In welcher Weise existieren Handlungsschemata? Gibt es z.B. das Fahrradfahren "als solches"? - Irgendwie schon, nämlich in unseren Vorstellungen, Beschreibungen, Begriffen. Wir können im Allgemeinen über DAS Fahrradfahren sprechen und darüber auch wahre Behauptungen aufstellen.Friederike hat geschrieben : ↑Di 4. Jun 2019, 08:34Ich hoffe inständigst, daß diese Schlußfolgerung nicht glasklar und für jeden Menschen mit Verstand aus Deinen Anmerkungen zu Aristoteles einsichtig wird ... denn ich bin sehr überrascht, dies am Ende Deiner Einlassungen zu lesen. Ich verstehe die Aussage schlichtweg nicht. Die Handlungsschemata, inwiefern sind die dann primär? In der individualgeschichtlichen Entwicklung, oder dienen sie nur heuristischen Zwecken? Bzw. kannst Du kurz erklären, was "ontisch" und "kognitiv" in diesem Zusammenhang meint?!Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mo 3. Jun 2019, 22:04Aber was die Rangfolge betrifft, bleibe ich eisern: Ontisch und kognitiv primär sind die konkreten individuellen Handlungen; die allgemeinen Handlungsschemata sind von ihnen abgeleitet, daher sekundär.
Aber Fahrrad fahren kann jeder von uns nur, indem er es selbst tut, indem er sich aufs Rad setzt. Und zwar setzen wir uns dann immer auf ein ganz bestimmtes, individuelles Rad und immer in einer ganz bestimmten, individuellen Situation.
Nach einiger Übung - möglichst auf verschiedenen Fahrrädern - haben wir die Fähigkeit des Radfahrens erworben. Diese Fähigkeit, dieses Vermögen (Aristoteles spricht von "dynamis", lat. "potentia") tragen wir irgendwie mit uns herum. Sie ist ebenfalls etwas Allgemeines, denn wir können ja immer wieder und auf ganz verschiedenen Rädern und in ganz verschiedenen Situationen Rad fahren. Auch wenn wir aktuell nicht auf dem Rad sitzen, existiert diese Fähigkeit in uns - irgendwie. Sie ist jedenfalls nicht nichts. Bewähren muss dieses Potential sich allerdings immer im konkreten Fall, in der konkreten Handlung, im "Vollzug" (bei Aristoteles "energeia", lat. actus).
Ob andere Menschen Rad fahren können, erkennen wir nur, wenn und indem sie es wirklich tun. Es mag Menschen geben, die können über das Radfahren ganze Bücher schreiben. Aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass sie das Radfahren selbst beherrschen. Das praktische Können zeigt und bewährt sich immer in der wirklichen Tat (actus).
Die "ontische" Frage nach der Seinsweise von Handlungsschemata würde ich nach dieser kurzen Erläuterung so beantworten: Sicherlich gibt es Handlungsschemata im Allgemeinen - so, wie es ja auch Handlungsfähigkeiten im Allgemeinen gibt. Sie sind jedenfalls nicht nichts. Aber sie existieren anders als die konkreten, einzelnen Handlungen, in denen Handlungsschemata aktualisiert werden. Und mir scheint klar, dass die konkrete Handlung hier den "ontologischen" Vorrang hat. Wenn ich Kaffee trinken will, nützt mir meine Verfügung über das Handlungsschema des Kaffeekochens nur dann etwas, wenn ich sie hier und jetzt praktisch ausübe und mir wirklich Kaffee koche. Allgemeine gesagt: Das Wirkliche hat Vorrang vor dem Möglichen. Das Konkrete hat Vorrang vor dem Allgemeinen.
Die kognitive Frage ist ähnlich differenziert zu beantworten. - Handlungsschemata lassen sich durchaus im Allgemeinen erkennen, d.h. wir können wahre allgemeine Aussagen über ein Handlungsschema (wie das Radfahren) machen. Das ist dann allerdings ein "bloß theoretisches" Wissen (knowing-that). Das praktische Wissen (knowing-how) ist davon zu unterscheiden. Das erwerben wir nur durchs konkrete Tun, durch wiederholtes Üben. Zwar entwickelt sich mit der Übung auch eine allgemeine Fähigkeit, eine allgemeine Beherrschung des betreffenden Handlungsschemas, aber sie ist klarer Weise sekundär gegenüber der konkreten Handlung, in der wir eine Fähigkeit ausüben bzw. das Handlungsschema "aktualisieren".