Teamwork / kollektive Intentionalität

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Friederike
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Sa 29. Jun 2019, 09:01

"Intention" gebrauchen wir als Fremdwort für das deutsche Wort "Absicht". "Intentionalität" hingegen meint "sich auf etwas beziehen". Mir ist dies im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Kannetzky eingefallen, der in "Absicht" und "Intention" zu unterscheiden vorschlägt (S. 10f.).




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2019, 06:21

Intentionalität heißt, nach meinem Verständnis, sich auf etwas zu beziehen, von etwas zu handeln. Jetzt gerade habe ich die Intention, Kaffee aus der Küche zu holen. Das passt doch wunderbar zu der Erklärung von Intentionalität, oder?




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2019, 07:43

Friederike hat geschrieben :
Fr 28. Jun 2019, 12:39
Gibt es ein menschliches Tun, das Ihr nicht als "handeln" bezeichnen würdet @Stefanie @Jörn? Ich möchte es nur wissen, weil es aus Euren bisherigen Äußerungen für mich nicht klar erkennbar ist.
Im Lexikon werden die Begriffe "Handlung" und "Tat" zusammen verhandelt. Die Begriffe können also synonym behandelt werden. Der Begriff "Verhalten" ist meines Erachtens jedoch noch allgemeiner. ein Verhalten kann sowohl absichtlich sein, als auch unabsichtlich, wenn es einem z.b. einfach zustößt. Deswegen ist auch der Begriff Verhalten, für das was die Krähe oben tut, meines Erachtens zu unspezifisch und sagt zu wenig.

Meines Erachtens ist der Begriff der Absicht zentral. Das folgende Beispiel ist einschlägig: wir könnten zweimal beobachten, wie sich mein Arm hebt.
  1. Das eine Mal könnte das absichtlich geschehen, ich erlebe das als von mir kontrolliert - vielleicht aus einer bestimmten Überzeugung und einem bestimmten Wunsch heraus: z.b. um das Fenster zu öffnen.
  2. Das andere Mal geschieht es aufgrund irgend eines Impulses oder ist ein Reflex, worauf ich keinen Einfluss habe.
Im ersten Fall spricht man von einer Handlung, im zweiten ist es ein "bloßes Verhalten".

Wenn wir das Verhalten von Tieren betrachten, gibt es immer die Möglichkeit, dass wir es mit einem bloßen Verhalten zu tun haben - sagen wir einem Instinkt oder einem biologischen Programm, das einfach ausgeführt wird. Hier muss man sich stets vor Anthropomorphismen hüten. Es gibt jedoch in der Literatur einfach zu viele Hinweise darauf, dass diese Erklärung für viele Fälle nicht hinreicht, weil die Tiere in völlig neuartigen Situationen adäquat reagieren, so dass die Instinkt Erläuterung bzw die Idee, hier liefe einfach ein Programm ab, unangemessen ist.




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2019, 08:16

Friederike hat geschrieben :
Do 27. Jun 2019, 13:41
Aus meiner Sicht kennzeichnen wir mit dem Begriff "handeln" das Tun von Menschen, die ihr Tun zu verantworten haben (die Redewendung "die wissen, was sie tun" paßt dazu ganz gut). Der Begriff "Handlung" impliziert die Verantwortungszuschreibung und die Verantwortungsübernahme des Tuns. Das, so meine ich, ist der Sinn dieses Begriffs. Zumindest dann, wenn man ihn unter dem Aspekt seines Sitzes im Leben betrachtet. Für Personen, die in der Gesellschaft ihr Tun verantworten, ist "handeln" reserviert.

Was Du vorschlägst @Jörn, ist ein anderes Verständnis des Handlungsbegriffes -und zwar deswegen, weil Du das Tun von Menschen oder anderen Lebewesen vom Verantwortungsbegriff abkoppelst.
Meines Erachtens kopple ich nichts ab. Nur funktioniert meine Verkopplung anders. Wer Autor einer Handlung ist, der kann verantwortlich gemacht werden, wenn es sich bei ihm um ein Wesen handelt, das in einem ethischen Sinne Verantwortung tragen kann. Nur wenn etwas absichtlich geschieht, kann der Autor der Handlung zur Rechenschaft gezogen werden. Aber nicht immer, wenn etwas absichtlich geschieht kann der Auto zur Rechenschaft gezogen werden.

Das gilt z.b. für kleine Kinder so lange, bis sie das Geschäft der Freiheit gelernt haben. Und es gilt für viele der anderen Tiere, selbst wenn sie niemals das Geschäft der Freiheit lernen werden. Dass man nämlich die eigenen Handlungen im Lichte ihrer ethischen Implikationen betrachten kann, ist eine weitere zusätzliche Fähigkeit. Kinder bringen diese Fähigkeit in Ansätzen mit, müssen sie jedoch ausbilden und vertiefen. Deswegen machen wir sie für ihre Handlungen noch nicht in einem Vollsinne verantwortlich.

