NIetzsches Moralphilosophie

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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NaWennDuMeinst
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Sa 24. Okt 2020, 13:23

Es wurde gewünscht einmal "die" Philosophie Nietzsches zu beleuchten. Da Nietzsche für mich vor allem durch seine Moralkritik (allem voran einer Kritik an der christlichen Moral) bekannt wurde, halte ich es für sinnvoll dort zu beginnen.

In seinem Werk "Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt" setzt Nietzsche dem "vorherrschenden Moralverständnis" ein eigenes Verständnis entgegen, dass er im Kapitel "Moral als Widernatur" so zusammenfasst:

"– Ich bringe ein Prinzip in Formel. Jeder Naturalismus in der Moral, das heißt jede gesunde Moral, ist von einem Instinkte des Lebens beherrscht – irgendein Gebot des Lebens wird mit einem bestimmten[967] Kanon von »Soll« und »Soll nicht« erfüllt, irgendeine Hemmung und Feindseligkeit auf dem Wege des Lebens wird damit beiseite geschafft. Die widernatürliche Moral, das heißt fast jede Moral, die bisher gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist, wendet sich umgekehrt gerade gegen die Instinkte des Lebens – sie ist eine bald heimliche, bald laute und freche Verurteilung dieser Instinkte. Indem sie sagt »Gott sieht das Herz an«, sagt sie nein zu den untersten und obersten Begehrungen des Lebens und nimmt Gott als Feind des Lebens... Der Heilige, an dem Gott sein Wohlgefallen hat, ist der ideale Kastrat... Das Leben ist zu Ende, wo das »Reich Gottes« anfängt..."

Es fällt zunächst auf, dass Nietzsche "fast jede Moral, die bisher gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist" als "widernatürlich" und als "Feind des Lebens." begreift (Warum?).
Aus diesem Verständnis heraus stellt Nietzsche dem seine "gesunde Moral" entgegen, die von einem "Instinkt des Lebens" beherrscht wird.
Instinkte (an anderer Stelle nennt Nietzsche es auch "Triebe") sind in der Moralphilosophie Nietzsches zentral. Sie sind der Ausdruck einer lebensbejahenden Haltung unter die sich auch die Moral stellt.

Es kann - wenn gewünscht - Teil dieses Threads sein genauer herauszuarbeiten was Nietzsche damit meint. Oder auch wie Nietzsche zu diesem Urteil über die Moral seiner Zeit gelangt.
An der Stelle könnt ihr die Richtung vorgeben , oder: Vielleicht sogar einen anderen Bereich (als die Moralphilosophie) der Philosophie Nietzsches vorschlagen.
Was wollen wir vertiefen?



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

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Jörn Budesheim
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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst
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Sa 31. Okt 2020, 11:13

Ganz toll. Mich hat schwer begeistert wie die Schauspieler diese beiden großen Charaktere darstellen.
Und auch wie ihre beiden Philosophien gegenübergestellt werden fand ich gut.
Danke für das Video, Jörn.



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NaWennDuMeinst
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Sa 31. Okt 2020, 11:23

In dem Video werden sehr schön die unterschiedlichen Position rausgearbeitet.
Bei Platon dient das Leben: Es dient der Moral, den Ideen, dem Geiste.
Bei Nietzsche ist es umgekehrt: Die Moral dient dem Leben, das Geistige, die Ideen sind eine Ausdrucksform des Lebendigen.

Auch sehr zentral wichtig finde ich die letzten drei Minuten. In denen wird deutlich dass Nietzsche eben keinen Nihilismus forderte, sondern diesen als unausweichliche Folge allen bisherigen Philosophierens betrachtete.
"Gott ist tot. Gott bleibt tot. Und wir haben ihn getötet. Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?"
Nietzsche erkennt hier eben, dass der Mensch nicht auf Dauer in einem Nichts leben kann. Er - der Mensch - hat sich seines Gottes entledigt und was setzt er nun an seine Stelle?
Nietzsche setzt an Gottes Stelle den "Willen zur Macht" und den "Übermenschen". Keine Resignation vor dem Nichts, das der Tod Gottes hinterlassen hat, sondern eine "Umwertung aller Werte".
Und wie trösten wir anderen Menschen uns?



