Hat Rilke recht?

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Jörn Budesheim
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Fiktives Porträt Rilkes


Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn, und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.




szimmer
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Fr 5. Jul 2019, 21:08

Soweit ich weiß (und wie jeder Mensch weiß ich ja jetzt im Moment und auch immer nicht genug - Sokrates/Platon) kann man Rilke nur schwerlich als Philosophen (im Sinne von "auf der Suche nach einer allgemeingültigen Wahrheit") bezeichnen. Und das meine ich jetzt nicht nur weil er sich bestimmt ungern als Ding bezeichnet sieht. Ich behaupte mal schlichtweg provokativ, dass ihn Deine Frage daher auch kaum interessiert hätte. Was nicht bedeutet dass er die philosophische Methode des "etwas in Frage stellens", d.h. bezweifelns, die Du hier anwendest, nicht gekannt hätte. Er stellt ja weder die Dinge noch die Begriffe/Bezeichnungen an sich in Frage sondern verzweifelt "darüberhinaus" an der Anwendung von Bezeichnungen auf Dinge (in der Realität) und deren Auswirkungen. Und wie bei allem was in Richtung "darüberhinaus" geht ist das dann Meinungs-, Ansichts- oder Glaubenssache etc. O.k. mich überzeugt sein Text, weil ich die Erfahrung nachempfinden kann...ansatzweise. Ich würde aber nie behaupten dass ich allgemeingültig Recht damit habe..
nur "für mich"...und meine meist subjektive Erfahrung. Genies wie Rilke sind halt Überzeugungstäter. Sonst wären sie auch nicht in der Lage individuell existentielle Erfahrungen nachvollziehbar an den Mann bzw. in dem Falle an mich zu bringen 😎

Zum Thema Erkenntnisgewinn aus Zweifel gibt's was von Descartes. Zum "verlogenen" Missverhältnis zwischen Realität und Be.Griffe.n etwas von Nietzsche. Rilke kannte den wohl schriftlich bzw. In Buchform. Lou Salome sogar persönlich. ☺️

https://gutenberg.spiegel.de/buch/uber- ... nne-3243/1



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Jörn Budesheim
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Sa 6. Jul 2019, 07:04





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Jörn Budesheim
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Sa 6. Jul 2019, 09:31

Ich für meinen Teil finde, dass Rilke Recht hat. Er bringt in ästhetischer Form wahre philosophische Gedanken zum Ausdruck, die in "profaner Sprache" nicht so ohne weiteres sagbar sind. Ich nehme das lyrische Ich als Angebot, mich in den Gedanken hinein zu versetzen. Das geht - wie ich finde - auch 122 Jahre, nachdem das Gedicht geschrieben wurde. In 93 Worten wird lyrisch dafür argumentiert, warum es angemessen sein kann, sich vor den Worten der Menschen zu fürchten. (Selbst ganz aktuelle Ereignisse kommen mir dabei in den Sinn!) Denn: Nur der Form nach sind es 93 Worte, aber wenn man das Gedicht sich selbst laut vorliest oder sich vorlesen lässt, spürt man, dass es dem eigenen Anspruch gerecht wird, den Gesang der Dinge zu Gehör zu bringen. Das Gedicht gibt sich selbst in vielen verschiedenen Arten und Weisen!

Das ist meines Erachtens die entscheidende Passage: "Die Dinge singen hör ich so gern". Rilke ist kein Skeptiker, er traut uns sogar zu, die Dinge selbst singen zu hören! Das heißt wir können die Dinge in ihrer eigenen Sprache vernehmen. Wir leben nicht in einem kalten, entzauberten Universum, in dem alles bloß Ansichtssache ist: die Dinge sind nicht wirklich starr und stumm, sondern sie strahlen auf viele verschiedene Art und Weisen. Dafür sind wir offen! Wenn (!) wir uns dafür öffnen ...

Das ist meines Erachtens ein philosophisches Statement in lyrischer Form für ein plurales realistisches Wirklichkeitsverständnis und gegen die Eindeutigkeit eines metaphysischen Realismus*.