(Stefanie hat bereits darauf hingewiesen, dass das teilweise strikt ans Alter gekoppelt ist. Es wäre absurd anzunehmen das Menschen bis zum 18 Lebensjahr nicht handeln können, nur weil sie nicht für alles verantwortlich gemacht werden können.)

Die Kopplung ist also da. Absichten haben zu können, ist eine notwendige Bedingung, um zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Aber es ist keine hinreichende Bedingung, es müssen weitere Bedingungen hinzu kommen.




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Friederike
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So 30. Jun 2019, 11:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2019, 07:43
Meines Erachtens ist der Begriff der Absicht zentral. Das folgende Beispiel ist einschlägig: wir könnten zweimal beobachten, wie sich mein Arm hebt.
  1. Das eine Mal könnte das absichtlich geschehen, ich erlebe das als von mir kontrolliert - vielleicht aus einer bestimmten Überzeugung und einem bestimmten Wunsch heraus: z.b. um das Fenster zu öffnen.
  2. Das andere Mal geschieht es aufgrund irgend eines Impulses oder ist ein Reflex, worauf ich keinen Einfluss habe.
Im ersten Fall spricht man von einer Handlung, im zweiten ist es ein "bloßes Verhalten".
Nur zum Ausschluß möglicher Mißverständnisse. "Absicht" und "Wunsch, Motiv" einer Handlung unterscheidest Du? "Aufgrund" würde bedeuten, daß Du "Grund" von "Wunsch, Motiv" unterscheidest?




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2019, 11:48

Ich kann die Absicht haben, das Fenster zu schließen aufgrund des Wunsches, dass es hier drinnen nicht mehr so heiß ist und der Überzeugung, dass das Schließen des Fensters dazu beiträgt.




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Friederike
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So 30. Jun 2019, 12:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2019, 07:43
Wenn wir das Verhalten von Tieren betrachten, gibt es immer die Möglichkeit, dass wir es mit einem bloßen Verhalten zu tun haben - sagen wir einem Instinkt oder einem biologischen Programm, das einfach ausgeführt wird. Hier muss man sich stets vor Anthropomorphismen hüten. Es gibt jedoch in der Literatur einfach zu viele Hinweise darauf, dass diese Erklärung für viele Fälle nicht hinreicht, weil die Tiere in völlig neuartigen Situationen adäquat reagieren, so dass die Instinkt Erläuterung bzw die Idee, hier liefe einfach ein Programm ab, unangemessen ist.
Weil wir die Sprache der Tiere nun einmal nicht sprechen, deswegen sind Antropomorphismen grundsätzlich nicht, nie ausgeschlossen. Aus diesem Grunde würde ich Tiere in einer Diskussion über menschliches Handeln nicht berücksichtigen. Wenn man sich für Tiere interessiert, dann sind solche Experimente wie mit den Raben schon aufregend, aber in handlungstheoretische Überlegungen zum Menschen würde ich sie nicht einbeziehen. Grund siehe oben.




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Jörn Budesheim
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So 30. Jun 2019, 12:19

Ich vermute, wenn wir das Handeln der Tiere nicht verstehen, verstehen wir uns selbst nicht. Wir blenden dann einen Teil von uns selbst aus. Oder mit anderen Worten: wenn die empirischen Untersuchungen uns ein neues Verständnis des Begriffes von Handlung "aufnötigen", führt das vielleicht auch zu einem besseren Verständnis, wer wir selbst sind.




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So 30. Jun 2019, 13:39

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 30. Jun 2019, 12:19
Ich vermute, wenn wir das Handeln der Tiere nicht verstehen, verstehen wir uns selbst nicht. Wir blenden dann einen Teil von uns selbst aus. Oder mit anderen Worten: wenn die empirischen Untersuchungen uns ein neues Verständnis des Begriffes von Handlung "aufnötigen", führt das vielleicht auch zu einem besseren Verständnis, wer wir selbst sind.
Meine Einschätzung ist die, daß alles Verstehen von tierischem Handeln Vermutung, Spekulation bleiben muß, eben weil wir die Sprache der Tiere nicht sprechen. Da beißt die Maus kein Faden ab oder auch, da können wir uns auf den Kopf stellen. Und wenn das Verstehen über den Status von Mutmaßungen nicht hinauskommt, dann finde ich es eher nicht geraten, vom Tier auf den Menschen zu schließen.




