Hegel: Herr und Knecht

Gegenstand dieses Projekts ist die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels
Benutzeravatar
Dia_Logos
Beiträge: 140
Registriert: Di 12. Sep 2017, 17:00

Fr 29. Sep 2017, 17:06

IMPULSBEITRAG
Hegel: Herr und Knecht

Sicherlich gibt es viele verschiedene Auslegungen von Herr und Knecht. Diese kurze und einfache Zusammenfassung basiert auf einem Text von Georg W. Bertram. Im zweiten Beitrag folgt ein Zitat aus Hegels Phänomenologie mit zentralen Stellen und Quellenangabe zum Weiterlesen. Ziel kann hier natürlich nicht sein, eine letztgültige Interpretation des schwierigen Textes von Hegel vorzulegen, sondern einen ersten Einstieg in das Thema zu bieten und Lust auf mehr zu machen.

Nach Ansicht Bertrams handeln Hegels Gedanken zu Herr und Knecht von der “sozialen Natur” des Menschen. Mit “sozial” ist jedoch nicht primär “gemeinnützig, mildtätig, barmherzig” gemeint, sondern eher allgemein “die Gesellschaft betreffend”. Hegel will dafür argumentieren, dass Menschen als gesellschaftliche/soziale Wesen auf symmetrische Beziehungen zwischen einzelnen Individuen angewiesen sind. Dementsprechend geht es in dem Gedankenexperiment um zwei Fragen.
  1. Inwiefern sind wir Menschen durch Beziehungen zu anderen Menschen geprägt?
  2. Warum sind soziale Verhältnisse, in denen asymmetrische Beziehungen vorherrschen, nicht stabil?

Das Szenario

Hegel entwirft folgende Szene: Die Protagonisten der Handlung sind zwei Individuen. Einer der beiden hat im Kampf mit dem anderen anerkannt, dass dieser der Stärkere ist. Um nicht von ihm vernichtet zu werden, hat es sich untergeordnet. Damit sind die Rollen verteilt: Der Stärkere ist der Herr, der Untergeordnete ist der Knecht. Doch ihre Stellung hängt in dieser Konstellation untrennbar zusammen. Warum? Herren gibt es nur, insofern es Knechte gibt, und Knechte nur, wenn es Herren gibt. Hegel hebt (nach Bertram) insbesondere zwei Aspekte hervor:
  1. Die Beschäftigung des Knechts mit der äußeren Welt ist durch den Umstand bestimmt, dass er für den Herrn arbeitet. Daher kann er die Dinge nicht für sich genießen, denn er überlässt sie dem Herrn. Für den Herrn heißt das, dass er die Gegenstände "rein" genießen kann, er kann ohne jeden Aufwand über alles um ihn herum verfügen.
  2. Der Herr hat ein Gegenüber, das ihn anerkennt. Der Knecht bestätigt ihn in seiner Selbständigkeit: Mit jedem Ding, das der Knecht dem Herrn (z.B. zum Essen) gibt, behandelt er ihn aufs neue als jemanden, der selbständig ist. Doch das beruht nicht auf Gegenseitigkeit: Der Herr behandelt den Knecht nicht als seinesgleichen. Er ist für ihn kein Individuum, das Anerkennung verdient.

Eine Interpretation

Im Zentrum der Interpretation steht der Begriff der Anerkennung. Hegel spielt nach Ansicht von Bertram auf Grundlage der Beziehung von Herr und Knecht durch, welche Auswirkungen die ungleiche Anerkennung für beide hat. Das Ergebnis überrascht: Die fehlende Anerkennung ist insbesondere für den Herren destabilisierend. Also für den, der den anderen nicht anerkennt! Wie kommt Hegel dazu? Sein Argument lautet, dass Anerkennung auf Gegenseitigkeit beruht: man kann Anerkennung nur dann erfahren, wenn man selbst denjenigen anerkennt, von dem man anerkannt wird.

Wie jedoch sieht die Sache aus Sicht des Knechts aus? Bertram erläutert dies so: Zwar wird der Knecht vom Herrn nicht anerkannt, aber er selbst erkennt sein Gegenüber als selbständig an. Er erfährt sich selbst daher immer wieder als jemand, der etwas von sich aus macht. Mit jedem Ding, dass er für den Herrn bereitet, macht er diese Erfahrung. Gegenüber seinem Herrn macht er die Erfahrung, dass das Anerkennen eines Anderen grundsätzlich ein selbständiges Tun ist. Hegel folgert: “Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseins ist demnach das knechtische Bewusstsein.”

