen nur ihm vermittelbar sein, aber sie dienen ihm der sprachlichen Kodierung und damit der Verallgemeinerung. Seine Sprache ist eine Sprache der Öffentlichkeit, die er mit sich selbst bildet.
Diese Privatsprache zerfällt in jenem Moment, wo sie durch andere verstanden zu werden beginnt, indem sie sozusagen in die soziale Öffentlichkeit überführt wird und dadurch das Prädikat des Privaten verliert.

Aber du hast recht: Unsere Sprache ist multidimensional bestimmt durch Sozietät, Historizität, durch Etymologie, durch die Relationalität der Sprechenden und des betreffenden Objekts. Diese unsere Sprache ist eine öffentliche Sprache.



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Jörn Budesheim
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So 18. Mär 2018, 17:50

Alethos hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 17:46
Die Behauptung ist ja nicht die, dass eine Sprache prinzipiell unverständlich bleiben muss, sondern kann.
Ich verstehe den Begriff der Privatsprache anders. Nur die Sprecherin selbst kann sie verstehen. Das ist die Idee dabei. Und wenn ich Wittgenstein richtig versteh, dann will er zeigen, dass nicht mal die Sprecherin sie verstehen kann, weil so eine Sprache logisch unmöglich ist.




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Alethos
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So 18. Mär 2018, 18:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 17:50
Alethos hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 17:46
Die Behauptung ist ja nicht die, dass eine Sprache prinzipiell unverständlich bleiben muss, sondern kann.
Ich verstehe den Begriff der Privatsprache anders. Nur die Sprecherin selbst kann sie verstehen. Das ist die Idee dabei. Und wenn ich Wittgenstein richtig versteh, dann will er zeigen, dass nicht mal die Sprecherin sie verstehen kann, weil so eine Sprache logisch unmöglich ist.
Das sind zwei Behauptungen in einer :)
Es ist einsichtig, dass eine Privatsprache keine Privatsprache sein kann, sobald sie von jemand anderem als der einen Sprachanwenderin verstanden wird. Denn die Privatheit in diesem Sinne hört auf zu sein, sobald eine Zweiheit oder Mehrheit von Individuen an ihr beteiligt sind.
In diesem Sinn, dass eine Privatsprache aufgrund ihrer Verstehbarkeit durch andere logisch unmöglich ist, kann der Aussage, es gebe keine Privatsprachen, zugestimmt werden.
Hier muss einfach nochmal erwähnt sein, finde ich, dass diese Verstehbarkeit durch andere auch ausgeschlossen werden kann, z.B. durch die Verhinderung des Zusammenkommens zweier oder mehrerer Individuen in dieser Sprache.

Die zweite Behauptung leuchtet mit keinem guten Grund ein. Eine Sprache, die in keiner Weise auf bestehende Definitionen zurückgreifen muss, sondern die sich ursprünglich aus sich selbst formt, ist empirisch möglich, sie kann also nicht logisch unmöglich sein. Es ist eine theoretische Versuchsanordnung denkbar, in welcher sich ein zur Sprache fähiges Wesen absolut isoliert von sprachlicher Präinformation entwickelt und in diesem Rahmen beginnt, eine Sprache zu kreieren, die zwar prinzipiell verstehbar ist, aber solange nicht verstehbar ist, als sich niemand ausser dieser Person selbst mit dieser Sprache auseinandersetzt. Diese Sprache ist eine Privatsprache, denn sie ist nicht öffentlich.

Nun würde ich das Argument gegen Privatsprachen verstehen, wenn es darauf aufbaute zu sagen, dass jede Sprache, sofern sie sich auf die Umwelt bezieht, also in gewissem Sinne anthropologische Konstanten zu ihrer Entwicklung heranzieht, einen gemeinsamen Grund in Welt hat. Die Tatsache, dass die entwickelte Privatsprache z.B. auf eine gemeinsam gegebene Welt, auf ein gemeinsam gegebenes Aussen als Öffentlichkeit referenziert, könnte man als Indiz dafür nehmen, dass auch Privatsprachen öffentlich sind, weil sie sich bei der Begriffsbildung einer Öffentlichkeit bedienen, wenn nicht der intersubjektiv-sozialen, so doch der ontischen der gegenständlichen Welt.

