Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Di 31. Jul 2018, 16:31
Wer eine stabile - und das heißt ja: dynamisch vernetzte und anpassungsfähige - personale Identität ausgebildet hat, der wird es gar nicht nötig haben, sich an ein Element zu klammern und sich mit seiner Hilfe gegen alles Fremde abzuschotten.
Ja. Es gibt da keine letzte Sicherheit, aber immerhin einen sicheren Trend.
Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Di 31. Jul 2018, 16:31
Jetzt fängst Du aber an, gegen
unsere kulturelle Identität zu stänkern. Redest abfällig von "Eurozentrismus" und "Pluralismus". - Die Menschen, aus denen sich die "Flüchtlingsströme" zusammensetzen, scheinen doch genau zu wissen, warum sie lieber in Europa leben möchten als in Afrika oder dem Nahen Osten.
Natürlich und das ist ein bunter Strauß und nicht ein Motiv. Von Klischeeflüchtling der Linken, wie der Rechten ist alles dabei und statt pauschale Aussagen über "die Flüchtlinge" zu treffen, sollte man per Einwanderungsgesetz regeln und sich zuvor selbst Klarheit verschaffen, wen man hier haben möchte und wen nicht. Jenseits und diesseits dieser rechtlichen Regelung wäre eine breite Diskussion über unsere gewünschten Umgnag miteinander sinnvoll. Im Idealfall geht diese einem Einwanderungsgesetz voraus und die Diskusergebnisse spiegeln sich darin.
Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Di 31. Jul 2018, 16:31
Also, die Migranten "pfeifen" ganz bestimmt nicht auf unsere Werte, sonst würden sie nicht zu uns kommen.
Die meisten Migranten werden unsere Werte schon deshalb nicht kennen, weil wir unsere Werte auch nicht kennen. Die stillschweigenden Grenzen des Sag- und Machbaren sind immer mehr verändert worden, gerade aufgrund einer kühlen Ignoranz in der Gesellschaft, die besser klingt, wenn man sie Toleranz nennt, aber letztlich in der Überzahl ein Desinteresse am anderen ist.
Hermeneuticus hat geschrieben : ↑ Di 31. Jul 2018, 16:31
Kannst Du mal erläutern, wie ein nicht-oberflächlicher, wohlverstandener Pluralismus aussieht?
Nach meinem Verständnis IST nämlich der Pluralismus die "überlegene Perspektive", aus der allein sich das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Nationen friedlich-schiedlich vermitteln lässt. Es ist die Perspektive des "weltanschaulich neutralen", weil
überparteilichen Rechts.
Den Rechtsstaat als größten gemeinsamen Nenner haben wir ja und der ist ja auch nicht gefährdet. Nur offensichtlich reicht dieser nicht aus, denn diesen Rekurs auf gemeinsames Recht und eine Erosion sonstiger verbindender Elemente, Institutionen und Praktiken kennzeichnet ja gerade die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Und das alle total zufrieden sind und wir in entspannten Zeiten leben, kann man zwar behaupten, aber schwer belegen.
Pluralismus ist nur ein Wort, es muss ausbuchstabiert werden, was jeweils darunter verstanden werden soll. Eine naive 'Wir sind doch alle Menschen' Haltung trägt, wenn sie ohne Erläuterung dessen, was damit gemeint ist daher kommt, gerade so lange, bis der Wind dreht. Wir können uns in der Tat sehr gut anpassen, das gilt besonders für jene Opportunisten, die sich eben in jeder Situation gut einrichten können.
Mit denen ist allerdings kein Staat zu machen, weil es ihnen an eigenen Überzeugungen fehlt. Den Pluralisten Schuh ziehen sie sich gerne an, weil die Marke gerade populär ist.
Ein wohlverstandener Pluralismus will nicht, dass möglichst niemand die eigene Komfortzone ankratzt, sondern erkennt und respektiert, dass andere eben tatsächlich anders sind, andere Vorstellungen haben und suggeriert nicht, dass doch im tiefsten Herzen jeder Mensch gut ist und alle Menschen das gleiche wollen. Das ist die weitaus verbreitetere oberflächlich-narzisstische Variante des Pluralismus, die Toleranz als "Sollen alle machen, was sie wollen, Hauptsache ich muss mich nicht drum kümmern" interpretiert. So wurden in schönster Willkür mit dem Exotenbonus versehen, genau jene Sichtweisen als so schön, lustig und bunt durchgewunken, die man im eigenen Milieu nicht im Traum geduldet hätte.
