Semantischer Externalismus

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Jörn Budesheim
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Mo 11. Mär 2019, 06:27

Nach Ansicht des Philosophen Jasper Liptow muss der Externalismus als eine der großen Errungenschaften der analytischen Philosophie des Geistes und der Sprache der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts gelten. Der sogenannte kausale oder wahrnehmungsbezogene Externalismus lässt sich Liptow zufolge auf folgende Formel bringen:

"Der begriffliche Gehalt der Gedanken einer Person wird wesentlich (mit) durch die gegenwärtige und vergangene über sinnliche Wahrnehmung vermittelte kausale Interaktion dieser Person mit ihrer Umwelt konstituiert."

Der bekannteste "Slogan" das Externalismus stammt sicherlich von dem Philosophen Hilary Putnam und besagt: "Bedeutung sind nunmal nicht im Kopf." Eine weitere wichtige Referenz dafür ist Donald Davidsons "Antisubjektivismus".




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Friederike
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Mo 11. Mär 2019, 11:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 11. Mär 2019, 06:27
Nach Ansicht des Philosophen Jasper Liptow muss der Externalismus als eine der großen Errungenschaften der analytischen Philosophie des Geistes und der Sprache der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts gelten. Der sogenannte kausale oder wahrnehmungsbezogene Externalismus lässt sich Liptow zufolge auf folgende Formel bringen:

"Der begriffliche Gehalt der Gedanken einer Person wird wesentlich (mit) durch die gegenwärtige und vergangene über sinnliche Wahrnehmung vermittelte kausale Interaktion dieser Person mit ihrer Umwelt konstituiert."

Der bekannteste "Slogan" das Externalismus stammt sicherlich von dem Philosophen Hilary Putnam und besagt: "Bedeutung sind nunmal nicht im Kopf." Eine weitere wichtige Referenz dafür ist Donald Davidsons "Antisubjektivismus".
Das ist ja ein Faß ... ich müßte nahezu jedes Wort u.a. des Liptow Zitates nachschlagen.

Es gibt offenbar noch einen anderen als den semantischen Externalismus?
Den einfachen Externalismus?
Und der semantische Externalismus ist der, der auch als der wahrnehmungsbezogene bzw. der kausale Externalismus bezeichnet wird?
Der begriffliche Gehalt ist der Inhalt eines Gedankens? Egal, wie der Inhalt näher "aussieht"?

Ich überlege, wie ich als völlig ahnungslose Person ins Zentrum gelange. Vielleicht über die Frage, was die sinnliche Wahrnehmung mit dem begrifflichen Gehalt eines Gedankens überhaupt zu tun haben soll. Das kommt mir zunächst einmal nur ganz locker verbunden vor. Wahrscheinlich muß man dazu die "kausale Interaktion" näher bestimmen. Das klingt für mich wie höhere Mathematik.

Also @Jörn, wenn Du Lust und Freude daran hast, zu meiner Frage eine kurze Antwort zu entwerfen, dann fände ich es schön. Falls nicht, dann überlege ich, wie ich selber klarkomme. Bleibt mir dann ja auch keine andere Wahl. 8-)




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Jörn Budesheim
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Di 12. Mär 2019, 05:38

Friederike hat geschrieben :
Mo 11. Mär 2019, 11:50
Der begriffliche Gehalt ist der Inhalt eines Gedankens?
Statt Gehalt passen auch Inhalt, Bedeutung oder ggf. Proposition - je nach Kontext.
Friederike hat geschrieben :
Mo 11. Mär 2019, 11:50
Ich überlege, wie ich als völlig ahnungslose Person ins Zentrum gelange. Vielleicht über die Frage, was die sinnliche Wahrnehmung mit dem begrifflichen Gehalt eines Gedankens überhaupt zu tun haben soll. Das kommt mir zunächst einmal nur ganz locker verbunden vor. Wahrscheinlich muß man dazu die "kausale Interaktion" näher bestimmen. Das klingt für mich wie höhere Mathematik.
Das Zentrum kann ich für meinen Teil zunächst "negativ" bestimmen: die alte Idee, dass Denken und Sprechen "Kopfsache" sind, dass Bedeutungen und Gedanken irgendwie "innen" sind. Diese älteren Vorstellungen gilt es meines Erachtens zu überwinden.