Dieses Argument führt aber Wittgenstein nicht ins feld, wenn ich das richtig sehe.

Nun bleibt also zu erklären, warum eine Sprache, die nur einer spricht, weniger dazu geeignet sei, sich ein Kriterium für richtig und falsch zu geben als eine Sprache, die viele sprechen. Auch in einer öffentlichen Sprache liegt das Kriterium für richtig und falsch nur in der Hypothese, dass uns die Sprachspiele tatsächlich gelingen und Kommunikation möglich sei.
Dass die Regeln im öffentlichen Sprachgebrauchs durch gegenseitige Prüfung der an der Kommunikation Beteiligten objektiver sein sollen als die Regeln eines Subjekts, das Privatsprache betreibt, ist nicht stichhaltig. Nicht die Menge der Individuen, ob eines Individuums oder einer Milliarde, sorgt für die Richtigkeit qua Regel, sondern die Konstanz und Diszipliniertheit der Regelanwendung durch den oder die Sprachverwender selbst.
Das Kriterium der Richtigkeit einer Sprachregel ist daher nicht verlässlich durch die intersubjektive Fundierung, sondern durch die objektive Praxis ihrer Anwendung. Und es bedürfte hier eines Beweises für die Behauptung, dass ein Subjekt allein diese Stringenz prinzipiell nicht zu leisten vermöge.



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Jörn Budesheim
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So 18. Mär 2018, 20:39

Georg W Betram hat geschrieben :
Fr 16. Mär 2018, 14:35
"Wittgensteins Privatsprachenargument hat einen sonderbaren Status in der philosophischen Diskussion erlangt. Offenbar sind die meisten Philosophen der Ansicht, dass das Gedankenexperiment erfolgreich zeigt, was es zeigen soll, während gleichzeitig große Uneinigkeit darüber herrscht, was genau es eigentlich zeigen soll. In erster Linie herrscht Uneinigkeit dar­über, auf was es bei dem Gedankenexperiment wesentlich an­kommt. Geht es vor allem darum, dass es sich bei der hypothe­tischen privaten Sprache um die Sprache einer einzigen Spre­cherin handelt, oder geht es wesentlich darum, dass sie sich auf ihre inneren Empfindungen beziehen soll? Geht es um die Fra­ge, ob eine Sprecherin, die bereits eine öffentliche Sprache be­herrscht, sinnvolle Privatwörter erfinden könnte, oder um die Frage, ob die erste Sprache eines Menschen eine Privatsprache sein könnte? Weiterhin ist auch der methodische Status des Gedankenexperiments umstritten: Es sieht zunächst so aus, als ob Wittgenstein für die Wahrheit der These »Eine private Spra­che ist unmöglich« argumentieren wolle. Bei näherer Betrach­tung verhält es sich jedoch mit dem Traum von einer privaten Sprache ähnlich wie mit dem Traum von einem viereckigen Dreieck: Die Wortkombination »viereckiges Dreieck« sieht grammatisch korrekt aus und erweckt daher die Illusion, einen verständlichen Inhalt auszudrücken, ist aber tatsächlich sinnlos. Analog wäre auch der Satz »Eine private Sprache ist möglich« nicht falsch, sondern sinnlos. Dann wäre aber auch das Gegen­teil dieses Satzes (»Eine private Sprache ist unmöglich«) nicht etwa wahr, sondern ebenfalls sinnlos. Der Traum von einer pri­vaten Sprache wäre dann ein Traum von nichts - oder, um eine Formulierung Kants aufzunehmen: weniger noch als ein Traum." (Georg W. Bertram in "Philosophische Gedankenexperimente")
Ich plädiere daher dafür, dass wir etwas behutsamer ans Werk gehen. Es ist schwer zu glauben, dass wir in fünf dutzend Beiträgen mehr rausbekommen als die versammelte Philosophenschaft in fünf Jahrzehnten :-)




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Jörn Budesheim
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So 18. Mär 2018, 21:34

Zu 15955 werde ich in den nächsten Tagen hoffentlich etwas schreiben können :) während du auf der Messe bist.