Dieser Gedankengang führt Hegel zu der These, dass asymmetrische Beziehungen instabil sind: Beide haben zwar ein Bedürfnis nach Anerkennung. Doch weder Herr noch Knecht können sie in ihrer ungleichen Wechselbeziehung finden. Daher müssen beide danach streben, andere Gegenüber zu finden, die sie tatsächlich anerkennen. Bertram: “Dabei ist es wesentlich, dass symmetrische Relationen zwischen Einzelnen zustande kommen.”




Benutzeravatar
Dia_Logos
Beiträge: 140
Registriert: Di 12. Sep 2017, 17:00

Fr 29. Sep 2017, 17:09

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes - Kapitel 22 hat geschrieben :
Bild

Der Herr ist das für sich seiende Bewußtsein, aber nicht mehr nur der Begriff desselben, sondern für sich seiendes Bewußtsein, welches durch ein anderes Bewußtsein mit sich vermittelt ist, nämlich durch ein solches, zu dessen Wesen es gehört, daß es mit selbstständigem Sein oder der Dingheit überhaupt synthesiert ist. Der Herr bezieht sich auf diese beiden Momente, auf ein Ding, als solches, den Gegenstand der Begierde, und auf das Bewußtsein, dem die Dingheit das Wesentliche ist; und, indem er a) als Begriff des Selbstbewußtseins unmittelbare Beziehung des Für-sich-seins ist, aber b) nunmehr zugleich als Vermittlung, oder als ein Für-sich-sein, welches nur durch ein Anderes für sich ist, so bezieht er sich a) unmittelbar auf beide, und b) mittelbar auf jedes durch das andere. Der Herr bezieht sich auf den Knecht mittelbar durch das selbstständige Sein; denn eben hieran ist der Knecht gehalten; es ist seine Kette, von der er im Kampfe nicht abstrahieren konnte, und darum sich als unselbstständig, seine Selbstständigkeit in der Dingheit zu haben, erwies. Der Herr aber ist die Macht über dies Sein, denn er erwies im Kampfe, daß es ihm nur als ein Negatives gilt; indem er die Macht darüber, dies Sein aber die Macht über den Andern ist, so hat er in diesem Schlusse diesen andern unter sich. Ebenso bezieht sich der Herr mittelbar durch den Knecht auf das Ding; der Knecht bezieht sich, als Selbstbewußtsein überhaupt, auf das Ding auch negativ und hebt es auf; aber es ist zugleich selbstständig für ihn, und er kann darum durch sein Negieren nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden, oder er bearbeitet es nur. Dem Herrn dagegen wird durch diese Vermittlung die unmittelbare Beziehung als die reine Negation desselben, oder der Genuß; was der Begierde nicht gelang, gelingt ihm, damit fertig zu werden, und im Genusse sich zu befriedigen. Der Begierde gelang dies nicht wegen der Selbstständigkeit des Dinges; der Herr aber, der den Knecht zwischen es und sich eingeschoben, schließt sich dadurch nur mit der Unselbstständigkeit des Dinges zusammen, und genießt es rein; die Seite der Selbstständigkeit aber überläßt er dem Knechte, der es bearbeitet.

In diesen beiden Momenten wird für den Herrn sein Anerkanntsein durch ein anderes Bewußtsein; denn dieses setzt sich in ihnen als Unwesentliches, einmal in der Bearbeitung des Dings, das anderemal in der Abhängigkeit von einem bestimmten Dasein; in beiden kann es nicht über das Sein Meister werden und zur absoluten Negation gelangen. Es ist also hierin dies Moment des Anerkennens vorhanden, daß das andere Bewußtsein sich als Für-sich-sein aufhebt, und hiemit selbst das tut, was das erste gegen es tut. Ebenso das andere Moment, daß dies Tun des zweiten das eigne Tun des ersten ist; denn, was der Knecht tut, ist eigentlich Tun des Herrn; diesem ist nur das Für-sich-sein, das Wesen; er ist die reine negative Macht, der das Ding nichts ist, und also das reine wesentliche Tun in diesem Verhältnisse; der Knecht aber ein nicht reines, sondern unwesentliches Tun. Aber zum eigentlichen Anerkennen fehlt das Moment, daß, was der Herr gegen den Andern tut, er auch gegen sich selbst, und was der Knecht gegen sich, er auch gegen den Andern tue. Es ist dadurch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen entstanden.

