Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Mi 26. Sep 2018, 19:34
Du schreibst also überwiegend aus der Position des Beobachters und nur selten aus der Position des Teilnehmers. Warum auch? Der Teilnehmer weiß ja sowieso nicht was Sache ist, denn hinter seinem Rücken wirken durchgängig Mächte, die er nicht durchschaut: “Unter Umgehung des Bewusstseins wird das, was man eigentlich ausdrücken wollte in eine sozial akzeptierte Version umgeschrieben, Freud nannte das Reaktionsbildung.”
Nein, ich schreibe weitaus öfter aus der Teilnehmerposition, wenn ich mein Schaffen reflektiere. Mit dem zu ‚glänzen‘, was man weiß, finde ich tendenziell eher unangemessen und oft aufdringlich, manchmal bis ins Peinliche, es sei denn, es handelt sich um reine Wissensfragen, die als solche auch gestellt wurden. Fragen rund um die Psyche haben mit der Philosophie gemeinsam, dass sie sehr schnell in einen reflexiven Bereich hineingehen. Da greifen Beobachten und Teilnehmen, Fragen und Wissen, Erklären und Tasten dann ohnehin ineinander.
Wenn wir in einen Dialog eintreten und einander auf etwas hinweisen, wie: „Du hast vergessen einen Grund anzugeben“ oder „Das ist eine petitio principii“, dann ist das zugleich ein technischer Hinweis (da ist ein Fehler), als auch Reflexionsangebot (schau mal hin) und Behauptung und damit Dialogangebot (es könnte sein, dass das Entdecken des Fehlers ein Irrtum ist, sofern dieser begründet entkräftet werden kann).
„Unbewusst“ hat zwei grundlegend verschiedene Bedeutungen: Zum einen meint unbewusst etwas ganz einfach nicht zu wissen, im Sinne eines Faktenwissens. Wenn man nicht weiß, wie man eine Torte macht, wie eine Waschmaschine oder die Bandscheibe funktioniert, ist man hinsichtlich dessen unbewusst. Durch Fakten- oder Funktionswissen, kann man diese Lücke füllen. Die Grenze ist das Verstehen, aber in einem Sinn, dass man sagt, bis hier hin komme ist mit, der Rest ist mir zu hoch, zu kompliziert.
Die andere Bedeutung meinen wir häufiger, unbewusst im Sinne des Schattens, des blinden Flecks. Das Problem ist hier nicht, dass man kognitiv nicht versteht, was da gesagt wird. Wenn man sagt, dies und das weise auf eine sexuelle Hemmung hin, d.h. man findet etwas sexuell verlockend und anziehend, kann sich dies aber nicht eingestehen, dann ist hier keine große Intellektuelle Hürde zu überspringen, in dem Sinne, dass man sagt: „Wie, sexuell verlockend, das verstehe ich nicht. Was soll das denn sein?“ Man weiß genau, was das heißt, findet nur die Deutung maximal unangemessen und irgendwo zwischen unverschämt und dämlich. Emotional sperrt sich hier alles. Hier geht es um ein allmähliches, schrittweises Dämmern und Aufdecken, das ganz elementar ein Verstehen von Gefühlen, nämlich den eigenen und deren innerem Zusammenhang impliziert. Diese Differenz zwischen den beiden Auffassungen des Unbewussten spiegelt sich bis in die psychotherapeutische Praxis hinein. Wenn jemand mit irgendwas zum Psychotherapeuten geht, kommt er mit einem Problem, sonst geht man da nicht hin. Dann gibt es zwei grundlegend verschiedene Ansätze (die sich heute näher kommen), wie darauf reagiert wird:
1. Dominant verhaltenstherapeutisch unterwegs könnte ein Therapeut überspitzt sagen: „Verstehe. Da haben Sie was Falsches gelernt. Das ist aber kein Problem, das kann man umtrainieren. Ich werde Ihnen Techniken zeigen, mit denen das geht, das üben wir hier erst zusammen und in ein paar Wochen, können Sie das auch alleine.“ Oft erklärt man noch, was Angst ist, wie sie funktioniert oder wie und warum man sich Falsches antrainiert hat.
