Teamwork / kollektive Intentionalität

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Fr 31. Mai 2019, 16:06

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 11:23
Du gehst auf das Argument - Verantwortung! - nicht ein.
Na doch!
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 27. Mai 2019, 05:56
Das heißt, was die beiden tun, lässt sich gar nicht verständlich machen, wenn man nicht von einer gemeinsamen, geteilten Absicht (Wir - Absicht), einem gemeinsamen Ziel ausgeht. Und das bedeutet zugleich, dass sie wechselseitig normativen Verpflichtungen unterliegen, (die sie im vorliegenden Fall ja freiwillig eingegangen sind). Wenn eine der beiden Personen daraus ausschert, dann kann die andere sie mit guten Gründen dafür zur Verantwortung ziehen.
Worin besteht die Verantwortung? Wofür ist man verantwortlich? Im Teamwork entstehen normative (gegenseitige) Verbindlichkeiten, die sich nur und ausschließlich darauf beziehen, dass man im Team gemeinsam etwas was tun wollte. Gerade Verantwortung zeigt, dass es sich um ein Teamwork und nicht um eine Addition von Einzel-Handlungen oder etwas in der Art handelt. Man ist bei den anderen in der Pflicht.




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Jörn Budesheim
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Fr 31. Mai 2019, 16:38

Friederike hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 14:39
Inwiefern unterscheiden sich die Bezüge denn? Hinsichtlich der Verantwortung, die jede Person übernimmt, nicht ...
Na doch und zwar massiv!

Nehmen wir an, Hans tanzt zweimal auf einem Tanzwettbewerb. Einmal im Einzeltanz und einmal im Paartanz. Beides mal trägt er Verantwortung für das, was er tut. Wenn er im Einzeltanz versagt, dann kann er sich selbst Vorwürfe machen, z.b. dafür dass er zu wenig trainiert hat et cetera. Aber im Paartanz ist seine Verantwortung eine ganz andere. Er hat es nicht nur für sich selbst vermasselt, sondern für das Team und muss sich entsprechend Vorwürfe von seinem Partner gefallen lassen.

Nichts, was er im Paartanz tut, lässt sich erklären, ohne den Bezug darauf, dass es sich eben an meinem Paartanz handelt. Und das Paar geht gegenseitige normative Verbindlichkeit ein, die auch nur hier Ihren Bezug haben.




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Stefanie
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Fr 31. Mai 2019, 17:52

Was meint ihr mit Verantwortung? Im Unterschied zur Schuld?
Rechtlich und moralisch kann nur das Individuum belangt werden, wenn seine individuelle Schuld nachgewiesen wird. In diesem Sinne gibt es auch keine kollektive Schuld. In Abgrenzung dazu kann es kollektive Verantwortung geben. Aus bzw. in dieser kollektiven Verantwortung kann sich durchaus dann auch eine individuelle Schuld ergeben.
So lässt sich auch das Beispiel mit der SS einbinden.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Friederike
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Fr 31. Mai 2019, 17:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 16:38
Nehmen wir an, Hans tanzt zweimal auf einem Tanzwettbewerb. Einmal im Einzeltanz und einmal im Paartanz. Beides mal trägt er Verantwortung für das, was er tut. Wenn er im Einzeltanz versagt, dann kann er sich selbst Vorwürfe machen, z.b. dafür dass er zu wenig trainiert hat et cetera. Aber im Paartanz ist seine Verantwortung eine ganz andere. Er hat es nicht nur für sich selbst vermasselt, sondern für das Team und muss sich entsprechend Vorwürfe von seinem Partner gefallen lassen. [...]
Ich trage die Verantwortung für mein Handeln. Eine "andere" Verantwortung gibt es nicht. Vorwürfe der Anderen oder die Sorgfalt der Vorbereitungen für eine Handlung stehen auf einem anderen Blatt, d.h. nicht dem der Verantwortung.




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Jörn Budesheim
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Fr 31. Mai 2019, 18:18

Wie wäre es, wenn du das nicht nur behauptest, sondern am Beispiel des Paartanzes anschaulich erläutert?

Wenn du mit jemanden etwas gemeinschaftliches tust, so dass man sagen kann "ihr tut es" dann bist du eine Verpflichtung eingegangen, es fällt mir schwer zu glauben, dass irgendjemand das im Ernst leugnen könnte.