Das unwesentliche Bewußtsein ist hierin für den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst ausmacht. Aber es erhellt, daß dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht entspricht, sondern daß darin, worin der Herr sich vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes geworden als ein selbstständiges Bewußtsein. Nicht ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbstständiges; er also nicht des Für-sich-seins, als der Wahrheit gewiß, sondern seine Wahrheit ist vielmehr das unwesentliche Bewußtsein, und das unwesentliche Tun desselben.

Die Wahrheit des selbstständigen Bewußtseins ist demnach das knechtische Bewußtsein. Dieses erscheint zwar zunächst außer sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewußtsein. Aber wie die Herrschaft zeigte, daß ihr Wesen das Verkehrte dessen ist, was sie sein will, so wird auch wohl die Knechtschaft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtsein in sich gehen, und zur wahren Selbstständigkeit sich umkehren.

Quelle: Gutenberg-DE




Benutzeravatar
novon
Beiträge: 358
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 01:01

Fr 29. Sep 2017, 23:13

Inwiefern lässt sich heute ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis (Herr/Knecht) irgendwo tatsächlich festmachen?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23433
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 30. Sep 2017, 10:09

Will man es Parabel, Erzählung oder Gedankenexperiment nennen? Wie auch immer, ich glaube dabei handelt es sich im Grunde genommen um einen besonderen Typ von Argumentation. In der Regel zielt das natürlich auf Allgemeinheit. Viele solcher Bilder sind daher nicht unbedingt als Versuche zu sehen, bestimmte reale historische Situationen nachzuzeichnen. (In Hegel und Haiti wird eine andere Sicht vorgeschlagen.) Das gilt für die Idee vom "Gesellschaftsvertrag" ebenso wie für "Herr und Knecht" und andere mehr, schätze ich. Deswegen sollte man sich - nach meinem Dafürhalten - auch nicht daran stören, dass die Begriffe "Herr und Knecht" einem heute vielleicht etwas "altertümlich" und überholt vorkommen mögen.

Ich meine aber, der Gedanke, dass Selbstbewusstsein nicht im Singular vorkommen kann und dass Anerkennung etwas auf Gegenseitigkeit ist und dass Symmetriebrüche "instabile" Verhältnisse zur Folge haben, beansprucht universelle Gültigkeit. Dass sie an diesem Beispiel "exemplifiziert" wurden, welches uns historisch nicht so nah scheint, ist meines Erachtens kein wirkliches Hindernis: Denn Asymmetrien gibt es auch heute zuhauf. Und ich für meinen Teil glaube, dass Hegel im Recht ist, was den Punkt angeht, dass unser Selbstbewusstsein ein "soziales" Phänomen ist.




Benutzeravatar
novon
Beiträge: 358
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 01:01

Sa 30. Sep 2017, 23:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 10:09
Will man es Parabel, Erzählung oder Gedankenexperiment nennen? Wie auch immer, ich glaube dabei handelt es sich im Grunde genommen um einen besonderen Typ von Argumentation. In der Regel zielt das natürlich auf Allgemeinheit. Viele solcher Bilder sind daher nicht unbedingt als Versuche zu sehen, bestimmte reale historische Situationen nachzuzeichnen.
Das ist mir nun ziemlich egal... Wo finden sich denn aktuell tatsächlich hier beschworene Herr/Knecht Abhängigkeiten konkret?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 10:09
(In Hegel und Haiti wird eine andere Sicht vorgeschlagen.) Das gilt für die Idee vom "Gesellschaftsvertrag" ebenso wie für "Herr und Knecht" und andere mehr, schätze ich. Deswegen sollte man sich - nach meinem Dafürhalten - auch nicht daran stören, dass die Begriffe "Herr und Knecht" einem heute vielleicht etwas "altertümlich" und überholt vorkommen mögen.
Mit "überholt" hat das nichst zu tun. Wo sind sie, die Herren und die Knechte, und wie ließen diese sich identifizieren?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 10:09
Ich meine aber, der Gedanke, dass Selbstbewusstsein nicht im Singular vorkommen kann und dass Anerkennung etwas auf Gegenseitigkeit ist und dass Symmetriebrüche "instabile" Verhältnisse zur Folge haben, beansprucht universelle Gültigkeit. Dass sie an diesem Beispiel "exemplifiziert" wurden, welches uns historisch nicht so nah scheint, ist meines Erachtens kein wirkliches Hindernis: Denn Asymmetrien gibt es auch heute zuhauf. Und ich für meinen Teil glaube, dass Hegel im Recht ist, was den Punkt angeht, dass unser Selbstbewusstsein ein "soziales" Phänomen ist.
In welchem Verhältnis stehen wir denn zueinander? Siehst du dich als Herr oder als Knecht?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23433
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 1. Okt 2017, 07:42