2. Aus dem aufdeckenden, psychoanalytischen, -dynamischen oder tiefenpsychologischen Spektrum kommend, geht es um etwas anderes, denn wenn der Therapeut einfach sagte: „Verstehe. Wissen Sie, es gibt das Unbewusste und es ist einfach so, dass Sie viel egozentrischer und aggressiver sind, als Sie es selbst glauben, dass müssen Sie mir jetzt glauben, ich habe das Jahre studiert und viel Erfahrung, alles andere wäre Deutungswiderstand.“, dann kann man das vielleicht noch so eben glauben, aber würde sich was ändern?
Unbewusste Mechanismen müssen bewusst gemacht werden, man muss sie verstehen, d.h. sehen und innerlich nachvollziehen können, sonst bewirken sie, als reine Behauptungen gar nichts. Sie müssen sogar deutlich überzeugender wirken, als das, was man bis dahin glaubte und lebte. Da ist ne Herausforderung. Man bietet dem anderen eine alternative Geschichte an, in und für so ziemlich alle
Lebensbereiche, anhand von kurzen, konkreten Szenen des Alltags, dem Beziehungsstress, dem Ärger im Büro oder sonst wo, die gedeutet werden.
Eine Deutung heißt immer, ein Angebot zu machen. „Schauen Sie mal, ob meine Geschichte Ihres Lebens, Ihrer Beziehungen usw. nicht mehr erklärt, als Ihre eigene Geschichte.“ Verwirrend, denn wer sollte das eigene Leben besser kennen, als man selbst? Sich darauf einzulassen, dass man im Grunde viel weniger von sich selbst weiß, als man dachte, ist schon kein Zuckerschlecken. Das ist eine gewisse Differenz zwischen Philosophie und aufdeckender Psychologie. Als Philosoph ist man schnell bereit darüber zu diskutieren, dass es das Ich ja eigentlich gar nicht gibt, dass das zumindest alles sehr vage und unsicher ist, wenn der Psychologe dann allerdings sagt: „Prima, dann schauen wir ihr Leben doch mal unter einem etwas anderen Blickwinkel an“, ist die Bereitschaft oft nicht mehr so ausgeprägt. Ein, wie ich finde, sehr interessantes Spiel, bei dem Philosophen ja durchaus gute Gründe anführen können. Dass die aufdeckende Psychologie ja auch nur ein Konzept und vielen verfolge und gar nicht klar ist, warum man ausgerechnet dem jetzt folgen sollte, dass sie im Kern unwissenschaftlich und zirkulär sei oder dass sie einfach gesellschaftlich tradierte Muster als Normalität verkaufe, von denen gar nicht klar ist, ob und warum sie überhaupt normal und gewünscht sein sollten.
Gute Psychologen können das metapsychologisch beantworten und tun das auch, was ein hochinteressanter Dialog ist. Innerhalb der Therapie ist es gut die weiten Ausflügen abzuwürgen und im Konkreten zu bleiben: Bei den Ängsten, bei den Beziehungsproblemen, bei dem, was einen immer wieder auf die Palme bringt.
Denn die eigene Version des Lebens, die ungeheuer wichtig ist, hat noch einen Haken oder Zusatz, den der Patient nicht versteht: seine Symptome. Er deutet sie, wie gewohnt: „Ich habe sicher hier und da ein paar kleinere Macken, kann sein, wer hat die nicht, aber alles in allem bin ich ein prima Kerl. Doch doch, mit mir kann man auskommen und wer das nicht kann, der muss schon etwas schräg sein, weil Menschliches, Allzumenschliches abgezogen, bin ich schon ziemlich in Ordnung.“ Nur die anderen, die spielen da irgendwie nicht mit.
