Philosophische Reflexionen der Gefühle

Mit Beginn der 1920er Jahre bilden sich in der deutschen Philosophie die Disziplinen der Philosophischen Anthropologie und der Lebensphilosophie aus, deren Grundfragen in den 1990er Jahren eine Renaissance erleben.
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Stefanie
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So 23. Sep 2018, 20:02

Mir macht die Definition Probleme. Es scheint, dass die Begriffspaare Objekt- Subjekt, Subjektivität - Objektivität und subjektiv - objektiv erstmal getrennt zu betrachten sind, also dass man nicht einfach das eine als Adjektive des anderen sehen kann.
Auch ist es wohl unterschiedlich, um was es geht. Geht es um das ich, Selbstbewusstsein, Wahrnehmung, erkennen, Meinung, Urteilen, oder als Methode der Wissenschaft.
Mir fehlt irgendwie der Ansatzpunkt, um es zu sortieren.

Alethos, wieso kann das Bewusstsein objektiv werden, wenn es sich selbst zum Gegenstand hat? Was ist denn hier das objektive, von aussen kommende?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Stefanie hat geschrieben :
So 23. Sep 2018, 20:02
Auch ist es wohl unterschiedlich, um was es geht. Geht es um das ich, Selbstbewusstsein, Wahrnehmung, erkennen, Meinung, Urteilen, oder als Methode der Wissenschaft.
Das sehe ich genau so. Es hängt schon davon ab, in welchem Kontext man diese Begriffe verwendet. In der Wissenschaft gibt es Objektivität, auch wenn sich ihre Theorien auf empirische Fakten stützen. Sie (Objektivität) definiert sich durch den fehlerfreien Umgang mit Wahrnehmungen und welche Schlüsse wir daraus ziehen.
Im philosophischen Bereich können beide Begriffe auch ganz gut mit einander leben und müssen nicht zwingend Gegensätze darstellen. Das Bewußtsein als "Ort" persönlicher Wahrnehmungen und subjektiver Überlegungen, in dem sich alles zu einem Weltbild vereint, ist geradezu eine (objektive) Voraussetzung dafür. Wir brauchen es, um überhaupt denken zu können. Für uns sind sie somit keine Widersacher, sondern ergänzen sich gegenseitig.




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Sep 2018, 12:48

Ich denke, dass Angst und Hass oft andere Gründe/Ursachen als Objekte/Gegenstände haben. Dazu braucht man sich nur die aktuelle politische Lage und den lauter werdenden Fremden-Hass anzuschauen.




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Sep 2018, 14:05

Alethos hat geschrieben :
Sa 22. Sep 2018, 23:14
Also ist doch subjektiv das, was dieses Subjekt im Rahmen seiner gegebenen Freiheit denken will, und objektiv das, was dieses Bewusstsein gegeben die Ordnung der Dinge, die es sich zum Gegenstand macht, denken muss, sofern er diese Ordnung zum Massstab seines Denkens machen will, mithin also zum Massstab der Wahrheit überhaupt?
Ja, ich denke auch dass der Begriff "objektiv" in irgendeiner Weise mit dem Begriff Wahrheit zusammenhängt. Etwas ist objektiv der Fall, wenn es nicht von meinem Fürwahrhalten abhängt, ob es der Fall ist.

Weiter oben stellst du einen Zusammenhang her zwischen objektiv und Objekt, dabei ist mir nicht ganz klar was du meinst.