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Jörn Budesheim
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Mo 19. Mär 2018, 06:15

Segler hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 10:45
Du musst mindestens eine öffentliche Sprache beherrschen, ehe Du eine solche Privatsprache entwickeln kannst. Ehe Du mindestens eine öffentliche Sprache erlernt hast, verfügst Du nicht über Begriffe, also kannst Du solche auch nicht Phänomenen zuweisen.
Ich stimme deinen Ausführung zu, insbesondere der Verweis auf Descartes und die ganze subjektivistische Tradition ist wichtig.

Bei dem obigen Zitat habe ich jedoch bedenken. Eine Sprache ist nicht so etwas wie ein Kleidungsstück, dass man einfach an- oder ausziehen kann. Meines Erachtens ist Wittgensteins Gedankenexperiment nichts, was man mit einer Art empirischen Untersuchung nachvollziehen könnte. Es geht eher darum, subjektivistische und antiholistische Sprachkonzeption zu kritisieren, weil sie auf gewisse begrifflich konzeptuelle Probleme stoßen.

Wer eine öffentliche Sprache erlernt hat, und andere gibt es nicht, der kann nicht danach eine private sozusagen oben drauf satteln, die unabhängig von dem antisubjektivistischen und holistischen Programm läuft.




Franz Maria Arwee
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Mo 19. Mär 2018, 12:36

Eine ideale Sprache kann es nicht geben, denn diese müßte bleiben wie sie ist und wäre folglich nicht entstanden. Diese Vorstellungen beruhen auf einem mechanistischen Weltbild.
Sprache ist die Folge von (Er)Leben und nicht umgekehrt. Das Erlebte drückt sich in (reduzierten) Begriffen und daraus gebildeten Aussagen aus.
Kein Mensch kann das abstrakt Erlebte noch einmal konkret erleben.




Franz Maria Arwee
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Mo 19. Mär 2018, 12:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 20:39
Ich plädiere daher dafür, dass wir etwas behutsamer ans Werk gehen. Es ist schwer zu glauben, dass wir in fünf dutzend Beiträgen mehr rausbekommen als die versammelte Philosophenschaft in fünf Jahrzehnten :-)
Für mich sind (mittlerweile) Philosophen das Problem, das sich zur Lösung erklärt hat:

Das Problem, eine Illusion, kann nicht gleichzeitig die Lösung, die Wirklichkeit, sein.




Tosa Inu
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Mo 19. Mär 2018, 14:15

Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 12:40
Für mich sind (mittlerweile) Philosophen das Problem, das sich zur Lösung erklärt hat:

Das Problem, eine Illusion, kann nicht gleichzeitig die Lösung, die Wirklichkeit, sein.
Der Auffassung war allerdings schon Wittgenstein. ;)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mo 19. Mär 2018, 14:18

Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 12:36
Eine ideale Sprache kann es nicht geben, denn diese müßte bleiben wie sie ist und wäre folglich nicht entstanden. Diese Vorstellungen beruhen auf einem mechanistischen Weltbild.
Sprache ist die Folge von (Er)Leben und nicht umgekehrt. Das Erlebte drückt sich in (reduzierten) Begriffen und daraus gebildeten Aussagen aus.
Kein Mensch kann das abstrakt Erlebte noch einmal konkret erleben.
Wie so oft, ja und nein.
Sprache kann ja den Blick auf darauf wenden, hier und da mal hinzuspüren. Man erlebt dann was, aber u.U. weil man zuerst den Begriff dafür hatte.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mo 19. Mär 2018, 15:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 16:06
Tosa Inu hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 15:50
Was ist denn Deiner Meinung nach eine Privatsprache?
Eine Sprache wie in dem Szenario über innere Gefühlszustände, die nur die Sprecherin selbst verstehen kann. Privat ist das Gegenstück zu Öffentlich. Was verstanden werden KANN ist öffentlich.
Wie Alethos schon m.E. richtig anmerkte, ist der zu klärende Punkt ein anderer. Ich versuch's mal systematisch:
Du sagst, was verstanden wird, kann ja offenbar verstanden werden unnd demnach keine Privatsprache sein.
Denn Privatsprache ist jene, die nur einer versteht.

