Die Absicht deines Denkvorschlags ist es, Jörn, dem Naturalismus den Boden unter den Füssen wegzuziehen. Wenn eine Blüte nicht allein aus der Optik begriffen werden kann, die sie als Ansammlung von Atomen beschreibt, sondern wir hinzurechnen müssen, dass sie sozusagen auf "Wahrgenommenwerden" ausgerichtet ist, dann kann sie nicht mehr reduktionistisch erklärt werden als Atomansammlung oder ähnliches, denn die Tatsache, dass sie mit anderem in lebendiger Beziehung steht, dass sie "abstrahlt", dass sie wahrgenommen wird, dass sie auf wahrgenommen werden ausgelegt ist, das zeigt sie als Teil eines ökologischen Systems, aus welchem sie sich nicht mehr herausdestillieren lässt. Sie lässt sich auch nicht reduzieren auf ein bestimmtes Sosein, denn dann wird sie aufgegangen sein in der vollsten Mitte ihrer Natürlichkeit. Spätestens dann lässt sich die Blüte gar nicht mehr sinnvoll denken als dieses Ding, weil sie sich in keiner Weise mit monistischen Konzepten jeglicher Couleur erfassen lässt.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 8. Mär 2020, 08:54In einer gewissen Hinsicht dürfte es der Blüte zwar "egal" sein, wie sie gesehen wird. Auf der anderen Seite können wir ihre Erscheinung meines Erachtens gar nicht verständlich machen, wenn wir nicht in Rechnung stellen, dass sie so, wie sie ist gewissermaßen "für andere" ist. Man könnte vielleicht sagen, ihre Erscheinung ist auf Wahrgenommenwerden ausgelegt. Die Blüte ist natürlich nicht "für sich", in dem Sinne, dass sie sich um sich sorgt und ein Bild von sich hat, an dem sie sich orientiert. Aber sie ist nicht bloßes "an sich", wie auch immer man das im Einzelnen ausbuchstabieren müsste. Ihr Sein ist nur aus einem lebendigen Zusammenhang heraus zu verstehen.
Ich würde vorschlagen, den Begriff Natur so zu fassen, dass der lebendige Zusammenhang zu seinem Zentrum wird, aber so, dass er von diesem Zentrum ausstrahlen kann - auch in die unbelebte Natur hinein. Das wäre ein Naturbegriff, der nicht so ohne weiteres von der Physik z.b. zu fassen wäre, weil Erlebnisse (das heißt: Bewusstsein) in irgendeiner Weise Bestandteil dieses Begriffes sind.
Wenn es aber zu ihrem Wesen (der Blüte) gehört, sowohl aus diesen atomaren Elementen zusammengesetzt als auch Teil eines lebendigen Verbunds zu sein, so wie das Wasser sowohl H2O ist wie auch ein Biotop im Kleinformat, dann verschwimmen die Grenzen zwischen toter und lebendiger Materie. Denn wo hört Wasser auf, Wasser zu sein und wo beginnt die Blüte, alles das zu sein, was sie ist?
Dann aber, wenn das Lebendige sowohl Materie als auch Relationen, ökologische Systeme, Teil von Erzählungen, Teil des "Stirb und Werde", ist, dann können wir nicht glaubhaft machen, dass wir ihm diese Rollen zuweisen, denn es hängt ja nicht von unseren Beschreibungen und Definitionen ab, dass Wasser sowohl H2O als auch ein Biotop ist, oder die Blüte aus Atomen besteht, aber auch in vielfältigen Hinsichten Blüte ist, sondern es ist per se so. Es verhält sich mit den Dingen so. Dann aber sind nicht wir die, die Geist produzieren und ihn in die Dinge legen, sondern dann ist Geist draussen und bricht innen durch. Dann implodiert die Grenze zwischen einem Innen und Aussen, sie wird obsolet, denn dann sind Begriffe nicht einfach unsere Konstrukte zur Eingrenzung von Phänomenen, sondern Begriffe sind gleichsam geborgt von einer durch und durch sich begrifflich strukturierenden Welt. So gesehen ist es auch Welt, die sich denkt und nicht bloss wir, die sie denken. Und somit ist überhaupt die Unterscheidung von Welt hier und wir da, hinfällig. Denn so gesehen sind es nicht wir, die eingrenzen, dass Wasser H2O ist oder zugleich ein Kleinstbiotop, es ist nicht eine Frage der Masstäbe, die wir anlegen, um die Welt zu beschreiben, dass es sich mit Wasser so verhält: Die Welt selbst ist so verfasst, weshalb wir sie als das erfassen können.
Unter solchen Vorzeichen zu wollen, dass die Welt und alles in ihr aus diesem Stoff allein oder jenem Stoff allein bestehe, das ist ein gänzlich hoffnungsloses Unterfangen.