Freiheit und Sollen

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Friederike
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Di 19. Nov 2019, 11:49

Tangens Alpha hat geschrieben :
Mo 18. Nov 2019, 19:53
Verstehe ich noch nicht wirklich. Kannst du das etwas näher ausführen? Warum & wie können wir uns zu uns selbst verhalten? Als selbstbewusstes Individuum? Als Gattung? Und was hat das mit F. zu tun?
Menschen können können ihre Sinneswahrnehmungen, ihre Gefühle, ihre Handlungen, ihre Absichten, Pläne, ihre Gedanken be-denken; "reflektieren" sagt man auch. Diese Fähigkeit der Bezug- und Stellungnahme meine ich mit dem Verhalten zu sich selbst. Und diese Fähigkeit bildet meiner Ansicht nach die Grundlage dessen, was wir als "Freiheit" bezeichnen.

Der heute getroffenen Entscheidung, morgen eine Reise anzutreten, können weitere Überlegungen folgen, in deren Lichte die Entscheidung möglicherweise korrigiert werden kann. Der Wunsch nach Sicherheit kann abgewogen werden mit den ständigen Ärgererfahrungen an einem Arbeitsplatz und je nachdem, wie die Abwägung ausfällt, kann eine Entscheidung für das Verbleiben oder für die Suche nach einer anderen Arbeitsstelle getroffen werden.

Ich meine schon die Gattung "Mensch", aber selbstverständlich spielt die individuelle Ausstattung (wozu z.B. auch die "Bildung" zählt) eine entscheidende Rolle. Ein hohes Reflexionsvermögen bedeutet mehr an Freiheit als ein weniger ausgeprägtes Reflexionsvermögen, weil die Spielräume, die die eigenen Absichten, Erfahrungen, Gefühle, das eigene Verhalten usw. lassen, größer sind.

Mein Versuch fällt auch unter "anthropologisches Prinzip", oder? Weil ich das "aktiv" in Deiner Definition nicht kapiere, deswegen habe ich das Wort einfach weggelassen. Was wäre denn ein "passives anthr. Prinzip"? Aber das nur nebenbei.




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Jörn Budesheim
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Di 19. Nov 2019, 15:56

Tangens Alpha hat geschrieben :
Mo 18. Nov 2019, 19:46
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Nov 2019, 19:57
Was verstehst du unter Grund?
In diesem Fall einen menschlichen Zustand (ein Bedürfnis), der der Entscheidung bedarf! Wir wollen und entscheiden nicht einfach so, sondern aus einem Grund heraus.

Der Grund (= Bedürfnis) verhindert, dass der Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis, dem Ergebnis und der sichtbaren Wirkung in der Realität der Entscheidung mit einer statistischen Streuung behaftet ist, die uns nicht mehr als die Urheber unserer Handlungen begreifen ließe. Andersrum lässt sich eine erfolgte Handlung prinzipiell immer auf einen Grund zurückzuführen - die Kausalität macht auch vor unserem Gehirn keinen Halt.
Oft werden Grund und Ursache ähnlich oder gar synonym verwendet. In Philosophischen Zusammenhängen wird aber in der Regel unterschieden. Gründe sind etwas normatives. Etwas spricht für oder gegen etwas. Gründe kann man abwägen. Genau das heißt es, dass wir rationale Wesen sind. Und die Möglichkeit sich an Gründen zu orientieren ist ein Hauptargument für die Vorstellung, wir seien frei. Insbesondere für Kompatibilisten.

Nehmen wir den jungen Mann aus Sartres Beispiel. Was soll er tun? Sein Vaterland verteidigen? Oder bei der alten Mutter bleiben? Seine Mutter kommt ohne ihn nicht zurecht. Das ist ein Grund bei ihr zu bleiben. Wäre es hingegen ein Ursache, bräuchte der junge Mann nicht zu "schwanken" oder nachzudenken, die Ursache würde dann schlicht ihre Wirkung tun, was sie immer tut. Sich gegen die Tyrannen stellen - dafür gibt es jedoch auch viele Gründe. Wenn ich Sartre richtig verstehe, dann gibt es hier aber keine Möglichkeit, die Wahl rational zu treffen, also bloß nach vernünftigen Erwägungen zu entscheiden, also ist die Wahl radikal. (So verstehe ich den Begriff zumindest.)




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Tangens Alpha
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Di 19. Nov 2019, 17:25