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Mo 24. Sep 2018, 14:40

Friederike hat geschrieben :
So 23. Sep 2018, 15:21
An der Angst finde ich bemerkenswert, daß sie sich immer auf etwas Zukünftiges bezieht. Der Gegenstand der Angst ist jetzt, in diesem Moment gar nicht existent, gleich aber könnte er existent sein. Jetzt ist der Schmerz nicht vorhanden, die Angst bezieht sich darauf, daß er demnächst wiederkommen könnte. Insofern ist eigentlich der Gegenstand der Angst immer imaginiert. Aber vielleicht fällt Dir ein Gegenbeispiel ein?
Panikattacken sind sehr unmittelbar.
Zwar könnte man einwenden, dass man auch hier nur Angst vor dem demnächst drohenden Infarkt, Tod, Wahnsinn oder der Ohnmacht hat, aber Panikattacken haben einen sehr geringen kognitiven Anteil, vorherrschend ist das alldominierende Gefühl einer unspezifischen Angst, die einen oft aus heiterem Himmel überfällt und die - in Abgrenzung zur Furcht - nicht auf etwas Konkretes gerichtet sein muss, aber mit der sehr großen Angst vor unmittelbarer Vernichtung einhergeht.
Die kognitiven Inhalte sind der eher hilflose Versuch, doch noch irgendwie zu verstehen, was sich emotional komplett dem Verstehen entzieht.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Mo 24. Sep 2018, 15:05

Stefanie hat geschrieben :
So 23. Sep 2018, 16:56
Erst wollte ich dagegen protestieren, dass Angst in die Zukunft geht...aber dann habe ich festgestellt, nee stimmt doch. Wenn ich im Aufzug Angst habe, ist dies tatsächlich die Angst, dass er stehen bleibt und/oder nach unten stürzt.
Kann das "worum der Angst" nicht sowohl in Vergangenheit als auch Gegenwart und Zukunft liegen?
  • Ich kann davor Angst haben, gestern bei der Prüfung versagt zu haben.
  • Ich kann Angst vor dem Bär haben, der sich jetzt gerade vor mir aufbaut.
  • ich kann Angst davor haben, dass ich das kommende Wochenende nicht überlebe.




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Friederike
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Mo 24. Sep 2018, 15:06

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 14:40
Friederike hat geschrieben :
So 23. Sep 2018, 15:21
An der Angst finde ich bemerkenswert, daß sie sich immer auf etwas Zukünftiges bezieht. Der Gegenstand der Angst ist jetzt, in diesem Moment gar nicht existent, gleich aber könnte er existent sein. Jetzt ist der Schmerz nicht vorhanden, die Angst bezieht sich darauf, daß er demnächst wiederkommen könnte. Insofern ist eigentlich der Gegenstand der Angst immer imaginiert. Aber vielleicht fällt Dir ein Gegenbeispiel ein?
Panikattacken sind sehr unmittelbar.
Zwar könnte man einwenden, dass man auch hier nur Angst vor dem demnächst drohenden Infarkt, Tod, Wahnsinn oder der Ohnmacht hat, aber Panikattacken haben einen sehr geringen kognitiven Anteil, vorherrschend ist das alldominierende Gefühl einer unspezifischen Angst, die einen oft aus heiterem Himmel überfällt und die - in Abgrenzung zur Furcht - nicht auf etwas Konkretes gerichtet sein muss, aber mit der sehr großen Angst vor unmittelbarer Vernichtung einhergeht.
Die kognitiven Inhalte sind der eher hilflose Versuch, doch noch irgendwie zu verstehen, was sich emotional komplett dem Verstehen entzieht.
@T.I. Ich bin mir nicht sicher, ob Du mich verstanden hast. Nagut, mein Beispiel ... ich verdeutliche: Jemand hat chronische Schmerzen. Eine Möglichkeit besteht darin, daß auch bei aktueller Schmerzfreiheit irgendein Ziehen, Stechen, Brennen o.ä. und womöglich auch an anderen als den chronisch betroffenen Stellen, als Anzeichen dafür genommen wird, daß dies nun Vorboten für das Wiederkommen der bekannten chronischen Schmerzen sind, möglicherweise sogar Vorboten für ein Voranschreiten der Krankheit. Es gibt sozusagen keine mißliche Körperempfindung, die nicht als Zeichen gewertet wird. Das heißt, der gedankliche, der bewertende Anteil ist also überaus ausgeprägt.
Die zweite Möglchkeit besteht darin, daß die chronischen Schmerzen Krebs-Schmerzen sind. Ich selber habe es mit erlebt, daß bei Schmerzfreiheit die Angst sehr groß war, daß die Schmerzen erneut auftreten könnten - woraus ich entnommen habe, daß die Schmerzen ... schlimm gewesen sein müssen.




