Was ist Philosophie?

Hier geht es um die Philosophie selbst, denn sie kann sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen - zum Beispiel: Was ist Philosophie? Was sind die Themen der Philosophie? Wie grenzt sie sich von anderen Disziplinen ab? ...
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Alethos
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Sa 4. Jan 2020, 00:04

storyway hat geschrieben :
Fr 3. Jan 2020, 10:53
Als Liebe zur Weisheit ist Philosophie ein spezifisches Verhalten zum logos, welches sich in die Wissenschaften aufteilt. Sie ist keine besondere Wissenschaft neben anderen Wissenschaften, sondern eine Denkweise in und außerhalb der Wissenschaften.
Das ist ein interessantes Statement. Ich weiss nur nicht, ob ich es ausreichend genug verstanden habe, um ihm ruhigen Gewissens zustimmen zu können.

'Ausserhalb der Wissenschaften' schreibst du sei die Philosophie eine Art von Denkweise, die sich zum Logos als dem richtigen Weg verhält und überall dort vorkomme, wo das Denkbare erzeugt wird. So, wie ich dich verstehe, ist Philosophie eine Kraft, eine schöpferische vielleicht? Sie verstehe ich bei dir als eine Kraft des Denkbarmachens.

Sie begleitet die Wissenschaften nur im Hinter- oder Untergrund als ein Licht des Logos, wobei ich mir nicht sicher bin, ob du diese Lichtmetapher wirklich andeuten wolltest. Aber eine solche ursprüngliche, gar aus dem Schöpfungsmythos heraus verstandene Philosophie wäre sie dann nicht auch als eine göttliche Kraft zu verstehen, bei dem der Funke sozusagen auf den blinden Menschen überspringt?



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storyway
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Sa 4. Jan 2020, 09:27

Eher umgekehrt, die logische Erzählweise erweist sich gegenüber der mythischen als so überlegen, dass sie wie eine Erleuchtung wirkt: Plötzlich wird alles klar. Dass philosophisches Denken sich überindividuell entwickelt, hat Hegel, basierend auf Heraklit und Spinoza in der Vorstellung des Weltgeistes dargestellt. Die Behauptung, welche ich aufstelle ist, dass Gott ursprünglich ein Wort für die Vernunft in der Welt war, der vertraut werden kann. Die Jahreszeiten kommen wieder, die Monatszyklen der Frau, die Fruchtbarkeit bringenden Nilhochwasser. Erst im Machtkalkül der etablierten Religionen werden die Götter unberechenbare, Wunder wirkende Entitäten, mit deren irdischen Vertretern man sich gut stellen muss. Aus Vertrauen wird blinder Kinderglaube, aus Wissenschaft wird Religion, Verdunkelung und Geheimwissen, das nur die Geweihten verstehen.




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Alethos
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Sa 4. Jan 2020, 11:20

storyway hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2020, 09:27
Die Behauptung, welche ich aufstelle ist, dass Gott ursprünglich ein Wort für die Vernunft in der Welt war, der vertraut werden kann. Die Jahreszeiten kommen wieder, die Monatszyklen der Frau, die Fruchtbarkeit bringenden Nilhochwasser. Erst im Machtkalkül der etablierten Religionen werden die Götter unberechenbare, Wunder wirkende Entitäten

"ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ Λόγος καὶ ὁ Λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεὸν καὶ Θεὸς ἦν ὁ Λόγος" (Johannes-Evangelium / „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“)

Mit dieser Behauptung bist du nun nicht allein, dass am Anfang das Wort war. Sozusagen das gesamte Evangelium baut auf diesem Narrativ der zu verkündenden, guten Botschaft auf.

Dass du den Bogen zu den beobachtbaren Phänomenen schlägst (Nilhochwasser, Menstruationszyklus etc.), verstehe ich dann wiederum als dein Hinweis darauf, dass sich der Mensch (in Ermangelung besserer Erklärungsmodelle?) diese Phänomene mit Gott erklärte. Es reichte aus, sich alle Wirklichkeit als aus Gott entstanden vorzustellen und darauf zu vertrauen, dass es mit Recht und aus gutem Grund geschehe.