Ein Kernbegriff und ein guter Zugang zur Problematik ist die Triangulation. Zu diesem Dreieck gehören zumindest zwei Sprecher (Kommunizierende) und der Gegenstand der Kommunikation. Nach Ansicht von z.b. Donald Davidson lassen sich Sprechen und Denken nicht ohne Bezug auf dieses Dreieck verstehen: "Ich denke also bist du" - Denken und Sprechen sind nach diesem Verständnis wesentlich soziale Angelegenheiten, die wir zudem nicht angemessen verstehen können, ohne den Kontakt mit den Gegenständen des Denkens und Sprechens zu unterstellen.

Das Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung/Interpretation spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wie ist es möglich, dass jemand einen ihm völlig unbekannten Sprecher (der nie gehörte Worte verwendet) verstehen kann? Die Frage ist viel alltäglicher, als man vielleicht vermuten möchte. Ohne Bezug auf Begriffe wie Wahrheit, Rationalität und die externen Gegenstände ist eine Erklärung dieses Umstandes laut Donald Davidson gar nicht möglich. Das sind jedoch alles Dinge, die für den intellektuellen Mainstream vor wenigen Jahrzehnten noch dubios waren :-) Für diese älteren Schulen sind Wahrheit Irrtum, Rationalität Privatsache und Gegenstände Konstruktionen. Wir können uns jedoch selbst nicht angemessen verstehen, wenn wir an diesen alten Vorstellungen festhalten.




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Stefanie
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Di 12. Mär 2019, 14:56

Jörn:
Die Frage ist viel alltäglicher, als man vielleicht vermuten möchte
Nach dem ich versucht habe ein lebenspraktisches, alltägliches Beispiel zu finden, frage ich mich, wo ist das Alltägliche?
Diese Theorie ist für mich zu abstrakt, um es zu verstehen.
Die Beispiele die ich gefunden habe, sind diese Zwillingserde Sache, auch der Gehirn im Tank und eines was ich nicht wieder finde, mit einem Tiger.
Das sind Gedankenexperimente, die nicht in der alltäglichen Lebenswelt so stattfinden. Oder:
Wie ist es möglich, dass jemand einen ihm völlig unbekannten Sprecher (der nie gehörte Worte verwendet) verstehen kann?
Kann ich nicht, wenn jemand vor mir steht, den ich nicht kenne und chinesisch spricht, verstehe ich kein Wort, und auch nicht, was er will.

Gibt es ein wirklich alltägliches Beispiel, dass die Theorie bestätigt? Alltäglich. So mit beiden beiden Beinen im Lebend stehend?

Was ist noch gefunden habe ist folgendes Beispiel:
"Wenn Kurt und Karl einen Baum vor sich zu sehen meinen und den Satz äußern “Da ist ein Baum vor mir”, dann sagen sie jeweils etwas Wahres. Aber was sie sagen unterscheidet sich. Ein objektiver Beobachter (der Standard‐Deutsch spricht) müsste ihre Äußerungen unterschiedlich berichten.
• Kurt sagt, dass vor ihm ein Baum steht.
• Karl sagt, dass vor‐im‐Bild ihm‐im‐Bild ein Baum‐im‐Bild steht‐im‐
Bild.
(einfacher: Karl sagt, dass vor* ihm* ein Baum* steht*)
Aus dem semantischen Externalismus folgt also, dass Kurt und Karl unterschiedliche Sprachen sprechen."

Das verstehe ich leider nicht.



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Friederike
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Di 12. Mär 2019, 15:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 05:38
Das Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung/Interpretation spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wie ist es möglich, dass jemand einen ihm völlig unbekannten Sprecher (der nie gehörte Worte verwendet) verstehen kann? Die Frage ist viel alltäglicher, als man vielleicht vermuten möchte. Ohne Bezug auf Begriffe wie Wahrheit, Rationalität und die externen Gegenstände ist eine Erklärung dieses Umstandes laut Donald Davidson gar nicht möglich.
Das verstehe ich auch ganz und gar nicht. Falls es sich um eine Fremdsprache handelt, nicht ... und übrigens würde Davidson's Theorie doch Wittgensteins Auffassung der Privatsprache -deren Unmöglichkeit- entgegenstehen? D.h. auch bei einem Sprecher des Deutschen, der unbekannte Buchstabenlaute äußert, verstehe ich D. nicht. Bei den "Gegenständen" der Triangulation geht es ja sicher nicht nur um Dinge, auf die wir zeigen können, sondern ebenso um abstrakte Gegenstände wie "Freiheit, Recht", auf die wir uns zwar beziehen als Sprechende einer Sprachgemeinschaft, und um deren Bedeutung wir wissen, weil wir sie im Gebrauch kennenlernen.