novon hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 23:24
In welchem Verhältnis stehen wir denn zueinander?
Die Parabel Hegels startet mit einem Kampf, mit einer Aggression zwischen zwei Protagonisten. Das passt nicht schlecht ... ;)




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

So 1. Okt 2017, 14:17

novon hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 23:24
Wo finden sich denn aktuell tatsächlich hier beschworene Herr/Knecht Abhängigkeiten konkret?
Überall dort, wo Menschen instrumentalisiert werden. Wo sie oder ihre Leistungen als Mittel zu Zwecken dienen, die nicht ihre eigenen sind. Solche Instrumentalisierungsverhältnisse müssen sich nicht auf Personen als ganze erstrecken und mit völliger Unfreiheit einhergehen (wie bei Sklaven oder Zwangsprostituierten). Sie können auch auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt sein und nur zeitweilig bestehen (z.B. Lohnarbeit unter unfairen Bedingungen).

Ein Beispiel, das mir gerade einfällt: Die Beziehung zwischen einem verheirateten Mann und einer unverheirateten Frau. Für den Mann ist die Beziehung vielleicht nur eine willkommene Abwechslung in seinem Berufs- und Eheleben, die er ganz nach seinen Bedürfnissen "dosieren" kann. Man trifft sich immer nur heimlich, wenn es in seinen Wochenplan passt und sein Familienleben nicht gefährdet. Der Mann denkt gar nicht daran, seine Familie zu verlassen, um sich ganz mit seiner Geliebten zu verbinden, und schiebt diesbezügliche Wünsche der Geliebten immer weiter auf. Die unverheiratete Geliebte sehnt sich nach mehr, möchte den Mann nicht mit einer anderen Frau teilen und nicht nur gelegentlich zum heimlichen Sex treffen, sondern gemeinsam etwas unternehmen, verreisen etc. Sie hat sich schon x-mal geschworen, die für sie unbefriedigende Beziehung zu beenden, aber einerseits hat sie Angst vorm Alleinsein, andererseits hängt sie einfach zu sehr an diesem Mann. - Das ist ein asymmetrisches Verhältnis, das gar nicht so selten vorkommt - und natürlich auch mit vertauschten Rollen, also: verheiratete Frau mit ledigem Lover.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23433
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 1. Okt 2017, 14:55

Ich hatte es mit dem allgemeineren (und daher weiteren) Ausdruck "Asymmetrie" versucht. Dass es so etwas überall in allen möglichen Ausprägungen gibt, ist nur schwer zu leugnen, meine ich.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23433
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 1. Okt 2017, 17:27

"Die Wahrheit des Inneren ist das Äußere" (Pippin über Hegel)

Mir gefällt bei dem Thema Hegels, dass das Selbstbewusstsein von ihm nicht einfach gesetzt ist (wie vielleicht bei Descartes) sondern etwas ist, was erst werden muss (auch wenn seine Evidenz dagegen spricht) und zwar im Umgang und Auseinandersetzung mit Anderen und den Dingen der Welt.

Zeit-Online schlägt vor, dass man etwas knetet, um Hegel nachzuvollziehen > http://blog.zeit.de/schueler/2013/11/07 ... dialektik/




Benutzeravatar
novon
Beiträge: 358
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 01:01

So 1. Okt 2017, 23:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 07:42
novon hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 23:24
In welchem Verhältnis stehen wir denn zueinander?
Die Parabel Hegels startet mit einem Kampf, mit einer Aggression zwischen zwei Protagonisten. Das passt nicht schlecht ... ;)
*hüstel* Aggression...?!? (Solange ich nicht allzu schlecht von dir denke wird meinerseits nur geknufft, gepufft, also quasi angeschoben... Ich weiß... Das ist anmaßend. May the Sun shine... *g)




Benutzeravatar
novon
Beiträge: 358
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 01:01