Mit Hegel verweist du dabei auf den Weltgeist als ein überindividuelles Denken und scheinst damit andeuten zu wollen, dass der Logos in die Wirklichkeit (als überindividuelle Wahrheit?) eingeschrieben ist und die Wahrheit im Grunde jedem zugänglich bleibt, der sich nicht von den Machtkalkülen der kirchlichen Institutionen korrumpieren lässt.

Du erzählst, wenn ich dich richtig verstehe, also die Geschichte eines verkümmernden Glaubens an die Wirklichkeit, zu der jeder Zugang behalten kann, wenn er philosophisch eingestellt bleibt und die "Liebe zur Weisheit" bewahrt. Der Glaube verkümmert deshalb, weil der Mensch beginnt, einer Lehrmeinung zu folgen, ohne sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen. Sie, die Vernunft, aber wäre der Schlüssel zu einem mündigen Verstehen und die Philosophie ist nach deinem Dafürhalten nicht einfach eine weitere Lehrmeinung unter vielen, der man folgen müsste, sondern eben eine in der Wahrheit der Dinge selbst liegende Quelle des eigenständigen Verstehens.

Wenn ich das richtig nachvollziehe, dann bist du ganz auf einer Linie mit der Stossrichtung der Aufklärung:
Immanuel Kant hat geschrieben : „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude!",
Bitte entschuldige, wenn ich dir Aussagen unterstelle, die du so nicht gemacht hast. Nur setzst du so viel voraus, dass ich es ohne weitere Erläuterungen kaum fassen kann



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Alethos
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Sa 4. Jan 2020, 13:22

David Chalmers hat geschrieben : Wir sehen die Chemie als elementarer als die Biologie. Noch elementarer ist die Physik, aber am elementarsten ist die Mathematik. Denkt man aber etwas weiter, sieht man, dass es etwas noch Fundamentaleres gibt, nämlich Philosophie.
Das ist eine beeindruckende Sichtweise, wie ich finde.



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storyway
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Sa 4. Jan 2020, 15:11

Dass du den Bogen zu den beobachtbaren Phänomenen schlägst (Nilhochwasser, Menstruationszyklus etc.), verstehe ich dann wiederum als dein Hinweis darauf, dass sich der Mensch (in Ermangelung besserer Erklärungsmodelle?) diese Phänomene mit Gott erklärte. Es reichte aus, sich alle Wirklichkeit als aus Gott entstanden vorzustellen und darauf zu vertrauen, dass es mit Recht und aus gutem Grund geschehe.
Auch hier sehe ich das umgekehrt. Diese traditionelle Folge Unwissenheit—>Religion—> Wissenschaften läuft anders ab, nämlich gute Erfahrungen—>Wissen-Weisheit, Vertrauen —> Perversion durch Macht->Herrschaftswissen—> Glaube und „Erklärungen“ durch göttliches Handeln.

Der Anfang des Johannesevangeliums ist so ein Fall. Heißt es bei Johannes noch „Am Anfang war der logos“, also der logische wenn-dann Ablauf, wird es in den Übersetzungen zu „Am Anfang ist das Wort“. Aus der Geschichte der Aussprechbarkeit der Welt wird die unerklärliche Schöpfung mittels des Wortes durch ein mystisches Wesen, also Gott und die Götter. Die Erzählungen werden wichtiger als das Erzählte. Die Buchreligionen sind geboren.
Genaueres hier: https://flossmann.de/vom-mythos-zum-logos/




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Alethos
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Sa 4. Jan 2020, 15:28

Ich verstehe es leider nicht, tut mir leid.
Insbesondere verstehe ich nicht, was es bedeuten soll in Bezug auf einen modernen Philosophie-Begriff, oder besser gesagt, was im Hinblick auf ein gelingendes Philosophieren gezeigt werden soll.



