Alethos hat geschrieben : ↑ Sa 19. Sep 2020, 14:34
Weiterkommen - was heisst das? Weiter als was? Wahrscheinlich heisst es, weiterzukommen als das Erreichte. Gut.
Wir sind Kinder der Aufklärung. Das Mittelalter gilt den meisten als das dunkle Zeitalter. Dass in diesen 700-900 Jahren Mittelalter weniger Menschen starben wegen religiösen Konflikten als in de Zeit der Aufklärung, während der französischen Revolution etwa oder bei Exekutionen durch die Hand von machtbewussten Beamten in Hexenprogromen, das ist wohl kein Fortschritt im Sinne eines Bessermachens als zuvor. Dass wir im
20. Jahrhundert zigmillionen Menschen in den Tod schickten für Vaterland und Ehre, das ist wohl kein Fortschritt verglichen mit dem friedlichen Koexistieren in neolithischer Zeit, als wir uns gelegentlich mit der Keule
eins über die Rübe zogen, wenn das Fleisch knapp wurde. Ohnehin war die Jagd mit Speer und Schleuder weit ethischer als die Massentötung durch automatisierte Genickschüsse am Laufband.
Nicht das Neue ist besser als das Vorherige, bloss, weil es das Neue ist. Und das gilt für alles, wovon wir glauben, dass es gut ist, bloss weil es heute ist. Ist Multikulturalität besser bloss, weil es ein Phänomen der Neuzeit ist? Nein, wenn es besser ist, dann doch, weil wir darin etwas Gutes sehen. Aber gut, das ist es nicht von selbst, sondern weil wir davon Betroffene und überzeugt sind, dass es das ist.
Wir. Wir sind aber andere als die von gestern und übermorgen. Nicht bessere oder schlechtere, bloss andere. Das, was uns gut schien, das muss ihnen als künftig Betroffene nicht gut scheinen.
Was nun ist an diesem sogenannt Guten objektiv gut? Was bringt uns dazu zu glauben, dass das Gute und Schlechte in der Sache selbst liegt? Denn das heisst moralischer Realismus, dass das Gute real
ist. Nun aber real für wen?
Und ist das, was der von der Realität des Guten Betroffene über dieses Sosein des Guten denkt, irrelevant für das Sosein des Guten? Was um
Himmelswillen wollen wir den mit einer moralischen Realität anfangen, wenn sie nicht uns alle je einzeln betreffen soll und wie wollte sie uns betreffen, wenn nicht wir es wären, die diese moralische Realität je befördern? Durch unsere Meinungen und Ansichten. Durch unsere Emotionen und politischen Motivationen.
Es kann nicht anders sein, als dass das Gute ein Vielklang all unserer Bestrebungen ist, es besser zu machen, ohne aber wissen zu können, was denn nun das Bessere ist. Denn das Gute ist veränderlich, immerzu etwas Anderes.