So 1. Okt 2017, 23:14

Hermeneuticus hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 14:17
novon hat geschrieben :
Sa 30. Sep 2017, 23:24
Wo finden sich denn aktuell tatsächlich hier beschworene Herr/Knecht Abhängigkeiten konkret?
Überall dort, wo Menschen instrumentalisiert werden. Wo sie oder ihre Leistungen als Mittel zu Zwecken dienen, die nicht ihre eigenen sind. Solche Instrumentalisierungsverhältnisse müssen sich nicht auf Personen als ganze erstrecken und mit völliger Unfreiheit einhergehen (wie bei Sklaven oder Zwangsprostituierten). Sie können auch auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt sein und nur zeitweilig bestehen (z.B. Lohnarbeit unter unfairen Bedingungen).
Kann es sein, dass derartige Verhältnisse (hier) durchweg illegal sind? Oder irre ich mich darin?
Und: Wie erwachsene Menschen in individuellen Beziehungen miteinander verkehren ist deren Sache. Punkt ist, dass das nicht allgemeiner Gestzgebung untergeordnet ist, sondern ausschließlich individuellen Entscheidungen folgt.




Benutzeravatar
novon
Beiträge: 358
Registriert: Mo 7. Aug 2017, 01:01

So 1. Okt 2017, 23:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 14:55
Ich hatte es mit dem allgemeineren (und daher weiteren) Ausdruck "Asymmetrie" versucht. Dass es so etwas überall in allen möglichen Ausprägungen gibt, ist nur schwer zu leugnen, meine ich.
Was genau hast du versucht, wenn ich fragen darf...?




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

So 1. Okt 2017, 23:36

novon hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 23:14
Kann es sein, dass derartige Verhältnisse (hier) durchweg illegal sind? Oder irre ich mich darin?
Und: Wie erwachsene Menschen in individuellen Beziehungen miteinander verkehren ist deren Sache. Punkt ist, dass das nicht allgemeiner Gestzgebung untergeordnet ist, sondern ausschließlich individuellen Entscheidungen folgt.
Naja, aber es ist hier nicht illegal, z.B. Kaffee zu trinken, der am anderen Ende Welt von Kindern gepflückt wurde, oder T-Shirts zu tragen, die in Bangla Desh unter krassen, ausbeuterischen Verhältnissen genäht wurden. Das Problem ist also nicht aus der Welt.

Es ist aber doch auch eine interessante Frage, welche "Logik" eigentlich hinter den Gesetzen steht, die bei uns z.B. Sklaverei oder Kinderarbeit verbieten. Diese Gesetze sind ja nicht eines schönen Tages vom Himmel gefallen, und fertig. Sie haben sich aus historischen Konflikten und deren rationaler Verarbeitung nach und nach entwickelt. Und mir scheint, dass Hegel mit seiner Dialektik der Anerkennung wesentliche Momente genau dieser Entwicklung und ihrer inneren Rationalität rekonstruiert. In den Gesetzen, die bei uns gelten, sind die Lehren aus diesen historischen Prozessen gegenwärtig...

Und noch weiter: Jeden Tag werden Kinder in unsere Gesellschaft geboren, die erst noch lernen müssen, mit den Problemen von Selbstbewusstsein/Selbstbestimmung und gegenseitiger Anerkennung praktisch fertig zu werden. Die Konflikte der Heranwachsenden mit Autoritäten, ihr Ringen um Selbstbehauptung und um Anerkennung dürften ziemlich häufig ähnliche Strukturen aufweisen wie die von Hegel aufgezeigten.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23433
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 2. Okt 2017, 06:21

Hermeneuticus hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 23:36
Naja, aber es ist hier nicht illegal, z.B. Kaffee zu trinken, der am anderen Ende Welt von Kindern gepflückt wurde, oder T-Shirts zu tragen, die in Bangla Desh unter krassen, ausbeuterischen Verhältnissen genäht wurden. Das Problem ist also nicht aus der Welt.
Das Ringen um Anerkennung dürfte eine universelle Konstante sein. Und in einer globalisierten Welt muss es nicht mal Auge in Auge statt finden.