Du müsstest dann ja annehmen, dass es nicht mal so etwas gibt, wie gemeinschaftliches spazieren gehen. Es muss dort einen Unterschied geben zwischen dem Umstand, dass man zusammen spazieren geht und dem zufälligen nebeneinander herlaufen.

Wie machst du diesen Unterschied?




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Jörn Budesheim
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Fr 31. Mai 2019, 19:06

Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 30. Mai 2019, 13:58
Also Vorsicht bei der "Ableitung" individueller Absichten von der kollektiven Absicht!
Wie du selbst darlegst, gibt es in diesem Beispiel keine kollektive Absicht, daher kann man natürlich auch keine individuelle Absicht ableiten.




Hermeneuticus
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Fr 31. Mai 2019, 22:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 16:06
Worin besteht die Verantwortung? Wofür ist man verantwortlich? Im Teamwork entstehen normative (gegenseitige) Verbindlichkeiten, die sich nur und ausschließlich darauf beziehen, dass man im Team gemeinsam etwas was tun wollte. Gerade Verantwortung zeigt, dass es sich um ein Teamwork und nicht um eine Addition von Einzel-Handlungen oder etwas in der Art handelt. Man ist bei den anderen in der Pflicht.
Klar, man ist sich gegenseitig verantwortlich. Und zwar wofür? Für den eigenen Beitrag zur gemeinsamen Handlung. Beim Paartanz kann jede Person schließlich nur die eigenen Beine und Arme bewegen, und nur sie kann dafür sorgen, dass ihre Bewegungen sich mit denen des Partners ergänzen. Und wenn eine Person einen Fehler macht, ist sie allein dafür verantwortlich, nicht der Partner oder die Partnerin.

Von einer "Addition von Einzelhandlungen" habe ich übrigens nicht gesprochen. Aber obwohl ein tanzendes Paar eine Einheit bildet, bleiben es selbstverständlich zwei handelnde Subjekte mit je eigenen Handlungen und Verantwortlichkeiten. Zwei Menschen können nicht zu einer Person verschmelzen, die dann das neue handelnde Subjekt bildet. Sie können darum auch nicht ihre persönliche Verantwortung an das Kollektiv delegieren.




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Fr 31. Mai 2019, 23:24

Stefanie hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 17:52
Was meint ihr mit Verantwortung? Im Unterschied zur Schuld?
Verantwortung ist eine dreistellige Verpflichtungsrelation: Jemand (A) ist jemandem (B) für etwas (C) verantwortlich. Man könnte Verantwortung auch als Verpflichtung zur Rechenschaft charakterisieren. Wer anderen Menschen verantwortlich ist, der setzt sich ihren kritischen Rückfragen und - positiven oder negativen - Sanktionen aus: Lob, Tadel, Anerkennung, Schuldvorwurf.
Rechtlich und moralisch kann nur das Individuum belangt werden, wenn seine individuelle Schuld nachgewiesen wird.
Vorausgesetzt, es ist "schuldfähig", d.h. es konnte zum Zeitpunkt der Handlung die Handlungsfolgen und seine Verpflichtungen abschätzen und war in seinem Handeln nicht fremdbestimmt.
In diesem Sinne gibt es auch keine kollektive Schuld. In Abgrenzung dazu kann es kollektive Verantwortung geben.
Ja.

Mir fällt zur Unterscheidung zwischen Schuld und Verantwortung gerade Günter Grass ein, der erst 2006 öffentlich eingestand, bei der Waffen-SS gedient zu haben. Vielleicht trifft ihn deswegen keine individuelle Schuld (er war immerhin erst 17 Jahre alt gewesen). Aber als öffentliche Figur, als Intellektueller, der in vielfältiger Weise in die politischen Debatten kritisch eingriff, war er der Öffentlichkeit eigentlich schon früher ein Bekenntnis zu seinen Verstrickungen in den NS-Staat schuldig. D.h. er hätte schon früher Verantwortung für seine Verstrickung übernehmen müssen. Dass er es erst so spät tat, hinterlässt den Beigeschmack der Unredlichkeit.