Friederike hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 11:49
Tangens Alpha hat geschrieben :
Mo 18. Nov 2019, 19:53
Verstehe ich noch nicht wirklich. Kannst du das etwas näher ausführen? Warum & wie können wir uns zu uns selbst verhalten? Als selbstbewusstes Individuum? Als Gattung? Und was hat das mit F. zu tun?
Menschen können können ihre Sinneswahrnehmungen, ihre Gefühle, ihre Handlungen, ihre Absichten, Pläne, ihre Gedanken be-denken; "reflektieren" sagt man auch. Diese Fähigkeit der Bezug- und Stellungnahme meine ich mit dem Verhalten zu sich selbst. Und diese Fähigkeit bildet meiner Ansicht nach die Grundlage dessen, was wir als "Freiheit" bezeichnen.
Ja, jetzt hab ich es. Du denkst, wenn jd. in der Lage ist, einen anstehenden E-prozess rational zu durchdenken, die Konsequenzen vor Augen zu haben und sich dann reflektierend in diesem Konglomerat ("Im welchen Verhältnis stehe ich zu diesem Konglomerat?) von Entscheidungsdeterminanten zielsicher auf die E. zubewegt, dann würdest du diese E. "frei" nennen; und jd., der es nicht kann, hat auch diese Freiheit nicht, sondern verlässt sich mehr oder weniger tumb auf seine Konditionierung & Tradition.
Da würde ich meinen, dass wir da schon dicht zusammen sind, denn das sehe ich auch so. Den Terminus "Verhalten zu sich selbst" finde ich in diesem Zus.-hang wichtig; den werde ich in meine Def. mit aufnehmen. thumbs up!
Ich meine schon die Gattung "Mensch", aber selbstverständlich spielt die individuelle Ausstattung (wozu z.B. auch die "Bildung" zählt) eine entscheidende Rolle. Ein hohes Reflexionsvermögen bedeutet mehr an Freiheit als ein weniger ausgeprägtes Reflexionsvermögen, weil die Spielräume, die die eigenen Absichten, Erfahrungen, Gefühle, das eigene Verhalten usw. lassen, größer sind.
D'accord!
Mein Versuch fällt auch unter "anthropologisches Prinzip", oder? Weil ich das "aktiv" in Deiner Definition nicht kapiere, deswegen habe ich das Wort einfach weggelassen. Was wäre denn ein "passives anthr. Prinzip"? Aber das nur nebenbei.
Könnte man so sagen! Mit "aktiv" wollte ich ausdrücken, dass die Freiheit nicht vom Himmel fällt, sondern aktiv erarbeitet werden muss. Ein passives a. Prinzip wäre zB eine halbseidende Entscheidung, die nicht mit dem erforderlichen Maß reflektiert wurde; die Übernahme der Entscheidung eines Dritten, Nachahmung, etc.

Zu dem Thema fällt mir noch ein, dass die "Freiheit der Entscheidung" auch immer einen Januskopf hat; manche sind mit dieser Freiheit völlig überfordert und hätten lieber, dass ihnen jd. klipp & klar sagt, was zu tun ist. Das habe ich oft bei Mitarbeitern festgestellt; einige sind völlig autonom und man braucht ihnen nur die Arbeitsanweisung zu erteilen und sie kehren zurück, wenn sie fertig sind; andere kommen alle 3-4 Std. um zu fragen, oder sich zu versichern, dass sie es richtig gemach haben. Tja, das ganze Leben ist eine Abfolge von Entscheidungen...

Erich Fromm hat diese "Flucht vor der Freiheit" sehr schön aufgearbeitet und dargestellt in seiner Charakterologie.



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Friederike
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Di 19. Nov 2019, 18:03

:lol: Ich lache @T.A., weil ich zuerst, mindestens 2 Minuten, überlegen habe müssen, was ein "E-Prozeß" sein könnte. Aber ich hab's. !!!




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Jörn Budesheim
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Di 19. Nov 2019, 18:10

Ja, ich musste auch erst überlegen, ich war bei irgendeinem Elektro Prozess :)




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Jörn Budesheim
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Di 19. Nov 2019, 18:20

Ich würde die Sache mit dem Selbstbezug noch erweitern wollen. Bei Entscheidungen geht es doch auch oft darum, was einer Person bzw. einer Gruppe wichtig ist, es geht um Wertschätzungen. Und diese erfolgen in der Regel im Lichte einer Vorstellung davon, wer man selbst ist, bzw. was die Gruppe, mit der man lebt, ist bzw. sein sollte.

Wer von sich selbst z.b. glaubt, dass er eine Art Bioroboter ist, für den es gilt sich unentwegt zu optimieren, um möglichst viel Spaß im Leben zu haben, wird andere Entscheidung treffen als z.b. Mutter Teresa.

Zum Selbstbezug gehört meines Erachtens auch, dass man sich darüber klar wird, welches Bild man von sich hat. Und dass man sich darüber klar wird, dass man es ändern kann und gegebenenfalls sogar soll.

Ein fähigkeitsbasierter Freiheitsbegriff, wie ihr es oben angedeutet habt, ist meines Erachtens bestimmt nicht falsch. Aber es fehlt etwas diese existentielle Dimension.




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Tangens Alpha
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Di 19. Nov 2019, 18:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 15:56
Tangens Alpha hat geschrieben :
Mo 18. Nov 2019, 19:46
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Nov 2019, 19:57
Was verstehst du unter Grund?
In diesem Fall einen menschlichen Zustand (ein Bedürfnis), der der Entscheidung bedarf! Wir wollen und entscheiden nicht einfach so, sondern aus einem Grund heraus.
Der Grund (= Bedürfnis) verhindert, dass der Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis, dem Ergebnis und der sichtbaren Wirkung in der Realität der Entscheidung mit einer statistischen Streuung behaftet ist, die uns nicht mehr als die Urheber unserer Handlungen begreifen ließe. Andersrum lässt sich eine erfolgte Handlung prinzipiell immer auf einen Grund zurückzuführen - die Kausalität macht auch vor unserem Gehirn keinen Halt.
Oft werden Grund und Ursache ähnlich oder gar synonym verwendet. In Philosophischen Zusammenhängen wird aber in der Regel unterschieden. Gründe sind etwas normatives. Etwas spricht für oder gegen etwas. Gründe kann man abwägen. Genau das heißt es, dass wir rationale Wesen sind. Und die Möglichkeit sich an Gründen zu orientieren ist ein Hauptargument für die Vorstellung, wir seien frei. Insbesondere für Kompatibilisten.
Ich benutze "Grund", wenn es um menschliche, und "Ursache", wenn um physikalische Kausalprozesse geht.