Der Punkt ist aber nun gar nicht, da dies einfach nur eine Tautologie darstellen würde, ob die Privatsprache des A in dem Moment keine mehr ist, wenn B sie versteht, der Punkt, den Wittgenstein machen möchte, ist, dass es nach ihm unmöglich ist, dass A diese private Sprache konstruieren kann. (So habe ich das jedenfalls bislang verstanden.)

Bislang sind wir uns weitgehend einig, dass Wittgensteins Begründung dafür ist, dass das, was man intuitiv zum Zentrum der Konstituierung einer Privatsprache machen würde - mein Welterleben, mein inneres Empfinden - eben gar nicht logisch primär ist, sondern ich mir ein Wissen über meine inneren Zustände: dass ich Schmerzen habe, trautig bin, glücklich bin ... erst aneignen muss. Und zwar, durch die Verknüpfung von öffentlich bereits vorhandenen Begriffen und dazu passenden Verhaltensweisen (als Ausdruck innerer Zustände), die ich dann auch bei mir entdecke: Tränen kullern über meine Wangen, ich schluchze und mein Körper bebt --> Ich muss wohl traurig sein, da alle dieses Verhalten "Trauer" nennen.
Und damit ist nicht gemeint, dass man erst, wenn man das passende Wort kennt, Trauer oder Schmerzen empfinden kann, sondern, dass man etwas über seine inneren Zustände, nämlich, wie diese von anderen genannt werden, weiß. Darum geht es bei Wittgenstein. Und daher sagt er, dass das was ich weiß, auch jeder andere wissen kann.

DIe Behauptung lautet nun, dass es unmöglich ist, sich diese Bereiche sprachlich zu erschließen, wenn man nicht bereits eine vorhandene Sprache zur Verfügung hat. Vielleicht ist diese Behauptung ja gar nicht das, was Wittgestein meinte, aber wenn es die Behauptung ist, ist die m.E. nicht plausibel, denn:
Irgendwann einmal hat jemand genau das getan, was angeblich nicht geht, nämlich seiner Innenwelt Ausdruck verliehen. Der Einwand, dass dies keine Privatsprache sein könne, wenn ein anderer Mensch diesen Ausdruck versteht, trifft nicht die Argumentationslinie von Wittgenstein, der nämlich einfach sagt: Ohne Sprache, kein Erschließen der Innenwelt. Das ist der Punkt, den glaube ich auch Alethos meint.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Franz Maria Arwee
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Mo 19. Mär 2018, 21:53

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 14:18
Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 12:36
Eine ideale Sprache kann es nicht geben, denn diese müßte bleiben wie sie ist und wäre folglich nicht entstanden. Diese Vorstellungen beruhen auf einem mechanistischen Weltbild.
Sprache ist die Folge von (Er)Leben und nicht umgekehrt. Das Erlebte drückt sich in (reduzierten) Begriffen und daraus gebildeten Aussagen aus.
Kein Mensch kann das abstrakt Erlebte noch einmal konkret erleben.
Wie so oft, ja und nein.
Sprache kann ja den Blick auf darauf wenden, hier und da mal hinzuspüren. Man erlebt dann was, aber u.U. weil man zuerst den Begriff dafür hatte.
Das sind Kartenhäuser, die nur einen Windhauch benötigen, um einzustürzen.

