Kreativität

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Jörn Budesheim
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Do 6. Feb 2020, 20:26

Wird radikale Kreativität in diese grundlegende Stellung gebracht, bringt uns dies in Beschreibungs- und Erklärungsnöte in Bezug auf den genuinen Charakter von Kreativitätsprozessen. Denn kreative Prozesse sind in ihrem kognitiv wie ästhetisch aufschlußreichen, inspirierenden und stil-bildenden Eigensinn:

(i) nicht reduzierbar auf einen gegebenen Set von Antezedentien und deren Prinzipien und Regeln; diese Prinzipien und Regularitäten selbst werden überschritten, durchbrochen, zurückgelassen;

(ii) sie sind deshalb auch nicht aus vorab vorhandenen Ausgangselementen deduzierbar (weder logisch noch kausal noch psychologisch);

(iii) sie sind daher nicht vorhersagbar;

(iv) mithin entziehen sie sich einer im engeren Sinne wissenschaftlichen Erklärung;

(v) scheinen mehr mit Glück als Verstand zu tun zu haben;

(vi) kreative Prozesse enthalten eine gehörige Portion Spontaneität und sind durch Diskontinuitäten gekennzeichnet.




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Stefanie
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Do 6. Feb 2020, 20:44

Nun ja, zumindest zeigt der Text einen kreativen Umgang mit Fremdwörtern. Spontane Äusserung zwischen zwei Niesanfällen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Jörn Budesheim
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Fr 7. Feb 2020, 06:39

Vereinfacht kann man doch wohl sagen, dass nach Ansicht des Autors kreative Prozesse nicht auf bestimmte Prinzipien und Regeln zurückführbar sind. Zu ihnen gehören Unvorhersehbares, Brüche und gewisse Freiheitsgrade. Daher sind sie weder wissenschaftlich erklärbar noch vorhersagbar. Sie scheinen daher mehr mit Glück als Verstand zu tun zu haben.




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Jörn Budesheim
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Fr 7. Feb 2020, 07:28

Könnte man nicht sagen, dass es sich bei der obigen Erläuterungen einfach um eine Entfaltung des Begriffes Einfall handelt?! In der Metapher vom Einfall steckt schließlich auch das Plötzliche und Unvorhersehbare. Der Einfall wäre dann fast so etwas wie ein glücklicher Zufall.

Wobei all dies natürlich nicht völlig aus dem Nichts kommt. Das Glück, um das ist hier geht, ist nicht dass Lotto Glück, sondern das Glück des Tüchtigen :) nur wer auf seinem Gebiet eine gewisse Expertise aufweist, kann mit solchen Zu-Fällen rechnen.




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Jörn Budesheim
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Fr 7. Feb 2020, 18:09

In dem Artikel hat sich jemand die Mühe gemacht viele verschiedene Kreativitäts-Begriffe bzw Aspekte aus der Literatur zu sammeln: http://www.creajour.de/ipointiertes/kre ... itaet.html




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Jörn Budesheim
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Fr 7. Feb 2020, 18:47

"Nietzsche hat diejenigen, die sich im Regel-Zerstören erschöpfen und nicht die Kraft und neuer Regelsetzung haben, als dekadent bezeichnet. Der Witz einer kreativen Regelverletzung ist ein doppelter: Regelverletzungen und Regelbruch folgen ihrerseits keiner Meta-Regel, und sie eröffenen im spielerischen Erfinden von Regeln neue und vertiefte Einsichten. Hier blitzt etwas von dem tiefen Zusammenhang von Wahrheit und Kreativität auf. Die Wahrheit sitzt im Offenen und Kreativität hilft entscheidend, zu ihr zu gelangen."

(Günter Abel, in "Kreativität")




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Alethos
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Sa 8. Feb 2020, 17:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 7. Feb 2020, 18:47
"Nietzsche hat diejenigen, die sich im Regel-Zerstören erschöpfen und nicht die Kraft und neuer Regelsetzung haben, als dekadent bezeichnet. Der Witz einer kreativen Regelverletzung ist ein doppelter: Regelverletzungen und Regelbruch folgen ihrerseits keiner Meta-Regel, und sie eröffenen im spielerischen Erfinden von Regeln neue und vertiefte Einsichten. Hier blitzt etwas von dem tiefen Zusammenhang von Wahrheit und Kreativität auf. Die Wahrheit sitzt im Offenen und Kreativität hilft entscheidend, zu ihr zu gelangen."