Wenn ich eine E. treffe, will ich damit ja auch einen Zweck erreichen; der E.-Prozess beginnt mit einem mehr oder weniger bewussten Bedürfnis, das man vllt. erst nur als unangenehm empfindet, dass sich dann aber zu einem immensen Entscheidungsdruck auswachsen kann, der Entscheidungsvermeidung nicht mehr zulässt.

Diese neuro-biologischen E-Prozesse sind zunehmend Gegenstand der Neuro-Forschung und es scheint sicher, dass diese Vorgänge im Gehirn genauso den natürlichen Gesetzen unterliegen, wie alle anderen Bio-Prozesse auch.

Wenn ich diese Strecke von der Entscheidung rückwärts bis zum Grund der E. mittels Rückverfolgbarkeit nicht auf einen Grund in mir zurückführen kann, dann könnte ich mich auch nicht mit der E. identifizieren, sie also auch nicht auf mich beziehen, oder: mich nicht zu ihr verhalten, wie Friederike das so treffend ausdrückte.

Wolf Singer beschreibt den E-Prozess wie folgt:
Alle mentalen Aktivitäten beruhen auf Erregungsmustern der materiellen Neuronenverbände im Gehirn und folgen streng der Kausalität: der Zustand des Hirns heute ist das Ergebnis des Zustandes von gestern. Steht nun ein E-Prozess an, so werden sämtliche Hirnareale aktiviert, die irgendwelche Infos über das Thema gespeichert haben: es ist ein wirres chaotisches Neuronen-Gefeuere, das sich hart an der Kante zu chaotischen Prozessen bewegt; dann kann eine kleine Fluktuation, eine spontane Idee, etc. die Entscheidung auslösen: dieser neue definitive Zustand wird durch das nun einsetzende korrelierende Synchron-Schwingen der Neuronen repräsentiert bzw. angezeigt.

Es ist wie beim Rudelsingen: Entscheidung: "mit welchem Lied fangen wir an?" erst reden alle durcheinander, weil jeder ein anderes Lied singen will, dann einigt man sich und das undefinierte Gequatsche geht über in die definierte gemein-synchrone Harmonie der Chor-Musik.



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Jörn Budesheim
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Di 19. Nov 2019, 18:50

Ich für meinen Fall würde meine Philosophie (und die Frage wer ich bin) nicht auf einem ungedeckten Scheck basieren lassen. Die Hirnforscher schreiben viel im Feuilleton, de facto weiß noch niemand, wie Bewusstsein mit dem Gehirn zusammenhängt. Das sogenannte Leib-Seele-Problem ist weit davon entfernt, gelöst zu sein.

Demgegenüber stehen Sachen, die ich sicher weiß. Ich weiß, dass ich ein Bewusstsein habe. Ich weiß, dass man Menschen in Not in der Regel helfen sollte. Wenn wir davon ausgehen, dass wir solche elementaren Sachen nicht wissen, dann wissen wir gar nichts. Es ergibt keinen Sinn, unsere Menschlichkeit, auf eine metaphysische Spekulation hin zu opfern.

Natürlich kann es keinen Zweifel daran geben, dass bei jeder Entscheidung irgendwelche Natur/Kausalgesetz mit im Spiel sind. Aber wie die beschaffen sind, das weiß man definitiv nicht. In einem anderen Thread sprechen wir über die Forschungen z.b. von Koch und Tononi, die in dieser Hinsicht deutlich zurückhaltender sind, soweit ich sehe. Und sie gehören zu den führenden Forschern auf ihrem Gebiet. Sie gehen davon aus, dass sie noch Jahrzehnte forschen müssen, um die Theorie entsprechend testbar zu machen und sie mit dem Konkurrenzmodell zu vergleichen. Danach wird man ggf. auf den Trümmern der beiden Modelle aufbauen, so sagen sie. Für den Moment gehen sie davon aus, dass Bewusstsein real ist. Geist und Bewusstsein sind nach ihrer Ansicht ein Faktum in diesem Universum. Metaphorisch gesprochen: als "Gott" das Universum schuf, hatte er noch nicht alles getan, als er Materie schuf, Geist lässt sich nicht nachrüsten! Mit anderen Worten: sie unterstützen eine bestimmte, bescheidene Form des Panpsychismus. Ich bin ziemlich diesseitig eingestellt, deswegen elektrisiert mich diese Idee! Ich hätte bis vor kurzem nicht geglaubt, dass Naturwissenschaftler so etwas ernsthaft in Erwägung ziehen. Der sehr renommierte Philosoph Thomas Nagel, hat in seinem Buch Geist und Kosmos auch an dieser Idee herumgedoktert ... und viele andere mehr. Das Spiel ist also völlig offen!