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Jörn Budesheim
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Sa 4. Jan 2020, 18:23

Alethos hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2020, 15:28
Ich verstehe es leider nicht, tut mir leid.
Meine Paraphrase in Kurzform (in ganz eigenen Worten) wäre dies hier:

Am Anfang waren die Begriffe Gott und Logos gleichsam synonym. Sie standen dafür, dass die Welt eine vernünftige Ordnung hat, die der Mensch erkennen konnte. Dann hat sich die institutionalisierte Religion Gottes bemächtigt und daraus einen Wunderglauben, einen Mythos gemacht. Das würde bedeuten, dass die alte Geschichte vom "Mythos zum Logos" nicht richtig erzählt wurde, weil es zuvor eine Bewegung vom "Logos zum Mythos" gab.




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Jan 2020, 20:12

Allerdings passt das, was ich da schreibe, nicht mit folgendem Zitat zusammen, weswegen ich vermute, dass ich noch nicht richtig verstanden habe, worum es geht :(
storyway hat geschrieben :
Fr 27. Dez 2019, 11:11
Nach meiner Ansicht ist Philosophie die Arbeit, welche die Welt denkbar zu machen versucht.
Denn wenn die Welt, von sich aus eine vernünftige Ordnung aufweist, dann muss man sie ja nicht erst denkbar machen, sie ist es dann schon.




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Friederike
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So 5. Jan 2020, 13:41

Ich zitiere eine ganz kurze Passage aus dem von Dir @storyway, verlinkten zweiten Text von Flossmann ...
Flossmann hat geschrieben : [...] Der Beginn des Textes von Johannes betont nur die Göttlichkeit des Weltgesetzes: „das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Der Beginn, das ἀρχῇ (arche), von dem Johannes hier spricht, ist der Beginn der Erkenntnis der Göttlichkeit, der Natur, des Logos in den Dingen, im Gegensatz zum Tohuwabohu, der Wüste und Leere, des Chaos. So wie in der Erzählung der Genesis vor dem Wort Gottes schon etwas da war (der Geist Gottes schwebte über den Wassern), in das Gott mittels des Wortes Ordnung bringt, so ist in der Aufforderung Heraklits die Natur nur beherrschbar, wenn vorher auf sie hingehört wird.

In der ersten Lesart ist der Logos göttlich, weil er die wahre Natur der Dinge erzählt. [...]

... und versuche mit dieser Stelle, Deinen Ansatz auf den Punkt zu bringen. Die Welt weist eine Ordnung der Dinge (Natur und Menschen) auf, die Wissenschaften, nicht nur die philosophische Disziplin, aus-findig machen. Menschen, sofern sie nicht in den verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen arbeiten, prüfen die Ergebnisse mittels ihres logos und nehmen an der Gestaltung und Umgestaltung der Welt (Natur und Menschen) durch die gewonnenen Erkenntnisse teil (letzteres nimmt Bezug auf den ersten Flossmann-"Menschwerdung"s-Text). Weil also der (göttliche) logos das Prinzip ist, nach dem nicht nur die Dinge in der Welt geordnet sind, sondern auch die Dinge selbst, einschließlich des Menschen, deswegen ist ein Erkennen der wahren Natur der Dinge möglich.

Es ist ein bißchen holprig geraten, aber komme ich Deiner Idee wenigstens nahe?




storyway
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So 5. Jan 2020, 14:54