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So 30. Jun 2019, 13:52

Wir verstehen uns auch gegenseitig als die Tiere, die wir nun mal sind, nicht nur mittels der (Wort-)Sprache. Mit anderen Worten die (Wort-)Sprache ist nicht der einzige Zugang zum gegenseitigen Verstehen. Zur Erinnerung: einige der Versuche, die Tomasello gemacht hat, hat er mit Kindern gemacht, die noch nicht sprechen können!

Zwischen den Affen und den Forschern gibt es offensichtlich eine Kommunikation, auch ohne (unsere Wort-)Sprache, schließlich ist es ihnen gelungen, einen Deal zu machen - der Affe erledigt eine Aufgabe und bekommt dafür eine Belohnung.

Wir stehen mit solchen Wesen entwicklungsgeschichtlich in einer Linie, deswegen ist es nicht völlig unplausibel, davon auszugehen, dass wir ihnen in verschiedenen Hinsichten gleichen, auch wenn es natürlich große Unterschiede gibt. Der Affe ist über die unfaire Behandlung empört, ich halte das für keine abwegige Theorie.




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Fr 5. Jul 2019, 15:32

Zum x-ten Male Charles Taylors "Was ist menschliches Handeln" gelesen. Für ihn besteht die Unterscheidung zwischen tierischem und menschlichen Handeln darin, daß Menschen ihre Wünsche der ersten Ordnung im Lichte ihrer Wünsche der zweiten Ordnung bewerten können und ihre Handlung an den Wünschen der zweiten Ordnung zu orientieren vermögen.




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Fr 5. Jul 2019, 17:11

Friederike hat geschrieben :
Fr 5. Jul 2019, 15:32
Für ihn besteht die Unterscheidung zwischen tierischem und menschlichen Handeln darin, daß ...
Also: sowohl Menschen als auch Tiere handeln, aber es gibt Unterschiede, insofern Tiere keine Wünsche 2. Ordnung kennen?




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Fr 5. Jul 2019, 18:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 5. Jul 2019, 17:11
Also: sowohl Menschen als auch Tiere handeln, aber es gibt Unterschiede, insofern Tiere keine Wünsche 2. Ordnung kennen?
Keine Ahnung, man könnte spekulieren, ob die Affenfrau die Kartoffel wäscht, weil es gesünder ist als eine ungewaschene Kartoffel. Die Kartoffel sofort verspeisen wäre der Wunsch erster Ordnung, dem sie nicht nachgibt, weil sie ihre Gesundheit vorzieht und deswegen ihrem Verlangen, Begehren, Trieb nicht sofort folgt.




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Fr 5. Jul 2019, 18:37

Mir ging es um etwas anderes. Sagt Taylor, dass sowohl Menschen als auch Tiere handeln?




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Sa 6. Jul 2019, 09:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 5. Jul 2019, 18:37
Mir ging es um etwas anderes. Sagt Taylor, dass sowohl Menschen als auch Tiere handeln?
Ich habe den Aufsatz doch verlinkt. Gleich im ersten Absatz schreibt er das. Und jaaa, das fand ich auch interessant, Tiere und Menschen handeln - aus seiner Sicht.




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Sa 6. Jul 2019, 11:23

Ich kann nicht jeden Aufsatz, der verlinkt würde, lesen. Ich hab hinein-gelesen und das Gefühl gehabt, dass er im Wesentlichen die Idee der Wünsche zweiter Ordnung bearbeiten will und auf den Unterschied zwischen uns und den anderen Tieren nicht vertieft eingeht.

Außerdem war mir nicht klar, wofür oder wogegen der Aufsatz stehen soll. Dass es einen Unterschied im Handeln zwischen uns und den anderen Tieren gibt, finde ich schließlich auch.

Vielleicht sollten wir uns alle darauf einigen, dass wir in Zukunft, wenn wir längere Texte verlinken, erläutern, welche Aspekte uns dabei wichtig sind und welche Argumente wir damit im Sinn haben?!




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Friederike
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So 7. Jul 2019, 12:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 6. Jul 2019, 11:23
Vielleicht sollten wir uns alle darauf einigen, dass wir in Zukunft, wenn wir längere Texte verlinken, erläutern, welche Aspekte uns dabei wichtig sind und welche Argumente wir damit im Sinn haben?!
Ja.