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Jörn Budesheim
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Di 12. Mär 2019, 16:19

Stefanie hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 14:56
Kann ich nicht, wenn jemand vor mir steht, den ich nicht kenne und chinesisch spricht, verstehe ich kein Wort, und auch nicht, was er will.
Nicht aus dem Stegreif natürlich. Aber wenn ihr euch Zeit nehmt und euch wirklich darum bemüht, werdet ihr euch vermutlich irgendwann austauschen können auch ohne Handbücher, Apps und sonstige Hilfsmittel - einfach mit Try and Error.




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Stefanie
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Di 12. Mär 2019, 18:38

Das habe ich mit Absicht weg gedacht, weil es doch nichts neues ist. Eine Methode des Lernens.
Diese Gedankenexperimente, die es zu diesem Thema gibt, sind mir zu hoch.

Wo oder was ist der Clou dieser Theorie?



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Jörn Budesheim
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Mi 13. Mär 2019, 05:57

Stefanie hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 18:38
Das habe ich mit Absicht weg gedacht, weil es doch nichts neues ist. Eine Methode des Lernens.
Du möchtest Beispiele aus dem Alltag, aber die Elemente, die er dir alltäglich vorkommen, denkst du dir weg?! Hmmm...

In der Philosophie geht es jedoch oft darum, alltägliche Dinge zu verstehen. "Wie kann es sein, dass wir unsere Umgebung einigermaßen verlässlich erkennen?" "Wie kann es sein, dass wir denken?" "Wie kann es sein, dass wir miteinander sprechen?" Wie in der Kunst werden dazu manchmal Methoden der Verfremdung eingesetzt. Mit einfachen Gedankenexperimenten werden alltägliche Dinge so verändert, dass sie einem plötzlich fremd und unbekannt erscheinen, was einem die Möglichkeit gibt, sie neu zu betrachten.




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Mi 13. Mär 2019, 06:10

Friederike hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 15:29
Das verstehe ich auch ganz und gar nicht. Falls es sich um eine Fremdsprache handelt, nicht ... [...] D.h. auch bei einem Sprecher des Deutschen, der unbekannte Buchstabenlaute äußert, verstehe ich [Donald Davidson] nicht.
Das ursprüngliche Gedankenexperiment haben wir hier im Forum schon mal besprochen, soweit ich mich entsinne: Ein Feldforscher besucht ein bis dahin isoliertes Volk, dessen Sprache völlig unbekannt ist. Wie kann er die völlig unbekannte Sprache verstehen? Das heißt völlig ohne Dolmetscher, Handbücher oder vergleichbares. Das ist das Ursprungs-Szenario bei Willard van Orman Quine, was sich radikale Übersetzung nennt.

Sein Schüler Donald Davidson arbeitet an diesen Gedanken weiter. Bei ihm unter dem Titel der "radikalen Interpretation", nach meinem Verständnis, weil er den streng behavioristischen Ansatz seines Lehrers ablehnt.

Nach Ansicht dieser Philosophen beginnt radikale Interpretation jedoch schon zu Hause und nicht erst in der Situation des Feldforschers mit der bis dahin völlig unbekannten Sprache. Donald Davidson hat dazu einen sehr witzigen Aufsatz über sogenannte Malapropismen oder ähnliche Phänomene geschrieben. Bei einem Malapropismus werden absichtlich oder unabsichtlich ähnlich klingende Wörter vertauscht. Jemand sagt zum Beispiel "zum Bleistift" statt "zum Beispiel". Ich kannte mal jemanden, der immer in "ethischer Breite" sagte, wenn er in "epischer Breite" meinte. Vergleichbare Fälle gibt es in jedem im Alltag - vielleicht öfter, als man denkt.

Weitläufig damit verwandt sind bestimmte rhetorische Figuren wie die Übertreibung, die Ironie und ähnliches. Wie kann es sein, dass jemand verstanden wird, wenn er das Gegenteil von dem sagt, was er eigentlich meint?

(Man kann es meines Erachtens auch "umdrehen". Wieso kann ein hochgerüstetes Spracherkennungs-Programm Dinge, die ich sage oftmals nicht "verstehen", also korrekt in Buchstaben umwandeln, wenn ich mich vertue, verhaspele oder undeutlich spreche, während sogar ein kleines Kind es oft mühelos schafft.)