Friederike und Jörg, Ihr habt mich weitgehend verstanden. Die Welt erscheint zunächst (dem Baby, dem Unwissenden) als Chaos. Die Erfahrung der Wiederkehr, der Rhythmen, der Wege, des erfolgreichen Handelns (Säen -> Ernten -> Säen …) erzeugt das Wissen vom logos, der Vernunft in der Welt, von Weisheit entgegen den wilden Interpretationen und Allegorien mit Hilfe von menschen- oder tierähnlichen Entitäten wie Göttern, deren Handeln unberechenbar, wunderbar und nicht vorhersehbar sind. Das zu beschreiben mit Worten, welche erst gemacht werden müssen, ist die Genesis (für mich beschreibt die Genesis der Bibel die Entstehung von Sprachen nicht von Welt), oder die Entstehung des logos, mit dem erst die Welt beschreibbar bzw. denkbar, aussprechbar wird (denn wovon du nicht sprechen kannst, davon musst du schweigen). Und das genau ist der Job von Philosophie bis in die Gegenwart. Nur weil die Welt Struktur hat, muss sie noch nicht erkannt und beschrieben, also denkbar geworden sein. Das machen die Wissenschaften.
Herkaklit: "die Weisheit besteht darin, die Wahrheit zu sagen und nach der Natur zu handeln, auf sie hinhörend"




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Jörn Budesheim
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So 5. Jan 2020, 19:39

storyway hat geschrieben :
So 5. Jan 2020, 14:54
Die Welt erscheint zunächst (dem Baby, dem Unwissenden) als Chaos. Die Erfahrung der Wiederkehr, der Rhythmen, der Wege, des erfolgreichen Handelns (Säen -> Ernten -> Säen …) erzeugt das Wissen vom logos
Das klingt ein wenig nach Empirismus?! Richtig?

Was die Babys angeht: nach meinem Kenntnisstand bringen sie einiges an Wissen und Fähigkeiten mit. Man spricht z.b. von einem mathematischen und psychologischen "Kernbestand". Letzter äußert sich z.b. darin, dass sie wohl sehr früh Gesichter erkennen. Außerdem scheinen sie bereits ein Konzept der Objektpermanenz zu haben und anderes mehr.




storyway
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So 5. Jan 2020, 20:34

Auch, aber das ist mehr. Der -ismus ist dabei zu einschränkend. Das mit dem Baby ist ein Gleichnis: Stelle dir das Baby noch im Mutterleib vor und dort die ersten Wahrnehmungen. Dass das Baby bereits Wiederholungen, Muster von Chaos unterscheiden kann ist gewissermaßen angeboren, mitgegeben.

Interessant ist hier natürlich auch die Darstellung in den biblischen Überlieferungen. Stellt die Biblia Hebraica im ersten Satz Fragen:
https://www.bibelwissenschaft.de/online ... bibeltext/: "1 An erster Stelle im Himmel 2 Und es herrscht Rausch und Dunkelheit und Dunkelheit über dem Himmel auf See 3 Und was ist das Licht und das Licht? 4 Und kann die Güte des Lichts im Licht des Tages und in der Dunkelheit gut und anders sein? 5 Und wird es Tag und Abend und nach ein paar Tagen Tageslicht und Kälte geben? 6 Und was ist der Himmel im Himmel und was ist der Unterschied zwischen Wasser und Wasser
- geben die Lutherbibel und andere Bibeln klare Ansagen:
1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis 5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
1 ist eher ein Titel des Buches, eine Ankündigung, die Beschreibung der Schöpfung selbst beginnt mit 2, dem Tohuwabohu, dem Chaos und mich würde schon interessieren, was wirklich im Text steht. Danach lese ich das Entstehen der Welt als Entstehen der Aussprechbarkeit. Merke auch die Feststellung selbst in der Lutherbibel, die ein ziemlich ideologisches Konstrukt ist, dass am Anfang Materie (Wasser) und Geist (Geist Gottes) bereits ungeteilt existieren und erst später, am zweiten Tag unterschieden werden, wieder durch einen Sprechakt:
Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. 7 Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. 8 Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
durch Unterscheidung, Aussprechen, Wasser und Festes getrennt, das meint in meiner Wahrnehmung, unterschieden werden. unterschieden durch Sprechen, Worte.




storyway
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So 5. Jan 2020, 20:47

So löst sich auch auf, was Philosophist von Heidegger zitierte:
Nun ich zitiere Heideggers Definition von Philosophie mal hier (siehe Sein und Zeit, S.38):

"Philosophie ist universale phänomenologische Ontologie, ausgehend von der Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt."
Heidegger geht von der ergründbaren Geheimnishaftigkeit des Daseins aus (daher Hermeneutik, Textverstehen). Diese definiert er als Analytik der Existenz. Diese Existenz offenbart sich, ganz nach Aristoteles im Entspringen und ganz nach Hegel im Wirken über das philosophische Fragen , also für mich wieder im Finden der Sprache. Dazu passen die Fragen des hebräischen Textes besser als die Behauptungen der griechischen und deutschen Texte. Aber ich bin kein Theologe, habe daher dort nur sehr schwaches Wissen.