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

Mo 2. Okt 2017, 09:34

Ja, Hegels Konzept von Selbstbewusstsein als Resultat gegenseitiger Anerkennung beansprucht auf jeden Fall allgemeine Geltung. Dieses Konzept ist aber besonders überzeugend, weil Hegel es nicht einfach aus der allgemeinen, vernünftigen "Natur" des Subjekts ableitet, sondern aufzeigt, dass und wie Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung aus Lebensverhältnissen hervorgehen kann, in denen allgemeine Gleichberechtigung noch nicht realisiert ist. Seine Theorie kann also, grob gesagt, die Genese von Freiheit aus unfreien Verhältnissen erklären.




Benutzeravatar
maximimaxima
Beiträge: 26
Registriert: Di 3. Okt 2017, 09:15

Di 3. Okt 2017, 09:38

Hallo zusammen,

schön, dass sich hier ein paar alte Bekannte zusammen gefunden haben, um weiter über Hegel nachzudenken. Ich war auch schon beim alten Hegel Projekt dabei, damals noch als Ryoba. :-)

Das trifft sich ganz gut, dass ihr auch gerade bei Herr und Knecht seid. Ich habe dieses Kapitel gerade abgeschlossen und doch noch etwas Redebedarf dazu. Die Frage, wo es dieses Abhängigkeitsverhältnis heute noch gibt, darüber habe ich auch schon nach gedacht. Man muss das aufteilen in die Fragen, wie hat Hegel das mit Herr und Knecht eigentlich gemeint und wo gibt es heute Entsprechungen dazu. Einige Möglichkeiten wurden ja schon angesprochen:

1. Es könnte sich um eine Parabel handeln. Ähnlich dazu könnte man auch die Beschreibung eines Idealtypus des Handelns vermuten, der so in empirischer Reinform nicht vorkommt.
2. Es könnte sich um die Beschreibung historischer Verhältnisse handeln, etwa der Leibeigenschaft und Fronarbeit.
3. Es könnte sich um eine Art Gedankenexperiment handeln, ähnlich dem Übergang vom Naturzustand in den Gesellschaftsvertrag

Wo gibt es solche Verhältnisse heute? Bei der Lesart 1 und 3 kann man sich von der Begrifflichkeit Herr und Knecht auch distanzieren. Was Hegel beschreibt ist, dass ein Subjekt dem anderen mit Gewalt seine Anerkennung abringen will. Es will um jeden Preis, sogar den des eigenen Lebens von dem anderen anerkannt werden. Dieser Kampf auf Leben und Tor ist für Hegel wesentlich. Das erscheint anachronistisch. In Duellen auf Leben und Tod oder Kriegen kommt so etwas vielleicht vor. Aber im alltäglichen Leben doch eher nicht. Es gibt sicher Kämpfe um Prestige und Anerkennung, aber in den seltensten Fällen setzt jemand sein Leben dafür aufs Spiel.

Wenn man Hegels Herr und Knecht Parabel nun als Beschreibung allgegenwärtiger Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse verstehen möchte, was ich auch durchaus plausibel finde, fehlt genau dieses wesentliche Moment des Kampfes auf Leben und Tod. Oder was meint ihr?




Hermeneuticus
Beiträge: 811
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 19:20
Kontaktdaten:

Di 3. Okt 2017, 10:27

maximimaxima hat geschrieben :
Di 3. Okt 2017, 09:38
Hallo zusammen,

schön, dass sich hier ein paar alte Bekannte zusammen gefunden haben, um weiter über Hegel nachzudenken. Ich war auch schon beim alten Hegel Projekt dabei, damals noch als Ryoba. :-)
Soso, dann ist die plötzlich abgetauchte "untreue Tomate" am Ende so untreu nicht. :-) Willkommen auf DIA-LOGOS!
Wenn man Hegels Herr und Knecht Parabel nun als Beschreibung allgegenwärtiger Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse verstehen möchte, was ich auch durchaus plausibel finde, fehlt genau dieses wesentliche Moment des Kampfes auf Leben und Tod. Oder was meint ihr?
Ich verstehe die Herr-Knecht-Konstellation quasi als eine Art "Urszene". Zwar hat sie einen historischen Hintergrund, dient aber hier der systematischen Darstellung jener Dialektik, die nach Hegel jedem Selbstbewusstsein strukturell zugrunde liegt. Die Pointe dabei: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung lassen sich auch unter extremen Bedingungen der Unfreiheit - Sklaverei - gewinnen.