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Jörn Budesheim
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Sa 1. Jun 2019, 06:08

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 22:43
Klar, man ist sich gegenseitig verantwortlich. Und zwar wofür? Für den eigenen Beitrag zur gemeinsamen Handlung. Beim Paartanz kann jede Person schließlich nur die eigenen Beine und Arme bewegen, und nur sie kann dafür sorgen, dass ihre Bewegungen sich mit denen des Partners ergänzen.
Ja, so ähnlich ist es. Zumindest mehr oder weniger.

Ich war die letzten Tage im Ballett und in dem Stück bewegen die Tänzerin nicht nur die eigenen Arme und Beine, sondern auch die Arme und Beine und Körper der anderen Tänzer. (Selbst beim eher profanen gemeinsamen Spazierengehen, wo es auf den ersten Blick anders ist, dürften die Dinge deutlich komplizierter liegen, da man die eigene Bewegungen schließlich dauernd mit denen des anderen koordiniert.) Zurück: In diesem Tanztheaterstück wurde auch viel geküsst, man müsste wohl eher von einem sich gegenseitig verschlingen sprechen.

Diese wechselseitigen Koordinationen/Bezugnahmen (diese Worte klingen noch ziemlich lau, wenn ich an dieses Stück denke oder auch an Sex z.b.) das kann natürlich kein Einzelner vollziehen, denn es ist immer etwas auf Gegenseitigkeit. In solchen Fällen spiegelt man sich wechselseitig im oder in den Anderen. Das heißt, der eigene Körper ist in so einer Situation schlechterdings in einem ganz anderen Zustand als bei Einzel-Handlungen ohne diese Spiegelungen. Ein Körper mit Bezug auf einen anderen Körper ist nicht dasselbe wie ein Körper ohne diesen Bezug. Das gleiche gilt auch für den Geist, wenn man so unterscheiden möchte: denn eine geteilte Absicht ist nicht dasselbe wie eine Einzelabsicht, weil bei der geteilten Absicht das Wissen um die selbe Absicht der anderen und das Teilen diese Absicht eben noch "hinzukommt". Man ist in einem anderen körperlich/geistigen Zustand, wenn man sich als Teil eines Ganzen versteht. ("hinzukommt" steht hier in Anführungszeichen, weil es so klingt, als wäre da notwendig zuerst - logisch oder zeitlich - die einzelne Absicht, was nicht gemeint ist.)

Aber selbst wenn man das alles außer acht ließe, zeigt dein eigenes Zitat oben meiner Ansicht nach, dass dein Eingangs-Statement in diesem Thread nicht stimmen kann: "Handlungen werden streng genommen immer von Individuen/Subjekten vollzogen." Was das Individuum im Lichte des gemeinsamen Ziels und der gegenseitigen Verantwortung "vollzieht", ist nämlich nur ihr Anteil an der Handlung, der sich nicht mal grundsätzlich ohne weiteres klar abgrenzen lässt, was man am Beispiel des gemeinsamen Tragens eines schweren Gegenstandes sehen kann. Doch ein Teil ist nicht das Ganze. Eine Einzelne kann keinen Paartanz vollziehen. (Einen Paartanz kann es aber natürlich nicht ohne Individuen geben, die im übrigen bereits dafür "angelegt" sind, im Team handeln zu können. Kooperieren-können ist sozusagen Teil unseres Bauplans - siehe dazu Tomasello zum Beispiel.) Eine Einzele kann zwar im Chor singen, aber keinen Chorgesang "vollziehen". Diese dauernden gegenseitigen Bezugnahmen, das von Den-Anderen-Getragen-Werden und vieles andere mehr... das lässt sich nicht in einem Einzelnen verorten, sondern es ist eine (körperlich geistig fundierte) Relation. Und eine Relation hat ihren Ort nicht in einem ihrer Glieder, auch wenn sie nichts ist ohne diese Glieder. Eine Hand alleine kann nicht klatschen, auch wenn das Klatschen ohne diese eine Hand nicht geben kann.