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Stefanie
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Mi 13. Mär 2019, 08:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 13. Mär 2019, 05:57
Stefanie hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 18:38
Das habe ich mit Absicht weg gedacht, weil es doch nichts neues ist. Eine Methode des Lernens.
Du möchtest Beispiele aus dem Alltag, aber die Elemente, die er dir alltäglich vorkommen, denkst du dir weg?! Hmmm...

In der Philosophie geht es jedoch oft darum, alltägliche Dinge zu verstehen. "Wie kann es sein, dass wir unsere Umgebung einigermaßen verlässlich erkennen?" "Wie kann es sein, dass wir denken?" "Wie kann es sein, dass wir miteinander sprechen?" Wie in der Kunst werden dazu manchmal Methoden der Verfremdung eingesetzt. Mit einfachen Gedankenexperimenten werden alltägliche Dinge so verändert, dass sie einem plötzlich fremd und unbekannt erscheinen, was einem die Möglichkeit gibt, sie neu zu betrachten.
Ich verstehe einfach nicht, was das mit dem semantischen Externalismus zu tun hat. Beim Nachlesen über diese Strömungen fand ich oft folgendes: neuer Ansatz, bahnbrechender Ansatz, usw. Radikal, wichtig usw.

"Das Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung/Interpretation spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wie ist es möglich, dass jemand einen ihm völlig unbekannten Sprecher (der nie gehörte Worte verwendet) verstehen kann?"

Da dachte ich mir, so beim lesen, o.k. das Gavagai Experiment, ergo muss es jetzt was ganz Gewichtiges kommen, warum es möglich ist, das man sich (sofort) versteht. Also weg mit allem Alten, wie Zeichensprache, auf Gegenstände zeigen, etc. , es muss was ganz neues Radikales sein... gibt es aber nicht. Nur das alte Try and Error. Wie das ist es? Und was hat man früher gemacht?

Mir ist schleierhaft, was der semantische Externalismus meint.

Es sind keine einfachen Gedankenexperimenten. Absolut nicht. Sie sind buchstäblich nicht von dieser Welt.
Die meisten Gedankenexperimente befassen sich mit Situation, die es so nicht gibt. Es gibt keine Zwillingserde. In diesem Experiment geht es darum, dass - ich nenne es mal Bezeichnung- eine Bezeichnung "Wasser" zwei verschiedene Gegenstände meint.
Im Leben ist es doch meistens umgekehrt, ein identischer Gegenstand wird unterschiedlich bezeichnet:
Brötchen =Semmeln
Frikadellen=Buletten
Berliner=Krapfen usw.
Was sagt mir so ein Gedankenexperiment über den realen Umstand, wie wir uns untereinander verständigen?

Ich muss feststellen, solche nicht der realen Lebenswelt entsprechenden Gedankenexperimente verstehe ich nicht. Mal davon abgesehen, dass ich die Sprache, in der Sprachphilosophen schreiben, so abstrakt und schwer finde, dass ich das auch nur schwer verstehe, eigentlich gar nicht.
Mittlerweile sage ich immer, wenn sich jemand über die Sprache der Juristen beschwert, und meint, diese sei schwer verständlich, sage ich... oh, da habe ich was besserer: Sprachphilosophen, die sich damit beschäftigen, wie das mit der Sprache ist, wie die Menschen untereinander verstehen, das sind richtig schwere Texte.

Schmeiße das Handtuch.



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Friederike
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Do 14. Mär 2019, 10:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 11. Mär 2019, 06:27
Nach Ansicht des Philosophen Jasper Liptow muss der Externalismus als eine der großen Errungenschaften der analytischen Philosophie des Geistes und der Sprache der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts gelten. Der sogenannte kausale oder wahrnehmungsbezogene Externalismus lässt sich Liptow zufolge auf folgende Formel bringen:

"Der begriffliche Gehalt der Gedanken einer Person wird wesentlich (mit) durch die gegenwärtige und vergangene über sinnliche Wahrnehmung vermittelte kausale Interaktion dieser Person mit ihrer Umwelt konstituiert."

Der bekannteste "Slogan" das Externalismus stammt sicherlich von dem Philosophen Hilary Putnam und besagt: "Bedeutung sind nunmal nicht im Kopf." Eine weitere wichtige Referenz dafür ist Donald Davidsons "Antisubjektivismus".
Es ist aus dem Ärmel geschüttelt, aber geht es nicht auch -neben dem "Antisubjektivismus"- um die Gegenposition zur skeptischen Auffassung, die Außenwelt sei Einbildung oder könne Einbildung sein? Wie aber sollte es möglich sein, daß sich Menschen unterschiedlicher Sprache und Kulturen untereinander verständigen können, wenn es sich um Einbildungen handeln würde. Die Bezugspunkte oder die Gegenstände "draußen" müssen also auf irgendeine Weise gegeben sein.