Wer also behauptet, man wüsste empirisch wie Bewusstsein entsteht und wie wir denken, der bindet uns einfach einen Bären auf. Niemand weiß das!

Aber: Kein Wissenschaftler kann z.b. im Ernst bezweifeln, dass wir uns an Gründen orientieren, denn damit würde er den eigenen Arbeiten den Boden entziehen - schließlich muss er als Forscher, das was er tut begründen. Das heißt seine Arbeit basiert darauf, dass er ein freies bewusstes Lebewesen ist, was sich an Gründen orientieren kann. Seine Arbeit basiert darauf, dass er Gründe geben und nehmen kann. Sie basiert darauf, dass er die Ethik des Forschens akzeptiert, und z.b. nicht die Ergebnisse verfälscht. Sie basiert darauf, dass er die Gesetze der Logik akzeptiert. Diese normativen Aspekte sind die Bedingung der Möglichkeit seiner Arbeit, man kann nicht gleichzeitig behaupten, sie seien eine Illusion und/oder alles sei nur Kausalität.

Nur weil wir freie und geistige Lebewesen sind, sind wir überhaupt in der Lage Forschung zu betreiben. Diese Forschung ist bereits ein Ausdruck unserer Kreativität, bewußtheit und Freiheit. Wir sind damit bis an den Anfang des Universums gelangt, aber bisher wissen wir über uns selbst viel zu wenig und définitive naturwissenschaftliche Aussagen zu machen, die am Ende noch unsere Geistigkeit und Freiheit einziehen sollen.




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Friederike
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Do 21. Nov 2019, 16:01

Tangens Alpha hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 18:35
Wenn ich eine E. treffe, will ich damit ja auch einen Zweck erreichen; der E.-Prozess beginnt mit einem mehr oder weniger bewussten Bedürfnis, das man vllt. erst nur als unangenehm empfindet, dass sich dann aber zu einem immensen Entscheidungsdruck auswachsen kann, der Entscheidungsvermeidung nicht mehr zulässt.
Die "Übersetzung" von "Grund" als "Bedürfnis" ist für mich sehr hilfreich gewesen, weil ich bei meinen Überlegungen dazu, was ich unter "Grund" verstehe ziemlich ins Schwimmen geraten war. "Bedürfnis" ist weniger rational als "Grund", zumindest hat es weniger den "touch" von Rationalität und zugleich ist es elementarer als ein Wunsch.




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Do 21. Nov 2019, 16:04

Tangens Alpha hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 18:35
Diese neuro-biologischen E-Prozesse sind zunehmend Gegenstand der Neuro-Forschung und es scheint sicher, dass diese Vorgänge im Gehirn genauso den natürlichen Gesetzen unterliegen, wie alle anderen Bio-Prozesse auch.
Emotionsbewegt meine Reaktion: Was haben wir davon???!!!




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Tangens Alpha
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Fr 22. Nov 2019, 13:56

Friederike hat geschrieben :
Do 21. Nov 2019, 16:04
Tangens Alpha hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 18:35
Diese neuro-biologischen E-Prozesse sind zunehmend Gegenstand der Neuro-Forschung und es scheint sicher, dass diese Vorgänge im Gehirn genauso den natürlichen Gesetzen unterliegen, wie alle anderen Bio-Prozesse auch.
Emotionsbewegt meine Reaktion: Was haben wir davon???!!!
Ich würde meinen
- aus naturwissenschaftlicher Sicht: es ist Neugierde, schlichter Erkenntnistrieb, wie das Gehirn und damit das "Verhalten, ... " beschaffen ist.
- aus ethischer Sicht unterstützt die Erkenntnis der gleichen prinzipiellen Beschaffenheit aller menschlichen Gehirne die Auffassung von der Gleichheit aller Menschen.
- aus juristischer Sicht führt die Erkenntnis der Bedingtheit menschlichen Verhaltens zur Schuldminderung, im Idealfall zur hilfreichen Therapie.
- aus didaktischer Sicht: wenn ich weiß, wie Lernprozesse im Gehirn ablaufen, kann ich meinen Unterricht daraufhin optimieren.
- aus sozialer Sicht: wenn ich weiß, wie soziale Kommunikationsprozesse im Gehirne ablaufen, erleichtert es mir den Umgang mit schwierigen Sozialpartnern (zB Mitarbeiter)
- aus medizinischer Sicht kann die Kenntnis von zB depressiven Prozessen medikamentös behandelt werden.
- aus pädagogischer Sicht helfen diese Erkenntnisse bei der Erziehung.
- aus meiner persönlichen Sicht: ich finde, das menschliche Gehirn ist das komplexeste & faszinierenste "System" überhaupt; es ist kaum vorstellbar, dass aus ein paar Elementarteilchen am Uranfang so etwas Komplexes mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion, entstanden ist; ein kleiner aber unglaublicher Kosmos für sich.

Es ist, als würde der Kosmos durch das menschliche Gehirn über sich selbst nachdenken...


PS: welche Emotion hatte dich bewegt (wenn die Frage erlaubt ist)?