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Friederike
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Mo 6. Jan 2020, 15:49

storyway hat geschrieben :
So 5. Jan 2020, 14:54
[...]Das zu beschreiben mit Worten, welche erst gemacht werden müssen, ist die Genesis (für mich beschreibt die Genesis der Bibel die Entstehung von Sprachen nicht von Welt), oder die Entstehung des logos, mit dem erst die Welt beschreibbar bzw. denkbar, aussprechbar wird (denn wovon du nicht sprechen kannst, davon musst du schweigen). Und das genau ist der Job von Philosophie bis in die Gegenwart. Nur weil die Welt Struktur hat, muss sie noch nicht erkannt und beschrieben, also denkbar geworden sein. Das machen die Wissenschaften.[...]

storyway hat geschrieben : Der Anfang des Johannesevangeliums ist so ein Fall. [Perversion durch Macht->Herrschaftswissen—> Glaube und „Erklärungen“ durch göttliches Handeln. Einfügung von mir, F.] Heißt es bei Johannes noch „Am Anfang war der logos“, also der logische wenn-dann Ablauf, wird es in den Übersetzungen zu „Am Anfang ist das Wort“. Aus der Geschichte der Aussprechbarkeit der Welt wird die unerklärliche Schöpfung mittels des Wortes durch ein mystisches Wesen, also Gott und die Götter.
@storyway, ich muß nachfragen, weil mir Deine beiden Aussagen nicht schlüssig vorkommen bzw. habe ich vielleicht auch nur ein Brett vorm Kopf.

Wieso ist die dt. Übersetzung vom Joh ("Wort") verbunden mit der Schöpfung durch ein mystisches Wesen (Gott) und warum ist dies beim griechischen Text logos nicht der Fall? Außerdem ist das griechische "en arche" doch mehrdeutig; es umfaßt sowohl den zeitlichen als auch den, wie sagt man?, den begründenden Aspekt. Am Anfang und im Anfang.

Und im oberen Zitat setzt Du logos und "Sprache", also "Wort" doch synonym? Oder nicht?




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Friederike
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Mo 6. Jan 2020, 16:59

storyway hat geschrieben :
So 5. Jan 2020, 20:34
Interessant ist hier natürlich auch die Darstellung in den biblischen Überlieferungen. Stellt die Biblia Hebraica im ersten Satz Fragen:
https://www.bibelwissenschaft.de/online ... bibeltext/: "1 An erster Stelle im Himmel 2 Und es herrscht Rausch und Dunkelheit und Dunkelheit über dem Himmel auf See 3 Und was ist das Licht und das Licht? 4 Und kann die Güte des Lichts im Licht des Tages und in der Dunkelheit gut und anders sein? 5 Und wird es Tag und Abend und nach ein paar Tagen Tageslicht und Kälte geben? 6 Und was ist der Himmel im Himmel und was ist der Unterschied zwischen Wasser und Wasser
Wo finde ich denn in der von Dir verlinkten Seite die obige Übersetzung? Oder hast Du selber übersetzt? Eher nicht, denn Du sagst ja weiter unten, Dich tät interessieren, was "wirklich im Text steht".