Eine Theorie der Selbstbestimmung sollte, wenn sie Anspruch auf Realitätsgehalt erhebt, auch erklären können, wie sich der menschliche Geist aus despotischen Verhältnissen zum modernen, freiheitlichen Rechtsstaat entwickeln konnte. Sie muss so angelegt sein, dass sie den Umschlag von Unfreiheit in Freiheit als kontinuierlichen und konsequenten Prozess der Rationalisierung erfassen kann. Darum muss in der Despotie der rationale "Keim" der Freiheit bereits angelegt sein; auch Herrschaft und Knechtschaft müssen als Formen des einheitlichen menschlichen Geistes gedacht werden können.

Historisch gesehen ist Freiheit bis heute kein Geschenk, das vom Himmel fällt. Freiheit musste - und muss bis heute - immer erkämpft werden, und diese Kämpfe waren - und sind bis heute - oft Kämpfe auf Leben und Tod. Für den Einzelnen, der bereits in einer verhältnismäßig freien Gesellschaft aufwächst, ist diese Tragik natürlich abgemildert. Aber immer noch muss jeder Einzelne seine Selbstbestimmung letztlich selbst zuwege bringen - in der Auseinandersetzung mit Eltern, Lehrern, Lebenspartnern oder gesellschaftlichen Autoritäten und Mächten - und nicht zu vergessen: in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Denn auch an sich selbst kann man mitunter "sklavische" oder "herrische" Tendenzen oder Instanzen unterscheiden...




Benutzeravatar
Tarvoc
Beiträge: 386
Registriert: So 1. Okt 2017, 10:21

Di 3. Okt 2017, 13:21

Ich klinke mich hier mal sozusagen "quer" ein, weil ich glaube, dass mir dazu ein recht interessanter Gedanke gekommen ist.
Dia_Logos hat geschrieben :
Fr 29. Sep 2017, 17:06
Wie jedoch sieht die Sache aus Sicht des Knechts aus? Bertram erläutert dies so: Zwar wird der Knecht vom Herrn nicht anerkannt, aber er selbst erkennt sein Gegenüber als selbständig an. Er erfährt sich selbst daher immer wieder als jemand, der etwas von sich aus macht. Mit jedem Ding, dass er für den Herrn bereitet, macht er diese Erfahrung. Gegenüber seinem Herrn macht er die Erfahrung, dass das Anerkennen eines Anderen grundsätzlich ein selbständiges Tun ist. Hegel folgert: “Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseins ist demnach das knechtische Bewusstsein.”
So wie ich das sehe, übersieht Hegel hier die Rolle der nichtlethalen Körperstrafen in den historischen Herr-Knecht-Verhältnissen. In der Erfahrung der Körperstrafe erfährt sich der Knecht immer wieder als jemand, der zwar den Herrn letztlich anerkennen muss, aber eben nicht "von sich aus", sondern gezwungen. Ganz generell hängt das damit zusammen, dass Hegel den Geist als reine begriffliche Entwicklung versteht, nicht als konstitutiv an materielle menschliche Körper geknüpfte Entwicklung (weswegen der Kampf auf Leben und Tod in der ganzen Dialektik auch nur einen einzigen kurzen, kaum entwickelten Ausgangspunkt darstellt). Die Rolle nichtlethaler Körperstrafen wird erst von Marx in Die Heilige Familie und im Stirner-Kapitel der Deutschen Ideologie behandelt, später dann von Nietzsche und noch später von Foucault. Es scheint sich mir tatsächlich um einen Aspekt zu handeln, der in Hegels Betrachtungen schlichtweg fehlt, obwohl ich ihn für ein recht grundsätzliches Strukturelement historischer Herr-Knecht-Verhältnisse halte. Womöglich wäre das ein Ansatzpunkt für interessante zukünftige Forschungsprojekte.
Hermeneuticus hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 14:17
Überall dort, wo Menschen instrumentalisiert werden.
Überall ist etwas übertrieben. Ich habe zwar keinen unmittelbaren Beweis dafür, aber ich glaube, noch nicht mal Hegel selbst hätte diesem Allquantor so ohne weiteres zugestimmt.

Ein Beispiel, das mir als Marxforscher sofort einfällt: Auf dem "freien Markt" und insbesondere dem Arbeitsmarkt findet ebenfalls Instrumentalisierung statt, aber Marx hat z.B. im Anhang zu den Pariser Manuskripten gezeigt, dass die Anerkennungsstruktur dort eine andere ist als in Hegels Herr-Knecht-Verhältnis - was übrigens gerade zu der Illusion führt, es handle sich gar nicht wirklich um Instrumentalisierung.