Die Rede vom Gesang der Dinge hat mich an eigene (mittlerweile überwundene) philosophische Lektüren erinnert. Ich musste dabei an Richard Rorty denken, der mich früher sehr begeistert hat. Hier ein kurzer Auszug aus einer Kritik des Spiegels zur Rortys Kontingenz, Ironie und Solidarität: "Richard Rorty [...] will die liberale Gesellschaft ermutigen, allen philosophischen Ballast, insbesondere metaphysischen, abzuwerfen. Das geht bei Rorty in folgenden Schritten: Sprache ist kein Medium für eine außer ihr liegende Welt. Die Welt spricht nicht, nur wir sprechen. Ob wahr ist, was wir sprechen, können wir nicht feststellen. Nur daß sich Sprechweisen ändern, sprachschöpferische Vulkane entleeren sich über uns. Die Wahrheit - ein Auf und Ab, ein "bewegliches Heer von Metaphern" (Nietzsche)." Spiegel 1990

Gemeint ist natürlich diese Passage: "Die Welt spricht nicht, nur wir sprechen." Nun macht die Wirklichkeit natürlich nicht den Mund auf und sagt dieses oder jenes, aber die vielen verschiedenen Arten des Gegeben-Seins, die wir erfassen können, sind Elemente der Wirklichkeit selbst. (Der Naturwissenschaftler deutsch spricht z.b. von der Wirklichkeit von Abstraktionen.) Wenn wir die Pluralität, die Unendlichkeit nicht beim erstbesten Begriff abhaken, können wir uns dafür öffnen und der erste Gedanke, den wir erfassen, muss dann nicht das letzte Wort haben.

*metaphysischer Realismus geht mit der Vorstellung einher, das exakt eine wahre Beschreibung der Welt gibt.




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Jörn Budesheim
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Sa 6. Jul 2019, 11:17

Wichtig ist auch der Unterschied zwischen Worten und Gesang. Beispiele für Worte waren: Hund und Haus, Ende und Beginn. Hier geht es jeweils um "klar begrenztes", Eindeutiges und Einzeldinge, aus dem Zusammenhang isoliertes. Unter Gesang würde ich statt dessen sinnhafte Zusammenhänge verstehen wollen: Tatsachen, Geschichten, Ereignisse. Darin spiegelt sich meines Erachtens eine ganz andere (weitere) Ontologie.




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 08:59

Drückt das Gedicht nicht auch eine gewisse Sprachskepsis aus? Ich bin mir da nicht sicher. Denn das lyrische Ich betrachtet sich selbst als Außenseiter: es spricht von den Menschen als sie und ihr: Sie sprechen alles so deutlich aus, ihr Spiel mit dem Spott. Es scheint sich mir also eher um eine bestimmte Verwendung der Sprache und nicht um ein Problem der Sprache selbst zu handeln... oder?




szimmer
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So 7. Jul 2019, 09:51

Tut mir leid, aber in meinen Augen macht es nur bedingt Sinn sich über etwas auszulassen wenn schon der Titel (meine Meinung) merkwürdig gewählt ist, oder wie es heutzutage salopp ausgedrückt wird "leicht daneben" ist. Falls es Dich zur Verdeutlichung interessiert ein wie auch immer geartetes Wortspiel analog zu "Kunst kommt von Können, käme sie von Wollen, hieße sie Wulst [oder Wunst]."
"Dichter kommt von "sprachlich verdichten" und nicht von Recht haben oder sprechen, sonst müsste es Richter heißen."

Ich finde es selbst.verständlich wenn sich jemand wie Du bei einem Text Gedanken macht oder die Frage stellt ob jemand Recht mit dem hat was geschrieben wurde. Die Frage bleibt aber für mich immer ob das dann etwas mit dem Text an sich zu tun hat oder nicht schon eine "eigene" Interpretation ist...d.h. Übertragung. Positiv ausgedrückt eine "Aneignung" des Rezipienten. Auf diesem Prinzip baut ja der ganze Kulturbetrieb, d.h. Umgang und Ver/Betrieb mit und von Kunst auf. Habe ich jetzt etwa Vertreibung "von etwas" gemeint? Das hat zumindest Rilke in seinem Text in seiner Kritik an der Benennung von Dingen u.a. ausgedrückt. Meine Meinung 😚

Ein Gedicht, bei dem ich mir schon eher die Frage Stelle ob er/Rilke Recht hat ist Folgendes:

∼ Herbstgedicht ∼

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
Als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
Sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
Aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.

...ich meine jetzt bezogen auf den letzten Satz, wo die Frage nach "Gott" auftaucht. Ich für meinen "Fall" lasse die mal (erzählerich und geschichtlich) h.offen.
Das können andere doch besser ausdrücken oder denken, z.b. sprachphilosophisch. Von

"1
Die Welt ist alles, was der Fall ist.
..."

bis

"...
7
Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."