Sprache ist der Mittler eines Sachverhaltes und nicht der Sachverhalt selbst. Dem Sachverhalt ist es wurscht, wie er benannt wird.

Wie wollt ihr euch etwas vorstellen, das bleibt wie es ist?
Wie wollt ihr euch das _Nichts_ vorstellen?
Wo und wann wollt ihr es anschauen?




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Di 20. Mär 2018, 05:54

Ludwig Wittgenstein hat geschrieben : »Und nun können wir […] sagen: Augustinus beschreibe das Lernen der menschlichen Sprache so, als käme das Kind in ein fremdes Land und verstehe die Sprache des Landes nicht; das heißt: so als habe es bereits eine Sprache, nur nicht diese.«
Dieses Problem ist nicht leicht zu umgehen, wenn wir uns vorstellen wollen, wie der Spracherwerb funktioniert. Denn schließlich können wir als kompetente Sprecher nicht aus unserer Haut heraus. Wir verfügen bereits über alle (öffentlichen) Hintergrund-Fähigkeiten, über die man verfügen muss, um eine Sprache zu sprechen. Und dann fällt es "leicht", sich die Sprache so vorzustellen, als sei sie im wesentlichen nach dem Muster Ding und Bezeichnung gebaut. Wenn wir uns also vorstellen, dass der geborene Robinson Crusoe für sich alleine eine Sprache erfindet, dann stellen wir uns eben diesen Crusoe möglicherweise genauso vor jemand der eine Fremdsprache lernt.

Eine andere Frage ist, wie viel von den Fähigkeiten, die wir benötigen, um sprechen zu lernen, wir bereits mitbringen. Wir sind schließlich von unserer kompletten Bauweise her keine reinen Privatwesen, sondern immer auch auf andere gerichtet. Warum sollte unsere Fähigkeit sprechen zu lernen, eine Ausnahme darstellen?




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Di 20. Mär 2018, 06:06

Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 21:53
Dem Sachverhalt ist es wurscht, wie er benannt wird.
Für manche Sachverhalte mag das gelten. Jedoch ist es in dieser Allgemeinheit mit Sicherheit falsch. Falsch ist es für viele Sachverhalte, die uns selbst betreffen. Denn uns ist es keineswegs Wurst, wie das, was wir fühlen, wie wir denken und handeln benannt, gesehen und beurteilt wird.

Für Romeo dürfte ist von großem Belang sein, ob der Sachverhalt, dass er Julia liebt, von Julia mit der Vokabel "Desinteresse" benannt wird oder ob sie dazu richtigerweise "Liebe" sagt. Manche Personen gehen sogar bis vors Bundesverfassungsgericht, weil ihnen nicht Wurst ist, wie der Sachverhalt, dass sie Frauen sind, benannt wird.




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Di 20. Mär 2018, 06:33

Alethos hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 18:46
empirisch möglich
Wie kommst du da drauf? Oder alternativ, was meinst du damit?

50 "Wolfskinder" in 700 Jahren, heißt es in dem unten verlinkten Artikel. In Bezug auf Ihr ermitteltes Sprachvermögen bin ich nicht informiert. Aber der Artikel über "Genie" macht mich eher skeptisch. Ist Sprechen eine "ganz oder gar nicht Fähigkeit"? Und haben wie es bei dem Problem, was wir hier besprechen, überhaupt mit einer bloßen empirischen Frage zu tun? Da wird gar nicht so gebaut sind, dass wir völlig isoliert aufwachsen und uns ohne Zuwendung normal entwickeln können, dürfen die Frage, ob es einem geborenen Robinson Crusoe geben kann, nicht so ohne weiteres empirisch zu klären sein.

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 21812.html




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Di 20. Mär 2018, 06:37

Kleiner Einschub: Im Grunde legt man, wann immer man etwas sagt, sich auf vieles andere fest. Sprache ist so gesehen ein Beziehungssystem. Ist das die grundlegende Eigenschaft der Sprache?




