Verstehen - versus - Missverstehen

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TsukiHana
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Di 9. Apr 2019, 23:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Apr 2019, 13:28
Am Beispiel des Trolls kann man das vielleicht erklären. In der Regel dürfte er automatisch richtig verstehen, wendet sich aber vom Sollens-Prinzip ab und sucht bewusst nach einer falschen Auslegung, was nahezu immer möglich ist.
Die Motivation der Trolle können wir wohl nicht immer nachvollziehen, doch offenbar liegt sie nicht alleine im Verstehen.
Es sind auch nicht unbedingt immer die Dümmsten, die im Trollen ein Vergnügen und "Erfüllung" finden. Dieses Verhalten funktioniert allerdings nur in der Anonymität des Netzes, das sollte man dabei nicht vergessen. Im realen Leben sind es oft bedauernswerte Figuren, die nichts auf die Kette kriegen. :roll:



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Jörn Budesheim
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So 14. Apr 2019, 07:34

Im folgenden ein paar Zitate von Donald Davidson, die meisten aus einem Interview, wild durcheinander gewürfelt.
Donald Davidson hat geschrieben : Der Begriff der Bedeutung basiert vollständig auf Fällen erfolgreicher Kommunikation.
Donald Davidson hat geschrieben : [Man muss] den Hörer angemessene Mittel zur richtigen Interpretation liefern, und das kann schief gehen.
Donald Davidson hat geschrieben : [Manche Philosophen] denken, was ein Sprecher mit seinen Worten meint, hänge sehr stark davon ab, wie die Gemeinschaft diese Worte verwendet, ob der Sprecher das nun weiß oder nicht. Ich denke, das ist ziemlicher Unsinn, denn es hat mit erfolgreicher Kommunikation nichts zu tun. Wenn sie anders reden als die Gemeinschaft und jemand das herausfindet, dann können Sie den ganzen Tag lang kommunizieren. Und das passiert ständig. Es stimmt also, ich rekurriere nicht auf gemeinschaftliche Praxis, um zu bestimmen, was ein Sprecher meint. Ich denke, nichts hängt davon ab, dass verschiedene Leute auf dieselbe Weise sprechen. Es kommt einzig darauf an, dass jede Person so sprechen sollte, wie es die Zuhörer verstehen.
Donald Davidson hat geschrieben : Verstehen haucht Bedeutung Leben ein, nicht andersherum.
Donald Davidson hat geschrieben : [über den Mythos des Subjektiven] das Triangulations-Szenario bringt die Idee zum Ausdruck, man könne weder die Vorstellung von einem Selbst noch von irgendetwas anderen haben, bevor man nicht auch die Vorstellung von anderen Subjekten und einer gemeinsamen Welt hat. in gewissem Sinne ist also der Begriff einer Perspektive grundlegend, aber das ist keine Perspektive, die in eine andere Welt präsentiert als jemand anderes, es ist eine Perspektive auf dieselbe Welt. Und sie können die Konzeption einerWelt gar nicht haben, wäre es keine öffentliche Welt, das heißt eine, die sie mit mindestens einer andere Person teilen - tatsächlich aber mit vielen anderen.
Donald Davidson hat geschrieben : Nichtsdestoweniger sind Gedanken privat in dem Sinne, dass sie nur zu einer bestimmten Person gehören, es sind Ihre und sonst niemanden, und Ihre Zugangsweise dazu ist verschieden von der aller anderen. Aber sie sind nicht in dem Sinne privat, dass ihr Inhalt es wäre. Das was Sie [Davidson spricht hier immer die Interviewerin an] denken, ist wahr oder falsch, und Wahrheit und Falschheit sind objektive Begriffe. So etwas wie eine private Wahrheit gibt es nicht.

[das ist in einer etwas anderen Terminologie dasselbe, was ich in den diversen "Innen und außen Threads" so ausgedrückt habe, dass das Denken, also der Vollzug zwar "Innen" ist, aber die Gedanken sind etwas öffentliches, also "Außen"]




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Friederike
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So 14. Apr 2019, 12:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 14. Apr 2019, 07:34
[das ist in einer etwas anderen Terminologie dasselbe, was ich in den diversen "Innen und außen Threads" so ausgedrückt habe, dass das Denken, also der Vollzug zwar "Innen" ist, aber die Gedanken sind etwas öffentliches, also "Außen"]
Gedanken sind keine "Kopfsache" (Anspielung auf Deine Bemerkung im "Geist"-Thread).




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Jörn Budesheim
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So 14. Apr 2019, 13:13

Yepp!




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TsukiHana
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So 14. Apr 2019, 15:27

Der Ansatz von Davidson gefällt mir und beflügelt gerade meine Gedanken, die in Richtung "erfolgreiche Kommunikation" gingen.
Wenn ich dem Hörer/Gesprächspartner keine angemessenen Mittel zur richtigen Interpretation liefere, schaffe ich damit quasi selbst die Quelle späteren Missverstehens. Natürlich kann ich nicht immer in der Lage sein zu erkennen, was die "angemessenen Mittel" sind.
Wenn Davidson sagt: Es kommt einzig darauf an, dass jede Person so sprechen sollte, wie es die Zuhörer verstehen, wird hier die Problematik noch etwas deutlicher.
Jeder Versuch einer Kommunikation ist dann wohl das Aufbrechen der Privatheit der Gedanken (die keine ist, da ihr Inhalt nicht privat ist) in einem Prozess der Annäherung, der nicht sofort gelingen muss/kann.