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Mo 24. Sep 2018, 15:30

@ 'Friederike'

Angst hat in aller Regel diese zukünftige Komponente, bzw., etwas, was man aus der Vergangenheit kennt, wird genommen und in die unbekannte Zukunft projiziert. Aber die fragtest ja nach einer Ausnahme und ich glaube, die Panikattacke ist so eine, da sie nicht auf das schielt, was wohl noch kommen wird, sondern sehr momentan und frei von Überlegungen im Moment stattfindet.

Natürlich kann man aber ein Zwicken und Zwacken als Vorboten für ein drohendes Unheil deuten, klar, gerade bei Schmerzen ist das sehr relevant.



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Jörn Budesheim
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Mo 24. Sep 2018, 18:41

Tosa inu hat geschrieben : Angst hat in aller Regel diese zukünftige Komponente, bzw., etwas, was man aus der Vergangenheit kennt, wird genommen und in die unbekannte Zukunft projiziert.
Heißt das, dass Angst, deiner Ansicht nach, generell eine Art Projektion ist?

Wenn ich vor einer Klapperschlange stehe und Angst habe, dann ist nach meiner Einschätzung die Schlange selbst der Gegenstand der Angst. Nach meiner Einschätzung, gibt es in diesem Szenario nicht so etwas wie eine Projektion.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man diese Analyse auf die Zukunft ausdehnen könnte und müsste. ich meine aber, wenn ich mich fürchte, dass die Stange mir morgen wieder auflauert, ist immer noch die Schlange (die wahrhaftige Schlange) der Gegenstand der Angst.

Wie bei Wahrnehmungen, sich natürlich auch in seinen Gefühlen täuschen. Man glaubt, dass etwas grün ist, während es in Wahrheit blau war. Etwas beängstigend ist, während es in Wahrheit ganz und gar haben was war. in beiden Fällen waren die Qualia tatsächlich vorhanden, es handelt es sich aber um eine Fehl-Präsentation.




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Stefanie
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Mo 24. Sep 2018, 20:57

Also die Themen über Gefühle sind gerade ziemlich verwirrend. Eine Art Gefühlschaos. : - )

Praktisches reales Beispiel. Selbst erlebt.
Vor ein paar Monaten bin ich im Aufzug im Büro stecken geblieben. Irgendwo zwischen 1. und 2. Stock. Eine gefühlte Ewigkeit stand ich in diesem Aufzug, es waren wohl so 20-30 Minuten. Alarmkopf gedrückt, bis 30 gezählt, keine Reaktion, weder vom Betreiber und zunächst auch von den Kollegen, die dachten, es wäre wieder eine Wartung. Sofort war ich nur am zittern, der Schlüsselbund in meiner Hand hat laut geklimpert. Als ich wieder raus war - die Kollegen fanden dann doch den Schlüssel zum manuellen Eingreifen- Atemnot, Beklemmung, Kreislauf unten, das war eine kleine panikattacke. Seitdem gehe ich im Büro die Treppe rauf. Ich weiß noch, dass ich den Zettel im Aufzug, auf dem steht, Ruhe bewahren, im Aufzug stehend kommentierte mit, den Satz: den Zettel kann auch nur jemand geschrieben haben, der noch nicht im Aufzug stecken geblieben ist.
Da ich nicht schwindelfrei bin, muss ich manchmal Aufzüge benutzen.
Das ist jetzt wohl ein Problem. Vor drei Wochen, Treppe in dem Gebäude ging wegen der Bauweise des Treppenhaus nicht, also Aufzug. Vorher reingeschaut, und mir gesagt, o.k. ist nur der dritte Stock. Nun ja, moderner Aufzug, schön groß, den man kaum hört, aber es hätte nicht länger dauern dürfen. Panik. 15 Minuten brauchte, ich um mich wieder zu sammeln.