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Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 21:53
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 14:18
Sprache kann ja den Blick auf darauf wenden, hier und da mal hinzuspüren. Man erlebt dann was, aber u.U. weil man zuerst den Begriff dafür hatte.
Das sind Kartenhäuser, die nur einen Windhauch benötigen, um einzustürzen.

Sprache ist der Mittler eines Sachverhaltes und nicht der Sachverhalt selbst. Dem Sachverhalt ist es wurscht, wie er benannt wird.
Nein, das reduziert Sprache auf einen rein passiven Akt des Beschreibens, da glaubt heute kein Mensch mehr dran.
Sprache konstituiert auch Welt, nicht so vollständig, die wie Konstruktivisten meinen, aber sprechen ist deutlich mehr als Zettel an Dinge zu heften.
Franz Maria Arwee hat geschrieben :
Mo 19. Mär 2018, 21:53
Wie wollt ihr euch etwas vorstellen, das bleibt wie es ist?
Wie wollt ihr euch das _Nichts_ vorstellen?
Wo und wann wollt ihr es anschauen?
Was bliebt denn, wie es ist?
Liebe, Schmerz, Nahrung oder Angst?
Unser Bild von dem, was Welt ist?



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Mär 2018, 05:54
Wenn wir uns also vorstellen, dass der geborene Robinson Crusoe für sich alleine eine Sprache erfindet, dann stellen wir uns eben diesen Crusoe möglicherweise genauso vor jemand der eine Fremdsprache lernt.
Ja und das wäre falsch ... so halb.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Mär 2018, 05:54
Eine andere Frage ist, wie viel von den Fähigkeiten, die wir benötigen, um sprechen zu lernen, wir bereits mitbringen. Wir sind schließlich von unserer kompletten Bauweise her keine reinen Privatwesen, sondern immer auch auf andere gerichtet. Warum sollte unsere Fähigkeit sprechen zu lernen, eine Ausnahme darstellen?
Ist es ja auch nicht. Nur ist die Frage, warum wir nicht können sollten, was wir können, um bei Wittgenstein zu bleiben, einfach die Feststellung, dass wir sprechen.
Die Frage ist, wie es philosophisch betrachtet, dazu kam. Damit wäre der Hinweis auf die Mitution irgendwelcher COX Gene keine Erklärung, sondern ein so tun, als ob man damit eine hätte.

Tatsächlich scheint es mir aber so zu sein, dass wir nicht ganz sprachlos Sprache erlernten, wie gesagt, irgendwann entwickelten höhere Säugetiere, zur besseren Brutpflege usw., Affekte. Affekte funktionieren einerseits ein Stück weit, wie eine simpler Algotrithmus, d.h. so als eine Art "immer wenn ... , dann ..." Funktion. Wenn Junges fiept, dann genau hinschauen. Geht heute noch so, da Säuglinge auch nicht viel mehr machen kann, als zu schreien, wenn was nicht stimmt, den "Fehler" (aus Sicht des Kindes) beheben, muss dann die Mutter.
Die andere Seite der Affekte ist allerdings, dass man dabei Affekte hat. ;) Es fühlt sich an.
Das macht das schreiende Baby nicht nicht zu einem Antragssteller für einen Versorgungsvorgang, sondern zu einem Wesen mit dem man sich inniglich verbunden fühlt. Und da Affekte nicht nur signalisieren, Hunger/kein Hunger, sondern sehr wohl auch anderes, wie Freude, Lust, Angst, Wut, Ekel, Schrecken ... hat man da schon eine Sprache in der Pipeline.