(Günter Abel, in "Kreativität")
In diesem Zusammenhang ist Wahrheit ein diffuser Begriff: das Offene. Was bedeutet das? Es wird auch nicht klar, wieso man 'zu ihr gelangen' sollen kann, so, als läge sie in der Ferne. Ist es nicht vielmehr so, dass sie den Punkt darstellt, bei dem alle Freiheit ihren Anfang nimmt?



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Jörn Budesheim
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Sa 8. Feb 2020, 18:44

Hölderlin hat geschrieben : Komm! ins Offene, Freund!
Es gibt keine allgemein Regeln oder Routinen die uns einfach zur Wahrheit führen. Denn was uns täglich begegnet, ist nicht das allgemeine, sondern das besondere. Im Offenen ist alles möglich, mehr als unsere Regeln vorhersagen können. Daher kann nur der kreative Umgang mit den Regeln, die wir aus der Erfahrung geschöpft haben, uns gleichermaßen ins Offene führen.

Würden wir immer versuchen, die Welt nach dem bewährten alten Mustern zu verstehen, könnten wir keine neuartigen Entwicklungen oder Entdeckungen machen oder einordnen.

So oder so ähnlich würde ich fürs Erste versuchen, die Sentenz zu interpretieren.




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Alethos
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Sa 8. Feb 2020, 20:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Feb 2020, 18:44
nach den bewährten alten Mustern
Ja, aber Kreativität bedeutet ja auch 'erschaffen', das kommt ja nicht durch die blosse Verletzung eines bewährten Musters. Der Regelbruch allein erzeugt noch nichts Neues, das bestand hat. Kreativ sein, das muss irgendwie auch damit einhergehen, etwas eine Existenz zu geben, wo es vorher nicht war, aber es sein darf, dass es sei. Etwas, das Würde hat. Ich glaube, dass das ein wichtiger Aspekt ist: Dass das in einem kreativen Prozess Entstandene seine Würde hat.



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Jörn Budesheim
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Sa 8. Feb 2020, 20:56

Ganz genau, der Regelbruch allein ist witzlos. Es muss an die Stelle des alten etwas Neues treten, wenn vielleicht auch nur schemenhaft.




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Alethos
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Sa 8. Feb 2020, 21:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 8. Feb 2020, 20:56
schemenhaft
Schemenhaftigkeit bedeutet dann vielleicht auch Offenheit?



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Jörn Budesheim
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So 9. Feb 2020, 08:42

Rüdiger Safranski hat geschrieben : [Hölderlin] sollte Pfarrer werden, war aber lebenslang auf der Flucht davor, irgendwann als Landpfarrer irgendwo zu enden. Seine religiöse Erfahrung würde ich so beschreiben: Das hat mit Monotheismus gar nichts zu tun. Man könnte sagen, das Göttliche ist momentan, ist plötzlich und es ist situationsbezogen. Wenn eine Freundschaft da ist, dann wohnt ein Gott da. Wenn eine Liebe da ist, dann wohnt ein Gott da. Wenn es einen starken Natureindruck gibt, dann ist da was Göttliches. Und deswegen gibt es auch die vielen Götter, weil gewissermaßen diese Götterbilder zuständig sind für diese Intensitätssteigerung.

Religiös ist bei Hölderlin die absolute Intensitätssteigerung im Moment. Deswegen war er davon überzeugt, dass die Poesie das Organ ist. In dem zerbrechlichen, filigranen Sprachkunstwerk lebt etwas von diesem Geist des gesteigerten Lebens in einzelnen Situationen. Die Aufklärung macht alles platt, sie nivelliert, sie entzaubert, wie man das später sagen wird. Und Hölderlin ist jemand, der die Poesie als Organ der Aufrechterhaltung eines intensiven Lebensgefühls versucht zu nutzen.




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