So, ist das jetzt eine Angst, die zukunftsgerichtet ist, oder nicht. Ist der Aufzug Ursache und Objekt der Angst? Oder fällt das auseinander? Gibt es eine Ursache, oder einen Grund?
Es ist mir nicht mehr möglich, obwohl ich es dachte, zu sagen, ob es die Angst, dass der Aufzug stecken bleibt, als direkte Angst, oder war es die Angst vor den Folgen, wenn er stecken bleibt.

Wenn beim Fremdenhass und Angst vor den Fremden, die Gründe und das Objekt des Hasses auseinanderfallen, ist es dann den Menschen überhaupt möglich, ohne Hilfe dieses auseinander fallen von Gründe und Objekt zu erkennen?



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Alethos
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Mo 24. Sep 2018, 21:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 14:05
Weiter oben stellst du einen Zusammenhang her zwischen objektiv und Objekt, dabei ist mir nicht ganz klar was du meinst.
Ohne hier einer Objekt-Subjekt-Spaltung das Wort reden zu wollen: Ein Objekt ist das Gegebene, auf dessen Sein das Subjektive keinen Einfluss hat. Ein Subjekt kann wohl ein Objekt erschaffen und es vernichten, aber es ist nicht Kraft des Subjekts, dass das Objekt besteht. Wenn ich einen Tisch zimmere und ihn hinstelle, dann steht dort ein Tisch ganz unbesehen davon, ob sich mein Bewusstsein damit auseinandersetzt oder nicht. Der Tisch ist ein Objekt und alles, was ihn betrifft mit Bezug auf sein Sein muss objektiv sein.

Das ist bei meinem Bewusstsein nicht so: Mein Bewusstsein gäbe es nicht ohne meinen Leib (Merleau-Ponty) noch gäbe es ihn, ohne sein Tätigsein. Damit sage ich nicht, dass das Bewusstsein nicht objektiv sein könne, ja, es kann selbst objektiv sein, wenn es sich vergegenwärtigt. Aber es ist nie in jenem Sinn objektiv, wie ein Tisch ganz unbesehen von mir selbst und meiner Aufmerksamkeit auf ihn objektiv ist.



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Tosa Inu
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Di 25. Sep 2018, 06:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 18:41
Heißt das, dass Angst, deiner Ansicht nach, generell eine Art Projektion ist?
Ja.

Man spricht zwar davon, dass normale Angst eine sinnvolle Schutzsituation ist, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen, ansonsten von Erwartungsängsten, aber letztlich ist auch die konkrete Angst eine Projektion.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 18:41
Wenn ich vor einer Klapperschlange stehe und Angst habe, dann ist nach meiner Einschätzung die Schlange selbst der Gegenstand der Angst. Nach meiner Einschätzung, gibt es in diesem Szenario nicht so etwas wie eine Projektion.
In der Autobiographie von Marina Abramovic schreibt sie, wie sie als kleines Kind mit ihrer Oma (die eine Eratzmutter war) durch den Wald geht und auf dem Boden einen "Strich" nennt sie es glaube ich, sieht. Sie hört, als sie da hin gehen will, einen markerschütternden Schrei von der Oma und kommentiert, an diesem Tag hätte sie gelernt, was Angst ist. Das ist allerbester Wittgenstein.

Ansonsten ist die Realität der Inhalte oder ihre konkrete Anwesenheit, von Furcht oder Phobie (auf etwas Konkretes bezogen) oder Angst (ein allgemeines Gefühl) nahezu unabhängig.
Man kann Furcht vor Fahrstühlen, Ausländern, Außerirdischen und jedem noch so abgefahrenen skurrilen Aspekt haben. Darüber hinaus noch die frei flottierende Angst der Borderliner, die eine der entsetzlichsten Formen darstellt, die man sich - zum Glück meistens nicht - vorstellen kann. Der Ausdruck "generalsierte Angststörung" meint Ähnliches. Dann ist Angst das alles beherrschende Grundgefühl, von konkreten Situationen meistens losgelöst.
In der Meditation kann man einer Reinform der (archetypischen) Angst begegnen, wobei nicht klar ist, wo man da wirklich innerlich hin geraten ist.