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Tangens Alpha
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Fr 22. Nov 2019, 14:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 19. Nov 2019, 18:50
Ich für meinen Fall würde meine Philosophie (und die Frage wer ich bin) nicht auf einem ungedeckten Scheck basieren lassen. Die Hirnforscher schreiben viel im Feuilleton, de facto weiß noch niemand, wie Bewusstsein mit dem Gehirn zusammenhängt. Das sogenannte Leib-Seele-Problem ist weit davon entfernt, gelöst zu sein.
[...]
Da steckt jetzt eine Menge Stoff in deinem Betrag, über den ich nochmal in Ruhe nachdenken muss. Jetzt dazu nur soviel:

Die naturwissenschaftliche Sichtweise ist natürlich nicht die einzige. Die Erfahrung musste ich selbst auch machen: hatte ich früher beim Anblick eines Regenbogens an Spektralanalyse & Quantenmechanik gedacht, lassen die Geburt meiner Tochter und die damit auf verwickelten Wegen entstandene Beschäftigung mit dem Menschen, seiner Geschichte und den Mythologien mich heute vor dem Regenbogen niederknien und mein eigenes spirituelles Gebet sprechen!

Diese Erfahrung ist in keiner noch so komplizierten mathematischen Gleichung objektivierbar!



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Jörn Budesheim
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Fr 22. Nov 2019, 15:30

So ist es! Unsere Erlebniswelt der Perspektive der ersten Person, lässt sich halt mit den Mitteln der Perspektive der dritten Person nicht einfangen.

Ich habe mir den letzten Tagen ein Video mit Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl angesehen, in dem es um Fichte und Schelling ging. Da hat Lesch noch mal deutlich gemacht, dass wir - trotz allem Wissensfortschritt - immer noch nicht genau verstehen und erklären können, was Leben ist!

Äußerst renommierte Naturwissenschaftler erwägen deswegen, wie an anderer Stelle beschrieben, mittlerweile sogar den Panpsychismus! Ich finde das mehr als erstaunlich. Ich kann natürlich hier von meinem Schreibtisch aus überhaupt nicht einschätzen, was da dran sein könnte. Eine andere renommierte Wissenschaft (Brigitte Falkenberg) schreibt ein Buch über den "Mythos Determinismus". Wegen all dem sollte man, nach meiner Einschätzung, mit metaphysischen Spekulationen wie: "die Welt ist deterministisch, also bist du nicht frei" ziemlich vorsichtig umgehen. Es scheint schonmal einfach nicht dem naturwissenschaftlich gesicherten Wissenstand zu entsprechen.

Und außerdem gibt es äußerst viele Philosophen, die mit guten Gründen auf Kompatibilismus setzen, was heißt, dass der Determinismus mit unserer Vorstellungen von uns selbst als freier, geistiger Wesen kompatibel ist. Das hat übrigens mittlerweile sogar so ein Hardcore Naturalist wie Gerhard Roth eingesehen.




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Fr 22. Nov 2019, 17:34

Tangens Alpha hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 13:56
[...] - aus meiner persönlichen Sicht: ich finde, das menschliche Gehirn ist das komplexeste & faszinierenste "System" überhaupt; es ist kaum vorstellbar, dass aus ein paar Elementarteilchen am Uranfang so etwas Komplexes mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion, entstanden ist; ein kleiner aber unglaublicher Kosmos für sich.
Es ist, als würde der Kosmos durch das menschliche Gehirn über sich selbst nachdenken...
PS: welche Emotion hatte dich bewegt (wenn die Frage erlaubt ist)?
Stimmt, das hatte ich vergessen - wohl, weil ich dachte, Du müßtest es wissen. :lol:
Arroganz, Hochmut ... fällt das unter "Emotion"? Geht ja nicht gegen Dich. Deine Faszinaton ... hm, irgendwie ist es wie ein Blickwechsel für mich. Spannend. Mir gefällt nicht, wenn der menschliche Geist auf Materie, Stoff, Körper, Hormone, Zellen und Synapsen reduziert wird - "reduziert" ist natürlich meine Bewertung.

Mit meiner Antwort bin ich unzufrieden - sie ist "geist"-los. Wenn mir was Klügeres einfällt, schreib' ich es noch.




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Tangens Alpha
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Fr 22. Nov 2019, 20:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 15:30
Ich habe mir den letzten Tagen ein Video mit Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl angesehen, in dem es um Fichte und Schelling ging. Da hat Lesch noch mal deutlich gemacht, dass wir - trotz allem Wissensfortschritt - immer noch nicht genau verstehen und erklären können, was Leben ist!
Das hört sich an, als wärst du darüber erleichtert. Ich sehe mich genötigt, hier mal eine Lanze für die Naturwissenschaftler zu brechen und etwas gerade zu rücken:

Viele haben eine nicht zutreffende Vorstellung von den Naturwissenschaftlern, woran die NW-er aber auch selbst einen Teil dazu beigetragen haben. Aufgabe der Physik ist: beobachten, messen, protokollieren und eine konsistente Theorie entwerfen; Aufgabe der Philosophie, diese zu interpretieren. Dazu benutzen die Physiker eine mittlerweile unglaublich komplexe Mathematik, nur mal als Beispiel: wenn man das Verhalten von Elementarteilchen beschreiben will, dann geht man folgendermaßen vor:

Zunächst werden die interessierenden Eigenschaften "mathematisiert"; dafür steht ein mathematischer Konfigurationsraum (der Hilbert-Raum) mit dem entsprechenden Werkzeug bereit: für die Energie ein Zustandsvektor, für die Dynamik ein unitärer Operator, für die Messgröße ein hermetischer Operator, für den Messwert ein reeller Eigenwert, und so weiter; es gibt im Hilbert-Raum unendlich viele Vektoren/Operatoren und zudem noch unendlich viele Unterräume. In diesem Gebäude bewegt sich der Physiker und ihm ist längst nicht mehr klar, welchen Bezug zur Realität die einzelnen Werkzeuge haben; ich würde es mal so ausdrücken:

Die Physiker holten sich die überaus attraktive Lady "Mathematik" in ihr Bett und die hat ihnen dermaßen den Kopf verdreht, dass sie wirklich nicht mehr zwischen der Realität und einem komplexen Zustandsvektor unterscheiden können. Um mit dieser Situation klar zu kommen, ziehen sie sich auf die einfachste Philosophie zurück: "shut up and calculate!" wie es einer mal formulierte: "Denk nicht drüber nach: definiere und rechne"! (etwas frei übersetzt). Diese Auffassung nennt sich Instrumentalismus: Physik ist nicht zuständig für Naturerklärung & Weltbild sondern nur ein Instrument, um korrekte Messergebnisse zu erzeugen. Diese Einstellung haben die meisten Physiker, aber einige sind eben auch Philosophen und wollen wissen, was hinter dem mathematischen Formalismus steckt, wollen wissen, wie der Kosmos "funktioniert".

Fragst du einen Instrumentalisten, was ein Elektron ist, wird er dir antworten: "ein Quantenobjekt, definiert durch Ladung und Spin." Punkt! Ein Philo-Physiker wird antworten: "Hol' dir 'ne Tasse Kaffee. Darüber müssen wir uns unterhalten!" Zu diesen würde ich mich zählen. Physik ist für mich kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um etwas über uns und den Kosmos zu erfahren - ein Mittel der Philosophie.

Was will ich damit sagen?
Wie in jedem Beruf gibt es solche und solche - und es gibt Vorurteile! Den Instrumentalisten verdanken wir das Image des "kalten" Wissenschaftlers, der alles auf physikalische Größen reduziert, damit er rechnen kann. Aber es gibt eben auch Wissenschaftler, deren Motiv die pure Neugierde ist, sie brennen darauf zu erfahren, wie die Welt und der Mensch beschaffen ist; und zu diesen würde ich zB Wolf Singer rechnen; ich habe einige Interviews und Diskussionsrunden mit ihm gesehen: er gehört zu den Philosophen! Und nur, weil er darauf brennt zu erfahren, wie Bewusstsein & unser Gehirn beschaffen sind, heißt das noch lange nicht, dass er keine Achtung vor dem Bewusstsein, dem Menschen und dem Leben hat! Ich habe von ihm sinngemäß den Satz gehört (und da stimme ich ihm voll & ganz zu):
"Wenn man sich so viel mit dem Menschen und seinem Gehirn befasst hat wie ich, kann man gar nicht anders, als zu der Einsicht zu kommen, wie unermesslich, außergewöhnlich und einzigartig der Mensch ist!"



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Fr 22. Nov 2019, 21:04

Friederike hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 17:34
Stimmt, das hatte ich vergessen - wohl, weil ich dachte, Du müßtest es wissen. :lol:
Arroganz, Hochmut ... fällt das unter "Emotion"? Geht ja nicht gegen Dich. Deine Faszinaton ... hm, irgendwie ist es wie ein Blickwechsel für mich. Spannend. Mir gefällt nicht, wenn der menschliche Geist auf Materie, Stoff, Körper, Hormone, Zellen und Synapsen reduziert wird - "reduziert" ist natürlich meine Bewertung.
Mit meiner Antwort bin ich unzufrieden - sie ist "geist"-los. Wenn mir was Klügeres einfällt, schreib' ich es noch.
Naja, wir sind ja auch nicht in einem Kolloquium - aber so ganz einordnen kann ich sie auch nicht. ;)



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Fr 22. Nov 2019, 21:10

Tangens Alpha hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 20:33
Ich sehe mich genötigt, hier mal eine Lanze für die Naturwissenschaftler zu brechen:
Das ist gar nicht nötig! Wären unsere Naturwissenschaftler nicht so fleißig und so erfolgreich, dann wäre ich z.b. schon tot. ich habe also durchaus Gründe, die Naturwissenschaften zu schätzen :)

Die Mengen an Wissen, die die Naturwissenschaftler zusammengetragen haben sind sicherlich völlig unüberblickbar, unglaublich und faszinierend. Daran zweifle ich keine Sekunde. Und ohne dieses Wissen würde unsere moderne Gesellschaft überhaupt nicht funktionieren.

Ich habe natürlich mit viel Freude "eine kurze Geschichte der Zeit" gelesen und andere vergleichbare populärwissenschaftliche Bücher.

Doch trotzdem das Wissen so immens ist, weiß man eben noch nicht alles. Bewusstsein und Leben gehören zu diesen Geheimnissen - ob man es begrüßt oder nicht. Das ist einfach eine Tatsache.

Und neben diesen Grenzen gibt es eben auch viele Dinge, die überhaupt nicht in den Bereich der Naturwissenschaften fallen. Das 7 + 5 = 12 ist, das ist keine naturwissenschaftliche Wahrheit. Und dass man bei den naturwissenschaftlichen Arbeiten nicht betrügen soll, ist auch keine naturwissenschaftliche Wahrheit.