storyway hat geschrieben : - geben die Lutherbibel und andere Bibeln klare Ansagen:
1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis 5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
1 ist eher ein Titel des Buches, eine Ankündigung, die Beschreibung der Schöpfung selbst beginnt mit 2, dem Tohuwabohu, dem Chaos und mich würde schon interessieren, was wirklich im Text steht. Danach lese ich das Entstehen der Welt als Entstehen der Aussprechbarkeit. Merke auch die Feststellung selbst in der Lutherbibel, die ein ziemlich ideologisches Konstrukt ist, dass am Anfang Materie (Wasser) und Geist (Geist Gottes) bereits ungeteilt existieren und erst später, am zweiten Tag unterschieden werden, wieder durch einen Sprechakt:
Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. 7 Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. 8 Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
durch Unterscheidung, Aussprechen, Wasser und Festes getrennt, das meint in meiner Wahrnehmung, unterschieden werden. unterschieden durch Sprechen, Worte.
Nur wegen des Vergnügens habe ich die neueste Version (2016) der Einheitsübersetzung rausgesucht:
EH hat geschrieben : 1 Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. 2 Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. 3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 4 Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. 6 Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. 7 Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. Und so geschah es. 8 Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag.
Inhaltlich kann ich keine Unterschiede zu der Luth.Ü. von 1984 entdecken ...? Falls sich Deine Bewertung des "ideologischen Konstruktes" also auf Gen 1 bezieht, dann würde sie auf die EH ebenso zutreffen. Aber ich vermute, Du meinst die Luth.Ü. insgesamt. Alle Übersetzungen interpretieren. :lol: Achso, die EH von 2016 übersetzt logos im Joh. Prolog auch mit "Wort". Ich dachte, es habe sich inzwischen geändert. Stimmt aber nicht.




storyway
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Di 7. Jan 2020, 01:37

Das war eine einfache Google-Übersetzung aus dem Hebräischen. Logos, epos und Mythos im Sinne von Erzählung des Außergewöhnlichen wurde etwa bis zu den Zeiten von Homer ähnlich gebraucht. Erst danach begann sich die Nutzung zu trennen. Mit den Philosophen, gekrönt von Heraklit wurde logos die Bezeichnung für das Weltgesetz, die Wahrheit, mythos für das Märchen, gar die Lüge, so dass später sogar Schleiermacher den berühmte Platon-Text im Dialog „Gorgias“ (523) so übersetzt hat:
Sokrates: „So vernimm denn, wie man sagt, eine gar schöne Geschichte (logon), die du wohl für ein Märchen (mythos) halten wirst, wie ich mir denken kann, ich aber für eine Geschichte (logon-Gründe). Denn was ich dir jetzt mitteilen will, das sehe ich als Wahrheit (legein) an.“
Um noch mal präziser zu sein: Am Anfang gab es die berichtenden Erzählungen, noch nicht unterschieden (Mythos, logos, Epos) dann wurde der logos verwendet zur Aussprache des regelmäßigen, gesetzmäßigen, wissenschaftlichen "wenn -- dann" Erfahrung, der wahren Geschichte; der Mythos zum Aussprechen des Wunderbaren, des Schicksals, des nicht Berechenbaren, der überraschenden Story; der Epos zum Aussprechen von Geschichte, history, der Heldenstory.

Die Definition des logos als (göttliches, fixiertes) Wort ist eine ideologische Maßnahme, um vom praktischen rechten Weg (Dao) abzulenken und den Wert auf das Wort zu legen. Deshalb liegt die Bibel in der Mitte der Kirche, nicht die Tat und Verstöße gegen Worte werden stärker geahndet als böse Taten. Die Regeln, gewonnen aus guten Erfahrungen, die in den heiligen Schriften aufgezeichnet sind (logoi) verwandeln sich nach und nach in Dogmen.

Die Wahrheit spielt keine Rolle mehr, Zweifel und Nicht-blindes-Glauben wird bestraft und die Kinder gehen zum Dreikönigssingen/Sternsingen, obwohl nichts davon in der so verehrten Bibel steht und verbreiten einen Mythos, der nichts mehr mit dem realen Geschehen zu tun hat. Aus den Hirten und den Weisen (Logikern) werden Könige. Der Sinn dahinter ist ja wohl klar.




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