Ziel der Argumentation ist ja nicht, den Einzelnen loszuwerden und ihn sozusagen in einem Über-Subjekt aufzuheben, sondern zu zeigen, dass eine Gemeinschafts-Handlung, eine geteilte Intention sich nicht auf diverse Einzel-Handlungen und einzelne Intentionen reduzieren lässt. Geteilte Intentionalität ist ein primitives Phänomen, nicht weil die einzelnen Akteure eliminiert werden sollen, sondern weil es sich nicht begrifflich auf anderes reduzieren - sozusagen wegerklären - lässt.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 22:43
Und wenn eine Person einen Fehler macht, ist sie allein dafür verantwortlich, nicht der Partner oder die Partnerin.
Ja, stimmt. Aber woran gemessen ist es ein Fehler? Nun gemessen wird am gemeinsamen Ziel. Man könnte gar nicht erklären, worin der Fehler besteht, wenn man sich nicht auf die gemeinsame Handlungen bezöge. Dass Einzelne im Team Fehler machen können, zeigt daher nicht, dass Handlungen streng genommen immer von Individuen/Subjekten vollzogen werden. Es zeigt nur, dass die gemeinsame Handlungen nicht ohne den Einzelnen und seinen Teil daran existieren würde. Dass gemeinsame Handlungen gemeinsam von vielen "vollzogen" werden, zeigt jedoch nicht, dass es gemeinsame Handlungen als primitives Phänomen nicht gibt :)

(Nachtrag: Ich sehe jetzt erst deinen vorhergehenden Beitrag, wo du die Sache mit der Relation ja selbst erläutert hast, wenn natürlich auch auf einer anderen Ebene.)




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Jörn Budesheim
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Friederike
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So 2. Jun 2019, 08:01

Meine Behauptung:
Friederike hat geschrieben : Ich trage die Verantwortung für mein Handeln. Eine "andere" Verantwortung gibt es nicht.
hat Hermeneuticus netterweise begründet, wie ich sehe:
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 31. Mai 2019, 22:43
Klar, man ist sich gegenseitig verantwortlich. Und zwar wofür? Für den eigenen Beitrag zur gemeinsamen Handlung. Beim Paartanz kann jede Person schließlich nur die eigenen Beine und Arme bewegen, und nur sie kann dafür sorgen, dass ihre Bewegungen sich mit denen des Partners ergänzen. Und wenn eine Person einen Fehler macht, ist sie allein dafür verantwortlich, nicht der Partner oder die Partnerin.
Daran würde ich auch zunächst festhalten wollen, falls mich nicht Argumente zur Korrektur bewegen. Ich meine, daß es im Begriff "Verantwortung" liegt, daß sie sich nicht vermehren oder vermindern oder teilen oder delegieren läßt.

Wenn ich mir einen Kaffee kochen will, eine Handlung, die mir aus irgendwelchen Gründen heute danebengeht, dann scheint die Verantwortung zwar lächerlich gering im Vergleich beispielsweise zu einer OP, die ein Team von Chirurgen vornimmt, aber ich denke, daß die möglichen Konsequenzen des Scheiterns oder Gelingens einer Handlung an der Verantwortung, die der jeweils Handelnde trägt, nichts verändert.




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Jörn Budesheim
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Warum ist man nur für die eigenen Handlungen verantwortlich, aber nicht für Teil-Handlungen einer gemeinschaftlichen Gesamthandlung?




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Friederike
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So 2. Jun 2019, 09:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Jun 2019, 06:08
[...] as das Individuum im Lichte des gemeinsamen Ziels und der gegenseitigen Verantwortung "vollzieht", ist nämlich nur ihr Anteil an der Handlung, der sich nicht mal grundsätzlich ohne weiteres klar abgrenzen lässt, was man am Beispiel des gemeinsamen Tragens eines schweren Gegenstandes sehen kann. Doch ein Teil ist nicht das Ganze. Eine Einzelne kann keinen Paartanz vollziehen. (Einen Paartanz kann es aber natürlich nicht ohne Individuen geben, die im übrigen bereits dafür "angelegt" sind, im Team handeln zu können. Kooperieren-können ist sozusagen Teil unseres Bauplans - siehe dazu Tomasello zum Beispiel.) Eine Einzele kann zwar im Chor singen, aber keinen Chorgesang "vollziehen". Diese dauernden gegenseitigen Bezugnahmen, das von Den-Anderen-Getragen-Werden und vieles andere mehr ... das lässt sich nicht in einem Einzelnen verorten, sondern es ist eine (körperlich geistig fundierte) Relation. Und eine Relation hat ihren Ort nicht in einem ihrer Glieder, auch wenn sie nichts ist ohne diese Glieder. Eine Hand alleine kann nicht klatschen, auch wenn das Klatschen ohne diese eine Hand nicht geben kann.