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Di 25. Sep 2018, 06:46

Tommy hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 01:44
Was ich auch nicht verstehe:
Fürchtet sich wirklich jemand vor der Schlange, oder davor gebissen zu werden?
Ich denke letzteres. Letzteres kann ja aber nicht Wahrnehmung sein (weil noch gar nicht passiert, nicht gegenwärtig).
Es ist ein zukünftiges (mögliches) Ereignis vor dem man sich da fürchtet.
Es ist eigentlich noch verwirrender. Man kann auch dort Angst vor Spinnen haben, wo diese nachweislich nicht giftig und daher gefährlich sind.
Oder Angst vor Motten. Man hört dann von Evolutionsbiologen, das sei eine archaische Angst, Reste aus einer Zeit, in der es mal gut war (weil es das Überleben sicherte) Angst als genetisches Programm zu haben und wie eine App zu erkennen, dass da was ist und das sofort zuordnen zu können, in dem man richtig drauf reagiert, in dem Fall mit Angst.
Im Lichte einer Kosten/Nutzen-Rechnung ist Angst sicher ein sinnvolles Gefühl, weil ängstliche oder konstitutioell zur Furcht neigende Menschen statistisch erfolgreicher Leben, was die Überlebensdauer angeht, es fühlt sich halt nur nicht so dolle an.
Aber die evolutionären Erklärungen sind auch nur ein Teil des Ganzen.



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Friederike
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Di 25. Sep 2018, 10:23

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 15:30
Angst hat in aller Regel diese zukünftige Komponente, bzw., etwas, was man aus der Vergangenheit kennt, wird genommen und in die unbekannte Zukunft projiziert. Aber die fragtest ja nach einer Ausnahme und ich glaube, die Panikattacke ist so eine, da sie nicht auf das schielt, was wohl noch kommen wird, sondern sehr momentan und frei von Überlegungen im Moment stattfindet.
Ah ja, die Panikattacken als Ausnahme - das hatte ich nicht kapiert. :oops:




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Friederike
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Di 25. Sep 2018, 10:42

Tommy hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 01:44
Was ich auch nicht verstehe: Fürchtet sich wirklich jemand vor der Schlange, oder davor gebissen zu werden? Ich denke letzteres. Letzteres kann ja aber nicht Wahrnehmung sein (weil noch gar nicht passiert, nicht gegenwärtig). Es ist ein zukünftiges (mögliches) Ereignis vor dem man sich da fürchtet.
Ich meine auch, daß Angst vor einer Schlange zu haben lediglich eine allgemeine Umschreibung konkreter Gedanken ist. Wie dem, ich werde gebissen oder ich werde gewürgt oder sie spritzt ihr Gift. Wahrscheinlich gehört sogar noch dazu, daß man bestimmte Gedanken hat, was genau passiert, wenn man gebissen wird ... also die sogenannten Katastrophenphantasien. Ich vermute, daß man entweder auf eigene Erfahrungen, die man in der Vergangenheit hatte, zurückgreift oder aber, daß man die Gedanken und Phantasien aus einem allgemeinen Wissensvorrat schöpft.




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Di 25. Sep 2018, 13:17

Tommy hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 01:44
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 18:41
Wie bei Wahrnehmungen, sich natürlich auch in seinen Gefühlen täuschen. Man glaubt, dass etwas grün ist, während es in Wahrheit blau war. Etwas beängstigend ist, während es in Wahrheit ganz und gar haben was war. in beiden Fällen waren die Qualia tatsächlich vorhanden, es handelt es sich aber um eine Fehl-Präsentation.
Ich fürchte mich von Ausserirdischen entführt zu werden. Was ist da die Qualia? Was der Gegenstand?