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Jörn Budesheim
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Mo 15. Apr 2019, 09:00

Dieses Statement von Gabriel lauft auf etwas ähnliches hinaus. Und er bezieht sich zuvor auch auf Davidson.
Markus Gabriel hat geschrieben : Kurzum, wir können uns mit anderen nur auf der Grundlage der weitgehend bestätigten (und wahren!) Annahme unterhalten, dass wir eine gemeinsame Basis an Überzeugungen teilen. Mit allen, mit denen wir uns unterhalten, teilen wir unendlich viele Annahmen. Sonst würde buchstäblich keine Kommunikation stattfinden. Jede Meinungsverschiedenheit in einer noch so wichtigen Angelegenheit setzt demnach voraus, dass wir ein geteiltes Meinungssystem haben.




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Friederike
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Di 16. Apr 2019, 13:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 15. Apr 2019, 09:00
Markus Gabriel hat geschrieben : Kurzum, wir können uns mit anderen nur auf der Grundlage der weitgehend bestätigten (und wahren!) Annahme unterhalten, dass wir eine gemeinsame Basis an Überzeugungen teilen. Mit allen, mit denen wir uns unterhalten, teilen wir unendlich viele Annahmen. Sonst würde buchstäblich keine Kommunikation stattfinden. Jede Meinungsverschiedenheit in einer noch so wichtigen Angelegenheit setzt demnach voraus, dass wir ein geteiltes Meinungssystem haben.
Man könnte sich überlegen und auseinanderklamüsern (Systematik), welcher Art von Überzeugungen oder Annahmen gemeint sind ...

... was gar nicht so einfach ist, weil es wohl um die Suche nach "etwas" geht, das vor lauter Selbstverständlichkeit unsichtbar oder unmetaphorisch, unerkennbar wird.

Verrückt, fällt Euch was ein?

NS: Ah doch, die Überzeugung jedes Einzelnen, daß man verstanden wird, wenn man spricht oder schreibt.
NS 2: Das würde die Überzeugungen, die auf die Sprache bezogen sind, betreffen. Also zum Beispiel auch die Auffassung, die Davidson vertritt, nämlich daß die Bedeutung eines Wortes das Resultat der Kommunikation ist (oben in den von Jörn zitierten Äußerungen Davidsons).




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Jörn Budesheim
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Friederike hat geschrieben :
Di 16. Apr 2019, 13:58
Man könnte sich überlegen und auseinanderklamüsern (Systematik), welcher Art von Überzeugungen oder Annahmen gemeint sind
Die Überzeugung, dass es Tische gibt, dass Tische in Häusern stehen, Häuser in Städten vorkommen, Städte in Kreisen, diese in Ländern usf. Die Überzeugung, dass Zahlen größer werden, wenn man positive Zahlen addiert. Die Überzeugung, dass die 7 größer als die -135.678.000 ist, die Überzeugung, dass gerade Zahlen ohne Rest durch 2 teilbar sind ... Die Überzeugung, dass Picasso ein Maler war, dass er Bilder gemalt hat, dass manche Bilder in Museen hängen, dass Museen manchmal geöffnet sind und Besucher darin anzutreffen sind... Die Überzeugung, dass man mit Geld etwas kaufen kann, dass Geld in der Geldbörse sein kann, dass es aus Papier ist oder aus Metall, dass man es auf einem Konto haben kann, in die Miesen geraten kann, die man zurück zahlen muss. Die Überzeugung, dass man Menschen in Not helfen muss, wenn es angemessen ist, die Überzeugung, dass andere diese Überzeugung teilen, die Überzeugung, dass andere - so wie wir - ein Ich sind/haben ...

Ich befürchte, ich schaffe es nicht, alles aufzuschreiben :-) Selbst beim Versuch, alle Überzeugungen, die implizit und explizit beim Kauf eines Eis mit im Spiel sind, zu notieren, dürfte ich ich sicherlich scheitern.




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Friederike
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Di 16. Apr 2019, 17:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 16. Apr 2019, 16:25
[...] Ich befürchte, ich schaffe es nicht, alles aufzuschreiben :-) Selbst beim Versuch, alle Überzeugungen, die implizit und explizit beim Kauf eines Eis mit im Spiel sind, zu notieren, dürfte ich ich sicherlich scheitern.
Nach dem Lesen Deiner Auflistung von geteilten Überzeugungen ist mir nicht klar, woran ich scheitere bzw. gescheitert bin ... ich muß also überlegen, so will ich sagen, ob ich nach Anderem suchte oder sucht.

Ein wenig offtopic: Du hast absichtlich das genitivische Eis "Eis" sein lassen, nehme ich an. Und es kommt mir auch "irgendwie" richtiger vor als zu sagen "beim Kauf eines Eises", wenn ich ein Eis zum Verspeisen meine. Aber eigentlich ist es ja nicht richtig.




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Jörn Budesheim
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Mi 17. Apr 2019, 05:07

Friederike hat geschrieben :
Di 16. Apr 2019, 17:08
Ein wenig offtopic: Du hast absichtlich das genitivische Eis "Eis" sein lassen, nehme ich an. Und es kommt mir auch "irgendwie" richtiger vor als zu sagen "beim Kauf eines Eises", wenn ich ein Eis zum Verspeisen meine. Aber eigentlich ist es ja nicht richtig.
Eises kam mir irgendwie seltsam vor, vielleicht müsste man Eis' schreiben? :)




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Friederike
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Mi 17. Apr 2019, 08:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 17. Apr 2019, 05:07
Eises kam mir irgendwie seltsam vor, vielleicht müsste man Eis' schreiben? :)
Perfekt. :lol:

Nachdem ich nun weiter überlegt habe, warum mich Deine Liste der geteilten Überzeugungen enttäuscht hat, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß ich nach irgendetwas Spektakulärem gesucht hatte. Meine Erwartung war, eine ganz "unerhörte" (=großartig) Entdeckung machen zu können. Mit dieser Enttäuschung muß ich nun leben. 8-)




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