Ziel der Argumentation ist ja nicht, den Einzelnen loszuwerden und ihn sozusagen in einem Über-Subjekt aufzuheben, sondern zu zeigen, dass eine Gemeinschafts-Handlung, eine geteilte Intention sich nicht auf diverse Einzel-Handlungen und einzelne Intentionen reduzieren lässt. Geteilte Intentionalität ist ein primitives Phänomen, nicht weil die einzelnen Akteure eliminiert werden sollen, sondern weil es sich nicht begrifflich auf anderes reduzieren - sozusagen wegerklären - lässt.
Im Lichte Deiner obigen Ausführungen verstehe ich jetzt erst die Frage, die Du zu Beginn des Gespräches gestellt hattest:
Jörn hat geschrieben : Eine der entscheidenden Fragen für dieses Thema lautet: Was ist primär? (In welchem Sinn auch immer.) Kollektives Handeln oder "einzelnes Handeln"?
Ich habe leider keine Idee, welchen Weg man einschlagen könnte, um die Frage zu beantworten.

Vielleicht so, wie wir erlernen, was "Handeln" ist? Dazu allerdings scheint es mir unerläßlich, die Handlungsformen doch mit einzubeziehen. Wenn eine Person gefragt wird, was sie gerade "tut", dann antwortet sie beispielsweise "ich kaufe ein" oder "ich nehme an einem Symposium teil". Das heißt, bevor die Frage nach der Absicht oder nach dem Ziel überhaupt gestellt werden kann, bevor die von einem "wir" abgeleitete "ich"-Absicht also überhaupt thematisiert werden kann, muß man mE die Handlungsform bzw. das Erlernen der Handlungsform berücksichtigen.

Vielleicht ist alles, d.h. vielleicht sind die 4 Elemente (Form, Absicht, Wir und Ich) in einem einzigen Vorgang beschlossen und ein Primäres gibt es nur logisch, weil es zum Auseinanderlegen und zum Synthetisieren nötig ist. Du hattest in Klammern ja auch schon vorsorglich ein "in welchem Sinne auch immer" hinzugefügt.




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So 2. Jun 2019, 11:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 08:20
Warum ist man nur für die eigenen Handlungen verantwortlich, aber nicht für Teil-Handlungen einer gemeinschaftlichen Gesamthandlung?
Familie Mustermann stellt ein Zelt auf. Das Aufstellen des Zeltes ist die Handlung. Da alle Familienmitglieder daran beteiligt sind, ist es eine gemeinschaftlich vollzogene Gesamthandlung, die sich aus diversen Teilhandlungen zusammensetzt (Pflöcke einschlagen, Zelt auslegen, an Stangen befestigen usw.).

Frau M. übernimmt die Teilhandlung, die Zeltenden an den Stangen zu befestigen. Dann ist sie verantwortlich für diese Handlung, die ein Teil der Gesamthandlung ist. Wie kann sie denn verantwortlich sein für die Teilhandlung, die Zeltstange in der Mitte festzuhalten, wenn diese Teil-Handlung nicht sie, sondern ihre Tochter vollzieht?

Ich glaube, ich verstehe die Frage nicht ... :roll:




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Jörn Budesheim
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So 2. Jun 2019, 11:56

Die Frage ist an Einfachheit nur noch schwer zu überbieten: Ich möchte wissen, wie dein Argument lautet. Das ist alles.

Du behauptest, man sei nur für die eigene Handlungen verantwortlich - ich will nur wissen, was du damit sagen willst. Wofür oder wogegen spricht diese Tatsache - falls es denn eine ist - in Bezug auf die Fragestellung des Threads.




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So 2. Jun 2019, 12:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 11:56
Du behauptest, man sei nur für die eigene Handlungen verantwortlich - ich will nur wissen, was du damit sagen willst. Wofür oder wogegen spricht diese Tatsache - falls es denn eine ist - in Bezug auf die Fragestellung des Threads.