Ludwig Wittgenstein



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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 11:21

szimmer hat geschrieben :
So 7. Jul 2019, 09:51
"leicht daneben"
szimmer hat geschrieben :
So 7. Jul 2019, 09:51
Tut mir leid

Ich beschäftige mich seit über 40 Jahren mit Philosophie und Kunst. Ich hab mich also längst daran gewöhnt, dass viele das "daneben" oder "leicht daneben" finden :-) Passt schon.
szimmer hat geschrieben :
Fr 5. Jul 2019, 21:08
Soweit ich weiß (...) kann man Rilke nur schwerlich als Philosophen (...) bezeichnen.
Rilke hat ein Philosophiestudium zumindest begonnen...

Wie auch immer: "Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten" meint der selbe Wittgenstein, den du oben zitierst. Ich teile diese Ansicht zwar nicht, aber ich meine, dass es zwischen Philosophie und Kunst durchaus Überschneidungen gehen kann. Markus Gabriel drückt es so aus: "Das philosophische Denken ist ein kreativer Vorgang, weshalb Philosophen wie die Romantiker oder Friedrich Nietzsche sogar so weit gegangen sind, es in die Nähe der Dichtung zu rücken. Philosophie ist letztlich weder genau wie Mathematik noch genau wie Lyrik (oder irgendeine andere Kunstgattung). Sie grenzt an beide Bereiche und bildet eine Schnittstelle."
szimmer hat geschrieben : Die Frage bleibt aber für mich immer ob das dann etwas mit dem Text an sich zu tun hat oder nicht schon eine "eigene" Interpretation ist...d.h. Übertragung.
Dass man Gedichte und andere Kunstwerke interpretiert oder auch deutet und dass man eigene Interpretationen und Deutungen vorlegt, gehört zur Sache dazu. Nur so kann der "Text an sich" überhaupt ins Leben kommen. Ohne Aufführung/Interpretation gibt es keine Kunst, sie ist Teil des Textes an sich. Die Unterscheidung von Ding an sich und Ding für uns kann man auf Texte nicht übertragen, weil es das "An sich" der Texte ist, für uns zu sein.
szimmer hat geschrieben : Die Frage bleibt aber für mich immer ob das dann etwas mit dem Text an sich zu tun hat oder nicht schon eine "eigene" Interpretation ist...d.h. Übertragung. Positiv ausgedrückt eine "Aneignung" des Rezipienten.
Die Frage kann man nur zu klären versuchen, indem man auf die entsprechenden Vorschläge reagiert :) ich hab ja diverse Angebote gemacht. Du bist eingeladen, darauf einzugehen.
szimmer hat geschrieben : sprachlich verdichten
Ich für meinen Teil sehe nicht, warum es in der Kunst nicht auch um Wahrheit gehen kann (nicht muss). Und wenn man etwas verdichtet ausdrückt, kann es dennoch wahr sein, manchmal sogar gerade deswegen. Wo es aber um Wahrheit geht, ist Irrtum immer auch möglich.




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 13:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 7. Jul 2019, 08:59
Drückt das Gedicht nicht auch eine gewisse Sprachskepsis aus? Ich bin mir da nicht sicher. Denn das lyrische Ich betrachtet sich selbst als Außenseiter: es spricht von den Menschen als sie und ihr: Sie sprechen alles so deutlich aus, ihr Spiel mit dem Spott. Es scheint sich mir also eher um eine bestimmte Verwendung der Sprache und nicht um ein Problem der Sprache selbst zu handeln... oder?
Vielleicht geht es nicht um Sprachskepsis, sondern um eine Aufgabe? Nämlich die Aufgabe, die richtige Sprache zu finden?!




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 16:44

Hier habe ich einen Interpretations Vorschlag in einem Rilke Forum entdeckt > http://www.rilke.de/forum/viewtopic.php?t=70




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 17:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 6. Jul 2019, 09:31
Das ist meines Erachtens ein philosophisches Statement in lyrischer Form für ein plurales realistisches Wirklichkeitsverständnis und gegen die Eindeutigkeit eines metaphysischen Realismus*.
Es ist wohl etwas naiv, zu versuchen aus einem einzigen Gedicht die Ontologie seines Autoren herauszukitzeln :)




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Friederike
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So 7. Jul 2019, 17:38

Rilke hat geschrieben :
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn, und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Ich habe mir absichtlich den von Dir verlinkten Interpretationsvorschlag nicht angesehen, weil ich dann ganz sicher nicht mehr naiv-unbefangen selber zu verstehen suche.