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Friederike
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Do 14. Mär 2019, 13:11

Mir geht Wittgensteins Löwe, den wir nicht verstehen würden, selbst wenn er sprechen könnte, nicht aus dem Sinn. So wie ich es verstehe, wäre dies ein Sprach- und Weltverständnis, das dem von Davidson + Co. komplett entgegengesetzt ist. Die Sprache, d.h. die Bedeutungen, die wir den Worten und den Gegenständen geben, sind nur ihm Rahmen der Lebenswelt, in der sie vorkommen und entwickelt und weitergegeben werden, verständlich. Den Löwen setze ich ein für die unbekannten Menschen, deren Sprache zu verstehen der Feldforschung dennoch gelungen sein soll.




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Jörn Budesheim
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Do 14. Mär 2019, 14:24

Ich hoffe, dass ich morgen dazu komme, den Faden weiter zu spinnen :-)




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Jörn Budesheim
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Fr 15. Mär 2019, 05:28

Jetzt ist morgen :)
Stefanie hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 14:56
Was ist noch gefunden habe ist folgendes Beispiel:
"Wenn Kurt und Karl einen Baum vor sich zu sehen meinen und den Satz äußern “Da ist ein Baum vor mir”, dann sagen sie jeweils etwas Wahres. Aber was sie sagen unterscheidet sich. Ein objektiver Beobachter (der Standard‐Deutsch spricht) müsste ihre Äußerungen unterschiedlich berichten.
• Kurt sagt, dass vor ihm ein Baum steht.
• Karl sagt, dass vor‐im‐Bild ihm‐im‐Bild ein Baum‐im‐Bild steht‐im‐
Bild.
(einfacher: Karl sagt, dass vor* ihm* ein Baum* steht*)
Aus dem semantischen Externalismus folgt also, dass Kurt und Karl unterschiedliche Sprachen sprechen."

Das verstehe ich leider nicht.
Kannst du auch nicht verstehen, denn es fehlt ein entscheidender Hinweis :-)
Kurt sei eine Person in einer normalen Welt und Karl sei ein Gehirn im Tank. Die Situation von Kurt und Karl sei subjektiv ununterscheidbar – Kurt und Karl haben genaue dieselben Sinnesreizungen, Wahrnehmungserlebnisse etc.; dazu erscheinen ihnen ihre Sprech‐ und Denkepisoden auf genau die gleiche Weise.
Wir können uns das vielleicht so ausmalen. Karl lebt in der Matrix, während Kurt in der normalen Welt lebt. Wenn Karl sagt, dass er einen Baum sieht, dann beziehen sich seine Wörter nicht auf Bäume, sondern auf die Simulation, die man ihm einspeist. Wenn Kurt hingegen dieselbe Wortfolge geäußert, bedeutet sie etwas anderes. Obwohl beide in einer "subjektiv identischen Situation" sind, bedeuten ihre Wörter verschiedenes, weil es jeweils ganz verschiedene Beiträge der Umwelt gibt.




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Jörn Budesheim
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Fr 15. Mär 2019, 05:44

Spiegel-Online hat geschrieben : [der Hund] Rico vollbringt auch ein noch kniffligeres Kunststück: Wirft seine Herrin ihm ein unbekanntes Spielzeug in eine Sammlung und bittet Rico um die Giraffe, dann läuft Rico los und holt die Giraffe - obwohl er das Wort vorher noch nie gehört hatte.

Quelle:http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 03532.html
Der Hund Rico kann also Wörter verstehen, die er nie zuvor gehört hat. Worum geht es? Der Hund hat eine "kleine" Plüschtier-Sammlung von 200 Stück. Nennt man den Namen eines der Plüschtiere, dann apportiert er es. "Wirft seine Herrin ihm ein unbekanntes Spielzeug in eine Sammlung und bittet Rico um die Giraffe, dann läuft Rico los und holt die Giraffe - obwohl er das Wort vorher noch nie gehört hatte."