Eigene Deutung plus oder inklusive der Symptome oder typischen Konflikte, ergeben oft recht schnell ein rundes Bild, aber der letzte, der dieses Bild ebenfalls rund findet, ist der Patient. Das Angebot ist: „Schauen Sie mal einen Moment durch meine Brille, ob diese Sicht nicht besser passt, nämlich erklärt, warum genau immer dann, immer das passiert.“ Überzeugungsarbeit, durch die Deutungen in der geschützten Therapiesituation, von kleinen Alltagserlebnissen, Phantasien, die man als Angebot gedeutet bekommt und sogar nachher noch auf das ganze Leben und eventuelle praktische Konsequenzen umlegen muss, in Eigenregie. Ohne tiefes Verstehen, dazu noch einer Sache, die einem fundamental gegen den Strich geht – Projektionen zu erkennen oder Schatten aufzudecken, was dasselbe meint, ist immer ein Schock, ein Blick in den Abgrund – ist das völlig aussichtslos, denn mit „Na gut, ich tue mal ne Woche so als ob“, ist rein gar nichts gewonnen.
Freuds Erkenntnis der Reaktionsbildung, ist eine Essenz vieler solcher Erfahrungen. Es gibt viele weitere: Projektionen, Verdrängungen, Verleugnungen, Rationalisierungen, Somatisierungen u.v.m., die man in der Regel sehr schnell bei anderen erkennt, nur bei sich nicht, da steht dann das Gefühl der fundamentalen Unangemessenheit der Deutung im Weg. In der Philosophie ist das ähnlich, sie arbeitet sozusagen mit Deutungskontexten, die gegen Deutungskontexte stehen und philosophieren heißt ja immer auch, sich ein Stück weit auf die Sicht eines anderen einzulassen, empathisch in dem Sinne zu sein, dass man versucht, die Welt durch die Augen eines Kant, Popper, Aristoteles zu betrachten. Irgendwann steht dann nicht Faktum gegen Faktum, Konzept gegen Konzept, sondern ein oft sehr komplexes theoretisches Gebäude gegen ein anderes ohne dass diese aufeinander zu reduzieren wären. Das wirft dann noch einmal ganz andere Fragen auf, z.B. die, nach der praktischen Bedeutung einer theoretischen Erkenntnis, bzw. ob und ggf. wann die Forderung nach praktischen Konsequenzen überhaupt angemessen ist.
Oder eben nach der Intentionalität von Gefühlen. Der Sinn von Angst ist sicher ein anderer als der des Wiederholungszwangs. Der steht ja fundamental quer zu unseren Mythen über uns selbst, die lauten, dass man aus Fehlern lernt. Hat man eigene Erfahrungen gemacht, weiß man, wie es ist, wie sich das anfühlt und wir darum aus Erfahrung klug. Der Wiederholungszwang zeigt uns jedoch, das wir bestimmte Fehler immer wieder machen und uns mit einer Treffsicherheit ist in den Sumpf reiten, die verblüffend ist. Will man aufdecken, was der Sinn dahinter sein könnte, muss man dies verstehend nachvollziehen. Wie, wenn man gesagt bekommt, die eigene These sei eine petito principii: Wenn man diese rhetorische Figur erkennt und vielleicht sogar, dass sie auf das eigene Argument passt, steht man immer noch mit seinem Gefühl von vorher da, dass man überzeugt ist, mit einer Deutung Recht zu haben. Bleibe ich bei dem, was ich glaube und ignoriere die Philosophie? (Das entspräche dem Deutungswiderstand bei Freud.) Akzeptiere ich den logischen Fehler und was wie gehe ich nun mit meiner Überzeugung um? Denn ich bin ja immer noch überzeugt. Deute ich den Hinweis eines anderen auf einen Fehler als Geschenk oder als Angriff? Sehr spannend, das alles.