Don't just think outside the box. Think outside AND inside.

Bartleby
Beiträge: 16
Registriert: Mi 16. Aug 2017, 18:16

Di 3. Okt 2017, 22:59

Dia_Logos hat geschrieben :
Fr 29. Sep 2017, 17:06
Wie jedoch sieht die Sache aus Sicht des Knechts aus? Bertram erläutert dies so: Zwar wird der Knecht vom Herrn nicht anerkannt, aber er selbst erkennt sein Gegenüber als selbständig an. Er erfährt sich selbst daher immer wieder als jemand, der etwas von sich aus macht. Mit jedem Ding, dass er für den Herrn bereitet, macht er diese Erfahrung. Gegenüber seinem Herrn macht er die Erfahrung, dass das Anerkennen eines Anderen grundsätzlich ein selbständiges Tun ist. Hegel folgert: “Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseins ist demnach das knechtische Bewusstsein.”

Dieser Gedankengang führt Hegel zu der These, dass asymmetrische Beziehungen instabil sind: Beide haben zwar ein Bedürfnis nach Anerkennung. Doch weder Herr noch Knecht können sie in ihrer ungleichen Wechselbeziehung finden. Daher müssen beide danach streben, andere Gegenüber zu finden, die sie tatsächlich anerkennen. Bertram: “Dabei ist es wesentlich, dass symmetrische Relationen zwischen Einzelnen zustande kommen.”
Wenn das mal keine bemerkenswerte Einsicht ist, nämlich dass das "knechtische" Für-andere-Dasein, -Arbeiten oder -Sorgen (das es ja in vielerlei Hinsicht gibt) noch lange keine symmetrische Beziehung auf Augenhöhe begründet :) .

Tatsächlich ist der "Herr" in diesem Verhältnis, der sich das komfortable Bedientwerden gefallen lässt, indem er die Früchte fremder Arbeit und Mühen entgegennimmt und konsumiert, darin ja auch der passive, unproduktive und unselbständige Teil. Nicht so recht nachvollziehen kann ich allerdings auch: inwiefern kann sich der "Knecht" "als jemand erfahren, der etwas von sich aus macht"? Er erkennt sein Gegenüber ursprünglich offenbar ja gerade nicht selbständig und aus freien Stücken als selbständig an, sondern weil er von ihm unterworfen wurde und um nicht vernichtet zu werden, also aus einer durchaus realen Ohnmachtserfahrung heraus. Insofern ist er doch von der Gnade eines anderen abhängig. Bzw. kann, wenn es zum erneuten Kräftemessen kommen sollte, die fatale Erfahrung, dass ein anderer der Stärkere ist bzw. seiner eigenen Abhängigkeit, auch jederzeit erneut machen. Vielleicht liegt hier auch ein Anknüpfungspunkt zu dem Aspekt von Körper- und anderen Strafen.
Zuletzt geändert von Bartleby am Di 3. Okt 2017, 23:28, insgesamt 1-mal geändert.



Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est, et speculum. (Alanis ab Insulis)

Bartleby
Beiträge: 16
Registriert: Mi 16. Aug 2017, 18:16

Di 3. Okt 2017, 23:22

maximimaxima hat geschrieben :
Di 3. Okt 2017, 09:38
Wenn man Hegels Herr und Knecht Parabel nun als Beschreibung allgegenwärtiger Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse verstehen möchte, was ich auch durchaus plausibel finde, fehlt genau dieses wesentliche Moment des Kampfes auf Leben und Tod. Oder was meint ihr?
In diesem buchstäblichen brutalen archaischen Sinn ist dieses Moment aus heutiger mitteleuropäischer Sicht vielleicht selten. Wenn es dagegen "nur" um Prestigefragen o.ä. ginge, hätte das Szenario von "Herr" und "Knecht" andererseits aber wohl kaum die Brisanz, die es hat. Sehr wohl kann es im Kontext besagter "allgegenwärtiger Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse" für aufbegehrende "Knechte" aber doch um die eigene persönliche, soziale und/oder wirtschaftliche Existenz gehen, die dabei auf dem Spiel steht. Vom Seelenheil und solchen Sachen (in manchen religiösen oder 'spirituellen' Kontexten) ganz zu schweigen ;-) .



Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est, et speculum. (Alanis ab Insulis)

Antworten