Das ist vermutlich alles eine sinnvolle Halbautomatik gewesen, dass der Angstschrei zum Warnschrei wurde und die anderen merkten, dass hier Gefahr droht. Sinnvoll zum Üerleben war das sicherlich. Irgendwann kam sicher auch das Spiel ins Spiel. Der komplexe Gedanke: "Was ist denn eigentlicht, wenn ich schreie, als hätte ich Angst, aber gar keine habe?" setzt ebenfalls voraus, was erst noch entstehen muss, aber wenn wir das auf etwas wie Neugier oder Kreativität herunterbrechen, die Lust sich oder etwas auszuprobieren, dann hat das sicher eine Vielzahl von Effekten.
Themen wie Trickserei, Macht, Ich, Manipulation dimmen hier ein und wir dürfen erwarten, dass allzu kühnen Versuchen auch schnell Grenzen gesetzt wurden.

Hier beginnt unsere Story, denke ich.
Die Kritik wäre, dass man damit, den Anfang, änlich wie mit dem Hinweis auf Genmutationen, nur etwas zurücklegt, oder schlimmer - hat mich immer in der Diskussion mit Biologisten auf die Palme gebracht - man meint mit dem Hnweis auf gaaanz viele kleine Schritte der Evolution und die gaaanz lange Zeit, die sie dafür hat, sei bereits alles erklärt - nichts ist damit erklärt! - aus dem Schneider sei.
Ich glaube eher, analog wie Tomasello es für die Moralentstehung beschrieben hat, dass wir hier Zeugen eines Erklärungswechsels sind. Die Strategien des reinen Überlebens, bei der die Tiere unterschiedliche Wege gingen, sorgte einmal für anonyme Strategien für den Nachwuchs, bei denen es ein Vorteil war, wenn man möglichst viele Eier gut versteckt legte, zum anderen für eine immer bessere Individualbetreuung, bei immer weniger biologisch kostbaren Nachkommen.
Hier sind Affekte ein Vorteil. Doch gleichzeitig kommt etwas ins Spiel, was wir nur im Individuum finden, Bindungen, erste Ideale, erste Versuche, bedingt durch Affekte, das eien zu meiden, das andere zu suchen.

Und gleichzeitig kann man mit Warnrufen, Mimiken und Gestiken auch spielen, vielleicht nur aus Langeweile, wei man eben am Ast schwingt, Steine wirft, oder sich kratzt. Der schwierige Punkt ist die Frage, warum andere auf einmal mitspielen?
Sprachbefähigung mag je genetisch hier und da durchgebrochen sein und vielleicht lebte ein Kreativling, der bereits ein meistehaftes Händchen für die Manipulation der anderen durch geschickten Lauteinsatz hatte ... aber der ist dann auch mal gestorben. Wie kam es zu dieser Epidemie, als die man Sprache bezeichnen kann?



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Do 22. Mär 2018, 05:41

Vielleicht eine kleine Analogie zur Rolle des Hintergrundwissens: stellen wir uns vor, jeder hätte in seinem Leben von Anfang an Schach spielen gelernt. Nun hätten wir hier einen Thread zum Thema Schach spielen, insbesondere zum Grundreihenmatt.

Wenn einem so ein Spiel und seine Regeln in Fleisch und Blut übergegangen sind, dann kann man sich vielleicht gar nicht mehr wirklich vorstellen, dass so etwas einfaches wie ein Grundreihenmatt davon abhängt, dass man eben all diese Regeln beherrscht. Man würde vielleicht denken, na ja so etwas kompliziertes wie eine 7-zügige Kombination zu berechnen, dazu braucht es schon einiges, aber so ein simpler Zug im Spiel wie den Turm auf die Grundreihe zu setzen und den König matt setzen, was könnte einfacher sein - das kann jeder, vermutlich können das auch Nicht-Schachspieler. Dabei vergisst man einfach, weil einem das Spiel eben in Fleisch und Blut übergegangen ist und dann alles so natürlich vorkommt, dass es solche Züge jenseits des Schachspiels überhaupt nicht gibt.




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Sa 24. Mär 2018, 07:40

Wittgenstein macht den Vergleich zwischen Sprache und Schach übrigens selbst: „Die Frage ‚Was ist eigentlich ein Wort?‘ ist analog der ‚Was ist eine Schachfigur?‘“




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