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Stefanie
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So 7. Jul 2019, 17:45

Gestern konnte ich ein praktisches Beispiel zum Thema Kinder und handeln bestaunen. Knapp 12 Monate alter Junge, hat gerade angefangen zu laufen, ist noch was wacklig, greift von sich aus nach der nächstebesten Hand wenn er läuft, aber läuft auch schon alleine. Das Spielgerät war eine rote Getränkekiste für die 1 Liter PET Flaschen, in der Kiste waren die leeren Flaschen. Er im Stehen, sich mit einer Hand an de Kiste festhalten, fand es toll die Flasche rauszuholen und mit Schwung auf die Terasse zu werfen. Die Flaschen in die Kiste wieder reinzutun, bekam er motorisch nicht hin. Das übernahmen die Erwachsenen, schnell Flaschen eingesammelt und wieder reingestellt, er schnell wieder genommen und geworfen, das lief einige Zeit so, bis es stockte, weil die Erwachsenen nicht mehr nachfüllten. Kiste leer. Da stand er dann, und die Mimik war grandios, es passte ihm nicht, und man sah förmlich am Gesicht, nee so geht das nicht, die Flaschen müssen wieder her, guckte uns an und schaute sich um. Dann legte er sich auf den Boden, reckte und streckte sich, um an zwei Flaschen zu kommen, die von Blumentöpfen gestoppt in seiner Nähe lagen, griff eine nach der anderen, und hat diese hinter sich zur Kiste geworfen. Stand wieder auf, nahm zwei weitere Flaschen ins Visier, zu denen er laufen musste. Wieder grandiose Mimik, und lief los, bei den Flaschen angekommen, setzte er sich, und hat diese zwei Flaschen in Richtung der Kiste geworfen, krabbelte zur Kiste zurück, stellte sich hin, guckte uns an, jetzt aber bitte die Flaschen wieder in die Kiste. Was auch passierte. Er stand da wie der König.
Das war planvoll, zielgerichtet und mit Absicht. Es war absolut klar, was er wollte und wie er es umsetzen wollte. Natürlich kann er Risiken nicht sehen, dafür waren wir ja da, ansonsten hat er das ganz alleine gemacht, keine Hinweise von uns, wir hatten nur aufgepasst. Mir kann jetzt keiner erzählen, dass dies keine Handlung war.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Jörn Budesheim
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Sa 7. Sep 2019, 15:59

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Mi 15. Jan 2020, 06:19

Hermeneuticus hat geschrieben :
So 16. Jun 2019, 13:41
Wer eine Person nach dem Grund fragt, aus dem sie etwas getan hat, der erwartet eine Weil-Antwort, die in dieser Weise nachvollziehbar ist. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob der Akteur vorm Handeln eine Überlegung angestellt hat, die so aussieht wie ein Syllogismus:

Ich will reich werden.
Wer reich werden will, sollte X tun.
_____________________
Also sollte ich X tun.

Entscheidend ist, dass der Akteur nicht einfach aus einem bloß subjektiven Antrieb, einem Affekt, einem dumpfen Drang, einer plötzlichen Begierde heraus gehandelt, sondern seine subjektiven Antriebe im Lichte einer allgemeinen, also nicht-subjektiven Regel reflektiert hat - womöglich auch selbstkritisch reflektiert hat. Genau darin bewährt sich praktische Rationalität. Wer halbwegs rational handelt, der folgt nicht einfach seinen augenblicklichen Neigungen und dumpfen Antrieben, sondern er ist fähig, sich von diesen Antrieben zu distanzieren und sie womöglich im Blick auf soziale Normen zu verneinen, sie nicht handlungsleitend werden zu lassen.
Ich muss hier noch mal ran, weil es mich immer noch beschäftigt. Stellen wir uns vor, jemand fragt, warum Carola Rakete Menschen in Seenot gerettet hat. Stellen wir uns weiter vor, jemand würde als Antwort einen "Syllogismus" wie oben vorgeschlagen/gefordert geben: "Menschen in Seenot sollen gerettet werden. Diese Person war in Seenot. Also habe ich sie gerettet."

Wenn jemand so denken und antworten würde, würde man dann nicht meinen, dass die Frage gar nicht beantwortet wurde und/oder dass die betreffende Person überhaupt nicht verstanden hat, worum es geht?

Der Grund, warum man jemand rettet, ist dass die Person in Not ist, und nicht die Regel. Die Tatsache, dass das Leben der Person in Gefahr ist, liefert uns direkt ein Grund, ihr zu helfen. Wir helfen nicht, weil es eine Regel ist, zu helfen. Es ist vielmehr umgekehrt: weil es richtig ist, Personen in Not zu retten, kann man diese Regel aufstellen. Aber diese Regel erklärt nichts, sie bringt nur die Tatsachen in einer handliche (und vereinfachende) Form.

Man könnte sich auch eine Situation vorstellen, wo jemand sagt, er habe geholfen, weil es ansonsten eine "unterlassene Hilfeleistung" gewesen wäre. In einem solchen Fall würde man doch vermuten, dass die fragliche Person eigentlich gar nicht helfen wollte...

Ein weiteres Beispiel. Stellen wir uns vor, wir könnten bereits Roboter bauen, denen wir einprogrammieren könnten, dass sie verletzten Personen helfen. Ich für meinen Teil, würde nicht glauben, dass sie aus Einsicht helfen, sondern einfach nur, weil sie der Regel folgen.




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