Ich finde die Naturwissenschaften faszinierend und wichtig für unsere Gesellschaft, ich akzeptiere nur nicht einen Ganzheits-Anspruch, der wahrscheinlich sogar öfter von Philosophen als von Naturwissenschaftlern erhoben wird. Ich bin also kein bisschen gegen die Naturwissenschaft, ich bin nur dagegen zu glauben, dass sich alles mit den Mitteln der Naturwissenschaft erklären lässt.

Und zudem bin ich der Ansicht, dass der Bereich der Naturwissenschaften ganz sicherlich nicht der einzige Bereich ist, in dem es um Wahrheit geht.




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Fr 22. Nov 2019, 21:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 21:10
Doch trotzdem das Wissen so immens ist, weiß man eben noch nicht alles. Bewusstsein und Leben gehören zu diesen Geheimnissen - ob man es begrüßt oder nicht. Das ist einfach eine Tatsache.
Abgesehen davon, dass dein o.a. Statement das 257. Dogma sein könnte ( ;) ), habe ich den Eindruck, dass, wenn dir jemand morgen einen Bericht vorlegen würde, der glasklar das Bewusstsein & Leben erklären würde, du dir übermorgen die Kugel gibst, oder?
ich bin nur dagegen zu glauben, dass sich alles mit den Mitteln der Naturwissenschaft erklären lässt.
Wer hat das behauptet?
Und zudem bin ich der Ansicht, dass der Bereich der Naturwissenschaften ganz sicherlich nicht der einzige Bereich ist, in dem es um Wahrheit geht.
In den NW-en geht es nicht um Wahrheit, sondern um gesichertes Wissen!
Äußerst renommierte Naturwissenschaftler erwägen deswegen, wie an anderer Stelle beschrieben, mittlerweile sogar den Panpsychismus!
Das müssen nicht unbedingt die Klügsten sein!
Wegen all dem sollte man, nach meiner Einschätzung, mit metaphysischen Spekulationen wie: "die Welt ist deterministisch, also bist du nicht frei" ziemlich vorsichtig umgehen.
Die kursiven Begriffe sind mir in deiner Anwendung nicht ganz klar und ich kann in meinen Beiträgen nirgendwo eine solche Behauptung finden.
Und außerdem gibt es äußerst viele Philosophen, die mit guten Gründen auf Kompatibilismus setzen, was heißt, dass der Determinismus mit unserer Vorstellungen von uns selbst als freier, geistiger Wesen kompatibel ist. Das hat übrigens mittlerweile sogar so ein Hardcore Naturalist wie Gerhard Roth eingesehen.
Ich weiß jetzt nicht, warum du mir das vorsetzt. Ich habe oben klar (hoffe ich jedenfalls) dargelegt, was ich unter "Freiheit" verstehe. Habe ich irgendwo Roth als Referenz angeführt?



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Sa 23. Nov 2019, 07:30

Tangens Alpha hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 20:33
Um mit dieser Situation klar zu kommen, ziehen sie sich auf die einfachste Philosophie zurück: "shut up and calculate!"
Stephen Hawking hat geschrieben : »Auch wenn nur eine einheitliche Theorie möglich ist, so wäre sie doch nur ein System von Regeln und Gleichungen. Wer bläst den Gleichungen den Odem ein und erschafft ihnen ein Universum, das sie beschreiben können?«
Das Zitat von Stephen Hawking dürfte vielleicht in die nämliche Richtung gehen?!

.....

Ich will mal an einem Gedankenexperiment erläutern, was einer meiner Punkte ist. Wir stellen uns vor, dass ein terrestrischer und ein extraterrestrischer Wissenschaftler sich treffen und zusammen forschen. Stellen wir uns vor, das die Sprachbarrieren, sowie im Science-Fiction üblich, keine Rolle spielen. Solange sich beide auf physikalische Begebenheiten beziehen erforschen sie, wenn man so sagen darf, eine gemeinsame Welt.

Jetzt stellen wir uns allerdings vor, dass beide völlig verschiedene Sinnes-Apparate haben. Das heißt, die Welt ist beiden aus der Perspektive der ersten Person ganz und gar anders gegeben. Wenn wir uns darüber hinaus noch vorstellen, dass der extraterrestrische Forscher auch eine völlig andere Anatomie hat als wir und - sagen wir - z.b. 25 m hoch ist, dann werden die Unterschiede noch deutlicher und größer. Hier gibt es meines Erachtens eine Grenze der Forschung, weil beide nicht in die "Perspektive" des je anderen einsteigen können.

Nun sind jedoch die verschiedenen Arten und Weisen der Weltgegebenheit beider ebenso real, wie die physikalische Welt, die sie auch gemeinsam erforschen können. Beiden eröffnet sich eine reale Welt, die dem je anderen (zu Teilen) verborgen bleiben muss - zumindest in den phänomenalen Aspekten.