Was ich auch nicht verstehe:
Fürchtet sich wirklich jemand vor der Schlange, oder davor gebissen zu werden?
Ich denke letzteres. Letzteres kann ja aber nicht Wahrnehmung sein (weil noch gar nicht passiert, nicht gegenwärtig).
Es ist ein zukünftiges (mögliches) Ereignis vor dem man sich da fürchtet.
Wofür oder wogegen argumentierst du da? Worin besteht der Zusammenhang zu dem Zitat?




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Di 25. Sep 2018, 13:56

Stefanie hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 20:57
So, ist das jetzt eine Angst, die zukunftsgerichtet ist, oder nicht. Ist der Aufzug Ursache und Objekt der Angst? Oder fällt das auseinander? Gibt es eine Ursache, oder einen Grund?
Wieso "oder"?

Wie auch immer, ich würde mal (probehalber) folgenden Versuch wagen: wenn dich jemand fragt, wovor du Angst hast, dann drückt G den Gegenstand der Angst aus - in folgendem Satz: Ich habe Angst, dass G. Das nennt ein gewisser Heidegger das "Wovor" der Angst. Das "Wovor" der Angst ist nur eine andere Ausdrucksweise für den Gegenstand der Angst oder die Intentionalität der Angst, also worauf sie gerichtet ist.

Das reicht aber noch nicht: Die Angst hat auch ein "wie", ihre Qualia. Denn es ist irgendwie, Angst zu haben: Zittern, Beklemmung, Schweißausbrüche etc.

Und dann sollte man vielleicht nicht vergessen, dass es immer jemand ist, der die Angst verspürt. Worum geht es dabei, um das eigene Wohlbefinden und im schlimmsten Fall um das eigene Leben. Deswegen haben Maschinen weder Angst noch können sie denken, weil es bei ihm nie um irgendetwas geht.




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Di 25. Sep 2018, 13:58

Friederike hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 10:42
Ich meine auch, daß Angst vor einer Schlange zu haben lediglich eine allgemeine Umschreibung konkreter Gedanken ist. Wie dem, ich werde gebissen oder ich werde gewürgt oder sie spritzt ihr Gift.
Das was du konkret nennst, würde ich abstrakt nennen und umgekehrt.

Gebissen werden kannst du auch vom Hund. Gewürgt werden von deinem Nachbarkind. Und Gift könnte dir eine Verwandte verabreichen. Du hast Angst vor der Schlange, weil Schlangen typischerweise solche oder ähnliche gefährlichen Eigenschaften haben können. Du hast also nicht abstrakt Angst vor einem Biss, sondern (viel konkreter) Angst vor einem Schlangenbiss. und wenn du der Schlange gewahr wirst, hast du ganz konkret Angst vor diesem Schlangenbiss, schätze ich.




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Di 25. Sep 2018, 14:16

Friederike hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 10:23
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 24. Sep 2018, 15:30
Angst hat in aller Regel diese zukünftige Komponente, bzw., etwas, was man aus der Vergangenheit kennt, wird genommen und in die unbekannte Zukunft projiziert. Aber die fragtest ja nach einer Ausnahme und ich glaube, die Panikattacke ist so eine, da sie nicht auf das schielt, was wohl noch kommen wird, sondern sehr momentan und frei von Überlegungen im Moment stattfindet.
Ah ja, die Panikattacken als Ausnahme - das hatte ich nicht kapiert. :oops:
Die Gefühle, die die diversen Ängste begleiten, sind immer hier und jetzt. Daraus kann man allerdings nicht folgern, dass die jeweilige Angst sich nicht auf etwas mögliches oder zukünftiges bezieht.




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Di 25. Sep 2018, 15:01

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 25. Sep 2018, 06:36
... an diesem Tag hätte sie gelernt, was Angst ist. Das ist allerbester Wittgenstein.
Warum sollte das allerbester Wittgenstein sein? Das verstehe ich nicht.

Marina Abramovic meinte das sicherlich metaphorisch. Was Angst ist, kann man natürlich nicht lernen. Wir können vielleicht lernen, dass manches unsere Angst verdient, von dem wir das zuvor nicht wussten.




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