Anders gesagt, der Respekt vor dem anderen muss auch Grenzen haben und nun kann man wieder sagen: "Ham wa doch, die markiert der Rechtsstaat." Diese Position hat ironischerweise sogar noch einen subtilen Rassismus im Rucksack, weil sie suggeriert, dass der andere stets der vitale, eventaffine Congaspieler mit lecker Essen ist, der ein wenig Pepp in unseren bürokatiedurchzogenen Alltag bringt. Auf die Idee, dass es auch bauernschlaue bis hochintelligente Individuen und Organisationen gibt, die jede Gesetzeslücke ausnutzen, weil ja erlaubt ist, was nicht verboten ist und jede moralische Intervention mit dem "Du Nazi"-Trumpf stechen, kommen viele jener 'Pluralisten' nicht, deren Leben ein bisschen bunter wird, weil sie doch mit allen immer so gut klar kommen.
Da wir hier ja philosophisch ambitioniert sind, sollte man sich überlegen, wie die Grenzen die wir setzen könnten denn eigentlich zu rechtfertigen sind. Wer mit Regionormen argumentiert und sagt, dass das bei uns eben so ist, bumm, fertig, der muss auch akzeptieren, dass es woanders anders ist, was einer reinen Machtoption entspricht. Die eigene Haltung ist dann im schlechtesten Fall eine taktisches Kakül, der Art, dass es zwar nicht so gut aussieht, aber bis man stirbt, die Wahrscheinlichkeit, dass es einen selbst trifft, doch gering ist, auf unserer Insel der Seligen in Europa.
Und nein, ich lästere nicht über unsere Sicht, ich bin hier sozialisiert, finde den europäischen Sonderfall ausgesprochen gut und halte es in der Tat für lohnend, dass viele europäische Werte überleben, auch wenn Europa deutlich an Einfluss verliert. Wir wollten der Idee, dass beliebige Werte zu setzen eine reine Machtfrage sei eigentlich eine Absage erteilen, der Rekurs auf Regionormen ist allerdings einer auf Macht. Wir machen es so, die anders, da bekommt die Sorge vor 'Überfremdung' noch mal eine ganz andere Wucht, als der Kampf um Wohnraum und Sozialzuschüsse zwischen Prekariern und Flüchtlingen, der die Bionade-Fraktion nicht im geringsten juckt, da er sie nicht betrifft.
Wenn man die besten Werte Europas tatsächlich bewahren und exportieren will, dann muss man darstellen und darstellen können, was an ihnen denn gut, schützenswert und immer noch zukunftsweisend ist. Mit anderen Worten besser, als das was es in vielen anderen Regionen der Welt gibt. Die Irrläufer und Überziehungen der letzten Zeit kann man ja korrigieren, aber für diesen Ansatz müsste man dazu stehen, dass es besser und schlechter nicht nur irgendwie gibt, sondern genau benennen, was, warum so gilt. Mit der pathologischen Angst vor Hierarchien, die man, weil theoretisch unbedarft, stets mit Faschismus gleich setzt, ist da allerdings auch unter reiferen Pluralisten selten was zu holen. Ihr performativer Selbstwiderspruch besteht darin, dass die sich durchaus noch irgendwo bewusst sind, dass sie von einer reiferen Warte aus die Welt sehen, zugleich Hierarchien ablehnen und bekämpfen. Dann sind sie gezwungen eine frühkindliche Unfähigkeit zur Bildung von Klassen als reinen, unverbildeten Naturzustand zu verklären, Ignoranz als Toleranz zu verkaufen und für die einseztende Erkenntnis, dass doch nicht immer alle nur lieb sind, kreiert man den Neoliberalismus als billiges und plattes Feinbild.
Die betörende Idee, dass wir doch zuallererst allesamt Menschen sind geht gerade im Mittelmeer baden. Warum sich denn keiner empört, wo wir doch in den letzten Jahren so emrörungstrainiert sind, wird verwundert gefragt. Nun, vielleicht, weil die Rede sich nun als das erweist, was die Kritiker dem unreifen Pluralismus stets anlastete: dass er vorwiegend auf Sand, in Form von Lippenbekenntnissen, gebaut hat. Eine pseudomoralische Wellness-Haltung, die, wenn sie zerstört wird, niemandem den Schlaf raubt, aber wehe man hat mal irgendwo kein schnelles W-LAN.
Das ist natürlich notgedrungen eine etwas klischeehafte Skizze, überwiegend bezogen auf die Spielarten des Pluralismus, aber danach hast Du ja gefragt.