Stellen wir uns z.b. vor, dass der extraterrestrische Forscher keine Schmerzen und keine Lust kennt. (Das ist natürlich nur eine logische Möglichkeit.) Ohne diesen Teil der Realität zu erkennen, dürfte es ihm schwer bis unmöglich sein, wichtige Teile unserer menschlichen Ethik überhaupt zu verstehen. Denkbar hingegen wäre, dass er die Ethik der Forschung, so wie wir sie hier kennen, jedoch durchaus versteht und auch teilt, sonst könnten die beiden gar nicht zusammen forschen. Wichtige Teile der Realität entgehen dem quantitativen Blick notwendig, weil sie sich nur aus der Perspektive der ersten Person ergeben, in dem allein diese qualitativen Erfahrungen zu machen sind. (Das alles basiert natürlich auf Einsichten von Joseph Levin, Thomas Nagel und anderen mehr.)

Nun bezieht sich unsere Ethik nicht nur auf diese Qualia, sondern auch auf den Umstand, dass wir geburtlich und sterblich sind. Und zwar jeder einzelne für sich und natürlich auch innerhalb seines familiären Bereichs oder die Gruppe in der er/sie lebt et cetera pp. Wenn wir handeln und denken, dann steht für uns als Lebewesen immer etwas auf dem Spiel. Und das lässt sich, meines Erachtens mit dem Blick von der Seite, und rein quantitativ, nicht einfangen.

»Leben kann nur von Leben erkannt werden.« sagt daher der Philosoph Hans Jonas meines Erachtens ganz zurecht. Diesen Bereich der Wirklichkeit können wir, wie gesagt, nur aus der Teilnehmer Perspektive verstehen. Aber das ist ein ganz und gar realer Bereich, für uns ist es sogar der realste Bereich und außerdem zufälligerweise der Wichtigste :) Dieser Bereich ist vom Normativen und Werthaften durchwoben. Das ist jedoch nichts, was mit Mitteln der quantitativen Forschung zu bestimmen wäre. Hier ist der Odem von dem Steven Hawkins oben spricht, bereits eingeblasen und wir erleben ihn am eigenen Leibe.

In diesem Bereich herrscht eine andere Objektivität (als die naturwissenschaftliche), weil jeder einzelne als erwachsener Mensch, (wir müssen das zu gewissen Teilen erst lernen) in der Lage ist/sein sollte, von seinen eigenen Bedürfnissen zu abstrahieren und zu erkennen, dass andere ebenso Bedürfnisse haben. Wir können und sollen erkennen, dass jeder jedem der andere ist und keiner unseresgleichen moralisch völlig anders. Auch wenn wir jeder einzigartig sind, so sind wir doch alle Menschen.

Jeder einzelne von uns ist das Zentrum seines subjektiven Er/lebens. Und zugleich sind wir in der Lage, zu erkennen, dass genau das für alle anderen auch gilt und keiner von ihnen - inklusive man selbst - in irgendeiner Form herausgehoben ist. Das heißt also, unsere Fähigkeit zur Abstraktion, also zum Absehen von der eigenen/individuellen Perspektive, die uns in den Naturwissenschaften so große Erfolge ermöglicht hat, können und sollen wir auch in dem Bereich anwenden, indem es um ethische Fragestellungen und An/forderungen geht. Wir können (z.b. in problematischen Situationen) von uns selbst abstrahieren und uns fragen, wie sollte diese Person dort handeln, die "zufälligerweise" ich selbst bin. Dabei muss allerdings der Umstand, dass die anderen (wie wir selbst) ein einzigartiges Leben führen und geburtliche, sterbliche, bedürftige, rationale und fühlende Wesen sind, eingepreist bleiben. (Von diesen entscheidenden Aspekten dürfen wir anders als in naturwissenschaftlichen Theorie Bildungen hier natürlich nicht absehen.)

Da wir all diese Eigenschaften (und mehr) tatsächlich haben, handelt es sich hier natürlich auch um einen Tatsachen-Bereich, ein Tatsachen-Bereich, den jedoch nur Lebewesen als lebende Wesen durchmessen können.




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Jörn Budesheim
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Sa 23. Nov 2019, 09:35

TA hat geschrieben : Ich weiß jetzt nicht, warum du mir das vorsetzt.
Du hast mit Singer eine naturwissenschaftliche Position ins Spiel gebracht. Ich argumentiere nicht gegen Singer's Position speziell sondern über "die Zuständigkeit" der Naturwissenschaft für diesen Bereich im allgemeinen. Dem widmet sich mein Beitrag weiter oben z.b. Daher geht es auch nicht darum, ob mir persönlich Naturwissenschaften viel oder wenig sagen.
Tangens Alpha hat geschrieben :
Fr 22. Nov 2019, 21:57
Wer hat das behauptet?
Das ist die Behauptung des sogenannten Naturalismus.
TA hat geschrieben : Das müssen nicht unbedingt die Klügsten sein!
Ob Koch und Tononi die klügsten sind, ist hier nicht die Frage. Es geht hier darum, dass es in den Naturwissenschaften faktisch keine Einigkeit darüber gibt, wie das Bewusstsein und das Gehirn zusammen hängen. Und das ist für die Fragestellung in diesem Thread von größter Bedeutung, denn hier geht es schließlich auch um unserer bewusstes Erleben.

Und das hier ist besonders wichtig: Das, worum es hier geht, nämlich Normatives und Werte, erscheint gar nicht im Suchfocus der Naturwissenschaften.




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