@Jörn, Du liest die 2 Strophe so, daß sich "ihr Sinn" auf der Menschen Wort bezieht? Das schließe ich daraus, daß Du bisher die Sprachskepsis oder die Aufgabe der Sprache thematisiert hast. Spontan habe ich bei "ihr Sinn" hingegen gedacht, der Menschen Sinn sei gemeint. Unabhängig davon, daß der Sinn natürlich in Sprache ausgedrückt wird. Unter des Menschen Sinn würde ich zum Beispiel verstehen, wenn "ihnen kein Berg mehr wunderbar ist", daß sie kein Gespür für das Große, das Erhabene aufbringen.




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 17:44

Friederike hat geschrieben :
So 7. Jul 2019, 17:38
... weil ich dann ganz sicher nicht mehr naiv-unbefangen selber zu verstehen suche.
Wohlan! "Rilke ging (...) von einer kreativen Beteiligung seiner Hörer
aus und seine Texte ließen für die aktive Teilnahme seiner Hörer /
Leser auch den Raum, der für eine »wirkliche redliche Gemeinsam-
keit« nötig ist. (August Stahl)




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 17:53

Ich gehe davon aus, dass sich "ihr" in der zweiten Strophe jeweils auf den Menschen bezieht: Mich bangt auch der Menschen Sinn, der Menschen Spiel mit dem Spott, die Menschen wissen alles, was wird und war ...




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So 7. Jul 2019, 18:00

August Stahl hat geschrieben : die aktive Teilnahme seiner Hörer ...
... ist ein konstitutiver Teil der Texte! "Die wirkliche redliche Gemeinsamkeit" gehört zum "An sich" der Texte.




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Friederike
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So 7. Jul 2019, 18:02

Rilke hat geschrieben :
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Hm, wie würdet Ihr denn die dritte Zeile auslegen? Ich krieg's nicht zusammen. "Ihr rührt sie an" - darunter verstehe ich, buchstäblich wörtlich die Dinge be- oder anrühren. Und dann bleiben sie doch gerade nicht "starr und stumm".




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TsukiHana
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So 7. Jul 2019, 18:03

Rilke hat geschrieben :
...
Die Dinge singen hör ich so gern.
...
Diese Zeile spricht mich persönlich ganz besonders an, auch wenn sie mir in letzter Konsequenz ein Schweigen abverlangt. Hier kann ich Rilke zustimmen, was aber nicht heißt, dass ich die Frage des Threads "Hat Rilke recht?" gleich mit ja beantworten möchte. Vielleicht ist diese Frage einfach nur etwas unglücklich gestellt?
In einer lärmenden Welt (heute ganz besonders!) ist es nicht unbedingt leicht die Dinge singen zu hören.
So möchte ich sehr oft meinen Mitmenschen nachrufen:

POETISIERT EUCH!



Wozu die Tage zählen!?
(Ф.М. Достоевский)

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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 19:30

Friederike hat geschrieben :
So 7. Jul 2019, 18:02
Hm, wie würdet Ihr denn die dritte Zeile auslegen? Ich krieg's nicht zusammen. "Ihr rührt sie an" - darunter verstehe ich, buchstäblich wörtlich die Dinge be- oder anrühren. Und dann bleiben sie doch gerade nicht "starr und stumm".
Vielleicht kann man es sich fürs erste ganz drastisch ausmalen, auch wenn es vielleicht etwas freestyle ist: Die Dinge hören, ihr Lied hören, das heißt, ihren Eigenwert akzeptieren, der Zugriff darauf würgt das ab.

Bei Welsch habe ich mal einen Text gelesen, wo er darauf hinweist, dass Schiller den Dingen sogar eine gewisse Freiheit zubilligt. Und sie dieser Freiheit gemäß zu behandeln, heißt ihr Lied hören?! Sie haben eine eigene Stimme, ein eigenes Recht. Eine Forderung, die dringend in die heutige Zeit passt!




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Jörn Budesheim
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So 7. Jul 2019, 20:40

Novalis hat geschrieben : Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort
Joseph von Eichendorff hat geschrieben : Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.




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Jörn Budesheim
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Mo 8. Jul 2019, 05:55

TsukiHana hat geschrieben :
So 7. Jul 2019, 18:03
Rilke hat geschrieben :
...
Die Dinge singen hör ich so gern.
...
Diese Zeile spricht mich persönlich ganz besonders an, auch wenn sie mir in letzter Konsequenz ein Schweigen abverlangt.
Dass uns etwas anspricht oder ansieht, scheint für Rilke ein wichtiges Thema zu sein. Sein Gedicht "Archaïscher Torso Apollos" endet mit dem bekannten Worten: "... denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern."

Ich bin mir nicht sicher, ob uns das uns in letzter Konsequenz ein Schweigen abverlangt?! Vielleicht eher einen Richtungswechsel? Wie könnte das aussehen?




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