Auf Facebook entspann sich zwischen Nicolas Dierks und mir folgender kleine Dialog. Und wenn ich mich nicht völlig täusche, haben wir diesen Forum noch nicht intensiv über das Thema "Sinn des Lebens" gesprochen, vielleicht ist dies ein Anlass, das nachzuholen...rowohlt hat geschrieben : Dr. Nicolas Dierks, Jahrgang 1973, begeistert Menschen für neue Perspektiven – mit Vorträgen, Workshops, Büchern und in den sozialen Medien. Der promovierte Philosoph lebt in der Nähe von Lüneburg und gibt Seminare an der dortigen Leuphana Universität. Er berät Unternehmen, trinkt gerne guten Espresso und vermittelt Philosophie mit Leidenschaft und Humor. Er hat einen eigenen Blog, ist rege bei Facebook, Instagram und Twitter unterwegs, wird gerne zu Lesungen eingeladen und plant einen eigenen Podcast.
Nicolas Dierks hat geschrieben : "Der Sinn des Lebens" - ein Missverständnis?
Sollte die Frage nicht vielmehr sein: Was heißt es für mich, sinnvoll zu Leben?
Was wäre gewissermaßen auf die derzeitige Frage des Lebens an mich eine Antwort, die Sinn macht?
#Philosophie
Jörn Budesheim hat geschrieben : "Was heißt es für mich, sinnvoll zu leben" Ist das nicht ein bisschen solipsistisch? Sinn ist doch auch auf andere und die Realität bezogen. Wenn man den Sinn nur auf sich selbst bezieht, kann man schnell zum Don Quixote werden, oder?
Nicolas Dierks hat geschrieben : Ich glaube, das wäre ein Missverständnis (wenngleich es verbreitet scheint): Für mich sinnvoll zu leben kann ja heißen, dass mir nicht nur mein eigenes Wohlergehen wichtig ist, sondern auch das anderer. Vielleicht sogar wichtiger als das eigene. Doch zu stellen habe ich die Frage mir selbst.
Jörn Budesheim hat geschrieben : der Sinn des Vergleichs mit Don Quichotte war in etwa folgender: wenn man die Frage so versteht, dass im Grunde jede Antwort, die man geben kann, bereits den Sinn angibt, dann kann man schnell in einer Scheinrealität wie Don Quichotte geraten. Don Quichotte ist ja gewissermaßen eine Karikatur der Autonomie. Das Bild zeigt, dass sich Selbstbestimmung immer auch an Wirklichkeiten orientieren muss, um nicht in das Gegenteil umzuschlagen.
Nicolas Dierks hat geschrieben : Ach so, deshalb auch die Frage nach dem „Solipsismus“...aber ich sehe auch nicht, warum jemand, der die Frage stellt „Was heißt es für mich, sinnvoll zu leben?“ dadurch zum Solipsismus tendieren sollte. Don Quichotte scheint mir weniger ein Solipsist, sondern eher an romantisierenden Wahnvorstellungen zu leiden.
Jörn Budesheim hat geschrieben : es geht mir dabei nicht um Solipsismus schlechthin, sondern an diesem Zusammenhang angepasst um so etwas wie Sinn-Solipsismus. Denn das, was sinnvoll ist, hängt ja nicht einfach am Einzelnen.
Ich will vermeiden, dass man die Frage folgendermaßen versteht: "Frage DICH, was es für DICH heißt sinnvoll zu leben. Und was immer deine Antwort ist, das ist DEIN Sinn." Dann wäre Sinn etwas bloß subjektives. Und man könnte zwischen einem eingebildeten oder verfehlten Sinnverständnis und einem wirklichen nicht mehr unterscheiden. An Don Quichotte wäre dann gar nichts auffälliges mehr, er wäre dann einfach so wie jeder, der versucht, seinem Leben einen Sinn zu geben. Aber das, was Carola Rakete macht ist etwas ganz anderes als das was Don Quichotte macht.
Um ein krasseres Beispiel als Don Quichotte zu haben: man müsste dann auch den schlimmsten Verbrechern zugestehen, ein sinnvolles Leben geführt zu haben, weil sie ja für sich selbst eine Antwort auf die Sinnfrage gefunden haben.
Jörn Budesheim hat geschrieben : man kann sich z.b. folgende Frage stellen: ist das, wozu ich mich entschieden habe sinnvoll, weil ich mich dazu entschieden habe. Oder habe ich mich dazu entschieden, weil es sinnvoll ist? Das erste wäre Solipsismus - in dem Sinn, wie ich es hier verwendet und gemeint habe.
Nicolas Dierks hat geschrieben : Danke für die Klärungen - sie erinnern mich etwas an Wittgensteins Bemerkungen zur „privaten Sprache“. Das passt insofern, weil ich das „sinnvolle Leben“ durchaus ähnlich auffassen will wie „sinnvolle Äußerung“. In diesem Sinne stimme ich dir zu, dass auch die Sinnfrage keine „Humpty Dumpty-Antwort“ erlaubt. Allerdings stellt all das (und Wittgenstein) ja nicht die Autorität der ersten Person in Frage. Das müssten wir jetzt aufdröseln und könnten etwa bei den sozialen und realen Bedingungen dieser Autorität landen - die vielleicht sogar eine normative Einschränkung der konsistent vertretbaren Auffassungen sinnvoller Lebensweisen begründen. Das wäre viel!
Jörn Budesheim hat geschrieben : stimmt, die Autorität der ersten Person kann nicht völlig in Frage stehen. Aber man kann natürlich auch falsche Ansichten über sich selbst haben, so dass nicht jeder Entwurf für das eigene Leben ein angemessener ist.
Nicolas Dierks hat geschrieben : Natürlich können wir uns über uns selbst irren. Autorität der ersten Person meint ja etwa, dass zb wenn wir Schmerzen haben uns nicht darin irren, wessen Schmerzen wir haben.
Wenn ich Nicolas Dierks richtig verstanden habe, ist er der Ansicht, dass die Frage nach dem "Sinn des Lebens" ein Art Missverständnis sein könnte. Statt dessen sollte die Frage vielmehr sein: "Was heißt es für mich, sinnvoll zu Leben?"Jörn Budesheim hat geschrieben : ich finde, auch hier können wir uns irren, aber das ist natürlich ein anderes Thema. Nur kurz: wir können uns natürlich nicht in dem "phänomenalen Aspekt" irren, wenn wir Schmerz fühlen, dann ist dieses Fühlen da. Aber darin erschöpft sich Schmerz ja nicht, denn Schmerz besagt ja etwas. Und hier gibt es Irrtummöglichkeiten. man denke etwa an das gummihand Experiment: da wo wir die Hand fühlen und wo sie von Messer getroffen "schmerzt", ist gar keine Hand :)
Was meint ihr?