Tommy hat geschrieben : ↑ Sa 14. Apr 2018, 15:23
Im Prinzip ist das ein "Wie Du mir, so ich dir". Oder positiver formuliert: Was der eine darf, darf der andere auch. So ist hier "Gerechtigkeit" gemeint.
Das ist eine in der Tat spannende Frage, ob sich Gerechtigkeit durch ein reines quid-pro-quo einstellt. An anderer Stelle wird diese Aussage als Fehlschluss der Art '
tu quoque' aufgeführt: Wenn du darfst, dann darf ich auch.
Ich verspreche mir jedoch mehr davon, dass wir bei der Frage verweilen, ob es sich beim Schliessen von einem Sein auf ein Sollen nicht vielmehr um ein Schliessen von einem Sollen auf ein Sollen handelt. Dabei würde uns vielleicht die Überlegung weiterbringen, die das Verhältnis von ontologischer Kategorie (als eine Art des Denkens von Tatsachen nach begriffslogischen Implikationen) und moralischer Prädisposition (als ein bewertendes auf die Dinge Gerichtetsein) beleuchtet.
Wenn wir z.B. die Aussage nehmen: 'Gewisse Tiere fressen andere Tiere', dann haben wir es ja mit einer Deskription zu tun, die eine kategoriale Struktur hat: Bejahung, Relation, Vielheit, Bewegung etc. Wir denken diese Tatsache durch diese Kategorien. Wir denken sie durch allgemeinste und allgemeine Begriffe: Lebewesen, Tiere, Nahrungszufuhr. Wir wenden dabei apriori ein begriffliches Raster an, durch das es uns möglich wird, das Mannigfaltige zu konkretisieren in allgemeine Begriffe.
Aber das sind ja bei weitem nicht alle Begriffe, die hier zur Anwendung kommen. Die Tatsache erscheint ja nicht im luftleeren Raum eines isolierten Satzes, sondern wir denken auch an den Kreislauf des Lebens, ans Sterben und Werden, an die Ökologie, die Gleichgewichte, die Artenvielfalt etc.
Nun müssen wir aber angeben können, dass es in unserem Denken, durch das wir die Aussage 'Gewisse Tiere fressen andere Lebewesen' denken, eine moralische Kategorie gibt, die uns apriori denken macht, dass dies richtig oder falsch sei. Und, dass wir sowohl denken können, dass es falsch sei, dass die Natur so funktioniere, wie sie funktioniert resp. denken können, dass es richtig sei, liegt der Aufweis dieser moralischen Kategorie. In der Bewertung, die diese Tatsache betrifft, zeigt sich ja die moralische Kategorie (und überhaupt in der Art und Weise, wie wir Begriffe und welche verwenden, zeigt die moralische Implikation unseres Denkens.) Wir denken und bewerten zugleich. Unser Denken ist Ausdruck einer moralisch konditionierten Bewegung des Erkenntnisprozesses.
Aber Beschreibungen, wenn sie auch moralische Implikationen haben, werden sich in jedem Fall auf diese einzige Tatsache beziehen. Sie implizieren nicht Tatsachen eines anderen Bereichs. Die Überlegung, ob es richtig oder falsch sei, dass Tiere Tiere essen, berührt diese Tatsache, aber nicht zugleich die Tatsache, ob es richtig sei, dass Menschen Tiere essen. Diese Überlegung wird zwar affiziert durch die Tatsache, dass Tiere Tiere essen, aber wird durch einen weiteren Gedankengang oder mehrere weitere Gedankengänge expliziert werden müssen, und sofern es dieser Gedankengänge bedarf, haben wir es nicht mehr mit einer Beschreibung von Empirie zu tun, sondern mit einer rationalen Begründungshandlung.
Was ich sagen will, ist, dass das rein kategoriale Denken als Erfassung von Tatsachen das Allgemeine einer Tatsache betrifft, aber dieses ist nun das Allgemeine einer begrifflichen Kategorie. Es kann nicht von einer Kategorie von Tatsache ohne weiteres auf eine andere Kategorie geschlossen werden, wenn man nicht Gründe dafür angibt, wieso das möglich sein sollte. Ich denke, dass es möglich ist, zwischen den Kategorien zu vermitteln, aber es gehr nicht aus einer Tatsache selbst hervor, dass sie zugleich unter eine andere Kategorien falle.
Dass wir also moralische Wesen sind und unser Denken immer ein Sollen in sich trägt, das kann ich nachvollziehen und müssten wir an anderer Stelle vielleicht noch weiter ausarbeiten. Aber gleichzeitig ist es nicht nachvollziehbar, dass diese Moralität, die sich in der Beschreibung einer bestimmten Tatsache konkretisiert, bedeuten sollte, dass alle Tatsachen unter einen selben moralischen Begriff fallen. Denn die moralische Kategorie, unter die dieses konkreten Etwas fällt, müsste eine von der moralischen Kategorie des konkreten Anderen unterschiedliche sein, sofern das Eine und das Andere unter andere begriffliche Kategorien überhaupt fallen. Denn die Moralität einer durch uns beschriebenen Tatsache bezieht sich ja auf das Konkrete dieser Tatsache.
Man müsste dann also sagen können: Alle Tiere essen andere Tiere', um daraus schliessen zu können, dass auch der Mensch als ein Tier es dürfen soll. Aber da nicht alle Tiere Fleisch essen, kann auch dies nicht aus dem kategorialen Sein gefolgert werden.
Das bedeutet aber wiederum, dass es sich durch den Verweis auf das Fressen von Tieren durch Tiere nicht beweisen lässt, dass Fleischessen falsch sei. Es zeigt, dass es eine andere, eine diskursive Fundierung dieser Frage bedarf, um das beantworten zu können.
D.h., im Fall dass man keine allgemein moralische Kategorie setzt, kann man diese Frage auch nicht allgemeingültig beantworten, ob es richtig sei, Fleisch zu essen oder nicht, sondern es wird sich aus dem Konkreten eines Sachverhalts, z.B. einer bestimmten Lebenssituation heraus, allein bestimmen lassen.
Aus dem konkreten Seienden selbst kann also kein allgemeingültiges Sollen folgen, höchstens ein konkretes Sollen bezogen auf dieses Seiende.