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Jörn Budesheim
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So 1. Nov 2020, 13:53





Timberlake
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Fr 12. Aug 2022, 00:34

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 24. Okt 2020, 13:23

Es fällt zunächst auf, dass Nietzsche "fast jede Moral, die bisher gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist" als "widernatürlich" und als "Feind des Lebens." begreift (Warum?).
(Ganz einfach !) .. weil "fast jede Moral, die bisher gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist" über kurz oder lang als Anlass für einen Krieg hergenommen wurde und was wenn nicht den Krieg könnte man als widernatürlich und als "Feind des Lebens." begreifen.
  • Overkill
    Um das Ausmaß der nuklearen Bedrohung zu veranschaulichen, stellte die Theologin Uta Ranke-Heinemann in einer Rede im Oktober 1981 die Frage, woher man denn die 100 Milliarden Menschen bekommen würde, die durch die Sprengkraft vernichtet werden könnten. Es bestehe ja kein Mangel an Waffen mehr, vielmehr reichten die Menschen, die durch Atomwaffen vernichtet werden könnten, nicht mehr aus. Statistisch gesprochen klaffe die Schere zwischen aktivem und passivem Vernichtungspotential immer weiter auseinander, so Ranke-Heinemann.
.. und war es nicht tatsächlich so , dass beide Seiten, die diese nuklearen Bedrohung zu verantworten hatten , sich dabei jeweils auf die von ihr , gelehrten verehrten und gepredigten Moral berufen haben?

  • Wir haben umgelernt. Wir sind in allen Stücken bescheidner geworden. Wir leiten den Menschen nicht mehr vom »Geist«, von der »Gottheit« ab, wir haben ihn unter die Tiere zurückgestellt. Er gilt uns als das stärkste Tier, weil er das listigste ist: eine Folge davon ist seine Geistigkeit. Wir wehren uns andrerseits gegen eine Eitelkeit, die auch hier wieder laut werden möchte: wie als ob der Mensch die große Hinterabsicht der tierischen Entwicklung gewesen sei. Er ist durchaus keine Krone der Schöpfung: jedes Wesen ist, neben ihm, auf einer gleichen Stufe der Vollkommenheit... Und indem wir das behaupten, behaupten wir noch zuviel: der Mensch ist, relativ genommen, das mißratenste Tier, das krankhafteste, das von seinen Instinkten am gefährlichsten abgeirrte – freilich, mit alledem, auch das interessanteste!
    Nietzsche .. Der Antichrist
Was wenn nicht eine solche nukleare Bedrohung , .. wohlgemerkt auf Grundlage einer gelehrten, verehrten und gepredigten Moral ! .., würde für das stehen, was lt. Nierzsche der Mensch ist und zwar .. relativ genommen, das mißratenste Tier, das krankhafteste, das von seinen Instinkten am gefährlichsten abgeirrte – freilich, mit alledem, auch das interessanteste!
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 24. Okt 2020, 13:23
Aus diesem Verständnis heraus stellt Nietzsche dem seine "gesunde Moral" entgegen, die von einem "Instinkt des Lebens" beherrscht wird.
Instinkte (an anderer Stelle nennt Nietzsche es auch "Triebe") sind in der Moralphilosophie Nietzsches zentral. Sie sind der Ausdruck einer lebensbejahenden Haltung unter die sich auch die Moral stellt.
.. aus diesem Verständnis heraus stellt Nietzsche dem seine "gesunde Moral" entgegen, die von einem "Instinkt des Lebens" beherrscht wird. Eine gesunde Moral, die er beim Übermenschen verortet.
  • "Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?
    Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehn, als den Menschen überwinden?
    Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham" .
    Nietzsche ... Also sprach Zarathustra

Für den Übermenschen ist Carl Sandburgs Vorstellung von einem Krieg, in dem keiner hin geht , keine bloße Vorstellung. Ausgeststattet mit einer "gesunden Moral" geht tatsächlich nicht in den Krieg, unter keinen Umständen ! ..

