Mein Vater machte mir gerne klar, dass er kein neues Handy brauche. Er verwies gerne darauf, dass es früher ja auch ganz ohne gegangen sei. Dieses aktuelle Handy würde ihm ausreichend gute Dienste leisten, ein neues brauche es nicht. Als er sich dann doch entschloss, ein neues zu kaufen, das Whatsapp-fähig war, schrieb er mir ständig Nachrichten - jeden Abend eine oder zwei - über Whatsapp. Es wäre auch ohne Whatsapp gegangen, aber es war doch ganz gut, dass er sein altes Handy gegen ein neues tauschte. Es war nützlich. Oder anders: Er brauchte es erst, als er ohne nicht mehr wollteNauplios hat geschrieben : ↑Sa 13. Feb 2021, 02:12mein Eindruck ist: das alles gibt es schon längst. Sinnfelder (Gabriel) - Seinsregionen (Husserl) Aufführung (Gabriel) - Noesis (Husserl) usw. Was ist das Neue am Neuen Realismus? - Mein Eindruck ist, daß mit der Phänomenologie ein philophisches Forschungsparadigma vorliegt, das selbstverständlich nicht alle Antworten auf alle Fragen gibt; dem Schulgründer Husserl ging es auch nur darum, dieses Feld als ein weiter zu bearbeitendes abzustecken für künftige Generationen. Doch braucht es wirklich einen Neuen Realismus, also einen Paradigmen-Wechsel, um Deine Forschungsinteressen angemessen darzustellen, Alethos?
Was ich damit sagen will: Vieles von dem, was der Neue Realismus abdeckt, gab es oder gibt es in anderen Theorien: Bei Kant, bei Husserl, bei Frege, bei Wittgenstein, und doch ist etwas an ihm nicht einfach nur dem Namen nach neu: Es ist ganz nützlich, bspw. dass er in einer klaren Sprache die Ausdifferenzierung von Wirklichkeit in Bereiche formuliert, Existenz als Erscheinung beschreibt (nicht kantische Erscheinung, sondern kontextuale Erscheinung in Bereichen), dass er die „Versatzstücke“ verschiedener Theorien neu komponiert zu einer schlüssigen Definition von Existenz, weil wir (oder zumindest ich) damit besser erkennen können, was es mit den Dingen auf sich hat, wenn wir uns daran machen, sie zu verstehen.
Bei keiner Philosophie, die mir bekannt wäre, finden wir, dass „Gegenstände und Bereiche“ in ihrem begriffslogischen Konnex Existenz hervorbringen würden und zwar die Existenz konkreter Gegenstände, die mittels der Ausprägung ihres jeweiligen Sinns durch ihre begrifflichen Kontextualität jeweils als diese Gegenstände erscheinen: Eine Ananas als Gedankending (im Kontext eines Gedankens), eine Ananas in meinem biophysischen Mund mit physischen Säften als Genussding (im Kontext meiner leiblichen Lust), eine Ananas als Textstelle in einem Roman (im Kontext einer Erzählung, auch einer fiktionalen) etc.
Die Ananas, bspw. als Inhalt meines Gedankens (Noema), teilt eine wichtige Eigenschaft mit der Ananas am Baum nicht: Sie ist nicht raumzeitlich - sie passt also in meinen Kopf Aber sie teilt mit allen anderen Ananassen, welche je kontextual vorkommen, die „begriffliche Differenz“ - den Typus. Sie ist eine Frucht. Sie gehört zu den Bromeliengewächsen. Hat eine typische Form. Eine typische Schale. Sieht typischerweise so und so aus etc. Jede Ananas, egal als was sie vorkommt, ist nicht Ziegelstein oder Pizzateig, sondern Ananas. Sie ist auch Phänomen in einem bestimmten Sinn von Erscheinung sein, aber sie hat Existenz als Ananas durch sich selbst im begrifflichen Kontext ihres Vorkommens: ob wir einen Eindruck von ihr haben oder nicht. Die Existenz der Ananas ist also nicht beschränkt auf eine Phänomenologie im Sinne eines Noemaseins in einer noetischen Situation resp. eines „Erscheinenden“ in einer Erscheinungsweise, sondern sie exisiert als Existierendes durch die Existenz, welche die Gesetze des Seins für die Seienden formuliert - im Neuen Realismus sind das: begriffslogische Gesetze, d.h. Begriffe, unter die sie als typische Gegenstände fallen, d.h. der Fall sein können.
Darum überhaupt, weil die Wirklichkeit sich strukturell ausdifferenziert, kann ein Individuum gedacht werden im Lichte seines spezifischen realen Vorkommens. Darum bspw. ist es möglich, dass Jörn eine abstrakte Zeichnung von NWDM anfertigen und sagen kann: „Das ist NWDM“, weil er dieses Individuum überführt in einen neuen Kontext, in welchem er als etwas Anderes erscheint. Diese Zeichnung hat vielleicht nicht mehr viel mit dem Individuum gemein, das wir i.d.R. meinen, wenn wir sagen „NWDM“, weil es vielleicht komplett anders aussieht und beschaffen ist, aber doch teilt es mit ihm den Eigennamen, mit welchem dieses Individuum bezeichnet ist. Die Zeichnung handelt von Karl in Köln an der Hamburgerstrasse 3 im 2. Stock in der Wohnung links (sofern er sich nicht soeben auf Sylt am Strand befindet und dort das Individuum ist, das blaue Badehosen trägt und Apfelschorle trinkt). Es ist in jedem Fall dieses logische Subjekt, diese Bezeichnete, das auf der Zeichnung gezeigt wird, wenn sie denn von ihm handelt, da sie ihn eben zeigt vor dem Hintergrund eines ästhetischen Felds als Kunstgegenstand, z.B. abstrakte Zeichnung. Nicht Karl (der in der Wohnung an der Hamburgerstrasse jetzt frühstückt oder der am Strand liegt und Apfelschorle trinkt) steckt in dieser Zeichnung, aber doch erscheint er in ihr, wenn er dasjenige ist, den wir meinen, wenn wir ihn zeichnen und sagen, das sei er.
Nicht in jedem Fall seines Seins wird er eine abstrakte Figur sein, sondern nur im konkreten Vorkommnis dieser Zeichnung. Wir werden ihm resp. anderen Aspekten seines Seins nichts „andichten“ können: Er wird keinen quadratischen Kopf haben und schematische Gesichtszüge am Strand aufweisen, er wird nicht plötzlich einen Bikini tragen, weil wir das so denken oder zeichnen oder sagen: sondern nur in dieser Zeichnung, sofern sie von ihm handelt und es in ihr über ihn wahr ist, dass er so und so aussieht.
Solche Abstufungen, solche Nuancen werden doch erst denkbar, wenn wir die Wirklichkeit erfassen lernen in ihrer begrifflichen Plastizität, in ihrer sinnhaften Konturiertheit - in ihrer lokalen Ausgeprägtheit, was der Neue Realismus denkbar macht. Mit ihm in dieser Klarheit aber keine andere Theorie denkbar macht, sofern ich das überblicken kann.