Achso. Meine Begründung hatte ich doch vorhin geschrieben. "Ich meine, daß es im Begriff "Verantwortung" liegt, daß sie sich nicht vermehren oder vermindern oder teilen oder delegieren läßt".

Was den Bezug zum Thread angeht, so habe ich den Begriff "Verantwortung" hier nicht eingeführt, sondern mich nur drangehängt. Er ist mE zwar mit dem Handlungsbegriff engstens verbunden; ob er "Handlung" sogar definiert, soweit möchte ich mich vorsichtshalber nicht aus dem Fenster lehnen, aber für mich steht "Verantwortung" bei der Frage nach dem kollektiven oder individuellen Handeln als dem Primären nicht im Vordergrund.




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Jörn Budesheim
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So 2. Jun 2019, 13:46

Welchen Grund gibt es, dass du nicht die auf dem Unterschied zwischen Handlung und Teilhandlung eingehst?




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So 2. Jun 2019, 14:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 1. Jun 2019, 06:08
Was das Individuum im Lichte des gemeinsamen Ziels und der gegenseitigen Verantwortung "vollzieht", ist nämlich nur ihr Anteil an der Handlung, der sich nicht mal grundsätzlich ohne weiteres klar abgrenzen lässt, was man am Beispiel des gemeinsamen Tragens eines schweren Gegenstandes sehen kann.
Die Abgrenzung wird sofort deutlich, wenn einer versagt oder sich zu Lasten der anderen ausruht. Damit die gemeinsame Handlung gelingt,, muss jeder Einzelne sein Bestes geben. - Der Umstand, dass die gemeinsame Handlung scheitert, wenn ein Einzelner versagt, pfuscht oder betrügt, zeigt doch ganz klar, dass jeder Einzelne für sein Handeln verantwortlich bleibt. Er hat die ihm (und keinem anderen) zugeteilte Aufgabe zu erledigen. Etwas anderes kann er auch gar nicht tun.

Doch ein Teil ist nicht das Ganze. Eine Einzelne kann keinen Paartanz vollziehen. (Einen Paartanz kann es aber natürlich nicht ohne Individuen geben, die im übrigen bereits dafür "angelegt" sind, im Team handeln zu können.
Die Kategorien Teil/Ganzes sind, glaube ich, zu grob für die Sache. Die Zusammenarbeit von eigenständigen Subjekten lässt sich damit nicht angemessen erfassen. "Teile" sind nämlich unselbständig; sie kommen durch Zer-Teilung eines (selbständigen) Ganzen zustande. Ein Team besteht aber aus lauter selbständigen Subjekten, die sich jederzeit dazu entschließen können, das Team zu verlassen - oder einfach "Nein!" zu sagen und entsprechend zu handeln.
Kooperieren-können ist sozusagen Teil unseres Bauplans - siehe dazu Tomasello zum Beispiel.)
Ungeschickte Metapher! Denn Menschen leben nicht, indem sie einen schon vor ihnen existierenden Plan erfüllen. Sie entwickeln ihren eigenen Kopf. Sie können sich jederzeit gegen die Gemeinschaft stellen, sie können "aussteigen" oder ihren eigenen Vorteil zu Lasten anderer suchen, sie können kriminell werden usw. Dieses Potential zum Anti-Sozialen gehört unweigerlich zu dem, was wir "menschliche Freiheit" nennen. Freiheit bedeutet immer auch: Schuldfähigkeit. Und unsere individuelle Freiheit manifestiert sich im Handeln.