Nun könnte man Rico natürlich leicht reinlegen: Man legt eine Pantoffel hin (wir unterstellen, dass erdas Wort nicht kennt) und fragt dann nach einem Brillenetui ... Dann würde er wohl die Kartoffel für ein Brillenetui alten halten :-) wir müssen hier natürlich überlegen, was eigentlich Rico genau kann.

Wie auch immer das im Detail aussehen mag: Wenn Hunde Wörter in irgendeiner Form verstehen können, die sie nie gehört haben, dann sollten wir es auch können. Und in der Tat muss es so sein, sonst könnte niemals jemand von uns sprechen lernen.




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Fr 15. Mär 2019, 05:59

Friederike hat geschrieben :
Do 14. Mär 2019, 13:11
Wittgensteins Löwe
Ich habe jetzt keine Quellen rausgesucht, denn ich schätze jeder von euch kennt dazu Berichte. [Sehen wir von Rico einmal ab.] Die Kommunikation mit Affen - und zwar mithilfe einer Gebärdensprache - ist möglich. Dabei können Affen nach entsprechender Ausbildung nicht nur auf aktuell anwesende Dinge weisen, etwa Bananen. Sie können auch über die Vergangenheit sprechen. Ein Beispiel, welches mir in Erinnerung geblieben ist, ist die Erzählung eines Affenweibchens, die von der Tötung ihrer Mutter durch Wilderer gesprochen hat. Affen scheinen auch ein Bewusstsein ihrer eigenen Zukunft zu haben. Auch Matthias Wild erzählt in seinem Buch über die Philosophie der Tiere von einem Affen mit dem man über den Tod gesprochen hat. Der Affe erläutert: "Problem alt".

Für mich ist das eine klare Evidenz, dass Wittgenstein falsch liegt.




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Fr 15. Mär 2019, 06:17

Friederike hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 15:29
Falls es sich um eine Fremdsprache handelt, nicht ...
Wann immer wir mit jemandem sprechen, handelt es sich um eine Fremdsprache.

Denn jeder von uns spricht seinen eigenen Idiolekt. Es gibt keine Sprache hinter dem Sprechen. Dass wir alle Deutsch sprechen, heißt im Grunde nur, dass wir unser Sprachverhalten wohl oder übel weitgehend aneinander angepasst haben, so dass die Probleme der (radikalen) Übersetzung nicht immer so deutlich zu Tage treten wie in dem Gedankenexperiment.




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Fr 15. Mär 2019, 06:34

Friederike hat geschrieben :
Di 12. Mär 2019, 15:29
auch bei einem Sprecher des Deutschen, der unbekannte Buchstabenlaute äußert
Jeder von uns hat einen anderen Wortschatz. Wäre es so, wie du sagst, dann müsste sich Kommunikation immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner beschränken.

Hier noch ein etwas anders geartetes, aber noch allgemeineres, noch allgegenwärtigeres Datum: Den Satz, den du eben gerade gelesen hast, dürftest du in dieser Form zuvor nicht gelesen haben. Also handelt es sich dabei auch um in dieser Form und Anordnung "unbekannte Buchstabenlaute", dennoch dürftest du ihn verstanden haben, auch wenn du ihm vielleicht nicht zustimmst.




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Fr 15. Mär 2019, 07:01

Friederike hat geschrieben :
Do 14. Mär 2019, 10:26
Es ist aus dem Ärmel geschüttelt, aber geht es nicht auch -neben dem "Antisubjektivismus"- um die Gegenposition zur skeptischen Auffassung, die Außenwelt sei Einbildung oder könne Einbildung sein? Wie aber sollte es möglich sein, daß sich Menschen unterschiedlicher Sprache und Kulturen untereinander verständigen können, wenn es sich um Einbildungen handeln würde. Die Bezugspunkte oder die Gegenstände "draußen" müssen also auf irgendeine Weise gegeben sein.
Ja, das ist eine klare Gegenposition zu skeptischen oder zum Beispiel auch poststrukturalistischen Sichtweisen. Dazu ein Fundstück: "Da die Bedeutung der Begriffe lediglich per Konvention festgelegt wird, haben die Begriffe nichts mit den Dingen an sich zu tun..."




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Das Folgende ist natürlich aus dem Zusammenhang gerissen, daher kann ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen. Sprechend ist es, wie ich finde, dennoch: "...die Sprache besteht in der Sprachgemeinschaft und Gestalt einer Summe von Eindrücken, die jedem Gehirn niedergelegt sind..." (Ferdinand de Saussure) jetzt darf man sich gerne die Situation weiter oben mit der Matrix noch einmal vorstellen.




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