„Wir brauchen eine metaphysische Pandemie“

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Jörn Budesheim
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So 22. Mär 2020, 07:27



Philosoph Markus Gabriel meldet sich in schwierigen Zeiten zu Wort
Mit dem Ruf nach einer "metaphysischen Pan-Demie", einer Versammlung der Völker, meldet sich der Philosophie-Professor Markus Gabriel aus dem Homeoffice zu Wort. Lesen Sie in unserer neuen Serie „Lebenszeichen – Wir bleiben im Gespräch!“, was der bekannte Bonner Gelehrte, Denker und Autor im Angesicht der Ausbreitung des Coronavirus zu sagen hat.


Text: Prof. Dr. Markus Gabriel

Die Weltordnung ist erschüttert. Auf der für das bloße Auge unsichtbaren Skala des Universums verbreitet sich ein Virus, dessen wirkliche Ausmaße wir nicht kennen. Niemand weiß, wie viele Menschen schon an Corona erkrankt sind, wie viele noch sterben werden, wann wir einen Impfstoff entwickeln usw. Außerdem weiß niemand, welche Auswirkungen die derzeit radikalen Maßnahmen eines paneuropäischen Ausnahmezustands auf Wirtschaft und Demokratie haben.

...

https://www.uni-bonn.de/neues/201ewir-b ... df2iq6MGdA




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Alethos
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So 22. Mär 2020, 18:19

Ein bisschen schrill, fast populistisch, findet ihr nicht? Er hat mit allem recht, aber klingt wie mein Neffe, der im zweiten Jahr Soziologie studiert und gerade seine antikapitalistische Hippiephase durchmacht.

Natürlich braucht es Greta Thunbergs auf dieser Welt, Vorreiter und moralische Lautdenker. Aber solange mein Neffe vor die Wahl zwischen Konsum oder Verzicht gestellt, dann doch lieber immer das neuste Plastik-Handy vorzieht, sehe ich die grösste Gefahr beim Menschen, nicht bei den Systemen, die sie schaffen. Wir brauchen keinen Koimmunismus, wir brauchen Entlastungen für unsere Irrglauben, uns fehlte an so vielem. Die Welt verändert sich im Kleinen. Im kleinen Verzicht. "Uns ginge es besser, wenn es denen besser ginge, denen es schlecht geht. Und das geht nur, wenn es jenen weniger gut geht, denen es gut geht." So heisst eine Textstelle in einem Lied von Mani Matter, einem verstorbenen Berner Chansonnier. Und er hatte Recht; Wir brauchen nicht noch mehr Ismen, um zu verstehen, was uns wirklich fehlt: Genügsamkeit.



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Jörn Budesheim
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So 22. Mär 2020, 18:29

Schrill oder populistisch finde ich es jetzt nicht, aber es ist mit sehr viel Verve und Engagement geschrieben :)




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Alethos
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So 22. Mär 2020, 18:36

Ja, und es gefällt mir, dass er moralisch nicht neutral bleibt. Er spricht nicht professoral, sondern wie ein Besorgter. Und das ist gut so. :)



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Schimmermatt
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So 22. Mär 2020, 18:41

Ich finde fast alles bis zur Banalität richtig. Aber gar nichts originell. Frankfurter Schule, besonders Adorno, Spur Sloterdijk, viel Maß und Mitte, abgeschmeckt mit etwas sowohl als auch. Nicht falsch, aber bewegt mich nicht so wie Jörn. Frage mich: Ob mir etwas entgangen ist?



"Manche Leute werden heutzutage langsam wahnsinnig. Ich schnell." C. Schlingensief

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Friederike
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Mo 23. Mär 2020, 10:17

Schimmermatt hat geschrieben :
So 22. Mär 2020, 18:41
Ich finde fast alles bis zur Banalität richtig. Aber gar nichts originell. Frankfurter Schule, besonders Adorno, Spur Sloterdijk, viel Maß und Mitte, abgeschmeckt mit etwas sowohl als auch. Nicht falsch, aber bewegt mich nicht so wie Jörn. Frage mich: Ob mir etwas entgangen ist?
... und mir entgeht, wo Du die Anleihen bei Adorno gefunden hast (namentlich erwähnt Gabriel ihn nicht, falls ich nix überlesen habe) Kannst Du's ganz kurz sagen, Stichworte genügen mir schon ("Genügsamkeit" :lol: ).




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Friederike
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Mo 23. Mär 2020, 10:24

Mir kommt der Ausdruck "flammendes Pamphlet" spontan in den Sinn ... obwohl's dazu eigentlich auch wieder zu differenziert und ausgewogen und besonnen ist. Besonders der Schluß gerät ihm doch etwas theatralisch.

Ach, ich bin sowieso in Meckerstimmung ... obwohl meine Laune bisher heute besser ist als ich es erwartet hatte.

Später: Eben sehe ich nochmal nach, in welcher Abteilung ich die obige Äußerung geschrieben habe ... welch' eine Erleichterung! Im "Zettelkasten" und nicht, wie ich befürchtete, unter "Metaphysik und Ontologie". o.k. Hier kann sie stehenbleiben.




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Schimmermatt
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Mo 23. Mär 2020, 12:05

Gabriel kritisiert wie Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" eine kalte, technische Vernunft.



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Stefanie
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Mo 23. Mär 2020, 18:28

Was genau weiß ich noch nicht, aber irgendetwas in dem Text erzeugt bei mir Widerspruch. Nicht dass ich den Aussagen inhaltlich widersprechen würde.
Irgendwo habe ich zu der jetzigen Situation gelesen, dass wir unsere Stärken stärken müssen, um damit zurecht zukommen, um es zu überstehen, auch für die Zukunft.
Der Text zählt im Wesentlichen die Schwächen und das Negative auf, was zu der allgemeinen Lage der Menschheit geführt hat. Mir fehlen die Stärken. Insofern rüttelt der Text nicht so auf, wie es vielleicht gedacht war. Das Vertrauen darauf, dass es geschafft werden kann, geht irgendwie unter.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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