Eine Einzelne kann zwar im Chor singen, aber keinen Chorgesang "vollziehen". Diese dauernden gegenseitigen Bezugnahmen, das von Den-Anderen-Getragen-Werden und vieles andere mehr... das lässt sich nicht in einem Einzelnen verorten, sondern es ist eine (körperlich geistig fundierte) Relation. Und eine Relation hat ihren Ort nicht in einem ihrer Glieder, auch wenn sie nichts ist ohne diese Glieder. Eine Hand alleine kann nicht klatschen, auch wenn das Klatschen ohne diese eine Hand nicht geben kann.
Ein Subjekt ist aber kein bloßes "Glied". Es kann sich dazu entschließen, sich zum Teil, zum gehorsamen Glied oder funktionierenden Organ eines Ganzes zu machen. Es kann sich z.B. zur Waffen-SS oder zur Fremdenlegion melden und seine Erfüllung im Gehorchen finden. Es kann seine individuelle Freiheit auf vielfache Weise für eine Sache oder ein Kollektiv aufopfern. Ja. Aber dieses Opfer ist seine persönliche Handlung und liegt in seiner persönlichen Verantwortung.
Ziel der Argumentation ist ja nicht, den Einzelnen loszuwerden und ihn sozusagen in einem Über-Subjekt aufzuheben, sondern zu zeigen, dass eine Gemeinschafts-Handlung, eine geteilte Intention sich nicht auf diverse Einzel-Handlungen und einzelne Intentionen reduzieren lässt. Geteilte Intentionalität ist ein primitives Phänomen, nicht weil die einzelnen Akteure eliminiert werden sollen, sondern weil es sich nicht begrifflich auf anderes reduzieren - sozusagen wegerklären - lässt.
Dann musst Du aber vorsichtiger mit Deinen Begriffen und Beschreibungen werden (Teil, Glied, Bauplan).

Es ist auch nicht mein Ziel, menschliche Gemeinschaft und gemeinschaftliches Handeln auf Individuen und Einzelhandlungen zu "reduzieren". So habe ich schon deutlich gesagt, dass Verantwortung und Handeln grundsätzlich soziale Phänomene sind. Es liegt sozusagen in der "Natur" von Verantwortung, dass sie eine soziale - nämlich dreistellige Relation ist. Wenn ich (selbständig, auf eigene Rechnung) handele, dann bin ich dafür immer anderen Personen verantwortlich. Eine "Einzelhandlung" ist also - wohlverstanden - kein atomares Teilchen, das isoliert im Vakuum umher treibt. So wenig, wie ein menschliches Individuum von Natur aus eine Art Robinson wäre. Menschen sind ursprünglich und wesentlich soziale Wesen. Sie sind auf Gemeinschaft und Kooperation von Natur aus angewiesen. Auch - und gerade - wenn sie zu selbständigen, eigenverantwortlich handelnden Subjekten heranwachsen wollen. Sie erlangen ihre Selbständigkeit nur im Zusammenleben mit Selbständigen. ("Das Selbstbewusstsein ist nur im anderen Selbstbewusstsein", sagt Hegel.) Aber "Zusammenleben mit Selbständigen" erschöpft sich nicht in lauter Kooperation und harmonischer Gemeinschaft. Dazu gehört - Hegel hat es überdeutlich herausgearbeitet - auch immer der Konflikt, das Nein-Sagen, die "Losreißung von der Sustanz", die Schuldfähigkeit und - Tragik.




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Friederike
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So 2. Jun 2019, 14:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 2. Jun 2019, 13:46
Welchen Grund gibt es, dass du nicht die auf dem Unterschied zwischen Handlung und Teilhandlung eingehst?
Was ist die Teil-Handlung? Am Beispiel der Gesamthandlung "Zeltaufstellen" hatte ich dargelegt, warum es mir absurd vorkommt, für eine Teil-Handlung der Gesamthandlung, die Person X ausführt, Person Y die Verantwortung zuzuschreiben.

Am Ende der Handlung, wenn das Zelt steht, so würde ich sagen, hat jede der daran beteiligten Personen für die Teilhandlungen, die sie vollzogen hat, die Verantwortung. Für diese Teilhandlungen, für nichts anderes.

Anderes Beispiel: Gesamthandlung der schwere Sack, der von 6 Personen geschleppt wird und die nicht in kleinere Einheiten von Teil-Handlungen zerlegt wird. Meinst Du mit Teil-Handlung den Teil der Handlung, den jede Person als Teil des Teams vollzieht, wobei alle dieselbe bzw. die gleiche Handlung vollziehen?

Angenommen, das trifft zu, dann hat mE jede Person auch in diesem Fall die Verantwortung nur für ihr Handeln.




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So 2. Jun 2019, 14:52

Warum um Himmels willen schreibst du das alles? Worauf bezieht es sich? kannst du irgendein Zitat liefern, was auch nur näherungsweise passt?




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