Nur mal zum Vergleich ,..

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Do 11. Aug 2022, 21:39

Sei wollen uns umbringen, weil wir nicht spuren? Na dann kommt her. Wir stopfen Euch so viele Raketen und Granaten in den Hals bis ihr lacht.
Waffen liefern? Na klar. Bis der letzte Russe auf ukrainischem Boden verblutett ist und sie einsehen, dass sie so nichts erreichen.




Steinmetz
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Fr 12. Aug 2022, 16:36

Zum Thema Moral hab ich in "Menschlich allzu Menschliches" was gelesen. Ich suche es gerne nochmal raus.




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NaWennDuMeinst
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Fr 12. Aug 2022, 18:20

Timberlake hat geschrieben :
Fr 12. Aug 2022, 00:34
Für den Übermenschen ist Carl Sandburgs Vorstellung von einem Krieg, in dem keiner hin geht , keine bloße Vorstellung.
Was sollte sie denn sonst sein, wenn "die anderen" sich nicht dran halten?
Da kannst Du Dich dann umbringen lassen oder dich wehren. Wobei es meiner Meinung nach auch nichts mit Vernunft und vernünftiger Moral zu tun hat sich umbringen zu lassen, das läuft nämlich auch "dem Instinkt des Lebens" zuwider.



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Timberlake
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Sa 13. Aug 2022, 11:34

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Fr 12. Aug 2022, 18:20
Timberlake hat geschrieben :
Fr 12. Aug 2022, 00:34
Für den Übermenschen ist Carl Sandburgs Vorstellung von einem Krieg, in dem keiner hin geht , keine bloße Vorstellung.
Was sollte sie denn sonst sein, wenn "die anderen" sich nicht dran halten?
Da kannst Du Dich dann umbringen lassen oder dich wehren. Wobei es meiner Meinung nach auch nichts mit Vernunft und vernünftiger Moral zu tun hat sich umbringen zu lassen, das läuft nämlich auch "dem Instinkt des Lebens" zuwider.
Klar doch .. "Die Hölle ,dass sind die anderen" (Jean-Paul Sartre) ..
  • Geschlossene Gesellschaft ... Ich im Blick der anderen ...

    Der Journalist Garcin, die Postangestellte Ines und die wohlhabende Estelle erleben: Der Blick der anderen ist unentrinnbar. Zunächst versuchen sie, was man im Leben so tut: sie wollen den anderen ein Bild von sich selbst vermitteln, mit dem sie sich wohlfühlen. Der Journalist einer pazifistischen Zeitung, der im Widerstand von einem diktatorischen Regime ermordet wurde! Das Mädchen aus einfachen Verhältnissen, das durch Liebe sozialen Aufstieg erfuhr!

    Bei den drei Eingeschlossenen zerbrechen nach und nach alle idealisierenden Bilder.

    Da war der Widerstandsheld doch nur ein Feigling, der auf der Flucht getötet wurde. Ein Mann, der für den Weltfrieden kämpfte und in seiner eigenen Familie Unfrieden stiftete. Da wird in der Sehnsucht der Frauen nach Liebe soviel Selbstsucht sichtbar. Und da war bei allen so viel Bedürfnis, gut angesehen zu werden – und sie waren nicht in der Lage, das Leid der Menschen in ihrer nächsten Nähe wahrzunehmen. Und so sehen sie nun einander und schlimmer: wissen, dass sie nun so gesehen werden. Die Hölle ist ein unendlicher Lockdown.
.. oder um darauf mit einem Kalauer aus Schillers »Wilhelm Tell« zu antworten .. "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt"
  • Ich lebte still und harmlos – Das Geschoss
    War auf des Waldes Tiere nur gerichtet,
    Meine Gedanken waren rein von Mord –
    Du hast aus meinem Frieden mich heraus
    Geschreckt, in gärend Drachengift hast du
    Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt,
    Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt –

    Schiller .. Wilhelm Tell




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